von Börries Freiherr v. Münchhausen
Es war ein alter schwarzbrauner Hirsch,
Großvater schoß ihn auf der Pirsch,
Und weil seine Decke so derb und dick,
Stiftete er ein Familienstück.
Nachdem er lange nachgedacht,
Ward eine Hose daraus gemacht,
Denn Geschlechter kommen, Geschlechter vergehen,
Hirschlederne Reithosen bleiben bestehen.
Er trug sie dreiundzwanzig Jahr,
Eine wundervolle Hose es war!
Und als mein Vater sie kriegte zu Lehen,
Da hatte die Hose gelernt zu stehen,
Steif und mit durchgebeulten Knien
Stand sie abends vor dem Kamin, –
Schweiß, Regen, Schnee, – ja, mein Bester:
Eine lederne Hose wird immer fester!
Und als mein Vater an die sechzig kam,
Einen Umbau der Hose er vor sich nahm,
Das Leder freilich war unerschöpft,
Doch die alten Büffelhornknöpfe warn dünngeknöpft
Wie alte Groschen, wie Scheibchen nur, –
Er erwarb eine neue Garnitur.
Und dann allmählich machte das Reiten
Ihm nicht mehr den Spaß wie in früheren Zeiten.
Besonders der Trab in den hohen Kadenzen
Ist kein Vergnügen für Exzellenzen,
So fiel die Hose durch Dotation
An mich in der dritten Generation.
Ein Reiterleben in Niedersachsen, –
Die Gaben der Hose warn wieder gewachsen!
Sie saß jetzt zu Pferde wie aus Guß,
Und hatte wunderbaren Schluß,
Und abends stand sie mit krummen Knien
Wie immer zum Trocknen am Kamin.
Aus Großvaters Tagen herüber klingt
Eine ferne Sage, die sagt und singt,
Die Hose hätte in jungen Tagen
Eine prachtvolle grüne Farbe getragen,
Mein Vater dagegen – weiß ich genau –
Nannte die Hose immer grau.
Seit neunzehnhundert ist sie zu schaun
Etwa wie guter Tabak: braun!
So entwickelt sie, fern jedem engen Geize,
Immer neue ästhetische Reize,
Und wenn mein Ältester einst sie trägt,
Wer weiß, ob sie nicht ins Blaue schlägt!
Denn fern im Nebel der Zukunft schon
Seh ich die Hose an meinem Sohn.
Er wohnt in ihr, wie wir drin gewohnt,
Und es ist nicht nötig, daß er sie schont,
Ihr Leder ist gänzlich unerschöpft –
Die Knöpfe nur sind wieder durchgeknöpft,
Und er stiftet, folgend der Väter Spur,
Eine neue Steinnußgarnitur.
Ja, Geschlechter kommen, Geschlechter gehen,
Hirschlederne Reithosen bleiben bestehen.

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KRAUTJUNKER-Kommentar:
Am Sonntag präsentierte sich ein renommiertes Mitglied der KRAUTJUNKER-Facebookgruppe in seinen neuen Lederhosen und kommentierte dies in einem Dialekt, an dem selbst der Deepl-Übersetzer scheiterte. Die 56 folgenden Kommentare zeigten das ganze Spektrum der Meinungsvielfalt von Komplimenten in Mundart zu Kritiken der Style-Police bis hin zu Bekenntnissen zum traditions- und trachtenarmen Norden. Ich gedachte schmunzelnd des großen Paul Watzlawicks: „Man kann nicht nicht kommunizieren, denn jede Kommunikation (nicht nur mit Worten) ist Verhalten und genauso wie man sich nicht nicht verhalten kann, kann man nicht nicht kommunizieren.“ Es gibt Kleidung, die kommuniziert noch viel mehr als andere Kleidung und ist daher für viele eine Provokation.
Einen Tag später wurde dieses großartige Gedicht veröffentlicht. Der zuerst erwähnte Trachtenhosenträger kommentierte gelungen: „Irgendwann hat jede mit Anstand getragene Lederhose soviel Schweiß und Blut des Trägers in sich aufgenommen, dass sie kein Kleidungsstück mehr ist, sondern eher ein naher Verwandter.“
Ich war erst begeistert, zuckte dann jedoch zurück, als ich auf Wikipedia die breit dargestellten Verstrickungen des Autors in den Nationalsozialismus überflog. Andererseits setzte sich Börris Freiherr von Münchhausen auch für jüdische oder als entartet diffamierte Künstler ein. Der deutsch-polnische Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki, der das polnische Ghetto überlebte, übernahm zwei seiner Balladen in die als Kanon bezeichnete Anthologie von herausragenden Werken der deutschsprachigen Literatur.
Der Dichter war mir zuvor unbekannt, die Kommentare in der KRAUTJUNKER-Facebookgruppe zeichneten das Leben eines Grenzgängers und Künstlers, in einer Epoche, in der die gesellschaftliche Ordnung, für die er erzogen wurde, zusammenbrach. Seine Großnichte Jutta Dithfurth ist ebenfalls eine talentierte und extreme Persönlichkeit des öffentlichen Lebens.
Verzichteten wir auf das Œuvre von Künstlern und Intellektuellen, die sich für verbrecherische Gewaltherrscher begeisterten, würden viele der größten Kunstwerke aus den Museen und Bibliotheken verschwinden.
Haben wir Nachgeborenen, die uns als so viel aufgeklärter empfinden, wirklich so viel aus der Geschichte gelernt? Am 1. Januar meldete die Tagesschau, das Wort Freiheit sei zur Floskel des Jahres erklärt worden, da es oft von Egomanin*Innen missbraucht würde. Die Begeisterung mit der insbesondere jene Zeitgenossen, die sich für besonders modern und moralisch halten, im Namen der einen oder anderen realen oder echten Bedrohung mehr Verbote, Steuern und Zensur fordern, sollte uns nachdenklich machen.
Der Comedian Vince Ebert behauptet: „Im Kern basiert jedes totalitäre System auf dem gleichen Gedanken. Gib ein höheres Ziel vor und erkläre dann, dass dieses Ziel so (überlebens)wichtig ist, dass dessen Erreichung über allem stehen muss … Haben die Leute das erst mal verinnerlicht, kannst du die Daumenschrauben fast nach Belieben anziehen.“

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Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER gibt es eine Facebook-Gruppe sowie Becher aus Emaille und Porzellan. Kontaktmail für Anfragen siehe Impressum.
Lieber Krautjunker,
ich habe mir einige Gedanken zur „ganzen“ Hege gemacht. Wohin kann ich den Text senden?
Liebe Grüße! H.W..
Gesendet mit der Telekom Mail App http://www.t-online.de/service/redir/emailmobilapp_ios_smartphone_footerlink.htm
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Lieber H. Wessel,
meine Kontaktdaten stehen im Impressum des Weblogs. Bitte E-Mails an jens@werkmeister.co senden.
Herzliche Grüße
Jens
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