von Harald Gross
Westpapua 2018
Noch 1965 war das auf fast zweitausend Meter Höhe über dem Meeresspiegel gelegene Wamena nicht mehr als eine schäbige kleine Ansammlung von Wellblechhütten, einem ungepflegtem Grasfeld, welches als Flugplatz diente sowie von zwei Missionsstationen, in denen zur Christianisierung der Heidenkinder auch auf die Prügelstrafe zurückgegriffen wurde. Auffällig waren damals bereits die massenhaft herumlaufenden Schweine. Kein Wunder, waren sie doch die Namensgeber des Ortes Wamena. Wam bedeutet in der Sprache der Ureinwohner Schwein und Wamena heißt so viel wie „Ort der Schweine“.

Heute hat sich Wamena zu einer Handelsansiedlung aus tausenden von Wellblechhütten, noch mehr frei herumlaufenden Schweinen und noch mehr Missionsstationen entwickelt.

Und dennoch kann der neu gebaute moderne Flugplatz nicht darüber hinwegtäuschen, dass Wamena abseits der Hauptstraße nur das Flair einer unorganisierten Mülldeponie zu bieten hat.

Möchte man jedoch die letzten Steinzeitmenschen dieser Erde besuchen, so führt kein Weg an Wamena vorbei, denn der einzige Zugang zu dem fruchtbaren Hochtal am Baliem Fluß inmitten von West Papua führt über den Luftweg. Straßenzugänge gibt es nicht.


Vereinzelt begegnet man den Dani, den Lani oder den Yale bereits im Ortskern, wenn zwischen den vom indonesischen Staat angesiedelten quirligen Händlern ein nur mit einem aus Kürbisrohr bestehenden Penisschutz bekleidet, sich den Weg durch die Menschenmassen bahnt.
Wenige Kilometer hinter dem Ortsrand trifft man auf ihre Weiler. Dazwischen liegt eine strapaziöse Reise über schlammige, zugewachsene Dschungelpfade und morsche Hängebrücken, über Schlammlawinenabgänge und ausgetrockneten Bachbetten.

Hier leben die Dani in kleinen Gemeinschaften von vierzig bis einhundertfünzig Menschen zusammen. Die von Palisaden umrankten Dörfer zeigen überall die gleiche Struktur. Die Männer leben im Männerhaus, die Frauen, Kinder und Schweine im Frauenhaus. Und dann gibt es noch ein Koch- oder Gemeinschaftshaus. Die Stammesgeschichte der Dani hört sich recht einfach an:
Nori, der Urahn des heutigen Stammes kam eines Tages mit seiner Frau und beladen mit vielen Körben aus den umliegenden Bergen ins Tal gezogen und liess sich dort nieder. Seinem Verbot zum Trotz, öffneten seine Kinder neugierig die Körbe und ließen so, Schlangen, Skorpione und anderes Getier frei. Und so kamen die Plagen auf die Erde. Im Weltbild der Dani war so die Welt bereits hinter den viertausend Meter hohen Bergen zu Ende.

Duasti, die Frau des Clanchefs Melis erzählt diese Geschichte, während sie bereits den gesamten Vormittag damit verbracht hatte, Gemüse, Süßkartoffeln, Taro, Bananen, Farnkräuter und Schilfherzen für das bevorstehende Schweinefest vorzubereiten. Heute wird das Schweinefest im Weiler Okubua gefeiert und das ganze Dorf hat sich dafür bereits in Schale geworfen. Die Frauen tragen ihre Schilfgrasröcke, über dem Rücken mehrere Netze, die auch für die den Transport von Kindern und Waren genutzt werden, Ketten aus Kaurimuscheln und Bambus. Ihre Köpfe schmücken prächtige Hauben aus bunten Federn. Ihre Gesichter und Körper sind mit hellen Erdfarben bemalt und als Tagescreme haben sie dick Schweinefett aufgetragen. Auch die Männer laufen heute, wichtig wie immer, in ihrem „Sonntagsstaat“ umher. Nackt, bis auf den unverkennbare Peniskürbis, der in allen Größen von S bis XXL vertreten ist.

Und es ist wie überall auf der Welt, der Kleinste hat den größten „Kürbis“, der mehr Statussymbol als wirklicher Schutz ist. Mir drängt sich dabei das Bild des VW-Käferfahrers mit dem Porscheschlüsselanhänger auf.

Die Männer sind ebenso wie die Frauen bemalt und eingefettet. Sie tragen zum Teil imposante Wildschweinhauer durch die Nase und auf dem Kopf Mützen aus dem Fell des Kuskus, einer recht schmackhaften Art von Baumratte.

Dazu Ketten aus den Krallen des Kasuars.

Steinbeil, Pfeil und Bogen unterstreichen noch das Bild eines angetretenen „ Schützenvereins“.

