Fuchsgedanken

am

von Bertram Graf v. Quadt

Es dürfte manchem Leser eine bekannte Tatsache sein, dass ich so meine bestimmten Gedanken über Vulpes vulpes L. habe und dass mir die Bezeichnung „Roter Freibeuter“ so recht nicht gefällt. Das riecht zwar nach großer Freiheit und Kühnheit, aber am End’ schmeckt es doch nur nach Pulverdampf und – Tod. Und den habe ich nun einmal nicht grundsätzlich im Hirn und im Herzen, wenn mir Reineke, Ermelyne oder gar deren Kinder den Weg queren. Dass ich damit nicht zur Mehrheit der Jäger gehöre, das weiß ich. Und dass ich, wenn ich so etwas offen im Freundes- oder gar im größeren Kreis ausspreche, dass ich dann im günstigsten Fall mild belächelt werde wie ein irrendes Kind, im Normalfall schallend ausgelacht und im Extremfall rüde beschimpft werde – oder stundenlang belehrt, was ungefähr genauso unangenehm ist – geschenkt, meine Herren und Damen Waidgenossen (man verzeihe mir das fehlende gendergerechte „/innen“, bevor ich damit beginne fange ich eher das Fuchsjagen ernsthaft an). Die Argumente sind ja alle richtig, nachvollziehbar und auf der Seite der Fuchsjäger. Aber: Ich leiste mir diese kleine Exzentrik – vielleicht ist es sogar Snobismus, auf jeden Fall aber Sentimentalität – dass ich einfach sehr viel mehr Jagd- und Lebensfreude daraus ziehe, sehe ich diesem roten Schlauling zu, wenn er seiner Wege schnürt und seinem Lebenszweck nachgeht. Denn wollen wir einmal ganz, ganz ehrlich sein: Der unterscheidet sich nicht so sehr von unserem eigenen.

„Denn ich hätte zwei Interessen: erstens schlafen, zweitens fressen.“ (Mein Gott, dass ich einmal Reinhard Mey in einem Jagdbuch zitiere, das hat mir auch noch keiner gesungen und vorausgesagt.) Das sind die Interessen des Fuchses, und ganz letztlich sind es meine auch. Nur weil ich halt ein Mensch bin, Beine habe statt der Branten, nur zwei derselben zu meinem Schnüren nutze und – angeblich – über so etwas wie einen „Intellekt“ verfüge, haben sich diese beiden Interessen ein wenig sublimiert: Ich habe einen Beruf erwählt, der es mir ermöglicht, mein Fressen mit Geld zu erkaufen, und dieses Geld ist dank meines Berufs mit einer gewissen Freude und einigem Spaß erworben. Zum Schlaf dient mir ein Bett und kein Kessel im Erdbau, aber halt: Mein Bett steht in meinem Arbeitszimmerl, und auch wenn ich mich oft und vehement verwehre gegen die Aussage meiner Frau, dass es darin gelegentlich auch so rieche wie in einem Fuchsbau oder dass die Ordnung darin ebenfalls analog zu bewerten sei – mein Schreibzimmer ist wirklich mein Bau. Die Ordnung darin ist die, die vom Genie beherrscht wird. Nur inferiore Geister bezeichnen das dann als Chaos. Und was die Olfaktorik angeht: Naja, auch dem Fuchs riecht seinesgleichen am besten. Vielleicht hat meine geliebte Frau ja recht, aber: Das nehme ich dann gern als Bestätigung und werde nichts daran ändern, werde weiter meine Form der Ordnung halten – und über kurz oder lang wird nach dem ewigen Auszug meines alten Hundes ein junges Hundl Einzug halten auf dem Kissen. Und wenn es draußen Schusterbuben regnet und Stein sowie Bein friert, dann bleiben Fenster und Terrassentüren zu. Zuerst einmal sind erheblich mehr Lebewesen erfroren als erstunken, und darüberhinaus: Sauwetter ist und bleibt Bauwetter!

