Die Leser des KRAUTJUNKER kennen den belgischen Althistoriker und Publizisten David Engels durch die Buchvorstellung von Aurë entuluva! – Der Tag soll wieder kommen. J.R.R. Tolkien zum 50. Todestag.
Seit seiner Veröffentlichung von Auf dem Weg ins Imperium: Die Krise der Europäischen Union und der Untergang der römischen Republik. Historische Parallelen ist der katholische Konservative dafür bekannt und umstritten, im Geiste Oswald Spenglers bedrückende Belege für den Untergang des Abendlandes zu formulieren. Mich erinnert das manchmal an ein Bonmot Michael Klonovskys, dass das Vergnügen die Apokalypse herbeizubeschwören so groß ist, dass man sie dafür fast in Kauf nehmen möchte.
Sein Projekt des Hesperalismus will dem Selbsthass der Europäer auf ihre eigene Kultur und Geschichte eine positive und schöpferische Gesamtschau auf Europa mit seiner Vielfalt, seinen Kulturen, seine Traditionen und seiner Religiosität entgegenstellen. Sind seine Aussichten größer als die eines Helden, der einen Kampfpanzer mit einer Kuchengabel attackiert? Ohne Humor und gesunden Appetit ist dies sicherlich ein noch aussichtsloseres Unterfangen, als der Widerstand von Asterix und Obelix gegen das Imperium der spinnerten Römer.
Auf dem christlichen Online-Magazin corrigenda* schreibt der Gourmet monatlich die absolut lesenswerte Kochkolumne Küchenlatein, in welcher er den Spagat zwischen seinen Lieblingsrezepten, Kulturgeschichte und gediegenem Weltschmerz wagt. Sein erstes Rezept führt uns KRAUTJUNKER nach Sizilien.
von David Engels

„Jetzt ist der Engels vollständig bekloppt geworden: Er schreibt für corrigenda* eine Kochkolumne.“ Vielleicht stimmt das sogar ein bisschen. Aber für jeden, der mir in den vergangenen Jahren auf den sozialen Medien folgte, dürfte diese Kolumne keine wirkliche Überraschung sein: Dass ich nicht nur gerne gut esse, sondern auch gerne (und hoffentlich nicht immer allzu schlecht) koche, ist ein offenes Geheimnis – und als Althistoriker habe ich ohnehin ein eigenes Verhältnis zum Küchenlatein.
Trotzdem macht es mich, wie ich gestehen muss, ein wenig nervös, nun auch ganz ungeniert über mein péché mignon zu schreiben und gar meine Lieblingsrezepte zum Besten zu geben. Denn leider bin ich einer jener Köche, die auch gerne essen, was sie kochen – ein extrem unprofessionelles, aber, wie ich gestehen muss, sehr befriedigendes Verhalten.
Pasta con le sarde – als Einstieg wähle ich ein Rezept, mit dem ich auf der sicheren Seite stehe, denn schon seit Jahren koche ich dieses Gericht in verschiedensten Abwandlungen, da es auf ideale Weise Comfort Food und ein paar Stunden unbeschwerter Küchenarbeit verbindet und vor allem nie wirklich schiefgehen kann. Es handelt sich dabei um ein typisch sizilianisches Gericht, das auf sehr angenehme Weise italienische und maurische Kochtradition vermischt und ganz von der Frische der Zutaten lebt, allen voran Fenchel und Sardinen – eine auf den ersten Blick ungewohnte, aber unglaublich leckere Kombination.
Zutaten für vier Personen:
Bucatini-Nudeln (500 Gramm)
Sardinen (800 Gramm; am besten schon ausgenommen)
Junger Fenchel (drei Stück)
Eine große Zwiebel
2 Frühlingszwiebeln
In Öl eingelegte gesalzene Anchovis (1 kleines Glas)
3 Knoblauchzehen
Pinienkerne (80 Gramm)
Rosinen (eine Handvoll)
Schwarzer Pfeffer, Safran (oder Kurkuma), Thymian, Rosmarin, Petersilie
Semmelbrösel
Parmesan
Wichtig ist eine gute Organisation der vorbereitenden Schritte: Zwiebeln, Frühlingszwiebeln und Knoblauch zerhacken und in einer schweren Pfanne mit gutem Olivenöl glasig braten; Rosinen und Pinienkerne sowie einige in Öl und Salz eingelegte Anchovis (mitsamt dem Öl) hinzufügen (sie lösen sich rasch auf). Schließlich die Sardinen in die Zubereitung geben (selbst wenn sie ausgenommen sind, noch auf Gräten inspizieren, auch wenn diese ohnehin meist ziemlich weich sind). Falls keine Sardinen zur Hand sind, kann notfalls auch der verwandte, aber etwas größere und geschmacksintensivere Hering genommen werden.

