von Thomas Raak
Es ist schon eine liebgewordene Tradition, im Frühling mit Freunden an die Ostsee zum Angeln zu fahren. Für gewöhnlich ging es an den Strelasund oder nach Rügen. Die erste Auszeit im Jahr war meist der Beginn meiner Angelsaison und versprach ganz gute Fänge. In den letzten Jahren ging die Ausbeute an Heringen jedoch merklich zurück, und Nachrichten über eine starke Verringerung der Heringsbestände in der östlichen Ostsee, durch Überfischung und Klimawandel, gaben uns zu denken. Kann man den Hering noch bedenkenlos angeln? Das fragten wir uns ein ums andere Mal.

So fuhren wir dann im letzten Frühjahr nach Rügen, um Plattfischen und Meerforellen nachzustellen. Es war ein sehr schöner Urlaub, nur leider ohne einen einzigen gefangenen Fisch. Das war etwas unbefriedigend. In diesem Jahr wollten wir wieder Fische fangen. Auch Heringe, aber mit Maß.
In der westlichen Ostsee sind die Heringspopulationen noch recht stabil. So sahen wir uns die vielen Angelmöglichkeiten zwischen Kühlungsborn und Flensburg an und entschieden uns für Kappeln an der Schlei.

Laut der vielen Berichte und Artikel im Netz einer der Hotspots für die kleinen Silberlinge. Nach kurzer Suche fanden wir eine Ferienwohnung an der Spitze einer Mole. Hier würden wir quasi „aus dem Fenster“ Ostsee und Hafen beangeln können – perfekt.

Kappeln ist eine Kleinstadt, die zweigeteilt, beiderseits des Ostseefjords Schlei liegt. Verbunden sind die beiden Teile nur durch eine mehrflügelige Klappbrücke um Boote und Schiffe passieren zu lassen, oder auf vier Fahrspuren dem motorisierten Verkehr die Überfahrt zu ermöglichen.
Die Häfen linksseitig sind verbunden durch eine kilometerlange Kaimauer, von der sehr gut geangelt werden kann. Mitten in der Schlei, kurz vor der Brücke, ist der bekannte Heringszaun, der letzte seiner Art in Europa. Seit ca. 500 Jahren werden die Fische auf diese Art in die Netze der Fischer geleitet.

Der Urlaub war ran und das Auto wurde mit reichlich Angelequipment beladen. Wir wollten schließlich auf alle Eventualitäten vorbereitet sein und wenn nötig die Angelmethode jederzeit ändern können.
Die Fahrt an die Küste führte uns durch gelb blühende Felder und den erfahrenen Angler lässt dies frohlocken. Denn wenn der Raps blüht, ist der Hornhecht da!
Als wir die Schlüssel für unser Domizil entgegen nahmen, erfuhren wir, dass es Angelberechtigungen wohl nur online zu erwerben gab, genau wusste es der Mitarbeiter aber auch nicht, er angelt nicht. Das nächste Ziel war, wie üblich, ein Angelladen, um Informationen einzuholen und diverse Materialien und Köder zu erstehen und natürlich Angelkarten. Ich habe zwar genug Bleie, Blinker und verschiedenste Meeresvorfächer, aber das fällt mir auch immer erst auf, wenn ich die Neuerwerbungen in meiner Kiste einsortiere. Das ist halt auch so eine Tradition.
Laut meiner Navi-App war das nächste Geschäft für Angelzubehör keine 10 Minuten Fußmarsch entfernt und so ging es geschwind durch die Fußgängerzone Richtung Hafen. Bereits von Weitem waren die groß beschrifteten Schaufenster zu erkennen, jedoch stellte sich von Nahem heraus, dass der Laden komplett leer war. Der zweite Angelladen wurde etwa 500m entfernt angezeigt.
Unser Weg dahin führte uns direkt am Wasser entlang und wir konnten die anwesenden Angelnden und ihre Beute ausspähen. Viele waren es an diesem Nachmittag nicht und es wurde sowohl auf Hering, als auch auf Hornhechte geangelt. Dass etliche Fische in Eimern und Setzkeschern zu sehen waren machte uns Hoffnung.

