Maiandacht

am

von Tim Wesly Hendrix

Als katholisch erzogener Jäger hat man es nicht einfach. Da juckt zum einen das Verlangen nach Maiböcken und zum anderen klingt – zumindest bei mir – die mahnende Stimme des Großvaters im Ohr: der Mai ist der Marienmonat.

Für Opa war das etwas Besonderes. Nicht nur wuchs er am erzkatholischen Niederrhein auf, sondern er führte sein Glück im Krieg im Wesentlichen auf die Intervention der Gottesmutter zurück. Sicherlich wird etwas dran gewesen sein.

Der Einberufungsbefehl zur SS wurde vorab weitergegeben, so dass ein strammer Ritt zum Rekrutierungsbüro ihn schnell noch zur Marine flüchten ließ. Dann lag er im Lazarett, davor und danach war er nie krank, so dass er nicht zu den U-Booten kam, sondern zur Navigationsschule. Das Ganze ließe sich noch weiterführen. Eine meiner liebsten Geschichten war von dem „armen Hund“, einem norwegischen Spion, den sie am Fjord aussetzten, der aber offiziell über Bord ging.

Er ist nun leider schon seit dreizehn Jahren tot, aber seine Ermahnung Gott und der Gottesmutter zu danken ist immer noch frisch in meinen Ohren. Rehböcke aber leider auch.

Zum Glück ist der Katholik an sich Pragmatiker. Wenn der Bock nicht zur Kirche kommt, muss die Kirche halt zum Bock kommen. Der Ansitz wird zur Meditation und zum stillen Zwiegespräch mit Gott. Wenn nicht auf der Jagd wo dann? Natürlich kann man von Zufall reden. Der Bock ist halt entweder nicht da oder halt doch da – der Wind ist gut oder weniger gut. Aber ich muss immer wieder feststellen: es kommt das Richtige zur richtigen Zeit, ob man es verdient oder nicht.  Dieser Mai war keine Ausnahme.

Letztes Jahr hatte ich die Elternzeit für ein Mai-Feuerwerk genutzt. Drei Reviere, fünf Böcke und zwei Sauen. Das würde dieses Jahr nicht funktionieren. Die Regierung des Landes NRW lehnt leider immer noch meinen Antrag als Lehrer auf Mai-Ferien ab. Da bleiben nur Feiertage und Wochenenden.

Der erste Mai fand mich dann auch in der Eifel. Es ist immer ein heimkommen. Ein freudiges Wiedersehen mit alten Bekannten und letztes Jahr auch reich an Beute.

Abb.: Sonnenaufgang in der Vulkaneifel; Bildquelle: LordToran, Wikipedia

Der erste Bock zog dann auch am frühen Abend schon aufs Feld, ich schoss auf 80 Meter, fest aufgelegt, daneben. Die Kontrollsuche war negativ, der Probeschuss im Schwarzen und das Selbstvertrauen am Boden. Kurz vorher hatte ich konstant 49 Ringe geschossen – jetzt den einfachen Schuss vergeigt. Die Welt sah düster aus. Als dann der Reifen auch noch platt war sank die Stimmung ins Bodenlose. Der Morgen kam, aber kein Wild. Doch dann am Abend die Erlösung. Ein Schmalreh auf 30 Meter verabschiedete sich im Schuss ins Gebüsch. War ich verflucht? Ich ging zum Anschuss und der Erlösung. 30 Meter weiter lag es. Die Einladung den nächsten Morgen doch noch mitzunehmen nahm ich dankbar an. Schnell noch ein Hotel gebucht und dann früh morgens saß ich zum letzten Versuch bereit. Und da kam auch etwas den Hang herunter. Erst ein Reh, dann zwei dann drei. Bock? Ja! Es dauerte mehr als eine Stunde bis die drei auf der Wiese vor mir standen. Dann schoss ich und drei Rehe empfahlen sich in Wald und Wiesenecken. Versagt? Angeschossen? Ich ging zum Anschuss und fand nichts. Mein Herz in der Hose. Ein Blick nach rechts: rot; Bock liegt. Ich zog ihn hoch setzte mich noch einmal kurz hin und prompt kam ein Schmalreh wieder hervor und lag im Knall. Wieder Tumult und die Aufklärung: es waren nicht nur drei Rehe, es waren vier.

