von Tim Wesly Hendrix
Ich habe ein Problem. Meine Frau sagt mein Problem wäre, dass ich zu viele Bücher hätte. Ich denke, ich habe zu wenig Quadratmeter für die Bibliothek angebaut. Nun war der Anbau nicht nur teuer, sondern auch noch anstrengend und ich möchte das Vergnügen nicht noch einmal haben.

Die Lösung ist das kleine Bad, welches direkt an die Bibliothek anschließt. Ich durfte mich hier hinreichend ausleben. Weiße Holzvertäfelung und darüber Wedgewood Blau als Wandfarbe. Dazu ein paar alte Drucke aus Schottland – was wünscht man sich mehr?
Freunde von mir in England haben mich nun auf eine Idee gebracht. Wer bei Glenis und Mick auf das Gäste-WC aufsucht, findet eine Wand voller kleiner und großer Bände. Man könnte quasi einen Abend hier verbringen, ohne sich zu langweilen.
Mein Schreiner des Vertrauens guckte zwar ein wenig komisch, als ich ihn um ein Regal fürs Bad bat, gefertigt hat er es aber dennoch.
Doch was soll hier nun stehen? Hagern oder Quadt, Shakespeare oder Keats? Was kann man eigentlich auf so einer Toilette sinnvoll lagern?
Ausschließen konnte ich einfach alles Alte. Man muss keine Erstausgaben oder das Missale aus dem 17. Jahrhundert an diesem Ort studieren. Zeitschriften bieten sich zwar an, Formattechnisch sind sie aber ungeeignet.
Dicke Wälzer verbieten sich aus Zeitgründen. Fachliteratur zu Kunst, Geschichte und Jagd sind ebenfalls nicht angebracht.
Aber was spricht gegen Poesie und Kurzgeschichten? Poesie ist aber so eine Sache. Wer will schon Byron oder Keats auf dem Locus lesen? Aber Lockhead und die moderne schottische Lyrik aus dem Studium konnten schnell einziehen. Ob sie im Regal verstauben oder im WC war eigentlich gleich.
Als nächstes zogen die doppelten Bände mit Hemingways und John Buchan‘s Kurzgeschichten ein – die könnte man in wenigen Minuten lesen. In der Realität natürlich doch zu lang, um sinnvolle Lektüre zu bieten.
Dann kam mir die Idee: Ich habe alle Bände von Douglas Sutherland und damit die ideale Lektüre für das stille Örtchen.
The English Gentleman, The English Gentleman‘s Wife und die anderen Titel reflektieren die englische Upper Class in einer so herrlich satirischen und letztendlich selbstironischen Weise dass es ein wahres Vergnügen ist. Zudem sind die einzelnen Vignetten so kurz gehalten, und ansprechend illustriert, dass man sie auch in der notwendigen Kürze der Zeit genießen kann.
Müsste ich also die ideale Lektüre für das WC definieren, es würde mir persönlich mittlerweile einfach fallen. Kurz, knapp, kurzweilig – am besten illustriert.
Vielleicht mag ein anderer James Joyce Ulysses lieber auf dem Klo genießen, aber das ist auch das Schöne an einer Toilettenbibliothek. Während die richtige Bibliothek eine gewisse Gravitas und Ästhetik braucht, kann man seinen exzentrischen Neigungen im Bad freien Lauf lassen. Es ist fast so, als ob man einen geheimen Ort schaffen würde, ein Reich mit einem Thron!
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Dr. Tim Wesly Hendrix

Tims Frau beschreibt ihn so: „Der ist einfach ein wenig verrückt“ würde sie sagen. Nun liegt das Genie nah am Irrsinn, er nimmt das also als Kompliment.
Aus dem Bergischen kommend zog es ihn in die weite Welt zum Studium – also nicht ganz so weit weg vielleicht – nach Köln. Mit Zwischenstation in Edinburgh beurteilte ihn dann eine Reihe von Professoren als soweit gereift, um ihm den Doktortitel im Fach Kunstgeschichte zu verleihen. Man möge es ihnen verzeihen. Nebenbei gab es dann noch einen Master in Anglophone Literature – was wiederum nichts anderes ist als das schnöde Anglistik Studium vergangener Tage.
Man sieht also, Tim ist den britischen Inseln und der englischen Sprache sehr zu getan. Seine Frau fragt ihn schon nicht mehr, wo der Jahresurlaub seiner Meinung nach hingehen soll, die Antwort ist ihr hinreichend bekannt. Schottland mit seiner raue, poetischen Westküste hat ihn so in den Bann gezogen, dass er dort jeden Urlaub verbringen könnte.
Das heißt nicht, dass er die anderen Länder nicht wertschätzt – aber keines, nicht einmal die berühmten Wasser Afrikas – haben ihn so vollkommen einnehmen können.
Das spiegelt sich auch in der Leidenschaft für Whisky nieder, obwohl er einem guten Wein auch nicht abgeneigt ist. Kommt dann noch eine Zigarre, oder eine seiner geliebten Pfeifen dazu – das ist wahrer Es(s)kapismus für ihn.
Früh schon zog es ihn ans Wasser, um den heimischen Forellen in kleinen Bergbächen nachzustellen und auch heute noch schwingt er gelegentlich seine Fliegenrute. Was gibt es auch schöneres, als bei ausreichend Wind an einem Bach auf einer Hebrideninsel zu stehen und Fliegen aus der Vegetation zu befreien?
Das seine Hardy Ruten nur noch gelegentlich genutzt werden, liegt vor allem an seiner wohl größten Passion: Der Jagd.
Sie war immer irgendwie da. Schon als kleiner Junge vor der beeindruckenden Wand seines Großonkels. So richtig hat er aber erst vor relativ kurzer Zeit zu ihr gefunden. Dies konnte er freilich durch Eifer, seine Frau spricht von manischem Zwang, ausgleichen.
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Anmerkungen

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Titel: The English Gentleman
Autor: Douglas Sutherland
Verlag: Debrett’s Peerage
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