Was ist Beute machen und wer ist Beutemacher?

am

von Werner Berens

Er habe reiche Beute gemacht, berichtete ein Bekannter und zeigte mir die Bilder, die er am Fluss und von der Kanzel aus „geschossen“ hatte. Sein Hobby ist die Naturfotografie und weder der abgelichtete Eisvogel noch der Dachs waren einfach auf die Speicherkarte zu bekommen. An mehreren Tagen musste er früh genug am Wasser respektive auf der Kanzel sein, um das richtige Licht für seine Aufnahmen vorzufinden. Manchmal schien die Sonne im richtigen Winkel, manchmal schien sie gar nicht, weil aufziehende Wolken sie verdeckten. Die Tage danach war von Eisvögeln weit und breit nichts zu sehen. Dann waren sie wieder da, jagten auch recht fotogen, aber die Lichtverhältnisse „versprachen“ unscharfe Aufnahmen. Mehrere Wochen kostete ihn die „Jagd“, bis er endlich beim richtigen Licht zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu war. Er war zu Recht stolz auf das Ergebnis.

Der Fotograf hatte in seinem Verständnis Beute gemacht, denn das Alltagsverständnis vom Beutemachen bezeichnet letzteres als solches, wenn man etwas in seinen Besitz bringt, was nicht so ohne weiteres zu bekommen ist- und das war diesmal wirklich der Fall gewesen. Hätte er den Eisvogel im Zoo fotografiert, was ihn viel weniger Zeit gekostet hätte, wäre das fotografische Ergebnis auch nicht wirklich schlechter gewesen. Und warum hat er nicht sein Motiv im Zoo gesucht? Ganz einfach, es wäre ihm zu einfach gewesen, denn sein Bestreben war, einen natürlichen Eisvogel in seinem natürlichen Umfeld bei der Jagd zu fotografieren, um das unter Schwierigkeiten Erreichte als Beute bezeichnen zu können. Etwas, was anstrengungslos „erjagt“ wird, wird nicht als erjagt, nicht als Beute empfunden. Damit ist auch schon ein notwendiges Element des Beutemachens erwähnt, nämlich dass es der Anstrengung bedarf, um das Erreichte als Beute zu bezeichnen. Allem Beutemachen in diesem allgemeinen Sinne ist das Erwähnte gemeinsam: Es darf nicht zu einfach sein und muss eine gewisse physische und/oder mentale Anstrengung erfordern, denn sonst ist es langweilig und keine „Jagd“, sondern Arbeit. Was der „Jäger“ als Beute ansieht, ist dabei relativ unerheblich: Es können z.B. auf einer Auktion günstig erworbene Antiquitäten, ein vielversprechendes Aktienpaket und aus der Sicht eines „Schnäppchenjägers“ unter der Vorgabe „Geiz ist geil“ irgendeine beliebige Ware sein, denn Beutemachen trifft man in unzähligen Formen an.

Doch was ist Beute eigentlich? Warum spricht ein Fotograf von Beute, wenn er doch nur ein Foto meint? Ganz allgemein gesprochen ist Beute etwas, was ich besitze, nachdem ich mich in einer anstrengenden „Jagd“ bemüht habe, es zu bekommen. Doch halt, das ist zu einfach, da fehlt noch etwas: Wäre das nämlich so, müsste jede Jagd, jeder Fischzug ohne erlegtes Wild, ohne gefangenen Fisch ein höchst frustrierendes Ereignis sein. Warum ist es das nicht? Weil das Wild und der Fisch nicht die einzige Beute sind. Kein Jäger, der diese Bezeichnung verdient hat, wird als Beute ausschließlich das Wildbret, das Geweih oder die Hauer verstehen, die er sich an die Wand hängen möchte. Kein Fliegenfischer wird im Fluss stehend vor seinem geistigen Auge die Wand sehen, an der die Großforelle oder der Huchen, auf den er gerade fischt, fertig präpariert hängt.
Und auch der im Backofen schmorende Rehrücken oder die frisch geräucherte Äsche sind beim Beutemachen nicht präsent, sondern der Vorgang der Jagd, der Fischerei nimmt Jäger und Fischer gefangen. Darauf ist ihre ganze Konzentration, ihr Streben ausgerichtet. Man jagt, um zu jagen und fischt um zu fischen: Ein zweijähriger Bock, ein nicht sehr starker Spießer, hat mich dieses Frühjahr fast zwei Wochen lang an der Nase herumgeführt. Er ist mir die „größere“ Beute als der gut gewachsene Gabler, der sich, kaum dass ich auf dem Sitz war, breit auf die Wiese stellte. Die 35 cm Äsche, die ich nach langen Jahren aus dem vom Kormoran zerstörten Bestand fing- und zurücksetze – war mir wichtiger als die 50 cm Bachforelle, die in der weißen Traun an einer mehr als gut besetzten Strecke an die Daddy Longleg ging. Mit anderen Worten: Der „Nervenkitzel“, der sich beim Beutemachen einstellt, ist selbst Beute.
Dem Fotografen geht es dabei nicht anders als dem Jäger und dem Fischer. Niemand von ihnen „jagt“ ausschließlich für das erwartbare Ergebnis, sondern die Ungewissheit der Tätigkeit, das Hoffen und Bangen, die Möglichkeit, dass sie gelingt oder auch nicht verursacht Spannung, Glück, Zufriedenheit, stimuliert den Nucleus accumbens – das Lustzentrum des Gehirns.