Bildquelle: Tim Wesly Hendrix

Die emotionale Achterbahn war komplett. Lang saß ich voll Dankbarkeit da.

Ich bin in Siegen geboren – gelebt hatte ich dort nie, aber man will doch irgendwie zu seinen Ursprüngen zurück.

Abb.: Oberstadt von Siegen; Bildquelle: Bob Ionescu auf Wikipedia

Den Mai über durfte ich dann auch dort jagen. Der Forstmann hatte zwar gewarnt – Rotwild sei gut, Rehwild aber selten. Gut ich sehe Rotwild gern, dann würde es halt eine Safari werden. Der erste Abend war auch so. 16:30 Uhr angekommen. Um 17:00 Uhr ein Alttier, 17:30 Uhr ein Kahlwildrudel. Doch dann Ricke – gefolgt von einem Schmalreh. Das tänzelte direkt vor mir daher und stand breit auf 60 Schritt. Auch das wieder ein Geschenk des Herrgotts. Ich schoss es nicht. Das mag komisch klingen. Aber in der lauen Abendsonne fiel jeglicher Erfolgsdruck von mir ab. Zwei Stunden fuhr ich heim, voller Eindrücke und Freude. Zwei Tage später dann saß ich wieder dort. Plötzlich direkt vor mir ein schwaches Schmalreh. Es zeichnete gut, ging aber ab. Der Schweißspur konnte man gut folgen. 100 Meter war es mit sauberem Treffer im Kreis gegangen. Dabei vertrat ich natürlich alles im Umkreis von mehreren hundert Metern. Gut ein Hochsitz war da noch, den ich, der Abend war früh, anschauen könnte. Ich brach also schnell das Reh auf, steckte es in das Moskitonetz und hing es in den Schatten. Keine 50 Meter war ich gegangen, da hallte das Bellen eines Rehs von rechts zu mir. Normalerweise wäre es das. Frei auf dem Weg keine 60 Meter vom Stück. Dazu das Getrampel vorher. Da bleibt nichts stehen. Doch das Reh stand. Auch als mein Dreibein stand. Und als die Büchse im Anschlag war und das Reh im Zielfernrohr zu einem Bock geworden war, stand er immer noch. Dann lag er. Zwar nicht mein erstes erpirschtes Stück – wenn man hier überhaupt von Pirsch reden darf – aber mein erstes Stück vom Stock. Lag in der Abendsonne.

Bildquelle: Tim Wesly Hendrix

Ich fuhr heim nur um am nächsten Morgen wiederzukommen. Rotwild war wieder da, ein paar junge Hirsche ästen friedlich vor mir, und dann stand er da, ein braver Bock. Langsam zog er durch die Rodung immer in Deckung und stellte sich dann zwischen zwei Bäumen breit. Ziehen lassen? Schießen? Ich schoss, er lag.  Eine Woche verging, dann war ich wieder dort. Der Wind wollte wieder nur für diese eine Kanzel passen. Ich malte mir also nicht viel aus. Wieder Rotwild, dann eine alte Bache mit ihren Frischlingen. Doch dann auf 200 Meter kamen zwei Stücke, waren bald auf 180 Meter, dann 130 Meter breit. Passt liegt. Die Tücken der Fläche wurden mir aber schnell klar. Die Wärmebildkamera war nutzlos. Ein Hund wäre Gold wert gewesen, aber nicht da und der Bock auch nicht. Hilft alles nichts. Ab auf den Sitz noch einmal genau gucken. Ich stieg also hoch, legte die Waffe hin und kann eigentlich nicht sonderlich ruhig gewesen sein. Dennoch stand plötzlich ein Bock auf 50 Schritt neben mir. Waffe langsam rum. Liegt. Der erste Bock war dann nach einigem hin und her auch gefunden und der Mai für mich beendet. Das allein wäre ja ein prächtiger Start gewesen. Aber zwischen Pirsch, Busch und unverhofften Bock war noch ein ganz besonderer im heimischen Revier: der Rosenbock.

