Alexandre Dumas: Der vierte Musketier

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Buchvorstellung

Alexandre Dumas ist den Lesern des KRAUTJUNKER kein Unbekannter. Bereits im März 2020 stellte ich Künstler und Werk in meiner Buchvorstellung von Das große Wörterbuch der Kochkunst vor und im Januar 2024 präsentierte ich mit Christian H. Fuhrmann vom Wirtshaus Schwarzer Bock das Rezept Fasanenterrine mit Trockenfrüchten à la Alexandre Dumas, in dem ich ebenfalls einiges zum Autor schrieb.

»Es gab niemanden in diesem Jahrhundert, der populärer war als Alexandre Dumas, seine Erfolge waren mehr als Erfolge, es waren Triumphe, sie haben den Klang von Fanfaren. Der Name Alexandre Dumas ist mehr als französisch, er ist europäisch; er ist mehr als europäisch, er ist universell. Sein Theater ist auf der ganzen Welt gespielt worden, seine Romane wurden in alle Sprachen übersetzt.
Alexandre Dumas gehört zu jenen Menschen, welche die Zivilisation gesät haben. Er reinigt und erhebt den Geist durch eine lachende und helle Klarheit. Er befruchtet die Seele, das Hirn, die Intelligenz, er macht Lust auf Lesen. Er legt das menschliche Herz frei und wirft ein Samenkorn hinein. Und was er sät, ist die französische Idee. Die französische Idee trägt so viel Menschlichkeit in sich, dass sie, wo auch immer sie eindringt, den Fortschritt auslöst. Daher kommt die enorme Popularität von Menschen wie Alexandre Dumas…«
Diese Worte schrieb Alexandre Dumas‘ lieber Freund Victor Hugo, ebenfalls ein großer Romancier, an den Sohn des Verstorbenen, der wiederum ein berühmter Schriftsteller wurde.

Abb.: Genußmensch und Künstler Alexandre Dumas; Bildquelle: historische Karrikatur

Hippolyte Romand schrieb 1834:
»Herr Dumas … ist eine der interessantesten Erscheinungen unserer Gegenwart. Vom Temperament her leidenschaftlich, schlau aus Instinkt, mutig aus Eitelkeit, herzensgut, schwach an Vernunft, vom Charakter her sorglos … abergläubisch, wenn er denkt, skeptisch, wenn er spricht; von Herkunft Schwarzer, von Geburt Franzose, bleibt er selbst in seinen heftigsten Erregungen unbeschwert; sein Blut ist wie Lava und seine Gedanken sind Funken. Er ist das unlogischste Wesen, das es gibt, und das unmusikalischste, das ich kenne. Er flunkert, weil er Dichter ist, er ist gierig, weil er Künstler ist, er ist großzügig, weil er Künstler und Dichter ist. Verschwenderisch in der Freundschaft, despotisch in der Liebe, eitel wie eine Frau, standhaft wie ein Mann, egoistisch wie Gott, aufrichtig bis zur Indiskretion, ohne Unterschied gefällig, vergesslich bis zur Sorglosigkeit, ein Streuner von Leib und Seele, kosmopolitisch aus Geschmack, patriotisch aus Überzeugung, reich an Illusionen und Launen, arm an Weisheit und Erfahrung, von aufgewecktem Geist, ein Lästermaul, geistreich zur rechten Gelegenheit; nachts ein Don Juan, tagsüber ein Alkibiades, ein echter Proteus, der allen und sich selbst entwischt, ebenso liebenswert durch seine Schwächen wie durch seine Stärken, verführerischer durch seine Laster als durch seine Tugenden: Das ist Herr Dumas, so wie wir ihn lieben; so ist er oder zumindest erscheint er mir gerade so, denn da ich sein Bild heraufbeschwören muss, um ihn zu beschreiben, kann ich nicht sagen, ob ich angesichts des Geistes, der sich vor mir aufbaut, nicht unter einem Zauber oder einem magnetischen Einfluss stehe.«

Auch etwas mehr als 150 Jahre nach seinem Tod kennt nahezu jeder Mensch (zumindest unseres Kulturkreises) die von Alexandre Dumas ersonnenen Abenteuer der drei Musketiere oder des Grafen von Monte Christo. Doch wie der Literaturkritiker Ferdinand Brunetière 1885 über Alexandre Dumas urteilte, ist sein Leben immer noch sein bestes und unterhaltsamstes Werk, und der interessanteste Roman, der von ihm bleibt, sind seine Abenteuer.