Was nicht zu sehen war, war der zweite Angelladen. In der nächsten Ortschaft, ca. 15km entfernt, soll es ein Geschäft geben, was auch Angelzubehör verkauft oder wir fahren besser gleich bis Flensburg, wurde uns geraten. Das war eine unschöne Überraschung: eine Hafenstadt, die weit bekannt ist für die Angelei in der Schlei, und kein Tackleshop weit und breit. Was nun? Wo bekommen wir heute noch Köder, Vorfächer und Angelkarten her? Also erstmal ab zur Ferienwohnung.
Da kam auch schon die nächste Überraschung: die etwa 700 Meter lange Mole, auf der sich unsere Unterkunft befand, war zugebaut mit reichlich Ferienhäusern, Villen und sehr viel Zaun. Zugang zum Wasser war nirgends auszumachen. Na toll, das ging ja schon gut los.
Nachdem wir die Ferienwohnung bezogen hatten, machten wir uns mit der Küche vertraut. Gutes Essen soll ja nachweislich die Stimmung heben. Im Supermarkt unterwegs hatten wir uns ein Rezept überlegt und entsprechend eingekauft.

Nach dem leckeren Abendessen (Nudeln mit Frutti di Mare und grünem Spargel in der Pfanne gegart, mit reichlich Bärlauch und etwas Crispy Chili Oil gereicht), versuchten wir online unsere Angelberechtigung zu erhalten: Zahlung nur per Kreditkarte, Postversand, Fischereiabgabe nachweisen und und und …
Nach langer Suche und viel Rätselraten, was wir, wofür genau benötigen, vertagten wir die Sache gezwungenermaßen.
Zugegeben, wir hätten uns im Vorfeld schlau machen sollen. Mit so viel Umstand hatten wir aber nicht gerechnet, da es in anderen Bundesländern weitaus einfacher ist, die nötigen Papiere zum Angeln zu erhalten.
So beschlossen wir uns die Füße zu vertreten und die Umgebung zu erkunden. Vom Haus, in dem unsere Ferienwohnung lag, gab es einen kleinen Zugang zur Hafeneinfahrt und dank des leeren Baugrundstücks nebenan war sogar etwas Bewegungsfreiheit am Wasser gegeben – sofern man sich über Steine, groß wie Findlinge, bis ans Wasser zu klettern traute. Na immerhin ein Silberstreif am Horizont, welcher sich schon kräftig rot färbte.

Am darauf folgenden Vormittag ging es voller Tatendrang zur Tourist-Info und prompt verließen wir diese auch wieder. Angelkarten verkaufen sie nicht, im Rathaus sollen wir mal nachfragen. Die ersten Sorgenfalten durchfurchten schon wieder unsere Gesichter.
Aber keine 10 Minuten später erklärte uns eine freundliche Mitarbeiterin der Stadt, dass wir nur die Fischereiabgabe für Schleswig-Holstein zahlen müssten und damit die Ostsee beangeln dürften. Fischereischein ist ja vorhanden. Und die Angelberechtigung für die Schlei in Kappeln können wir auch sofort haben. Das ging überraschend schnell und einfach.
Also schnell die Ruten geholt, zweimal kurz an der offenen Brücke gewartet und schon flog das Heringsblei in hohem Bogen in die Schlei.

Ich hatte meine alte Heringsrolle, die wohl leider das letzte Mal zum Einsatz kam, unter eine 3,2 Meter lange Allroundrute mit ordentlich Rückgrat geschraubt. An die Schnur kam ein Heringspaternoster mit 5 Haken und echter Fischhaut und ein weiß/rotes, 50 g schweres Flügelblei am Ende. *(techn. Daten am Schluss). Wenn die Montage an straffer Schnur absinkt, bewegt sie sich, durch die Form des Bleies, verführerisch hin und her und die Heringe sollten zubeißen.
Und siehe da: der erste Wurf und gleich ein Biss. Der erste Hering schnappte sich einen der fünf Haken und wehrte sich nach Leibeskräften dagegen an Land geholt zu werden. Schon erstaunlich, wieviel Kraft diese kleinen Kerlchen entwickeln können. Ein Einzelner lässt sich aber recht einfach rauskurbeln.

Ich habe mich selten so über die lästigen Heringsschuppen an meiner Hand gefreut. Das war schon die zweite positive Überraschung an diesem Tag und es sollte nicht die letzte bleiben.

