Zeit der Scharlatane

von Florian Asche

Stellen Sie sich vor, Sie seien ein Landarzt. Tagaus tagein fahren Sie zu Ihren Patienten, messen Puls, verschreiben Medikamente, hören sich die kleinen und großen Sorgen an. Das läuft auch recht gut, meistens werden die Leute wieder gesund und wenn alles nichts hilft, dann gibt es auch noch das Krankenhaus in der Kreisstadt. Doch eines Tages kommen Sie in Ihr Wartezimmer und werden von gähnender Leere empfangen. Ihre Patienten sitzen bei einem Kollegen auf der anderen Straßenseite. Der nimmt keine Blutproben und misst keinen Puls, sondern blickt dem Kranken tief in die Augen. Dann zückt er einen blauen Stein, murmelt etwas und streicht über die schmerzenden Stellen. Die Leute sind begeistert und Sie können es nicht fassen.

So ähnlich muss sich Christian Ammer fühlen, wenn es um Forstwissenschaft und Forstbotanik geht. Seit vielen Jahren lehrt er „Waldbau und Waldökologie der gemäßigten Zonen“ an der berühmten Georg-August-Universität in Göttingen. Ammer hat zum Wechselverhältnis von Forstökonomie und Forstökologie veröffentlicht, sich mit dem Wald-Wild-Verhältnis beschäftigt und viele Generationen von Forstwissenschaftlern geprägt. Sein ganzes Leben hat der Professor dem Kenntnisgewinn über Forst und Natur gewidmet. Seriös, sachbezogen, für Laien vielleicht langweilig, jedoch mit Sachkenntnis und Begeisterung. Und dann kam Peter Wohlleben.

Wohlleben muss man eigentlich nicht mehr vorstellen. Er lächelt uns von den Titelseiten der Naturmagazine an, begrüßt uns im Internet und ist Liebling der öffentlich-rechtlichen Medien. Angefangen hat er als harmloser Gemeindeförster in Hümmel, einem kleinen Dörfchen im Landkreis Ahrweiler, in Rheinland-Pfalz. Dessen Forstbetrieb wandelte in einen Friedwald um, bot Seminare für Naturfreunde an und begann schließlich, zu schreiben. In ca. 30 Publikationen widmet sich Wohlleben dem „geheimen Leben der Bäume“, dem „Seelenleben der Tiere“ und erklärt auch Kindern wie „die Bäume sprechen“.

Abb.: Peter Wohlleben 2016; Bildquelle: Wikipedia

Wohllebens Erfolg ist so gigantisch, dass jeder seriöse Forstwissenschaftler kiefergrün und herbstlaubgelb vor Neid werden muss. Die Auflage seiner Bücher geht in die Hunderttausende. Eine Baumart wurde nach ihm benannt und er erhielt Medienpreise und Filmauszeichnungen. Sogar zu einem eigenen Magazin (Wohllebens Welt) hat er es gebracht. Eigentlich kann man dem Mann nur gratulieren. Doch ein Problem gibt es im Lebenswerk des leidenschaftlichen Waldgurus.

Seine Darstellungen über Tiere und Pflanzen haben oft nur wenig mit den Fakten der zu tun. Das wurmt natürlich diejenigen, deren Geschäft gerade das Streben nach Fakten ist. Vor einigen Wochen forderten 32 Forstwissenschaftler und Ökologen in der renommierten Fachzeitschrift Plant Science, endlich mit dem pseudowissenschaftlichen Spuk einer Vermenschlichung von Pflanzen Schluss zu machen. Sicherlich sei es begrüßenswert, wenn populärwissenschaftliche Bücher bei interessierten Laien Begeisterung für Wald und Natur weckten. Wenn die Sprache dieser Bücher einfach, zugänglich und unterhaltsam sei, nur zu! Dass allerdings Autoren wie Wohlleben oder die Auffassung vertreten, Bäume hätten Gefühle oder würden sich um ihre „Kinder sorgen“, dann sei das schlicht unwissenschaftlich.

Für soziale Interaktionen, meinten die Forscher, gebe es innerhalb der Pflanzenwelt keinerlei wissenschaftliche Hinweise. Die Experten richten sich auch an die Verlage. Es müsse doch wenigstens einen sachlichen Grundkonsens geben, wenn Breitenveröffentlichungen allen wissenschaftlichen Erkenntnissen widersprächen.