Gut, ich mag mich eines gewissen Maßes an Kultur befleißigen, um mich graduell vom Affen zu unterscheiden. Ich liebe Musik, und während ich dies schreibe, singt und spielt mir Mozart ins Ohr. Das ist schöngeistig! Und da muss ich wieder zu Reinhard Mey greifen und das Zitat von oben fortsetzen: „Und was sonst schöngeistige Dinge angeht wäre ausschließlich Verdauung der Kern meiner Weltanschauung, und der Knochen, um den diese Welt sich dreht, wär’ allein meiner Meditationen Grund.“ Sie ahnen es schon am Reim. Das zitierte Lied handelt vom Hund und den Tagen, an denen sich dessen Autor wünscht, dass er dieser wäre. Womit die Sache einmal mehr richtig liegt: Vulpes vulpes, der Rotfuchs unserer Breiten und dieser Erzählung, ist ein Stamm in der Familie der Canidae, der Hunde. Seine direkte Cousinage sind alle anderen neu- und altweltlichen Füchse (wussten Sie, dass es deren nach Rasse insgesamt elf gibt?) und die Octyones, zu Deutsch „Löffelhunde“ der afrikanischen Savanne. Seine Onkel und Tanten sind dann schon wieder die Canidae, die Hunde, vom kleinsten Chihuahua über den Schakal bis hin zum größten Wolf. So wie auf dem Sofa hinter mir meine Springer-Spaniel-Dame liegt und elend gelangweilt über meine Schreiberei eingeschlafen ist, so mag ihr vierbeiniger Mitjäger neben ihnen liegen und nach dem hundeheiligen Altar einer jeder Menschenwohnung schielen, der da heißet „Kühlschrank“. Erstens schlafen. Zweitens fressen. Und was die als schöngeistig bewunderte Verdauung angeht, die jeder Hund – und damit jeder Fuchs, denn er ist nichts anderes als ein Hund – zum Kern seiner Weltsicht macht: so auch der Mensch.

Was ist denn „Verdauung“? Nichts anderes als das Ausgeschiedene, Aufgenommene. Das Durchgearbeitete, Einverleibte. Mehr noch: der Prozess, der das eine zum anderen macht. Wir heißen beispielsweise Leonardo da Vinci einen großen Künstler, ein Genie. Er nahm auf, in dem er hörte oder sah. Er verarbeitete dieses Einverleibte, indem er darüber nachdachte. Er gab es weiter, er schied es aus, indem er malte und zeichnete. Mozart oder Bach sahen und hörten, nahmen in sich auf und schenkten es uns weiter in ihrer Musik. Kultur, meine lieben Leser, ist nichts anderes als eine Art der Verdauung – und dass wir den Begriff „Verdauung“ als Euphemismus für die Stoffwechselendprodukte des Körpers verwenden, zeugt von nichts anderem, als dass wir noch eine ganze Reihe von Kultivierungsschritten vor uns haben.

An dieser Stelle bedanke ich mich übrigens bei den Lesern, die noch dabei sind, die mir noch nicht den Vogel gezeigt oder die Adresse des Psychiaters ihres geringsten Misstrauens übersandt haben. Sie sind mir so weit gefolgt, dass sie den Fuchs nun möglicherweise mit denselben Augen anschauen wie jeden anderen Hund – auch den eigenen. Glauben Sie mir: Es sind die einzig richtigen. So sehr diese Tiere, die unser Jagen so viel reicher, so viel intensiver, so viel ehrlicher machen, Gegenstand unserer Vermenschlichungstendenzen sind, weil sie unsere Tage, unsere Taten, unsere Sorgen und unser Sein teilen – so sehr sind sie auch einfach nur Tier. Sie leben nur für ihr Überleben. Das mag die Nähe zum Menschen sein, das mag der Jagdtrieb sein, das mag das klandestine, nächtliche Plündern von Küchenschrank und Mülltonne sein. Sie wollen halt so „leben“, wie sie „Leben“ für sich begreifen. Nur diesen Gedanken einmal hergenommen und durchgedacht, dann steht jedes Lebewesen, jedes Wild so da. Und in diesem Gedanken bejagen wir dieses Wild. Wir entnehmen nachhaltig, wir halten uns an den Lebensrhythmus dieses Lebewesens, wir achten es, wir achten auf es. Das nennen wir „Waidgerechtigkeit“, manche bezeichnen es auch als „verantwortungsvolles“ oder einfacher – und vielleicht sogar besser – als „anständiges“ Jagen. Warum habe ich dann bei so manchen Gesprächen mit anderen Jägern den Eindruck, dass der Fuchs als Lebewesen zweiter Klasse gilt?