Dieser Bock war fast schon meine Nemesis. Ich habe das große Glück im Revier meines Schwiegervaters freie Wahl zu haben. Mein erster Bock überhaupt fiel hier nach sieben Tagen Daueransitz – es war kein starker, aber ein Alter. Damals schon erzählte der Mitpächter von einem braven Bock, der immer in seinem Garten die Rosen der Schwiegermutter anknabberte. Seine Frau wollte schon an den Hochsitzen Rosenbüsche pflanzen. Ob das wohl als Kirrung oder gar Fütterung gelten würde? Gesehen hatte ich ihn nicht. Ein Jahr später kam die Blattjagd, ein schlimmer Virus, der einen nicht mehr los lassen will. Nach ein paar erfolglosen Versuchen in denen entweder kein passender Bock von meiner Darbietung begeistert war, oder so schnell vor mir erschien, dass ich ihn par tou nicht ins Visir bringen konnte, stand ich im Wald. Der Drilling lag auf dem Schießstock, die Arie erklang, nichts kam. Nach einer halben Stunde schimmerte es vor mir rot. Ein Fuchs kreuzte meinen Weg und fiel im Knall. Dummerweise war dies der Moment in dem ich etwas direkt hinter mir stoppen sah. Ein Bock hatte mich mit dem Wind angepirscht und stand 30 Meter von mir entfernt. Kurz schaute ich in das alte Gesicht, sah eine Trophäe von der hier noch nie jemand geträumt: hoch, vereckt, dick und natürlich weg. In hohen Bögen machte sich der Rosenbock davon. Ich versuchte es weiter. Direkt am Einstand, noch einmal im Stangenholz, nie kam er erneut zu mir.

Der Grund warum niemand ihn jemals gesehen hatte war klar. Er war nicht nur der stärkste, sondern auch der gerissenste Bock des Reviers. Das Jahr über streifte er nur durch die dicken Einstände ohne jede jagdliche Einrichtung, Erhebung oder auch nur freies Schussfeld. Austreten wollt er nur im Garten. Wie sollte man ihm nun habhaft werden? Ich grübelte vor mich ihn. Bestätigte was das Zeug hielt. Mit jedem Tag wurde das ganze persönlicher. Irgendwann wusste ich dann, wo er gerne lag, wie er sich im Revier bewegte, und dank einer Kamera auch wann dies geschah. Sollte ich bis zur Blattzeit warten? Das Dickicht wäre wieder vollends zugewachsen und die Chancen gering. Ich nahm mir also vor im Mai zu schauen was ginge und ansonsten es erneut in der Blattzeit zu versuchen.

Es fing auch nicht gut an. Eine Baumleiter sollte das Problem des Kugelfangs lösen. Am ersten Abend geschah aber nichts. Als ich von der Leiter dann abstieg leider schon. Bellend verabschiedete er sich im Dickicht.

Der zweite Abend fing im herrlichen Frühjahrskonzert an, und wurde dann jäh von einem menschlichen Konzert gestört. Genau an diesem Abend fand ein Nachtlauf statt. Immer um den Einstand herum. Ich baumte ab und natürlich kam sofort das Bellen des Bockes an meine Ohren.

