Mein erster Porsche

von Wolfgang Abel

Die Motorhaube meines Porsche Baujahr 1959 ist karminrot (RAL 3002), die Felgen sind elfenbein (RAL 1014). Der original Kfz-Brief ist aus mausgrauem Pappkarton, in Zeile 3, Antriebsmaschine, heißt es:„Porsche-Diesel-Motorenbau GMBH“, in Zeile 10, Höchstgeschwindigkeit, steht: „19,9 km/Std“. Mein erster Porsche hat zwei Rückwärtsgänge, Handgas und Heckzapfwelle.

Zwischen 1956 und 1964 wurden in Friedrichshafen am Bodensee rund 120.000 Schlepper montiert, wegen ihrer elegant gerundeten Motorhauben auch Rotnasen genannt.. Während einer ebenso kurzen wie heftigen Blüte gegen Ende der 50er-Jahre erreichten Porsche-Traktoren die zweite Position bei den Neuzulassungen. Das Einstiegsmodell, der Einzylinder-Kleinschlepper „Junior“, war mit seinen 14 PS für Klein- und Nebenerwerbsbetriebe konzipiert. Preiswert, wendig und sparsam, auch von der Bäuerin und vom Hof-Nachwuchs gut zu beherrschen. Gut 23.000 Junioren wurden insgesamt ausgeliefert, aber schon zu Beginn der 60er-Jahre gingen die Verkaufszahlen drastisch zurück. 1963 wurde die Porsche-Schlepperproduktion eingestellt.

Bildquelle: Porsche-Diesel Junior108, Baujahr 1958; Bildquelle: Marcel Hippel

Der Junior wurde nach einer kurzen Boomphase zum Schlepper einer untergehenden Betriebsform: Der kleine, landwirtschaftliche Gemischtwarenladen mit Ackerbau, Grünlandwirtschaft, ein paar Streuobstwiesen und etwas Wald mag aus der Sicht von Nebenerwerbsromantikern und Landlust-Abonnenten eine Idylle sein, während der Produktionszeit des Porsche Junior kamen aber ganz andere Trends auf. Die späten 50er-Jahre waren die Zeit von Clemens Wilmenrod, Toast Hawaii und arabischem Reiterfleisch, Rimini, Pizza und Pasta gingen am Horizont auf. Hochstammobst, alte Landsorten und Nachbarschaftsläden galten als Auslaufmodelle und so kam es denn auch.

Im alten Papp-Fahrzeugbrief meines Junior ist als erste und einzige Fahrzeughalterin eine Landwirtin aus Huttingen im Landkreis Lörrach eingetragen. 1959, im Jahr der Erstzulassung des Porsche Junior, gab es im Winzerdorf Huttingen noch keine Straßennamen, sondern nur Hausnummern, maximal zweistellig. 1967 öffnete ein Einraumladen mit Selbstbedienungstheke, 1982 gab er auf. Heute überwintern im ehemaligen Verkaufsraum die Topfpflanzen der greisen Besitzerin. Die Straßen in Huttingen heißen nun „Im Hohlergarten“ und „Am Rebhang“, was immerhin an jene Zeit erinnert, als ein Porsche noch „Junior“ und nicht „Panamera“ hieß. Am Rebhang stehen jetzt Neubauten, deren Einfahrten mit Betonformsteinen gepflastert sind. Küchengärten sieht man in Huttingen kaum noch. Die Lust auf vergessene Gemüsesorten ist auf dem Land noch nicht recht angekommen.

Aus Achtung vor seinem ersten Leben als Arbeitsgerät habe ich meinem Junior seine Patina gelassen. Dichtungen erneuern, ein ausgeschlagenes Kreuzgelenk der Lenkung ersetzen, die markante Motorhaube mit der eingedellten Nase ausrichten, aber keine Überrestaurierung, keine Neulackierung. Die geschwungenen Haltebügel auf den Kotflügelsitzen sind bis aufs blanke Metall abgegriffen, das geriffelte Metallprofil der Brems- und Kupplungspedale ist längst glatt getreten, das Getriebe singt mehrstimmig. 50 Jahre im Feld hinterlassen ihre Spuren.

Bildquelle: Porsche-Diesel Junior108, Baujahr 1958; Bildquelle: Marcel Hippel

Natürlich könnte man ein Zirkuspferd aus dem alten Junior machen, mit hochglanzpolierter Haube und Blumenvase vor dem Lüftungsgitter auf Treckertreffen fahren. „Schorleschlepper“ heißen diese aufgerüschten Veteranen bei uns im Markgräflerland, man fährt damit zum Stammtisch, am Sonntag zum Frühschoppen und duldet vor allem keinen Flugrost.