Bildquelle: Werner Berens

Damit wären wir bei der nächsten Voraussetzung für das Beutemachen. Wenn man sicher wäre, dass man am Ende das hat, nach dem man jagt, würde das Beutemachen nur halb so viel Nervenkitzel verursachen. Eine Jagd, eine Fototour, ein Fischtag würden nur halb so viel Freude machen, wenn man von vorneherein wüsste, dass man am Ende die gewünschten Ergebnisse vorweisen kann. Wenn Beutemachen als solches verstanden werden soll, muss der Versuch schief gehen können, muss neben der Anstrengung noch die Möglichkeit des Scheiterns hinzukommen. Murphys Gesetz: „Whatever can go wrong will go wrong.“ trifft auf alle Tätigkeiten zu. Es gibt Tage, da wäre man besser im Bett geblieben. Der Fotograf kann auch vergeblich früh aufstehen, um im besten Fotolicht den Eisvogel zu fotografieren, wenn der Eisvogel sich nicht sehen lässt. Der Jäger sitzt viele Stunden lang auf der Kanzel, sieht nur eine Krähe und kommt ohne materielle Beute heim. Der Fischer präsentiert alle Fliegen seiner Sammlung den Fischen und trotzdem beißt keiner. Das Überwinden der in der Sache liegenden Schwierigkeiten und das Wissen darum, dass man leer ausgehen kann, dass manchmal gar nichts gelingt, macht einen großen – wenn nicht den größten Teil der Freude aus, wenn es gut ausgegangen ist. Unsere Beute – und manchmal der größere Teil davon – ist zum Teil durchaus immateriell, denn man kann das Beutemachen nicht nur von seinem Ende, vom Ergebnis her denken.

Beutemachen ist lustbesetzt, stimuliert den Nucleus accumbens, das Lustzentrum im Gehirn, sowohl beim „Jagen“ selbst als auch bei der Inbesitznahme der Beute. Und es spricht viel dafür, dass lustbesetztes Beutemachen als evolutionäres Prinzip die Weiterentwicklung und die „Weltherrschaft“ des Homo sapiens erst ermöglicht hat. Der lustlos zur Jagd aufbrechende, seine jagdlichen Aufgaben abarbeitende Altsteinzeitler wird mangels Erfolg nur wenig Möglichkeiten gehabt haben, seine Gene weiterzugeben und deshalb als untauglicher Versuch von der Evolution aussortiert worden sein. Denn sich unter Schwierigkeiten und Anstrengungen einen Vorteil in einer feindlichen Umwelt zu verschaffen und dabei vielleicht – lustbetont – mehr tun, als man unbedingt muss, ist Voraussetzung für jede Weiterentwicklung in den verschiedensten menschlichen Tätigkeitsfeldern. Psychologen sprechen in diesem Zusammenhang von intrinsischer Motivation, womit gemeint ist, dass nicht nur die Erwartung des Ergebnisses, sondern vor allem die Tätigkeit selbst lustbetont ist. Mithin ist Beutemachen ein natürliches menschliches Verhalten, was uns seit der Menschwerdung begleitet und was nicht nur Jäger und Fischer kennen, weshalb man sich als Jäger und Fischer dessen nicht zu rechtfertigen braucht. 

*

Dieser Text erschien heute in der Facebookgruppe Beutemacher.

*

Werner Berens

Werner Berens ist Fliegenfischer, Jäger, Autor und Genussmensch, der den erwähnten Tätigkeiten soweit als möglich die lustvollen Momente abzugewinnen versucht, ohne aufgrund kulinarisch attraktiver Beute übermäßig in die falsche Richtung zu wachsen. Als Leser und Schreiber ist er ein Freund fein ziselierter Wortarbeit mit Identifikationssmöglichkeit und Feind von Ingenieurstexten, die sich lesen wie Beipackzettel für Kopfschmerztabletten. Altermäßig reitet er dem Sonnenuntergang am Horizont entgegen und schreibt nur noch gelegentlich Beiträge für das Magazin Fliegenfischen.

Hier findet Ihr Werner Berens‘ Bücher auf Amazon und hier auf Facebook und hier auf dem KRAUTJUNKER!

***

Anmerkungen

Unverzichtbar für bibliophile KRAUTJUNKER: Die Hemingway-Buchstütze: https://www.buchstuetzen.de/produkt/ernest-hemingway/ [Werbung & Empfehlung]

Von KRAUTJUNKER gibt es eine Facebook-Gruppe sowie Becher aus Porzellan und Emaille. Kontaktmail für Anfragen siehe Impressum.


Entdecke mehr von KRAUTJUNKER

Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.

Hinterlasse einen Kommentar