Zuerst eine kleine Weile scharf anbraten, ohne daß jedoch die Haut am Pfannenboden kleben bleibt; dann köcheln lassen und mit schwarzem Pfeffer und Safran würzen (notfalls eignet sich auch Kurkuma als Ersatz); gerne auch frischen Rosmarin und Thymian beifügen. Gesalzen werden braucht die Zubereitung wegen der Anchovis kaum noch; wenn ja, dann am besten mit gutem Meersalz.
Damit ist das Wesentliche eigentlich auch schon erledigt, und damit das Kochen keine Last, sondern ein Vergnügen ist, sollte man sich unbedingt gleichzeitig auch schon ein wenig in Stimmung bringen, etwa, indem man den eigentlich für die Gäste vorgesehenen Wein testet. Ich empfehle natürlich einen gut gekühlten sizilianischen Weißwein, etwa einen Doppio Passo, der ein durchaus angemessenes Preis-Leistungs-Verhältnis bietet.
Auch ein wenig musikalische Synästhesie kann nicht schaden: Die sizilianische Volksmusik ist überaus dynamisch und erdig und eignet sich hervorragend zum Zerhacken von Zwiebeln und Knoblauch. Wem sie dann für den Rest der Prozedur zu stimulierend ist, der findet in den vielen barocken Abwandlungen der Gattung der Siciliana (etwa in Bachs 2. Flötensonate) eine in ihrer Nostalgie schon fast sinnliche Untermalung zum Umrühren der Sardinenzubereitung.
Und dann gibt es natürlich noch Nino Rotas unsterblichen, hochdramatischen Soundtrack zu Viscontis Gattopardo – doch dazu später.
Was den Fenchel betrifft, so sollte man ihn in mundgerechte Stücke zerlegen und ein paar Minuten in jenes kochende und gesalzene Wasser legen, in den später die Bucatini gehören. Das Wasser erhält so einen ganz eigenen Geschmack, der sich später dankbarerweise auch auf die Nudeln überträgt, während der Fenchel seine Härte verliert. Dies ist umso wichtiger, wenn man nicht nur die Spitzen, also das Fenchelgrün, sondern gleich die ganze Pflanze nutzen will und nur größere Knollen zur Hand hat.
Den Fenchel dann wieder aus dem Kochwasser entfernen, in die Pfanne mit den Sardinen geben und dort weiterköcheln lassen, doch nicht allzu lange, damit der Biss nicht völlig verloren geht. Vorher ist freilich die strategische Entscheidung zu treffen, ob man vor dem Hinzufügen des Fenchels lieber vorsichtig die Sardinen entfernt und separat warmstellt, um sie dann ganz am Ende kurz vor dem Servieren unbeschädigt auf die Nudeln zu drapieren.
Dies erfordert ein wenig Talent, da der Fisch beim Anbraten schnell zerfällt und daher nicht allzu lange in der Pfanne bleiben sollte, oder ob man es einfach hinnimmt, dass die Sardinen sich spätestens beim Umrühren des Fenchels in der restlichen Zubereitung auflösen: Am Geschmack ändert dies alles freilich nichts.
Auf das Rezept der Pasta con le sarde bin ich übrigens durch völligen Zufall gestoßen. Vor vielen Jahren arbeitete ich mit einigen Kollegen an einem Sammelband zur Geschichte Siziliens (Zwischen Ideal und Wirklichkeit, Steiner, 2010) und stieß dabei eines Abends auch auf Lampedusas gewaltigen Roman Gattopardo, den ich zuerst durch Viscontis kongeniale Verfilmung kennenlernte.

Die eindringliche Nostalgie der Handlung, welche ganz dem Überlebenskampf einer teils bis in die antike Zeit zurückgehenden Aristokratie gegen die hereinbrechende Moderne gewidmet ist; die in ihrer Schwermut geradezu erdrückende Filmmusik Nino Rotas; und schließlich Viscontis für heutige Verhältnisse geradezu undenkbar zeitintensives Schwelgen in Gesellschafts- und Landschaftsbildern: All das machte einen so erschlagenden Eindruck auf mich, dass ich es nicht fertig brachte, den Film zu Ende zu schauen und dem Druck nur dadurch entgegenwirken konnte, dass ich mich selbst gewissermaßen synästhetisch zum Teil des Ganzen machte – auch Kultur geht manchmal durch den Magen.
Et voilà: Ein kurzer Vergleich einiger Online-Rezepte mit dem Inhalt des Kühlschranks bescherte mir meine ersten Pasta con le sarde – der Beginn einer langen Freundschaft.
Während sich Fenchel und Sardinenzubereitung allmählich geschmacklich verbinden, sollten die Bucatini von Hand in kleinere Stücke zerbrochen und im fenchelgesättigten Wasser al dente gekocht werden: Es handelt sich um eine röhrenförmige Nudelsorte („Buco“ bedeutet „Loch“), die seit jeher zu diesem Rezept gehört, schon 1154 am sizilianischen Hof König Rogers II. belegt ist und zum Glück ohne große Probleme im Handel gefunden werden kann.

