Kulinarische Kalendergeschichten: 8. November – Französische Flüchtlinge prägen die Berliner Küche

von Raimund Gründler

Der Titel des Dokuments klingt etwas kompliziert: Chur-Brandenburgisches Edict, Betreffend Derjenige Rechte, Privilegia und andere Wohltaten, welche Se. Churf. Durchl. Zu Brandenburg denen Evangelisch-Reformierten Französischer Nation, so sich in Ihren Landen niederlassen werden daselbst zu verstatten gnädigst  entschlossen seyn. Einfacher formuliert handelt es sich um das sogenannte Edikt von Potsdam, das der preußische Kurfürst Friedrich Wilhelm am 29. Oktober 1685 unterzeichnete. Wobei es aus heutiger Sicht eigentlich der 8. November war. Aber in Preußen zählte man die Tage noch bis 1700 nach dem alten Julianischen Kalender. Den 1582 von Papst Gregor eingeführten Gregorianischen Kalender lehnte man lange ab. Als aufrechte Protestanten wollte man sich nicht der Zeitrechnung des katholischen Papstes anschließen. Religiöse Dogmen waren auch der Grund, dass die genannte Verordnung des Kurfürsten notwendig wurde.

Abb.: Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg im Potsdamer Schloß, beim Empfang der aus Frankreich geflohenen Hugenotten, im Jahr 1685; Bildquelle: Holzstich von Hugo Vogel 1885

Im überwiegend katholischen Frankreich wurden die protestantischen Hugenotten wegen ihres Glaubens verfolgt und flüchteten zu Tausenden über die Landesgrenzen. Der Kurfürst von Brandenburg gewährte seinen Glaubensgenossen nun großzügige Aufnahme in seinem Land. Es waren aber nicht ausschließlich humanitäre Gründe, die den Großen Kurfürsten, wie Friedrich Wilhelm auch genannt wurde, bewegten, die Grenzen zu öffnen. Nach dem Dreißigjährigen Krieg war sein Land entvölkert und lag wirtschaftlich am Boden. Neue Siedler waren herzlich willkommen, und so gab es für sie großzügige Unterstützung bei der Ansiedlung und ebenso beim Aufbau einer neuen Existenz. Und er hatte Erfolg. Zwanzigtausend Hugenotten folgten in den nächsten zwanzig Jahren seinem Ruf. Viele von ihnen brachten handwerkliche Kenntnisse mit, die bisher an Spree und Oder unbekannt waren. Sie gründeten Unternehmen und Manufakturen und prägten Kultur und Wissenschaft. Auch der Alltag veränderte sich. Im Rückblick erschient dies selbstverständlich, wenn man überlegt, dass rund ein Viertel der 30.000 Einwohner Berlins im Jahr 1700 französischen Ursprungs war.

Die Urberlinerinnen und Urberliner staunten sicher das eine oder andere Mal, wenn plötzlich Gerichte serviert wurden, die sie bisher nicht kannten. Viele neue Gemüsesorten hatten die Franzosen ins Land gebracht und als geschickte Gärtner mit dem Anbau begonnen. Spargel, Zuckerrüben, Erbsen, Blumenkohl und Gurken gehörten dazu. Ebenso bereiteten sie das Fleisch auf andere Art zu. Kleine Fleischklößchen, die Bouletten genannt wurden, waren für die Deutschen neu. Ebenso ungekannt war das Ragout Fin, das auch unter dem Namen Frikassee bekannt ist.

Abb.: Ragout fin (überbacken); Bildquelle: Wikipedia

Für dieses Gericht wird meist helles Fleisch verwendet, also Geflügel oder Kalb. Es wird gar gekocht, in kleine Stücke geschnitten und dann gemeinsam mit kleingeschnittenen Champignons in einer hellen Sauce serviert. Ein besonderes Festtagsgericht gelingt, wenn die feine Speise als Königinpastetchen in einer warmen Blätterteigpastete serviert wird. Nicht nur aus der Berliner Küche ist das Ragout Fin heute kaum mehr wegzudenken. Dass dieses Gericht eigentlich ein französisches Gericht ist, ist längst vergessen.

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KRAUTJUNKER-Kulturtipp: https://www.hugenottenmuseum-berlin.de/

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Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER gibt es eine Facebook-Gruppe sowie Porzellantassen. Weitere Informationen hier: https://krautjunker.com/2024/12/16/krautjunker-tassen/

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Raimund Gründler

Raimund Gründler wurde 1963 in Ravensburg geboren und ist seit vielen Jahren in Mannheim zu Hause. Seine berufliche Laufbahn begann er in der Kommunal- und Landesverwaltung. Heute ist er Vorstandsmitglied eines großen privaten Bildungsunternehmens. Das gemeinsame kulturelle Erbe hält er für eine wichtige Basis der europäischen Einheit und einer europäischen Identität. Mit seinen beruflichen und ehrenamtlichen Aktivitäten möchte er seinen Beitrag leisten, es zu pflegen, zu vermitteln und weiterzuentwickeln.
https://www.verlag.der-leiermann.com/raimund-gruendler/

Titel: Kulinarische Kalendergeschichten

Verlag: Der Leiermann

Verlagslink: https://www.verlag.der-leiermann.com/kulinarische-kalendergeschichten/

ISBN: ‎ 978-3903388697

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Erste Leseprobe: https://krautjunker.com/2025/09/25/kulinarische-kalendergeschichten-das-schwedische-krebsfest/


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