Ich will eines in Deutlichkeit gesagt haben: Ich nehme hier ganz gezielt die Jäger aus, die im Niederwildrevier jagen und ernsthafte, ganzheitliche Niederwildhege betreiben, und ebenso diejenigen, die Raufußhühner im Revier haben und erhalten wollen. Aber damit hat es sich auch. Ich habe wenig Verständnis, wenn in reinen Hochwildrevieren oder in Feldrevieren, in denen auf fünf Kilometer Weg kein Fasan mehr lebt und das Rebhuhn schon erst recht nicht, wenn da sofort und sozusagen reflexhaft Feuer gerissen wird, sobald ein Quadratzentimeter roten Balgs durch die Hecke zu sehen ist. Wie oft saß ich als Gast in solchen Revieren, und kaum kam ein Fuchs um die Ecke, hieß es: „Schießen! Schnell!“ Auf mein dann immer gefragtes „Warum?“ kam dann nur ein „Weil er weggehört!“ Und wenn ich dann weiter nach dem Warum fragte, da kamen günstigstenfalls nur verständnislose Blicke – gelegentlich auch anderes. Wirkliche Gründe, nachvollziehbare Gründe, warum dieser Fuchs da „weggehörte“, die kamen nur sehr, sehr selten. Insgesamt acht Mal. Das sind die acht Füchse, die ich dann auch geschossen habe: drei davon in Niederwildrevieren, zwei in Revieren mit Raufußhühnern, drei auf Drückjagden nach vorheriger Bitte, Füchse zu schießen mit Verweis auf vorhandene Krankheiten. Neulich stand ich wieder – dem Jagdherrn hier meinen erneuten Dank – auf einer wirklich guten Saujagd im Bayrischen. Füchse waren freigegeben, und in einem Trieb, in dem ich ansonsten anblicksleer blieb, kam ein starker Rüde an meinem Stand vorbei. Ich hatte ihn unbeschossen passieren lassen. Mein Nachbar fragte mich hinterher nach dem Warum und ob ich den Fuchs vielleicht verpennt hätte. Ich hatte da mit einer Gegenfrage geantwortet: „Warum soll ich denn? Schaden macht er hier keinen, und wenn ich mit meinem dicken Drückjagdkaliber auf ihn schieße, dann ist nicht mal mehr der Balg verwertbar. Soll ich denn schießen, einfach nur weil ich kann und darf?“ Ich erntete lediglich ein Kopfschütteln.

Das Argument „Weil er weggehört“, das bekam ich im Übrigen zum ersten Mal bei der Ausbildung zum Jagdschein zu hören. Es ging um die Handhabung des Drillings – vielleicht erinnern sich einige noch an das Spielchen: Bock tritt aus, Fertigmachen zum Schuss, Vorder- und Hintergelände frei, natürlicher Kugelfang vorhanden, entsichern, einstechen und dann halt: Fuchs von links. Sichern, entstechen, umschalten, entsichern, Fuchs schießen – der höchstwahrscheinlich wegen der ganzen Herumfuhrwerkerei sich längst empfohlen hätte. Ich fragte damals, warum ich denn den Fuchs unbedingt schießen müsse, beispielsweise in einem Revier ohne jedes Niederwild. Die Antwort war das besagte „Argument“, und mein abermaliges „Warum“ wurde mit der Gegenfrage quittiert, ob ich vielleicht meinen Prüfungserfolg gefährden wolle.

Ich halte nichts von Erbfeindschaften und die scheint mir bei doch einigen Jägern in puncto Fuchs vorzuliegen. Wenn es ums Rehwild geht oder ums Rotwild, wenn Forst oder Naturschutz davon reden, dass diese Wildarten zu Schaden gingen und dringend dezimiert werden müssen, da sind sofort – und meist auch ganz richtig so – die Argumente zur Hand: dass diese Schadensgeherei erstens pauschaliert nicht stimme, dass zweitens andere Faktoren für Schäden ebenso in Betracht zu ziehen seien und dass drittens wir Jäger uns nicht zu Schädlingsbekämpfern degradieren ließen. Und wenn der Fuchs um die Ecke kommt, wird der Drilling umgeschaltet, entsichert und das Feuer eröffnet. „Alle Schweine sind gleich, aber manche sind gleicher als die anderen“ schrieb George Orwell in seiner Parabel „Animal Farm“.