Ich fahre meinen Junior nicht als Schorleschlepper, sondern als Emotionsverstärker. Schon der Startvorgang des 822-Kubik-Einzylinder-Dieselmotors ist ein Event. Jede einzelne Zündung ein krachendes Ereignis, nur sehr zögerlich in runderen Lauf übergehend. In einer Luxuslimousine werden alle Geräusche und Zeichen der Mühsal ausgeklammert, damit sich ein Gefühl von Förmlichkeit einstellen kann. Deshalb fahren die Menschen in einem Rolls-Royce langsam und aufrecht, den Blick vorausgewandt wie Fürsten auf einer Parade. Auf einem Einzylinder-Schlepper sitzend erlebt man das genaue Gegenteil. Alle Motorgeräusche und Zeichen der Mühsal sind gegenwärtig. Die sechs Vorwärtsgänge sind unsynchronisiert und so eigensinnig wie ein kretischer Esel. Jeder Kolbenschlag ist bis in die Sitzschale spürbar, im Standgas vibriert das Blech wie Espenlaub. Aber man fährt ähnlich wie im Rolls: aufrecht, den Blick vorausgewandt, wie ein Fürst, der seine Ländereien durchmisst. Sitzhöhe und Landschaftsempfinden liegen übrigens deutlich über Panamera-Niveau. Die Kopilotin sitzt neben einem und hat den Wind im Haar. Man redet nicht miteinander, man fühlt gemeinsam, bei maximal 19,9 km/Std.

Am stimmungsvollsten ist die Kombination alter Schlepper und betagte Streuobstwiese. Wer jemals mit seinem Schlepper ansatzlos unter einen halbwild am Rein stehenden Zwetschenbaum gefahren ist und dort- ohne sich auch nur einen Zentimeter aus der Sitzschale zu erheben – die leicht überreifen, oben am Stielansatz schon etwas verschrumpelten, außen weiß bereiften, innen bernsteingelb und zuckersatt schimmernden Früchte genossen hat, wer Mundernte vom Schleppersitz aus betreibt, der weiß, was leiser Luxus ist.

Oder die Fahrt auf einem Feldweg mit zwei tiefen Spurrinnen, längs einer noch ungemähten Sommerwiese mit Wiesensalbei, Glockenblumen und Margariten, von Tagfaltern überflattert, das Ende des Weges in flimmernder Hitze verschwimmend. Man fährt unter den dichten Schatten eines alten Kirschbaumes, nimmt mit rechts den Gang raus, schiebt den Handgashebel mit links nach oben. Lässt Kolben, Schwungmasse und sich selbst zur Ruhe kommen – und hat Glück mit einem Zylinder und 822 Kubikzentimetern.

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Wolfgang Abel

Vincent Klink: Wolfgang Abel ist ein wirklich sturer Hund vom Rande des Schwarzwalds. Er schreibt für südbadische Zeitungen, lebt in Badenweiler und nervt mit seinen Berichten die häufig vehement sich selbst lobende badische Gastronomie. Seine Texte führten schon zu Prozessen, die er als gründlicher Rechercheur und der Wahrheit verpflichtet immer gewann.

In seinem Oase Verlag (www.oaseverlag.de) erschienen die intelligentesten Reiseführer, die ich kenne. Wer in Süddeutschland, Ligurien, im französischen Jura, im Elsass, auf Lanzarote, in Portugal oder sonstwo ohne diese Bücher unterwegs ist, gehört wegen sträflicher Ignoranz verprügelt.
Ehrlich!

Zu den Kolumnen geht es direkt hier: 
https://www.oaseverlag.de/Abels_Kolumnen/Die_Kolumne_von_Wolfgang_Abel/

Wolfgang Abel auf KRAUTJUNKER: https://krautjunker.com/?s=Wolfgang+Abel

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Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER gibt es eine Facebook-Gruppe sowie Becher aus Porzellan und Emaille. Kontaktmail für Anfragen siehe Impressum.

Titel: Häuptling Eigener Herd, Heft 46

Herausgeber: Wiglaf Droste und Vincent Klink

Verlag: © 2011 Edition Vincent Klink

Website: https://vincent-klink.de/

ISBN: 978-3-927350-44-1

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Die Veröffentlichung erfolgte mit freundlicher Genehmigung von Vincent Klink, Küchengott im Restaurant Wielandshöhe in Stuttgart. Ich empfehle den Besuch seines Gourmet-Tempels.


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