Kostprobe: Schwarzbär

Halb resigniert, halb belustigt, konstatierte der Philosoph Peter Sloterdijk: Wir leben in einer Erregungsgesellschaft. Wer sich spontan darüber empört, dass Bären verspeist werden, möge zuerst in Luisas Blog https://lukonblog.wordpress.com/ reinlesen. Schnell wird einem Mitteleuropäer klar, dass Schwarzbären in Kanada nahezu vergleichbar sind mit Schwarzwild in Deutschland. Es gibt eine große Population, die nicht gefährdet ist. Regelmäßig dringen die Tiere auf Grundstücke oder sogar in Häuser ein und müssen erlegt werden, um Gefahren abzuwenden. Sollte man ihr Fleisch dann wegschmeißen?
Dieser Beitrag ist Luisa aus Wolfenbüttel und ihrem abenteuerlichen Leben in Kanada gewidmet.
Weitere Links befinden sich in den Anmerkungen.

von Steven Rinella

Da isst man einen Schwarzbären, und er schmeckt so übel wie halb verfaulter Fisch, aber dann isst man einen anderen, und er schmeckt so lecker wie Blaubeeren. Der Grund dafür liegt auf der Hand. Der Geschmack eines Bären hängt weitgehend davon ab, was das Tier gegessen hat, und was das Tier gegessen hat, hängt weitgehend von den Umständen und vom puren Zufall ab. Ein Bekannter von mir, der in der Nähe der Hütte wohnt, die meine Brüder und ich auf der Prince-of-Wales-Insel im Südosten Alaskas besitzen, erzählte mir einmal von einem Schwarzbären, der in eine Werkstatt eingebrochen war und sich zehn Liter Motoröl einverleibt hatte. Ich habe auch Berichte über Schwarzbären gehört, denen zufolge sie alles von Wachsmalstiften über Schlauchboote bis hin zu Gaskartuschen aus Vinyl fraßen. Solche Substanzen werden die Genießbarkeit eines Bären kaum verbessern, aber sie sind allesamt nicht so verheerend für seinen Geschmack wie die gewöhnlicheren Dinge, die ein hungriger Bär unterwegs so aufstöbert. Ein Kumpel von meinem Bruder Matt erlegte einmal in Montana einen Schwarzbären, der gerade vom aufgeblähten Kadaver einer Kuh fraß. Nachdem er den Bären abgezogen hatte, merkte er, dass er sich dem Fleisch nicht, ohne zu würgen, nähern konnte. Ähnliche, wenn auch weniger drastische Erfahrungen habe ich mit Bären in Küstenregionen gemacht, die sich von ausgelaichten Lachsen ernähren. Einmal habe ich einen solchen Schwarzbären in einem Räucherofen zubereitet, den ich von einem Kumpel ausgeliehen hatte. Der Schinken schmeckte am Ende genau wie Räucherfisch, also ging ich hin und warf dem Kumpel vor, er hätte den Ofen nach der letzten Ladung Räucherlachs nicht ordentlich gesäubert. Es stellte sich heraus, dass er in diesem Ofen noch nie Fisch geräuchert hatte. Als ich wieder vor den 20 Kilo Fleisch stand, die ich aus diesem Bären gewonnen hatte, schwante mir, dass nun eine lange Reihe von schlechten Mahlzeiten vor mir lag.

Zwar wäre es wünschenswert, wenn alle Bären lecker schmeckten, aber die unterschiedliche Qualität ihres Fleisches macht die Jagd auf sie nur noch schöner. Es hat was von einem Glücksspiel, aber anstelle von Gewinn oder Verlust steht hier der Zwiespalt zwischen Essen, das man genießt, und solchem, das man eben runterkriegt. Mein erstes Bärenessen gehörte zur ersteren Sorte. Es entstammte einem Bären, den Danny auf der Upper Peninsula erlegt hatte. Wir entnahmen dem Hinterlauf des Bären ein Stück Fleisch, würzten es mit Salz und Pfeffer und garten es mit Möhren und Kartoffeln im Ofen. Es schmeckte uns besser als alles, was wir je an Weißwedelhirsch gegessen hatten.