Wir standen an der Kaimauer im Kappelner Hafen, unweit der Klappbrücke, und hatten nach einer guten Stunde schon über zwei Dutzend Heringe gefangen. Das sollte für ein ordentliches Abendessen reichen. Die Fische wurden schnell mittels Drahtsetzkescher von ihren Schuppen befreit und ab in die Küche damit.

Die ausgenommenen Fische bestreuten wir von innen und außen mit etwas Salz und Pfeffer und brieten sie in reichlich Butterschmalz. Limettenviertel durften in der Pfanne natürlich nicht fehlen.
Das Schwierige beim Braten frischer Heringe ist, dass sie sich in der heißen Pfanne nach oben krümmen. Es sieht wirklich lustig aus, wenn eine Flosse nach der anderen sich langsam nach oben reckt. Wenn man versucht, die Fische einigermaßen gleichmäßig zu braten, wird das schon zu einer kleinen Herausforderung.

Nachdem alle Heringe durchgebraten waren, wurde der Bratensatz mit einem ordentlichen Schluck Wasser abgelöst und etwa 100 g Sahne zugegeben. Aufgekocht und abgeschmeckt mit Limettensaft, Salz und Pfeffer ergab das einen schönen Dip.
Grüne Heringe, wie frische, gebratene Heringe genannt werden, sind ein echter Leckerbissen, erst recht, wenn sie selbst gefangen sind.

Nachdem wir uns einen guten Teil der Fische mit Brot und Dip schmecken ließen, baute ich eine Angel zur Posenangelei* auf Hornhecht zusammen. Schließlich blühte ja der Raps.
In der Hafeneinfahrt hinterm Haus wollte ich es versuchen. Ich bestückte ein auf 30 cm verkürztes Vorfach mit einer Supermarktgarnele, die flach eingestellte Pose bekam ein Knicklicht und ab ins Wasser damit und treiben lassen. Das konnte jetzt dauern, wenn überhaupt etwas passieren – unbekannte Gewässern oder Angelstellen sind immer schwer einzuschätzen. Oder wie Auwa Thiemann immer sagte: „Jeder Tag ist Angeltag, aber nicht jeder Tag ist Fischfangtag.“

Etwa anderthalb Stunden später, mitten im angeregten Gespräch, tauchte plötzlich die Pose ab und zog zur Seite weg. Ich hieb an und kurze Zeit später hatte ich eine zappelnde Schlange mit langem, zahnbewehrtem Schnabel in der Hand – einen schönen Hornhecht. Den zweiten Zielfisch am ersten Angeltag gefangen, das lief ja prima.
Wir beendeten das Angeln dann, weil die Sonne sich bereits verabschiedet hatte und die meisten Raubfische nunmal Augenräuber sind. Unsere gleichzeitig ausgelegten Grundmontagen brachten bis dahin zudem auch keinen Erfolg.
Das Ziel für den nächsten Tag war aber eindeutig: Hornis fangen im Kappelner Hafen!

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Tackle
Heringsangel:
Rute: DAM #1, 10ft/3m, 3,0 lb (Biegekurve)
Rolle: Cormoran AKX 6pif 5000 (Bj. ca. 2000), 0.50er Monofilschnur
Montage: DEGA Heringsvorfach, 50g Heringsblei
Posenangel:
Rute: Balzer Hecht Heavy Black Jack, 2,45m, 30-75g (Wurfgewicht)
Rolle: Shimano Sienna 4000FD, 0,30er Monofil
Montage: Exori Fishing Knicklicht-Pose 15g, 15g Kugelblei, kleiner Aalhaken
Brandungsangel:
Rute: DAM Aqua-X Surf, 3,6m , 100-250g
Rolle: WFT Fast 6000, 0,50er Monofil
Montage: Seapoint Buttvorfach mit Spinnerblättern, Balzer Buttlöffel 80g
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Thomas Raak

Wenn es um gutes Essen geht, ist der Lausitzer dabei. Gärtnern, Angeln und stundenlange Kochsessions, drinnen wie draußen, mit guter Musik und dem ein oder anderen Getränk sind seine Leidenschaften. Und Essen natürlich. Ansonsten sitzt er mit seinen beiden Katzen auch gern mal auf der Couch oder im Lesesessel.
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Anmerkungen
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