Aurë entuluva! – Der Tag soll wieder kommen. J.R.R. Tolkien zum 50. Todestag

Buchvorstellung

Der Herr der Ringe ist ein einzigartiges und langlebiges Buch. Viel mehr als das, was man sich gemeinhin als einen Unterhaltungsroman vorstellt. Der vielschichtige Roman ist nur ein kleiner Teil von J.R.R. Tolkiens Schöpfung Mittelerde samt ihrer Geschichte und Sprachen.

Der Leser folgt der Handlung seiner Protagonisten wie einem Boot, welches über einen See fährt. So sieht man lesend Wasserfahrzeug und Passagiere, bemerkt jedoch staunend, dass unter den Wellen eine unauslotbar tiefe Welt im Trüben existiert. Diese eigene Welt verfügt über eine tief durchdachte Topografie samt Flora und Fauna sowie ihren verschlungenen Geschichten. Es ist alles da, auch wenn nur ein Bruchteil davon im Roman dargestellt wird. Der Bericht eines Wissenschaftler von einer mittelalterlichen Parallelwelt könnte nicht realistischer und komplexer sein.

Als den Oxforder Universitätsprofessor für englische Sprachwissenschaft um das Jahr 1930 bei der langweiligen Korrektur von Hausaufgaben ein Loch in seinem Teppich dazu inspirierte „In einem Loch in der Erde, da lebte ein Hobbit…“ zu schreiben, begann er eine geistige Abenteuerreise. »Tolkien ging es ursprünglich darum, eine „Mythologie für England“ zu schaffen, das seine eigentliche, angelsächsische Identität mit der Eroberung und Kolonisierung durch die Normannen weitgehend verloren hatte.« … Seine Texte »sind ein Lob des Heldenmutes in einer Welt des unaufhörlichen Niederganges; ein Preis auf die Freundschaft, die Lauterkeit und die Reinheit – aller Gebrochenheit zum Trotz; eine Reise zu Sehnsuchtsorten, die Zuflucht vor unsagbaren Schrecken bieten; eine Einladung in Vorzeiten, wo der Mythos vom Logos durchdrungen und das Selbstverständnis der Menschen ungetrübt war, jeder sich als Ganzes wahrnahm, ohne nach seiner Identität suchen zu müssen, denn diese war durch Glaube, Sprache und Herkunft gegeben. Selbstverständlich fühlten sich alle als Geschöpf, als Mitglied einer Familie, eingewoben in die Geschichte eines Volkes, nicht als Haufen voller Trümmer, bei denen unklar ist, wie Abstammung, Religion und andere Bezugspunkte zusammenpassen. Das Legendarium ermöglicht Teilhabe an der abendländischen Kultureinheit, läßt uns eintauchen in das Empfinden unserer Vorfahren und ihren Sagen. Getragen vom mittelalterlichen Geist, der „Aetas Christiana“, entwarf Tolkien eine Sammlung fiktionaler Legenden, in denen der biblische Gott bereits im nordeuropäischen Altertum erahnt wird und engelhafte Mächte seinen Geschöpfen im Kampf gegen die Mächte der Finsternis beistehen.« Über viele Jahre des Schreibens gelang es ihm, den Geist des christlichen Abendlandes einzufangen und künstlerisch zu interpretieren. Der Herr der Ringe ist schön, weil seine Lektüre große Wahrheiten unserer Kultur dem Herzen verständlich macht.

Gegen alle Wahrscheinlichkeit ist J. R. R. Tolkiens ausufernde Geschichten um den Herrn der Ringe, mit einer nach unserem „realistischen“ Weltbild ziemlich unrealistischen Welt, seit Jahrzehnten eines der weltweit am meisten verkauften Bücher. Der Zauber seiner Texte besteht darin, dass sie tief in uns Heutigen verborgene Seiten zum Klingen zu bringen, bei manchen Menschen sogar Reifungsprozesse auslösen.

