Buchvorstellung
»Nehmen wir die Welt, die uns umgibt, so wahr, wie sie ist? Die Welt erscheint uns wohl als eine Ansammlung von Objekten – winzig kleine und unendlich grosse –, aber zwischen diesen Objekten gibt es ständig Wechselwirkungen. Die Biene saugt den Nektar aus der Blume und besamt sie gleichzeitig, die Atome tauschen Elektronen aus und schaffen dadurch chemische Verbindungen, Lebewesen sind in ständiger Wechselwirkung mit ihrem Umfeld, mit Worten tauschen wir Menschen uns über unsere Gedanken und Gefühle aus.
Um diese Wechselwirkungen, die zu neuen Emergenzen, führen – etwa zu Leben, Gemeinschaften, Altruismus –, geht es dem Autor. Denn in diesen emergenten Phänomenen wurzelt die Komplexität des Universums, dem wir angehören.«
Das Buch Die Vielfalt der Emergenz: Vom Atom bis zur Natur des Menschen ist so etwas wie das Resümee des hochbegabten Wissenschaftlers Francis Waldvogel. Schon mit etwas über 30 Jahren wurde er Professor, später unter anderem Präsident der schweizerischen Technischen Hochschulen. Er stand in geistigem Austausch mit der Wissenschaftselite seiner Zeit wie Edward O. Wilson und Frans de Waal.
Waldvogel ist, wie die Angelsachsen sagen, ein Renaissance man. »Er ist an allem interessiert, er hat eine unersättliche jugendliche Neugierde bewahrt: er wundert sich über alles, er staunt, er lehnt sich gegen Ungebührlichkeiten unserer Gesellschaft auf, vor allem gegen solche, die die Umwelt und die Armut betreffen. Aber er begnügt sich nicht damit, Interesse an diesen Themen zu bekunden: Er kennt die Materie zutiefst, in der er eine Leidenschaft entwickelt. Und er hat eine begnadete Fähigkeit, seine Gedanken, seine Kenntnisse und Überzeugungen zu vermitteln.«
In 13 Kapiteln folgt der Leser den Gedankengängen des Ausnahmewissenschaftlers durch die Austauschvorgänge und Emergenz in unserem Kosmos, die überhaupt das Phänomen des Lebens möglich machen. Es sind alles Dinge, die wir mit unseren fünf Sinnen und Halbwissen nur ganz bruchstückhaft verstehen.
»Die Lebenskraft der tierischen und pflanzlichen Welt, welche Fortpflanzung, Wachstum, neue Funktionen ermöglicht, war in den Molekülen nicht vorhanden, die sich zu Organismen verbanden. Während Sie diese Zeilen lesen, ist Ihr Bewusstsein tätig, angeregt durch Millionen von Informationsfragmenten, die Milliarden von Ihren Gehirnzellen aktivieren. Keine einzelne Gehirnzelle ist fähig, diesen Text zu lesen, aber deren kollektives Zusammenwirken ermöglicht es Ihnen, diese Schilderung aufzunehmen und zu verstehen.«
Die Kapitel des Buches lauten wie folgt:
- Kaptitel 1 – Die Natur ist grosszügig: Austausch und Emergenz des Lebens: Hier geht es von der Zellmembran und dem Zellstoffwechsel zu den genetischen Austauschvorgängen, welche die Diversität fördern bis hin zu dem Rätsel, worauf in letzter Instanz das Phänomen des Lebens beruht.
- Kaptitel 2 – Epigenese, Symbiose und Homöostase: Drei Dialoge des Lebens: Von den Austauschvorgängen zwischen den Genen und unserer Umwelt zur Symbiose, der Homöostase zu den Wechselwirkungen in der Welt des Lebendigen, welches in der Vermutung gipfelt, dass wir Teile eines riesigen Netzes sind, welches alle Pflanzen, Pilze, Tiere und Menschen emergiert…
- Kaptitel 3 –Die Wechselwirkungen in der unsichtbaren Welt: Von der Biochemie zum subatomaren Universum: Von der Biochemie zum Atom, ein kleiner Exkurs in die Welt der Quantenphysik zum Wunder der Photosynthese und schließlich über den Charakter der Natur, welcher aus rauschender Leere und überschäumendem Leben besteht.
- Kaptitel 4 –Die Kraft des Wortes schafft soziale Bindungen: Von der Funktionalität der Sprache zum Wesen des Small talk bis hin zu der kraftvollen Technik des Story telling.
- Kaptitel 5 –Austausch von Schallschwingungen – Emergenz einer Verzauberung: Die musikalische Erfahrung: Von dem Wesen des musikalischen Austausches zu dem Weg von der Physik zur Physiologie und zur Ergriffenheit, welche Lärm, Töne und Musik in uns auslösen. Am Schluss einige Erkenntnisse zur Kostbarkeit des musikalischen Austausches.