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Abb.: Die Hütte mit einem aufgehängten Bären, fertig zum Zerlegen. Prince of Wales Island, Alaska. Foto aus Buch von Ron Boehme

Der zweite Bär, den ich aß, war der erste, den ich selbst geschossen habe. Ich erlegte diesen Anderthalb-Zentner- Burschen Mitte April in den Bitterroot Mountains in Montana. Damals konnte man dort als Jäger Bärenfleisch kostenlos auf Larven des Fadenwurms Trichinella spiralis testen lassen, die die parasitische Erkrankung Trichinellose verursachen können. Daher schickte ich, bevor ich von dem Bären aß, ein golfballgroßes Stück seiner Zunge zur Analyse ins Labor der Montana State University. Während ich auf das Ergebnis wartete, verarbeitete ich schon mal das Bärenfleisch. Nachdem ich aus den Lenden und den oberen Hinterläufen Braten gemacht hatte, waren noch 35 Kilo übrig, die zu Hackfleisch werden sollten. Mein Mitbewohner arbeitete an der Fleischtheke eines Supermarkts am Ort und bot mir freundlicherweise an, nach Ladenschluss mit mir das Fleisch zu verarbeiten, es musste nur heimlich geschehen. Nachdem wir das ganze Fleisch zweimal durch den Wolf gedreht hatten, verpackten wir es kiloweise in mit Folie überzogenen Styroporschalen. Ein paar Tage später kam die Nachricht, dass das Fleisch tatsächlich mit Trichinenlarven infiziert war, und wir begannen uns zu fragen, ob wir den Fleischwolf gründlich genug desinfiziert hatten.

Trichinellose ist der Grund dafür, dass man Schweinefleisch immer durchgaren muss. Die Fadenwurmlarven werden durch den Verzehr von infiziertem Fleisch von einem Tier auf das andere übertragen. In Nordamerika zählen zu den Trägern diverse Alles-und-Fleischfresser, darunter Schweine, Ratten, Pumas, Walrosse, Bären und gelegentlich Menschen. Symptome der Krankheit sind Muskelschmerzen, Fieber, Schwellungen im Augenbereich, blutunterlaufene Fingernägel sowie – in seltenen Fällen – Gehirnentzündung und verschiedene neurologische Komplikationen. Dank strenger Richtlinien des Landwirtschaftsministeriums, die das Verfüttern von Tierfleisch in der kommerziellen Schweinemast verbieten, ist die Krankheit in den Vereinigten Staaten heutzutage praktisch ausgerottet. (Besonders wirksam war das Verbot der Fütterung mit Speiseresten aus Gaststätten. Die Reste selbst waren nicht verseucht, aber häufig die Ratten und Mäuse darin.) Es werden nur noch ein paar Dutzend Fälle im Jahr gemeldet; der Löwenanteil davon lässt sich auf Schwarzbärenfleisch zurückverfolgen. In manchen Bezirken Montanas – darunter der, in dem ich den Bären erlegte – sind 100 Prozent aller Bären über dem Alter von sechs Jahren infiziert. Die Analyse des Zahnzements hatte bei meinem Bären ein Alter von 17 Jahren ergeben*.

Zusammen mit den Testergebnissen kam ein Bescheid der Montana Fish, Wildlife & Parks Commission, der mich vom gesetzlichen Verbot der mutwilligen Vergeudung von Wildbret freistellte. Ich durfte das Fleisch also wegschmeißen, wenn ich wollte. Allerdings hätte ich das Schuldgefühl beim Wegwerfen des Bärenfleischs schwerer ertragen als das Risiko bei dessen Verzehr. Also informierte ich mich über Gartemperaturen und besorgte mir ein Fleischthermometer. (Das Landwirtschaftsministerium empfahl früher, Schweinefleisch auf 75 Grad Celsius zu erhitzen, inzwischen wurde die empfohlene Temperatur jedoch auf 65 Grad gesenkt.) In den folgenden sechs Monaten steckte ich den Zinken dieses Thermometers in die Bolognese, in Grillsteaks und in alles andere. Bald konnte ich die Temperatur von Fleisch allein durch Befingern bestimmen. Heute mache ich mir nicht mehr die Mühe, meine Bären testen zu lassen. Ich gehe einfach davon aus, dass sie verseucht sind, und handle entsprechend vorsichtig.

Das beste Schwarzbärenfleisch, das ich kenne, kommt aus dem Süden Alaskas, genauer gesagt, aus den Bergen im Landesinnern, wo die Bären nicht so leicht an Lachs kommen. Bären ernähren sich dort ab Juni unter Umständen ausschließlich von Beeren und behalten diese Diät bis zum Beginn des Winterschlafs Mitte/Ende Oktober bei. Ihr Fleisch ist nicht durch übles Zeug wie fauligen oder ausgelaichten Lachs verdorben. Die meisten Leute, denen ich das Fleisch vorsetze, erklären es zu ihrem Lieblingswild. Was Geschmack und Konsistenz angeht, wird es oft mit geschmortem Rind verglichen.