Der Professor und Publizist David Engels gehört zu diesen Menschen. Angeregt durch David Boos beinhaltet Aurë entuluva! die Essays dieser beiden Freunde sowie von Joseph Pearce, Anna Bineta Diouf, Marco Gallina, Marion du Faouët, Ryszard Derdziński, Damien Bador, Charles A. Coulombe und Michael K. Hageböck. In diesem Buch beschreiben die Autoren die Auswirkungen des Geistes von J. R. R. Tolkiens auf ihren Lebensweg. So »sollen im Zentrum des Bandes jene verschiedensten persönlichen Entwicklungen stehen, welche den Leser, ausgehend von den literarischen Schriften Tolkiens, immer intensiver in den Sog seines Denkens und Schaffens ziehen und letztlich in immer neuen, gleichsam spiralförmigen Versuchen der Annäherung in immer tieferen Einklang mit seinen grundlegenden Überzeugungen bringen – Überzeugungen, die freilich alles andere als rein individuell-origineller Art sind, sondern vielmehr in der Kontinuität einer jahrhunderte-, ja eigentlich jahrtausendealten abendländischen kulturellen Tradition stehen: Tolkien verstehen und lieben bedeutet recht eigentlich das Abendland verstehen und lieben.
Tolkien und sein Leser – dieser Themenbereich ist freilich nur individuell, von Fall zu Fall zu klären und unterliegt zudem allen möglichen denkbaren Gesetzen von Zeit und Reifung. Deshalb ist auch dieser Band nicht als gleichsam von außen argumentierender Versuch konzipiert, das Thema objektiv und synthetisch zu untersuchen, sondern vielmehr als Zusammenstellung höchst persönlicher, manchmal sogar intim-autobiographischer Zeugnisse von Menschen, die zwar allesamt aus den verschiedensten Regionen des Abendlandes stammen und denkbar unterschiedliche Lebenswege und Reifeprozesse hinter sich haben, deren Reisen zu – und mit – Tolkien aber erstaunlichste Ähnlichkeiten miteinander aufweisen und in ihrer Gesamtheit wohl eine gewisse Repräsentativität beanspruchen dürfen.«

Wer Tolkiens moralischem Kompass folgt, somit seine tiefe Religiosität sowie seine Ablehnung von Industrialisierung, Egalitarismus und Naturzerstörung verinnerlicht, um »inmitten von Verfall und Unordnung weiterhin das Schöne, Wahre und Gute zu bewahren« bewegt sich von unserer gegenwärtigen Mehrheitsgesellschaft weg. Alle Autoren von Aurë entuluva! machte Tolkien zu konservativen Katholiken. Wer denkt da nicht an die Worte von C.S. Lewis, dass ein gesunder Atheist nicht vorsichtig genug mit seiner Lektüre sein kann. Kunst hat die Kraft uns in Richtung des ewig Guten, Wahren und Schönen zu führen. Es ist ein Treppenwitz, dass die Verinnerlichung von Tolkiens Geist, einige in Konflikt mit Tolkien Societies brachte. Die zur Zeit noch herrschende woke Grundhaltung, welche der jüdische Philosoph Alain Finkielkraut als Selbsthass auf die Identität des Westens bezeichnet, diskreditiert jede Gegenposition als unmoralisch und menschenverachtend. Ohnehin würde »der Professor« aufgrund seiner unzeitgemäßen Ansichten heute in Deutschland sicher keine Professur erhalten, sondern ins Fadenkreuz der sogenannten Kämpfer gegen Rechts geraten, obwohl er den Nationalsozialismus als teuflische Ideologie verdammte.

Es ist interessant, dass Tolkiens geniales Œuvre natürlich auch Zyniker wie George R. R. Martin oder Humoristen (das meine ich anerkennend und nicht despektierlich) wie Terry Pratchett inspirierte:
»J. R. R. Tolkien ist zu einer Art Berg geworden, der in der gesamten späteren Fantasy-Literatur auftaucht, so wie der Berg Fuji so oft in japanischen Drucken erscheint. Manchmal ist er groß und ganz nah. Manchmal ist er eine Gestalt am Horizont. Manchmal ist er überhaupt nicht da, was bedeutet, dass der Künstler sich entweder bewusst gegen den Berg entschieden hat, was an sich schon interessant ist , oder er steht tatsächlich auf dem Fuji.«