- Kaptitel 6 –Der Austausch von Kenntnissen ist die Triebfeder unseres Wissens: Die enge Beziehung zwischen Wissenschaft und Technologie, die Vereinigung von Idee, Werkzeug und Methode, die wissenschaftliche Revolution zum Ungleichgewicht zwischen Kultur und Natur und die Frage, ob wir das Ende der Wissenschaft oder ihre Renaissance erleben werden.
- Kaptitel 7 –Zusammenleben: Die Evolution der menschlichen Gemeinschaft: Wie wohlorganisierte Gesellschaften am Beispiel von Ameisen, den Planeten erobern. Von den Ameisen zu den Primaten. Empathie, Altruismus und Asymmetrie der Wechselwirkungen.
- Kaptitel 8 –Vertrauen und Geldverkehr: Finanzwesen, Geld und Tauschhandel. Eine kurze Wirtschaftsgeschichte, das Wichtigkeit von Gegenseitigkeit und Vertrauen im Wirtschaftsleben sowie unser Schwanken zwischen der Versuchung nach Gewinn und dem Furcht vor dem Risiko bis hin zur Frage, wie wir der Kommerzialisierung von nichtfinanziellen Werten entrinnen können.
- Kaptitel 9 –Medizin: Wissenschaft oder Kunst? Arzt und Ingenieur schöpfen beide aus der Wissenschaft. Die Geschichte von drei beispielhaften Bündnissen zwischen Wissenschaft, Technologie und Medizin. Wie Genetik, Informatik und Medizin gemeinsam gegen Krebserkrankungen antreten zu den Irrwegen der heutigen Medizin und den Emergenzen, die uns morgen erwarten.
- Kaptitel 10 –Wenn die Austausche spärlich werden: Misstrauen, Konflikte und Zusammenbrüche: Über das Versiegen der Austausche und dem Verlust des Vertrauens zu dem Zweigespann Vertrauen und Zuverlässigkeit bis hin zu Mediation und Versöhnung.
- Kaptitel 11 –Botschaften: Vom Meldeläufer der Schlacht von Marathon zur Nachrichtenflut im Infozeitalter: Die neuen künstlichen Welten der Infosphäre, ihre Beziehung zur Biosphäre und ihre ethische Dimension zu negativ wirkenden Emergenzen.
- Kaptitel 12 –„Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“: Emergenz und komplexe Systeme: Einige Emergenzbeispiele. Warum Emergenz ein Kennzeichen komplexer Systeme ist, welche komplexen Systeme auf unserem Planeten bedeutungsvoll sind und warum wir für unsere negativ wirkenden Emergenzen die Verantwortung tragen.
- Kaptitel 13 –Die menschliche Natur: Eine Vielfalt von Emergenzen, hervorgegangen aus unzähligen Austauschen: Dieses Kapitel beginnt mit den zwei Arten, die Welt zu erfassen: Beobachten und experimentieren. Es geht weiter mit Austauschen unter der Wahrnehmungsschwelle, welche Emergenzen erzeugen. Es wird die Allgegenwart der Austausche und die Netzwerktheorie diskutiert. Weitere Unterkapitel sind Segen und Fluch der von Menschen hervorgebrachten komplexen Systeme sowie Waldvogels Werben für eine Erneuerung der humanistischen Gedankenwelt und seine Zusammenfassung von Determinismus und Chaos.
- Epilog Eine persönliche Erfahrung: Wenn der Einzelne dank der Gruppe gesund wird. Austausch und Emergenz der kollektiven Resilienz: Über seine gut geplante Herzoperation, die sich zu einer Höllenfahrt entwickelte und mit der Optimierung zwischenmenschlicher Aktionen in der kollektiven Resilienz zur Genesung führte.
Der geneigte Leser, der mir bis hier folgte, hat nun einen oberflächlichen Eindruck von der Tiefe der Gedanken und der Vernetzung von Wissen, welches die meisten Menschen kaum miteinander in Verbindung bringen oder überhaupt jemals bedenken. Es sollte klar sein, dass man Die Vielfalt der Emergenz keine leichte Lektüre ist, mit der man sich nach einem anstrengenden Arbeitstag auf dem Sofa entspannt. Doch wer die Welt und seinen Platz in ihr besser verstehen will, um sich zu entwickeln, wird dies nicht ohne Anstrengung schaffen.
Wer sich dieser Stelle die Frage stellt, welche praktischen Erkenntnisse ich aus dem Buch gewonnen habe, dann kann ich antworten, dass mir das Wesen der Staatskrise, in der sich Deutschland im Jahr 2024 seit einiger Zeit befindet, verständlich geworden ist. Es hat gar nicht so sehr etwas mit dem klassischen Muster von „links“ und „rechts“ zu tun. Das Regierungsversagen speist sich aus einer kompletten Ablehnung des Austausches zwischen dem, was die Regierenden denken und dem, was im Land passiert.