Aber das Beste an diesen Bären ist ihr Speck. Die Blaubeeren verleihen ihm eine leicht violette Färbung und, ich schwöre, einen beinahe süßen Geschmack. Er ist so lecker, dass man ihn angeschmolzen wie Butter auf Toast verstreichen kann. Oder, noch besser, man lässt das Fett aus und brät darin gewürfeltes Bärenfleisch. Es lohnt sich auch, das Fett zum Frittieren von Pommes zu verwenden. Wenn man es richtig hinbekommt, schmecken sie dann so wie früher bei McDonald’s, als dort noch Rinderschmalz als Frittierfett verwendet wurde. Von meinem letzten Bären, den ich in der Chugach Range in Alaska geschossen habe, brachte ich ein paar Tüten Speck mit nach New York. Ich zerschnitt den Speck in zwei Zentimeter dicke Würfel und legte ein paar Handvoll davon in einen großen, schweren Topf. Auf niedriger Hitze gaben die Würfel ein feines, klares Fett ab. Ein paar Stunden später waren aus den Würfeln dünne Scheibchen geworden, die an Schweineschwarte erinnerten und auf einem Schmalzbad schwammen. Nachdem ich alle Würfel hineingegeben hatte, enthielt der Topf zehn Liter ausgelassenes Fett. Ich siebte die Schwarten heraus und goss das ganze Fett durch einen Filter aus Käsetuch in Weckgläser. In warmem Zustand war es noch klar wie Olivenöl, aber als es abkühlte, wurde es weiß wie zusammengedrückter Schnee. Als Etikett klebte ich auf alle Gläser ein Stück Malerkrepp mit der Aufschrift BÄRENSCHMALZ. Anfangs verbrauchte ich den Schmalz rapide, indem ich ihn verschenkte und auch selber verwendete, aber mit der Zeit verlangsamte ich meinen Verbrauch, bis ich auf null kam, als nur noch ein Glas übrig war. Das Glas hat seinen Platz ganz vorne im Kühlschrank in der Erwartung eines besonderen Anlasses. Bis dahin soll es mich daran erinnern, so bald wie möglich wieder einen fetten Bären zu töten. Es ist wie eine Einkaufsliste, nur leckerer.

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* In Gefangenschaft werden Schwarzbaren über 30 Jahre alt, aber in freier Wildbahn haben sie eine viel kurzere Lebenserwartung. Tatsächlich findet man selten Baren, die alter sind als zehn. Dieser 17 Jahre alte Bär hatte die Altersgrenze seiner Art weit überschritten.

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Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER gibt es eine Facebook-Gruppe sowie Becher aus Emaille und Porzellan. Kontaktmail für Anfragen siehe Impressum.

Tiere töten und essen

Titel: Tiere töten und essen: Von der natürlichsten aller Lebensweisen

Autor: Steven Rinella

Verlag: Riva

Verlagslink: https://www.m-vg.de/riva/shop/article/3313-tiere-toeten-und-essen/

ISBN: 978-3-86883-363-8

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Titelbild: Photo by Levi Bare on Unsplash

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Leseproben aus dem Buch:

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Lukonblog.

6 Kommentare Gib deinen ab

  1. Luisa sagt:

    Vielen lieben Dank fuer die Widmung, Jens – ich fuehle mich ganz gebauchpinselt 🙂

    Uebrigens habe ich bei meinem Schlachter angefragt, ob die hier auch Baerenfleisch verwursten. Wegen der Trichinella Gefahr sind die meisten dem gegenueber abgeneigt. Aber der Schlachter meiner Wahl verarbeitet auch Baeren und fuehrt anschliessend eine extra Reinigung des Arbeitsplatzes durch.
    Ich verarbeite trotzdem lieber selbst, wenn moeglich. So hat man noch mehr Bezug zu dem Tier und dem Nahrungsmittel.

    Viele Gruesse aus dem Yukon,
    Luisa

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    1. Interessant, was sich entwickelt, nur weil ich dem Jens auf Facebook Deinen Blog empfohlen habe 😀 Finde ich gut!
      Lieben Gruß! Gabi

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      1. Luisa sagt:

        Achso, Du warst das 😀
        Schönen Dank, ich selbst bin ja gar nicht auf Facebook.
        Liebe Grüße,
        Luisa

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  2. Taylor sagt:

    Ein wunderbarer Beitrag und ein großartiges Foto.
    In Europa macht man sich bisweilen wirklich kein Bild über die Häufigkeit von Bären.

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