Mein Resümee? Meine Lektüre von Der Herr der Ringe ist wie die von Oswald Spenglers Der Untergang des Abendlandes schon ein paar Jahre her. Es spricht für beide Bücher, dass sie einen bleibenden Eindruck auf mich hinterlassen haben, denn wie viele Bücher las ich seitdem, die komplett von meinem Radar verschwanden? Peter Jacksons Filme habe ich öfter gesehen und auch vor ein paar Monaten Der Herr der Ringe als Hörbuch auf Spotify gehört. Von David Engels las ich Texte und schaute mir insbesondere Videos auf YouTube von ihm, u.a. mit dem leider verstorbenen Philosophen Gunnar Kaiser. Der in Aurë entuluva! zum Ausdruck gebrachte Kulturpessimismus wird intellektuell und emotional gut begründet. In einer Zeit, in der Nichtlinke als Gefahr dargestellt werden, um sie mundtot zu machen, kann man sich ihre Suggestivkraft schwer entziehen und muss man der Courage der Autoren Respekt zollen. Weltanschaulich ziehen mich persönlich mehr liberale Bücher wie Geschichte und Freiheit von Lord Acton, Das Maß des Menschlichen von Wilhelm Röpke sowie Der Weg zur Knechtschaft von Friedrich August von Hayek an. Doch man muss kein Konservativer sein, um Aurë entuluva! mit geistigem Genuss zu lesen. Gerade für Linke bietet das Buch das Abenteuer sich auf Gedanken und Gefühle einzulassen, die ihnen fremd sein mögen und sie wie Bilbo und Frodo in unbekanntes und abenteuerliches Gebiet zu führen.
»Die Straße gleitet fort und fort,
Weg von der Tür, wo sie begann,
Zur Ferne hin, zum fremden Ort,
Ihr folge denn, wer wandern kann.«

Am Ende der Lektüre fielen mir Georg Wilhelm Hegels Worte ein, dass der Wert von Werten aus der Bereitschaft besteht, für sie Opfer zu bringen. Frei wird sein, wer die größte Bereitschaft zeigt, sein Leben einzusetzen. Sklave wird sein, wer kapituliert. Die Freie Welt, das Abendland, man nenne es, wie man es wolle, ist die Wiege der westlichen Zivilisation und ein bewahrenswertes Juwel. Dieses Juwel wird bedroht durch zivilisations- und freiheitsfeindliche Feinde von innen und außen. Es ist nicht so sehr die Stärke unserer Feinde als vielmehr unsere Schwäche, die Anlass zur Sorge bereitet und ein jeder Leser möge sich fragen, wieviel ritterlicher Geist in ihm steckt und was er bereit ist zu wagen.
Aurë entuluva!

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David Engels

Prof. Dr. David Engels, geboren 1979, studierte Geschichte, Philosophie und VWL. Nach der Promotion in Alter Geschichte an der RWTH Aachen wurde er 2008 auf den Lehrstuhl für Römische Geschichte an der Freien Universität Brüssel (ULB) berufen. Seit 2018 arbeitet er am Westinstitut (Instytut Zachodni) in Posen. Einem breiteren Leserkreis wurde er durch seine essayistische Tätigkeit und seine Bücher „Auf dem Weg ins Imperium“ (2014), Renovatio Europae (2019) und Was tun? (2020) bekannt.

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Anmerkungen

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Titel: Aurë entuluva! – Der Tag soll wieder kommen. J.R.R. Tolkien zum 50. Todestag

Herausgeber: David Engels

Autoren: David Engels, Joseph Pearce, Anna Bineta Diouf, Marco Gallina, David Boos, Marion du Faouët, Ryszard Derdziński, Damien Bador, Charles A. Coulombe, Michael K. Hageböck.

Verlag: Renovamen-Verlag

Verlagslink: https://www.renovamen-verlag.de/Aure-entuluva-Der-Tag-soll-wieder-kommen.-J.R.R.-Tolkien-zum-50.-Todestag/9783956211676

ISBN: 978-3956211676


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