Nur das kleine Schweinchen weiß noch nichts von seinem bevorstehenden Schicksal . Schweine haben bei den Dani einen hohen Stellenwert. Jeder bedeutende Geschäftsabschluss, ob Brautpreis, Todesfall, Kriegsentschädigung, wird in Schweinegeld geleistet. In den Schweineverhandlungen zeigt sich gewissermaßen das Hochfinanzgebahren des Stammes. Inzwischen haben sich zwei Krieger bereits eines der kleinen quiekenden Tiere geschnappt und ein dritter schießt ihm aus geringer Distanz einen Pfeil ins Herz. Leider trifft er nicht immer genau und so rennt das kleine Tier, schreiend und immer wieder einknickend umher, bis es schließlich erlöst ist. Dann geht alles sehr schnell. Das Tier wird über einem Feuer abgesengt, ausgenommen und im inzwischen vorbereiteten Erdofen auf heißen Steinen zwischen dem Gemüse , den Früchten und den Farnen gegart. Nach etwa ein bis zwei Stunden ist es soweit. Das dampfende Fleisch wird mit einem Bambusmesser in kleine Teile zerlegt. Wobei der Chefmetzger immer darauf achtet, dass die wichtigsten Stammesmitglieder (die Männer) die größten und besten Stücke abbekommen. Bald danach sitzt die gesamte „Tafelrunde“ laut schmatzend beim Schweinsbraten. In Juchzlauten, etwa „Jaa up up up“ und sich dabei auf den Bauch klatschend wird der köstliche Schweinebraten besungen und gelobt als wenn der Alfons Schuhbeck ihn höchstpersönlich ihn zubereitet hätte. Den Verdauungsschnaps danach muss man sich allerdings dazu denken. Stattdessen begnügt man sich danach mit einer Tüte „Gras“. Meist klingt ein solches Fest mit Tänzen und den tonlosen aber rhythmischen Gesängen friedlich aus. Jedoch nicht immer.

Ein Missverständnis vielleicht ein kleiner Streit zwischen Kindern, ein harmloser Wortwechsel kann schnell zu einem handfesten Krieg ausarten. Denn die Kriegführung ist die eigentliche Lebensaufgabe der Männer. Die Arbeit im Dorf wird von den Frauen erledigt. Ob Kinder und Schweine aufziehen, Feldarbeit und Feuerholz besorgen. Der Mann, der Krieger hat derweil wichtigere Aufgaben. Er sitzt meist auf seinem Wachturm und „bewacht“, beschützt seine Frauen bei der Feldarbeit.

Frauenraub, Überfälle aus nichtigen Gründen, Schweinediebstahl bieten immer wieder Grund zur Wachsamkeit. Unter Krieg muss man sich jedoch keine plötzlichen Prügeleien und Messerstechereien vorstellen. Nein, Kriege laufe hier kurioserweise gesittet ab, nach entsprechenden Regeln, ähnlich wie bei einem Fußballspiel. Es gibt ein Kampffeld auf dem die Parteien aufeinander eindreschen können. Regeln, die den Ablauf beschreiben, wieviele Tote, Verletzte es geben darf, ob bei Regen oder in der Nacht weiter gekämpft wird usw. Dann rennen die parteiischen Krieger mit wildem Geschrei aufeinander zu, provozieren einander, schießen Pfeile ab, bewerfen sich mit ihren Speeren.

Sind alle Speere und Pfeile verschossen und noch niemand verletzt oder getötet gibt es eine Pause. Die Waffen werden wieder eingesammelt und los geht’s von Neuem. Hat nun einer der „Helden“ keine Lust mehr, setzt sich der Kepu (Feigling) am Spielfeldrand auf die „Reservebank“, mault von dort weiter oder feuert seine Kumpels an. Hat er wieder Lust , so wirft er sich mit schaurigem Gejohle wieder ins Getümmel. Irgendwann einmal, sind die Verletzten/Todeszahlen erreicht oder eine Seite hat keine Lust mehr weiterzukämpfen. Dann stimmt sie einen Friedensgesang an, dem danach entsprechende Friedensverhandlungen folgen, und natürlich mit Schweinereparationszahlungen. Ist alles geregelt, wird der neue Friede mit einem Schweinefest besiegelt, welches allerdings manchmal im Verlauf für einen neuen Kriegsgrund sorgt.

Auf die Frage, ob Besiegte dabei auch verspeist werden, bekommen wir abwehrendes Geschnatter zu hören. Nein, die Dani würde keine Menschen verspeisen. Das machen nur die Yali. Würde ich die Yali fragen käme wohl eine ähnliche Antwort heraus. Auch wenn sie bei uns noch immer gern als Menschenfresser und Kopfjäger bezeichnet werden, seit den achtzigerJahren wurden keine Missionare mehr verspeist, und diese auch erst nachdem sie die Frauen der Dani vergewaltigt und deren Schweine gestohlen hatten. Es gibt zwar noch immer einige Stämme in den undurchdringlichen Wäldern (zweimal so groß wie Deutschland), die sich dem Zugang zur Außenwelt verschließen, aber das Thema Menschenopfer hat keine große Bedeutung mehr.
Wir habe die Dani als äußerst liebenswerte, freundliche Menschen kennengelernt und verlassen den Weiler mit großer Wehmut im Herzen und vielstimmigen lauten „Wa, Wa, Wa“ Rufen, was in ihrer Sprache so was wie tschüss, hallo, moin moin bedeutet.
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Harald Gross

Harald Gross ist seit fünfzig Jahren leidenschaftlicher Fliegenfischer und Fliegenbinder. Fast ebenso lange kochet er, natürlich auch Outdoor. Er segelte als Smutje über den Atlantik. Das Reisefieber packte ihn früher beruflich als Fotograf, Kameramann und Pressesprecher (Meeresforschung und Marine Schiffserprobung). Harald war mit dem Hundeschlitten und mit Raftingboot in Kanada und Alaska unterwegs. Per Segelboot kreuzte er über den indischen Ozean und die Karibik, mit einem Boot befuhr er den Amazonas bis zur Mündung. Mehrfach genoss er längere Aufenthalte bei indigenen Völkern in Südamerika, Äthiopien, Somalia und Eritrea. Seine große Liebe gehört jedoch Indonesien, Sulawesi, Komodo und den letzten Kannibalen-Völkern Papuas.
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Anmerkungen

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