Freiheit, Rausch und schwarze Katzen: Eine Geschichte der Boheme

Buchvorstellung

Die Boheme ist ein Mythos, der in den Medien und den Moden oft zitiert wird, obwohl viele nicht genau wissen, was er wirklich bedeutet. Grund genug, zu Freiheit, Rausch und schwarze Katzen zu greifen. Sofern man nicht im Thema ist, reimt man sich zusammen, dass die Boheme, ihrem Namen entsprechend, ihren Ursprung in Böhmens historischer Hauptstadt, also Prag hatte. Passt ja eigentlich, da die Stadt auch im tristen Sozialismus des Ostblocks etwas mehr Lebensfreude bewahrte und nach dem Fall des Eisernen Vorhangs wieder Künstler und Lebenskünstler von überallher anzog.

Tatsächlich entstand der Begriff der Boheme im Paris des 19. Jahrhunderts. Der idealisierte Lebensstil lustiger Zigeuner, die vermeintlich aus Böhmen stammten, war das Symbol einer Revolte gegen die Zwänge des bürgerlichen Lebens. Insbesondere in Paris, Berlin, München und Wien entstanden subversive Milieus, welche die Kunst, die sexuelle Freiheit sowie Alkohol- und Drogenkonsum feierten und reguläre Erwerbsarbeit, traditionelle Werte oder konventionellen Ehrgeiz ablehnten.

Heutzutage klingen diese Lebensentwürfe nicht sonderlich revolutionär, im Paris von 1840 waren sie es durchaus. Die Gesellschaft war stark von Hierarchien und Konventionen geprägt. Die bestimmende Upperclass, das sogenannte Tout Paris, bestand aus einem elitären Zirkel von etwas zweitausend Seigneurs, die in Saus und Braus lebten. Ein Großteil der übrigen Bevölkerung, insbesondere Frauen, hatten kaum eine Chance, wirklich aufzusteigen.

Wie der Fuchs aus der Fabel, der die nicht erreichbaren Trauben als sauer schmäht, wandten sich einige Kreative aus den unteren Bevölkerungsschichten anderen Zielen als Macht, Reichtum und Ruhm zu. Als äußeres Zeichen des Widerstands ließen Pariser Bohemes dieser Epoche ihre Kleidung absichtlich verlottern und vernachlässigten ihre Rasur. Konzessionen an das bürgerliche Erwerbsleben wurden abgelehnt, wobei man sich noch an ein vom christlichen Glauben getragenes Künstlerbild orientierte, welches Reichtum mit mangelnder Moral gleichsetzte. Frauen hatten seinerzeit nur die Möglichkeit sich als Objekt männlichen Begehrens zur Muse oder Gespielin zu entwickeln. Erst in den Jahrzehnten vor dem ersten Weltkrieg gab es eine nennenswerte Zahl eigenständiger Künstlerinnen.

Das Leben der Bohemes, die sich das Leben als großes Fest wünschten, war kein Zuckerschlecken. Einerseits zelebrierte man radikalen Individualismus. Andererseits ging es kaum voran, wenn man sich nicht in Künstlergruppen gegenseitig unterstützte. Der Künstler wollte geliebt und seine Kunst bewundert werden. Doch als kreativer Egomane liebte er doch leider nur sich selbst und das eigene Werk.

Der Schriftsteller August Strindberg ist ein frappierendes Beispiel für eine hochgradig gestörte Persönlichkeit, die unfähig war, gesunde persönliche Beziehungen zu führen. Er verabscheute Menschen, konnte das Alleinsein aber nicht ertragen. Das Glück im Unglück dieser toxischen Persönlichkeit war es, sein inneres Elend in eine gut honorierte Kunsttherapie zu verwandeln.

Als junger Mensch ist es eine Zeitlang abenteuerlich in abgefuckten Bruchbuden zu hausen, sich für die Künste zu begeistern, sich dem Rausch der Drogen und sexuellen Ekstasen hinzugeben. Die wenigsten halten das lange durch. Ab einem gewissen Alter möchte man am Sonntag seinen Braten in der behaglichen guten Stube und hält es nicht mehr aus, nachts im Suff um die Häuser zu ziehen und bei Freunden auf dem Fußboden aufzuwachen. Der Preis, den man für künstlerische Unabhängigkeit zahlen muss, sofern man nicht über außerordentlich viel Glück oder Können verfügt, sind ständige Geldsorgen. Irgendwann wird die Vitalität knapper und die eigene Kunst nicht selten schlechter.

