Ein Ruck an einem Ende

von Robert Hughes

„Ein Ruck am Ende der Leine, der auf einen Ruck am anderen Ende wartet.“ So lautet eine der klassischen Definitionen von Angeln im Volksmund. Das kommt Samuel Johnsons Beschreibung dieses Sports – „ein Stecken und eine Schnur mit einem Wurm am einen Ende und einem Narren am anderen“ – recht nahe. Und wer wollte diese Wahrheit schon bezweifeln? Es ist – in mancher Hinsicht – eine lächerliche Leidenschaft.

Auf Shelter Island,  wo ich wohne, habe ich ein Fischerboot liegen. Eine Mako mit Mittelsteuerstand, 25 Fuß lang und 1979 gebaut (der Text ist von 1999). 12.000 Dollar hat es gekostet, als ich es 1981 aus zweiter Hand erstand.

Abb.: Shelter Island vor New York; Bildquelle: Google Maps

Jedes Jahr kostet es mich etwa 4.000 Dollar an Hafengebühren (während sechs Monaten des Jahres) sowie Transport- und Lagerkosten (während der übrigen sechs). Ich bin kein großer Techniker, und was sich unter der Motorhaube seines inzwischen in die Jahre gekommenen 1988er Evinrude 225 verbirgt, ist mir ebenso schleierhaft wie die Bedeutung der Inschriften auf einer Mayastele.

Abb.: Mako Boat mit 25 Fuß Länge und Mittelsteuerstand
Abb.: Mako Boat; Bildquelle: Mako Boats

Falls er auf See den Geist aufgäbe, wäre ich verloren. Die Wartung überlasse ich den Experten von der Bootshandlung, die mir etwa 50 Dollar pro Arbeitsstunde in Rechnung stellen. Er schluckt circa eine Gallone auf zwei Meilen und besitzt ein kompliziertes Ölmischsystem, das mit einem Alarmpieper versehen ist. In letzter Zeit zeigt der Pieper Neigung, jäh loszugehen – mit einem schrillen schwachsinnigen Trällern, das auf ebenso mysteriöse Weise wieder verstummt, wie es begonnen hat -, obwohl der Motor herrlich zu laufen scheint, offenbar alles in bester Ordnung und der Tank noch mehr als zur Hälfte voll ist; in der Regel passiert das bei starker Flut in der Meerenge zwischen Orient Point und Plum Gut oder, noch schlimmer, in der als Race bezeichneten großen Kabbelung vor Fisher’s Island, zwanzig Meilen fern der Heimat, und erfüllt mich auf diese Weise immer wieder mit einem Gefühl von Inkompetenz und – bei der Aussicht , ohnmächtig in die Weiten des Atlantiks hinausgetrieben zu werden – auch mit Entsetzen. Dies mindert die Empfindung ozeanischen Friedens und der Einheit mit dem Kosmos, welche die zum Mystischen neigenden Fischfangliteraten als Lohn ihres Sports für sich beanspruchen. Wollte ich den Marktwert des jährlich von mir gefangenen Fischs gegen den damit verbundenen Aufwand amortisieren, so würde ich sagen, dass ich – alles in allem – an die 55 Dollar für ein Pfund Blaufisch ausgebe, das man, entschuppt und filetiert, für 3 Dollar 99 im Laden bekommt.

Abb.: Blaufisch (Pomatomus saltatrix, Syn.: Temnodon saltator), auch Blaubarsch genannt; Bildquelle: Wikipedia

Und was andere Arten des Angelns kosten, ist darin längst nicht inbegriffen. Als ich mein letztes Wochenende auf der Jagd nach Tarpunen in den Florida Keys verbrachte, standen da unter anderem Hin- und Rückflug nach Miami und der Mietwagen an, das Motel in Islamorada mit seinen rostigen Wasserhähnen und dem durch die dünne Wand gut vernehmbaren Gerammel, der Charterpreis für das Boot und das Honorar des Guides; und das alles – letztendlich! – für eine einzige kurze Begegnung mit einem einzigen gewaltigen silbrigen Fisch, der zwei Ausbrüche unternahm, die die Rolle zum Glühen brachten, mir eine rasende Darbietung klatschender, glitzernder Sprünge bot, meine Fliege ausspie und verschwand.

Abb.: Tarpunangeln vom Boot; Bildquelle: https://www.visitfortmyers.com/

Und dennoch wäre es erbärmlich, sich darüber zu beklagen. Fischen besteht eben zur Hauptsache darin, dass man nichts fängt; der Misserfolg gehört zu dieser Sportart wie die Knieverletzung zum Fußball.

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KRAUTJUNKER-Kommentar: Dieser Text ist der Anfang des ersten Kapitels. Die Überschrift ist meine Übersetzung des Buchtitels A Jerk on One End.

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Robert Hughes

Robert Hughes (* 28. Juli 1938 in Sidney; † 6. August 2012) lebte seit 1970 in den USA als Kunstkritiker für Time Magazine. Er hat zahllose Artikel und 13 Bücher veröffentlicht und dafür diverse Auszeichnungen erhalten, u.a. den Academy Award in Literature.
Bei Blessing erschien 1997 Bilder von Amerika, seine von der Kritik hoch gelobte Geschichte der amerikanischen Kunst.

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Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER gibt es eine Facebook-Gruppe sowie Becher aus Porzellan und Emaille. Kontaktmail für Anfragen siehe Impressum.

Titel: Es ist so leicht, sich das Leben schwer zu machen: Vom Angeln und vom Fliegenfischen

Autor: Robert Hughes

Übersetzung: Maria Mill

Verlag: Karl Blessing Verlag

ISBN: 978-3896671479


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