Tatsächlich wimmeln Peter Wohllebens Bücher von netten kleinen Geschichten, anheimelnden Schilderungen und viel, viel Gefühl, das mit dem Wald außerhalb der menschlichen Empfindung nicht das Geringste zu tun hat. Bäume schmusen nicht. Es gibt keinen einzigen wissenschaftlich haltbaren Hinweis darauf, dass sie mit ihren Schößlingen kommunizieren oder gar für sie sorgen. Es gibt auch keine „Freundschaften“ unter Bäumen. Wohlleben schreibt das alles, um durch Emotionen etwas zu bewegen, eine Botschaft zu senden. Diese Botschaft lautet mehr oder weniger verschlüsselt. „Der deutsche Wald ist eine Plantage! Schluss damit! Schluss mit Forstwirtschaft! Schluss mit Jagd! Schluss mit Nutzung!“ Durch Emotionen will Wohlleben den Weg zum romantischen Urwald als das Ziel unserer Wünsche ebnen. Auf der Strecke bleiben die Fakten.

Doch interessiert das die Verlage? Interessiert das die Leser? Nein. Der Aufruf von Spitzenforschern wird ebenso ungehört verhallen wie der Aufprall des berühmten chinesischen Sackes Reis, der umfällt. Die Verlage werden weiterhin Wohllebens Gutpflanzenliteratur verkaufen, die Zeitungen werden ihn als Interviewpartner senden und die Medien seine Produktionen feiern. Warum?

Nun, diese Frage führt uns in einen Bereich der menschlichen Psyche, der weit über Land, Natur und Wald hinausgeht. Es ist die Welt des Scharlatans. Scharlatane sind als gesellschaftliches Phänomen ebenso alt wie die Sprache und das soziale Miteinander. Schon in den steinzeitlichen Höhlen war derjenige der Begründer des gesellschaftlichen Austauschs, der begeistert erzählen konnte, wie er das Mammut ganz allein in seine Höhe geschleift hatte. Mit der Entdeckung des Eigentums und des Geldes wurden solche Geschichten Mittel zum ökonomischen Erfolg. Charme und Witz eröffneten dem Scharlatan die Möglichkeit, seine Phantasie zu Geld zu machen.

Ein Beispiel.

Im Mai 1925 waren die Pariser Zeitungen voll vom maroden Zustand des Eiffelturms. Das Wahrzeichen der Hauptstadt musste saniert werden, Geld dafür war nach dem Krieg kaum da und man diskutierte darüber, die Konstruktion einfach abzureißen. Zu diesem Zeitpunkt erhalten die größten französischen Altmetallhändler Schreiben eines hohen Beamten der Republik. Man habe sich entschlossen, den Eiffelturm als Altmetall zu verkaufen. Er, Graf Victor Lustig, sei mit dem Verkauf beauftragt. Einer der Adressaten, ein Großhändler namens Poisson, trifft sich mit dem „Beamten“ in einem Luxushotel. Schnell kommt Lustig zum Punkt: Man sei bereit, Poisson den Zuschlag zu erteilen, doch müsse er einsehen, dass man als hoher Beamter nicht auf Rosen gebettet sei. Mit jeder neuen Regierung laufe er – Lustig – Gefahr, seinen Posten zu verlieren. Poisson versteht sofort: Der Beamte ist bestechlich. Also muss er echt sein. Ein gefüllter Briefumschlag wechselt den Besitzer und Poisson erhält eine sehr geschmackvolle Urkunde, wonach er für 1.000.000 Franc neuer Eigentümer des Eiffelturms ist. Als er schließlich den Schwindel bemerkt, ist Lustig längst mit dem Geld in Wien und wartet auf die platzende Bombe. Doch die kommt nicht. Poisson schweigt aus Scham darüber, auf einen Scharlatan hereingefallen zu sein.

Peter Wohlleben ist der Graf Lustig des deutschen Forstwesens.

Was ist das Geheimnis des Scharlatans? Zunächst muss er sympathisch sein. Wer immer nur dunkel vor sich hinbrütet, der gewinnt keine Zuneigung. Er muss außerdem phantasievoll sein und darf niemals aus seiner Rolle ausbrechen. Vor allem aber darf der gute Scharlatan keinerlei Vorbehalte haben, den größten Unsinn von sich zu geben, wenn er merkt, dass er seinem Publikum gefällt.