Wer sich bis jetzt nicht die Gesundheit ruinierte, musste sich entscheiden, nach den verhassten Spielregeln der bürgerlich-kapitalistischen Welt zu spielen oder nach dem Motto „It’s better to burn out than to fade away“ den dionysischen Weg der fröhlichen Selbstzerstörung zu beschreiten. Toulouse-Lautrec starb mit 36 Jahren, Baudelaire mit 46, Aldred de Musset mit 47 und Paul Verlaine mit 51 Jahren. Sehnten sich viele aus dem Milieu der Boheme nach dem Ende der bürgerlichen Gesellschaft mit einem „großen Knall“, so kamen sie in Russland nach der Oktoberrevolution vom Regen in die Traufe. Wer es von den Künstlern und Intellektuellen ablehnte, sich linientreu in den Dienst der sozialistischen Sache zu machen, erlebte massivste staatliche Repressalien. Freigeister, die in der DDR leben mussten, wissen was das heißt.

Wie immer hatten es Frauen schwerer. Mit der im Alter nachlassenden Attraktivität schwand ihr Marktwert als Objekt männlicher Begierden. Vor etwa hundertfünfzig Jahren uneheliche Kinder zu versorgen, bedeutete ein gesellschaftliches Stigma. Dass deren Erzeuger zumeist keine Alimente zahlen konnten oder wollten und sie im Berufsleben oft weniger verdienten, bedeutete zermürbende Armut.

Der Autor von Freiheit, Rausch und schwarze Katzen: Eine Geschichte der Boheme, Andreas Schwab, hat viel Sympathie für die Boheme, viel mehr als für das Bürgertum, wenn er sie als antibürgerliche, „neoromantische Gegenbewegung zum unerbittlichen Takt der geschäftigen Moderne“ definiert. Seine Buch ist kein rationales Sachbuch, sondern sucht in vielerlei Hinsicht den Schulterschluss. Historisch ist er da oft nicht auf dem Stand der Forschung, wenn er zum Beispiel Frankreich im ersten Weltkrieg als Opfer darstellt. So hat Christopher Clark in Die Schlafwandler herausgearbeitet, dass gerade Frankreich aus Rache für die nach dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 verlorene Provinzen, auf Krieg sann.

Auch (oder weil?) der Text oft hin- und herspringt und ihm eine rationale Distanz fehlt, ist seine Darstellung der Boheme anschaulich und unterhaltsam geschrieben. Es ist ein Vergnügen, lesend in die Lebenswelten einer vergangenen Epoche einzutauchen, dabei auch heute vergessene Exzentriker zu entdecken und zu verstehen, dass die Welt schon immer ein Irrenhaus war.

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Pressestimmen

Er leuchtet tief in die oft widersprüchlichen Biografien von Figuren wie Frank Wedekind, Else Lasker-Schüler oder August Strindberg.
― NZZ Geschichte, Daniel Di Falco

Anschaulich … ein gutes Beispiel für ein erzählen des Sachbuch, unterhaltend und intelligent, ganz in der Tradition der Sachprosa im englischen und skandinavischen Sprachraum.
― Bücher am Sonntag, Martin Widmer

Plastisches und klischeebefreites Epochenbild . Das Fehlen akademischer Strenge macht auch den Reiz und den Charme von Schwabs sehr erzählerischer und assoziativer Darstellung aus.
― SWR2 Lesenswert Kritik, Roman Kaiser-Mühlecker

Die Geschichten dieser wunderbar exzentrischen und verrückten Figuren zu genießen, ist ein großer Gewinn.
Deutschlandfunk, Andrea Gerk

Ein kluges Buch … Schwab ordnet ein und berichtet in anschaulichen Anekdoten aus dem Leben der Künstlerinnen und Künstler in Paris, Berlin, München oder Wien um 1900.
― Stuttgarter Zeitung

Erzählt nicht nur von den Trinkgewohnheiten jener Subkultur, die Ende des 19. Jahrhunderts in Europas wachsenden Großstädten entstand und bis heute fasziniert, sondern gibt auch einen tiefen Einblick in deren Entstehung und Wirkung.
Die Presse, Erwin Uhrmann

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Andreas Schwab

Andreas Schwab ist Autor, Ausstellungsmacher und Gemeindepräsident von Bremgarten bei Bern. Er hat Bücher über den Monte Verità und die Landkooperative Longo maï veröffentlicht.

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Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER gibt es eine Facebook-Gruppe sowie Porzellantassen. Weitere Informationen hier.

Titel: Freiheit, Rausch und schwarze Katzen: Eine Geschichte der Boheme

Autor: Andreas Schwab

Verlag: C.H.BECK

Verlagslink: https://www.chbeck.de/schwab-freiheit-rausch-schwarze-katzen/product/36226118

ISBN: 978-3406814358


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