Nach einem letzten Nachwürzen der Sardinenzubereitung – ich selbst esse zu meiner Schande selbst milde Zubereitungen gerne scharf [KRAUTJUNKER-Kommentar: Willkommen im Club!] und habe daher regelmäßig ein wenig Chili griffbereit – fügt man dann Nudeln und Sardinen zusammen. An dieser Stelle ergeben sich einmal mehr zwei Möglichkeiten: Entweder, man brät das Ganze noch einmal kurz in einer großen Pfanne an, gibt es dann portionsweise auf die Teller und bestreut es mit ein wenig gebratenen feinen Semmelbröseln.
Wenn Hunger oder Ungeduld aber noch nicht zu groß sind, kann man die Zubereitung auch schichtweise mit Brosamen und Parmesan in eine Auflaufform geben und das Ganze eine Weile im Ofen knusprig überbacken lassen. Zur Dekoration der Teller bietet es sich in jedem Fall an, ein wenig Fenchelgrün auf das Essen zu geben, gerne auch gehackte Petersilie, schwarzen Pfeffer und ein paar Rosinen und Pinienkerne, da diejenigen in der Sardinenzubereitung optisch nur noch wenig hervorstechen.
Der Geschmack, wie man feststellen wird, ist für das, was man üblicherweise italienische Küche nennt, eher unüblich und erinnert in seiner Kombination aus Rosinen, Nüssen, Safran, Salz und Pfeffer eher an die maghrebinische Küche mit ihrem Couscous als etwa an die ganz anders geartete mittel- oder norditalienische Kochtradition (weshalb sich mein schlechtes Gewissen angesichts meines Nachwürzens mit Chili, schließlich Hauptbestandteil von Harissa, auch einigermaßen in Grenzen hält).
Kein Wunder: Sizilien war über viele Jahrhunderte Teil der muslimischen Welt und selbst nach der normannischen und staufischen Zeit immer noch ein überaus kosmopolitisches Drehkreuz verschiedenster Traditionen: Karthagische, griechische, römische, byzantinische, jüdische, muslimische, langobardische, normannische, französische und spanische Einflüsse gingen hier eine einzigartige, freilich auch oft überaus konfliktgeladene Mischung miteinander ein – auch kulinarisch.
Die Hochzeit Siziliens, einst eine der reichsten Regionen des Mittelmeeres und erste Kornkammer der römischen Republik, ist heute freilich längst vorbei, und seit langem träumt die Insel unter der brütenden Mittagshitze eher von ihrer Vergangenheit als ihrer Zukunft. Doch vieles von dem Stolz und der Eigensinnigkeit jener Vergangenheit hat sich bis heute bewahrt, da die Sizilianer ein großes Gespür dafür haben, sich der jeweiligen Gegenwart in einer solchen Weise anzupassen, dass sich am eigenen Wesen so wenig wie möglich verändert.
Oder, mit den Worten Tancredis an Fürst Salina im Gattopardo: „Se vogliamo che tutto rimanga come è, bisogna che tutto cambi“ (Wenn wir wollen, dass alles bleibt, wie es ist, dann ist es nötig, dass alles sich ändert) – eine auch heute durchaus beachtenswerte Maxime, wenn auch nicht unbedingt beim Kochen.
Guten Appetit!
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David Engels

Prof. Dr. David Engels, geboren 1979, studierte Geschichte, Philosophie und VWL. Nach der Promotion in Alter Geschichte an der RWTH Aachen wurde er 2008 auf den Lehrstuhl für Römische Geschichte an der Freien Universität Brüssel (ULB) berufen. Seit 2018 arbeitet er am Westinstitut (Instytut Zachodni) in Posen. Einem breiteren Leserkreis wurde er durch seine essayistische Tätigkeit und seine Bücher „Auf dem Weg ins Imperium“ (2014), Renovatio Europae (2019) und Was tun? (2020) bekannt.
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Verbindlichsten Dank für das Copyright des hier veröffentlichten Originalbeitrags auf corrigenda*.
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Anmerkungen

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