Aber alle guten Dinge sind drei und Morgenstund hat bekanntlich ja auch Gold im Mund. Ich pirschte also auf eine andere Lichtung, an der er gerne vorbeistreifte. Dieses Mal ohne Leiter, dafür aber als Imitation eines Baumes im Tarnüberwurf. Schön sicherlich nicht, aber es funktioniert. Ich saß also auf meinem Baumstumpf und wartete. Keine 20 Minuten später bewegte sich etwas im Dickicht. Das Glas sagte Bock. Dann war er verdeckt, aber kurz danach schob es sich rot aus den Büschen und durch das Rinnsal. Aber kein Bock kam da, sondern ein Schmalreh. Geistig wollte ich schon einen Besuch beim Augenoptiker für die Brille einplanen, derer ich offensichtlich bedurfte, als es erneut rot durch die Lücken blitzte. Dieses Mal war es der Rosenbock. Breit schob er sich genau wie das Schmalreh durch das Nass, hielt kurz inne und lag im Knall.

Bildquelle: Tim Wesly Hendrix

Nie haben meine Hände so gezittert. Ich konnte nicht einmal warten zu sehen was da keine 30 Meter von mir lag. Auch wenn das Schmalreh absprang. Ich konnte nicht mehr warten. Dann musste ich mich erst einmal neben ihn setzen, so leer gepumpt war ich. Dann suchte ich eine Eiche, verbrach ihn und schleppte ihn auf meinen Schultern zum Auto. Der Schweiß auf meinem Rücken war mir egal. Alles war egal an diesem Tag. Besser konnte es nicht werden, als dieses Geschenk.

*

Dr. Tim Wesly Hendrix

Tims Frau beschreibt ihn so: „Der ist einfach ein wenig verrückt“ würde sie sagen. Nun liegt das Genie nah am Irrsinn, er nimmt das also als Kompliment.

Aus dem Bergischen kommend zog es ihn in die weite Welt zum Studium – also nicht ganz so weit weg vielleicht – nach Köln. Mit Zwischenstation in Edinburgh beurteilte ihn dann eine Reihe von Professoren als soweit gereift, um ihm den Doktortitel im Fach Kunstgeschichte zu verleihen. Man möge es ihnen verzeihen. Nebenbei gab es dann noch einen Master in Anglophone Literature – was wiederum nichts anderes ist als das schnöde Anglistik Studium vergangener Tage.

Man sieht also, Tim ist den britischen Inseln und der englischen Sprache sehr zu getan. Seine Frau fragt ihn schon nicht mehr, wo der Jahresurlaub seiner Meinung nach hingehen soll, die Antwort ist ihr hinreichend bekannt. Schottland mit seiner raue, poetischen Westküste hat ihn so in den Bann gezogen, dass er dort jeden Urlaub verbringen könnte.

Das heißt nicht, dass er die anderen Länder nicht wertschätzt – aber keines, nicht einmal die berühmten Wasser Afrikas – haben ihn so vollkommen einnehmen können.

Das spiegelt sich auch in der Leidenschaft für Whisky nieder, obwohl er einem guten Wein auch nicht abgeneigt ist. Kommt dann noch eine Zigarre, oder eine seiner geliebten Pfeifen dazu – das ist wahrer Es(s)kapismus für ihn.

Früh schon zog es ihn ans Wasser, um den heimischen Forellen in kleinen Bergbächen nachzustellen und auch heute noch schwingt er gelegentlich seine Fliegenrute. Was gibt es auch schöneres, als bei ausreichend Wind an einem Bach auf einer Hebrideninsel zu stehen und Fliegen aus der Vegetation zu befreien?

Das seine Hardy Ruten nur noch gelegentlich genutzt werden, liegt vor allem an seiner wohl größten Passion: Der Jagd.

Sie war immer irgendwie da. Schon als kleiner Junge vor der beeindruckenden Wand seines Großonkels. So richtig hat er aber erst vor relativ kurzer Zeit zu ihr gefunden. Dies konnte er freilich durch Eifer, seine Frau spricht von manischem Zwang, ausgleichen.


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