Peter Wohlleben ist in allen Teildisziplinen ein Meister. Er kann nicht nur wunderbar schreiben, sondern wirkt so freundlich und herzlich, dass man ihm einfach vertrauen muss. Außerdem hat er einen beneidenswerten Riecher für die Sehnsüchte des modernen Menschen. Seine Leser lieben Geheimnisse, begeistern sich am Unerklärlichen in Wald und Flur und suchen nach einem tieferen Sinn ihrer naturarmen Existenz. Wohlleben liefert auf dieses Bedürfnis Antworten. Sie sind zwar häufig falsch aber es sind Antworten. Als Gemeindeförster warb der Autor zum Beispiel noch für schärfere Abschüsse im Interesse der Waldentwicklung. Heute argumentiert Wohlleben, man solle die Jagd abschaffen und die Wildentwicklung der Natur und den Großprädatoren überlassen. Das ist natürlich genauso abwegig wie der von ihm beschriebene „Buchenkindergarten“.

Blickt man auf seinen Wikipediaeintrag, dann fällt sofort auf, dass die vielfältige Kritik an Wohllebens Sachfehlern dort nicht einmal ansatzweise erwähnt wird. Sie passt einfach nicht in die Märchenwelt seiner Leser und Verlage. So wird aus einer Gesellschaft, die an nichts mehr glauben kann, ein Zirkus der pseudoreligiösen Naturgläubigen und Wohlleben ist ihr Hohepriester.

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Florian Asche

Der Rechtsanwalt Dr. Florian Asche ist Vorstandsmitglied der Max Schmeling Stiftung und der Stiftung Wald und Wild in Mecklenburg-Vorpommern.
Einem breiten Publikum wurde er bekannt durch seinen literarischen Überraschungserfolg über den göttlichen Triatlhon: Jagen, Sex und Tiere essen (siehe: https://krautjunker.com/2017/01/04/jagen-sex-und-tiere-essen/https://krautjunker.com/2017/09/19/sind-jagd-und-sex-das-gleiche/)

Website der Kanzlei: https://www.aschestein.de/de/anwaelte-berater/detail/person/dr-florian-asche/

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Mehr von Dr. Florian Asche: https://krautjunker.com/?s=florian+asche

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Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER gibt es eine Facebook-Gruppe sowie Becher aus Porzellan und Emaille. Kontaktmail für Anfragen siehe Impressum.

KRAUTJUNKER-Kommentar: Hier eine weiterführende Leseempfehlung zum Thema: https://krautjunker.com/2021/06/25/das-wahre-leben-der-baume-ein-buch-gegen-eingebildeten-umweltschutz/


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Ein Kommentar Gib deinen ab

  1. Avatar von Dr. Herbert Wessel Dr. Herbert Wessel sagt:

    Ganz klar, die Welt würde sich weiter drehen, wenn sie menschenleer wäre. Ist sie aber nicht. In nicht allzu ferner Zukunft werden zehn Milliarden Menschen auf der Erde leben. Wenn diese zehn Milliarden ganz eng zusammenstehen, jeder auf einem Quadratmeter, werden sie eintausend Quadratkilometer an Fläche einnehmen. Berlin kommt auf neunhundert Quadratkilometer. Wenn man dann von einem Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche unter biologischer Bewirtschaftung pro Menschen als Ernährungsgrundlage ausgeht, dann fehlt mir ganz klar die Vernunft in der Erzählung von der Überbevölkerung der Erde durch uns Menschen. Sollten wir die Erde so nutzen wie das schon vor hunderten Jahren die Gründerväter der deutschen Forstwirtschaft gefordert und durchgesetzt haben, nämlich nur den Zuwachs abzuschöpfen, wird immer für alle genug da sein. Der Hunger in der Welt, der Raubbau an Lebensgrundlagen, die Umweltverschmutzung, die durch fragwürdige Fortschritte in Medizin, Pädagogik und Lebensmittelherstellung verringerte geistige und körperliche Gesundheit weiter Teile der Weltbevölkerung sind menschengemacht und Ausdruck von Dummheit und Gier. Ohne Herrn Wohlleben zu nahe treten zu wollen und auch ohne je eine seiner Schriften gelesen zu haben, unsere natürlichen Lebensgrundlagen, hier Wald und Wild, nicht im Sinne von Erhalt der Lebensgrundlage nutzen zu wollen, ist nicht nachvollziehbar. Die „Holz 100“ Holzhäuser Bauweise nach Erwin Thoma ist da das beste Beispiel. Der Verbrauch von Energie und Rohstoffen ist bei Errichtung und Betrieb minimal. Die Umweltbelastung ist gering und wird durch die lange Nutzungsdauer und einhundertprozentige Wiederverwendbarkeit des Holzes über die Jahre noch geringer. Es geht also sehr wohl ohne erdölbasierte Dämmstoffe und atomgetriebene Wärmepumpen. Gott sei dank!

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