Die deutsche Volkswirtschaft leidet unter einem Wirtschaftsminister, der behauptet, nicht die Wirtschaft sei „dramatisch schlecht“, sondern nur „die Zahlen“ und zuletzt ganz unglaublich: „Der Staat macht keine Fehler“. Er fühlt sich „von der Wirklichkeit umzingelt“ und verweigert sich doch ihrer Analyse. Thomas Sowell beschreibt Ideologen wie Habeck als Menschen, die von der Schönheit ihrer Vision so fasziniert sind, dass sie die hässliche Realität nicht wahrnehmen, die sie in der realen Welt erschaffen. Dabei ist die Wirtschaft doch, wie es auch Waldvogel darstellt, mit einem Biotop vergleichbar, in dem ununterbrochen Informationen, Energien und Produkte zwischen unzähligen Akteuren austauschen. Jeder hat eigene Bedürfnisse und Ziele, lernt ständig aus seinen Fehlern und den meisten Erfolg haben jene, die ihren Mitmenschen am meisten nützen. Wie Adam Smith schon in Der Wohlstand der Nationen darlegte, schadet man sich selbst, wenn man gierig wird. Und niemand ist so räuberisch und raffsüchtig wie jene Leute, die für das öffentliche Wohl arbeiten.
Das Vertrauen in die Meinungsfreiheit und den Rechtsstaat sinkt dramatisch aufgrund einer Innenministerin, welche Kritiker als Rechtsradikal verunglimpft und – einzigartig in der westlichen Welt – mit einem Inlandsgeheimdienst bekämpft. Schon wird an Gesetzesänderungen gearbeitet, um die Meinungsfreiheit weiter einzuschränken und Regierungskritik zu kriminalisieren. Der öffentliche Diskurs in Deutschland ist mittlerweile komplett vergiftet, denn ein Austausch von Meinungen und Informationen ist von der Obrigkeit nicht erwünscht.
Hierzu wieder Francis Waldvogel: »Wenn sich die Austauschvorgänge zwischen Menschen vermindern, oder wenn sie unverständlich oder verletzend werden, führen sie zu Konflikten, zu Streit, zu Krieg. In diesen Fällen kann wohl nur die Herbeiführung einer neuen Stimmung von Vermittlung zu neuem Vertrauen führen.«
Legt man Die Vielfalt der Emergenz: Vom Atom bis zur Natur des Menschen nach der Lektüre zur Seite und sinnt über die enorme Fülle an philosophischen und wissenschaftlichen Thesen nach, bleibt der Trost, dass sich auch mit aller Staatsmacht langfristig das Wunder des Lebens nicht unterdrücken lässt. Alles im Lebern drängt nach Austausch und dem Erschaffen neuer Emergenzen, welche auf nahezu jedem Scherbenhaufen immer wieder Blüten und Früchten hervorbringen.
»Ich schaue zum Fenster hninaus: Der Garten erblüht in allen Schattierungen von Grün, aufgefrischt durch die Farben der Blumen. Einige Vögel schnappen nach Krümeln, fliegen dann auf zu einem unbestimmten Ziel. Meine Enkelkinder springen umher bei einem soeben erfundenen Spiel, das gleich verebbt. Alles ist ruhig, still. Und doch ist mir gewärtig, dass diese fast unbewegte Schönheit auf unzähligen Austauschwirkungen und Zusammenwirkungen in der Luft und im Wasser, zwischen den Pflanzen, den Tieren, den Kindern beruht, im Unsichtbaren und Unbeschreiblichen. Das möchte ich in dieser Studie mit Ihnen teilen.«
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Francis Waldvogel

Francis Waldvogel, Professor der Medizin, war Direktor des Departementes Medizin in Genf, Vizepräsident des Wissenschaftsrates und Präsident der Eidgenössischen Technischen Hochschulen, des Novartis-Innovationsfonds, Mitbegründer des World Knowledge Dialogue und als exzellenter Klavierspieler Vizepräsident des Musikkonservatoriums Genf. Weiterhin ist er Mitglied der schweizerischen medizinischen Akademie und der deutschen Akademie Leopoldina.
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Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER gibt es eine Facebook-Gruppe sowie Porzellantassen. Weitere Informationen hier.

Titel: Die Vielfalt der Emergenz: Vom Atom bis zur Natur des Menschen
Autor: Francis Waldvogel
Verlag: Schwabe Verlag
Verlagslink: https://schwabe.ch/francis-waldvogel-die-vielfalt-der-emergenz-978-3-7965-4868-0
ISBN: 978-3796548680
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