Noch einmal: Die Fuchsjäger haben meine volle Achtung, die den Rotrock wegen einer ernsthaften Hege bejagen oder die im Winter hinter seinem Balg her sind. Aber Töten, nur weil man kann, darf und Lust darauf, Spaß daran hat? Ich habe Spaß am Jagen, aber ich jage nicht zum Spaß. Auch nicht auf den Fuchs. Da, wo es geboten ist, da meinethalben und in notwendigen Fällen. Ansonsten schau ich mir den Schlauling lieber an, wie er lebt und wie er jagt. Und lerne vielleicht ein, zwei Dinge daran.

*

Bertram Graf v. Quadt

Man kann sich gegen schwere erbliche Belastungen nicht wirklich zur Wehr setzen. Damit war die Jagd unausweichlich. Beim Blick in die Generationen gibt es auf weite Sicht keinen männlichen Vorfahr – und nur wenige weibliche – die nicht gejagt hätten. Vater, Mutter, beide Großväter und so weiter und so fort – alles Jäger, und zum Teil hochprofilierte Jäger: der Vater meiner Mutter, Herzog Albrecht v. Bayern, hat die bedeutendste Monographie des 20. Jahrhunderts über Rehwild verfasst („Über Rehe in einem steirischen Gebirsgrevier“) und darin mit viel Unsinn über diese Wildart aufgeräumt. Meine Mutter war an den Forschungen dazu intensiv beteiligt, gemeinsam mit meinem Vater hat sie die Erkenntnisse im gemeinsamen Revier im Allgäu umgesetzt. Nun will und muss aber jeder junge Mensch rebellieren. Ich habe mir dafür aber nicht das jagdliche Erbe ausgesucht, sondern die Schullaufbahn, das nie begonnene Studium, das Ergreifen anrüchiger Berufe (Journalist, pfui!) und anderes mehr. Und ich kann im Rückblick sagen: das war die richtige Entscheidung.

***

Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER gibt es eine Facebook-Gruppe sowie Becher aus Porzellan und Emaille. Kontaktmail für Anfragen siehe Impressum.

Titel: Jagdgänge

Autor: Bertram Graf v. Quadt

Fotos: Jagdgänge

Illustrationen: René G. Phillips

Verlag: Neumann-Neudamm Melsungen

Verlagslink: https://www.jana-jagd.de/buecher/jagdbelletristik/erzaehlungen/7509/quadt-jagdgaenge

ISBN: 978-3788818418

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Erste Leseprobe: https://krautjunker.com/2020/04/11/oscar/

4 Kommentare Gib deinen ab

  1. Christine Jonsson sagt:

    Die Fuchsgedanken sprechen mir aus der Seele! Verstehe überhaupt nicht, warum so viele Füchse geschossen werden! Wem tut er was und Pelz ist aus der Mode!

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    1. KRAUTJUNKER sagt:

      Ein Argument aus ökologischer Sicht ist, dass die heutige Fuchspopulation in Deutschland viel höher als früher ist, da unter anderem die Tollwut durch Impfungen verschwand. Weiterhin sind Füchse sehr anpassungsfähig. Einige ihrer Beutetiere viel weniger und auch deren Bestände sollen nicht erlöschen.
      Davon abgesehen, sind es faszinierende Tiere, die in „Füchse – Unsere wilden Nachbarn“ schön porträtiert wurden.

      Füchse – Unsere wilden Nachbarn

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  2. Inge Waltl sagt:

    Freue mich über diese Gedanken! Seit mein Bruder (Bergbauer) keine Hühner mehr hält, mögen wir die Rotröcke und dass Jungfüchse die Kaninchenfell-Hausschuhe der Mutter von der Hausbank klauten, hat uns nur erheitert. Liebe Grüße

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  3. Dr. H.P. Kunz-Hallstein sagt:

    Dr. Menzel empfiehlt für die Jagd auf Rehe u. a. die 5,6×52. Dem schließe ich mich gerne an, nachdem ich seit bald 30 Jahren dieses Kaliber für die Rehjagd nutze. Sie eignet sich für den Fuchs und sicherlich auch für junge Frischlinge. Sorge macht mir, dass diese Munition nur noch wenig verkauft wird.

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