Abb.: Wirtshausszene mit d’Artagnan und den drei Musketieren Athos, Porthos und Aramis; Bildquelle: historische Grafik

»Er war einer der ersten Superstars der entstehenden Massenöffentlichkeit des 19. Jahrhunderts, der mit spektakulären Erfolgen, Duellen, waghalsigen Einsätzen in der Revolution von 1830, außergewöhnlichen Reisen, zahlreichen Liebschaften, Prozessen und Skandalen den Pariser Zeitungslesern über Jahrzehnte schmackhafte Nahrung bot. Bekannt und befreundet mit allen namhaften Persönlichkeiten seiner Zeit – Théophile Gautier spottete, Dumas habe um die vierzigtausend engen Freunde, Frauen und Kinder nicht mitgezählt, stand er zugleich im Zentrum der Gesellschaft und erlebte die Umwälzungen und Wechselfälle seiner bewegten Zeit unmittelbar mit.

Dumas gehörte zu jenen Autoren, die Lust auf Lesen machen und von allen Gesellschaftsschichten gelesen wurden. Das hat man ihm lange nicht verziehen. Sein historisch beispielloser Erfolg zog schon zu Lebzeiten Neider an, die ihn als Literaturunternehmer mit Phantomschreibern brandmarkten. Aber auch die Literaturgeschichte hat ihm über 100 Jahre den Status verwehrt, der ihm zukommt. Denn Dumas bietet keineswegs reine Unterhaltung im Sinne aufregender Episoden. Seine großen historischen Romane sind vielmehr deshalb unterhaltsam, weil sie Geschichtre und Dama, Analyse und Spannung miteinander verbinden.«

Abb.: Lebenshungriger Poet; Bildquelle: historische Radierung

Wie in den beiden vorangegangenen Blogbeiträgen über Alexandre Dumas beschrieben, lebten hintereinander drei große Männer dieses Namens. Vor dem Protagonisten (* 1802; † 1870) dieser Biographie sein in der französischen Zuckerkolonie Saint-Domingue (dem heutigen Haiti) geborener Vater Thomas-Alexandre (* 1762; † 1806). Er war der Sohn eines normannischen Marquis, der als skrupelloser Taugenichts untertauchen musste und einer schwarzen Sklavin. Aufgrund seiner herausragenden Leistungen wurde er der erste schwarze General der westlichen Welt.

Abb.: Thomas Alexandre Dumas; Bildquelle: historisches Gemälde

Zuletzt der dritte Alexandre (* 1824; † 1895), auch der Jüngere genannt, der ab Anfang der 1850er Jahre als einer der erfolgreichsten Schriftsteller des Zweiten Kaiserreichs den Ruhm des Vaters fortführte. Er gilt als einer der Begründer des Gesellschaftsdramas. Sein bekanntester und heute immer noch gelesener Roman ist Die Kameliendame, welcher später die Vorlage für Giuseppe Verdis große Oper La Traviata lieferte. 

Abb.: Alexandre Dumas der Jüngere; Bildquelle: Wikipedia

Der schwarze General, welcher zu früh starb und seine Witwe und Kinder in Armut hinterließ, blieb in der Fantasie seines Sohnes lebendig geblieben und hat ihn sein Leben lang begleitet und inspiriert. Angesichts der vielen Parallelen zwischen der Biographie des Vaters und dem Werk des Sohnes, liegt der Gedanke nahe, dass es dem Künstler ein inneres Bedürfnis war, die Erinnerung an seinen Vater zu beleben und zu ehren.

Der unter ärmlichen Verhältnissen aufwachsende Alexandre entwickelte schon früh seine Passionen für die Jagd sowie erotische Genüsse. Dies verband ihn mit der adeligen Herkunft seiner Vorfahren und bildete sein Verständnis von Männlichkeit. Sein Faible für kulinarische Genüsse verdankte er seinem Großvater mütterlicherseits, der ein Wirtshaus führte. Der Kirche war er nicht verbunden, bewahrte sich jedoch ein tiefes Gottvertrauen und die Natur, genauer gesagt erschienen ihm Wald und Bäume als lebender Tempel.

Alexandre Dumas‘ zahllosen und unbeständigen Liebesaffären sind wohl ein Symptom dafür, dass er ständig neue Aufregungen und neues Begehren brauchte. Parallelaffären und Partnerwechsel bildeten in seinem Leben eine Konstante und prägten sein Bild in der Öffentlichkeit. Der große Genuss des Lebemanns und Partylöwen bedeutete für die Frauen, die seine unehelichen Kinder austrugen und diese selbst Schwierigkeiten, wenn nicht Leiden.

Es würde den Rahmen dieser Buchvorstellung sprengen, die Biographie von Alexandre Dumas dem Älteren hier auch nur in gedrängter Form wiederzugeben. Seine künstlerisches Werk war seinerzeit nicht nur innovativ, sondern auch so groß, dass er selbst den Überblick verlor, wieviele Theaterstücke und Bücher es umfasste. Er schrieb in Zeitungen und wurde sogar Herausgeber. Bewundernswert, dass er in seinen zahllosen historischen Werken der turbulenten und blutigen Geschichte Frankreichs die Vergangenheit weder verurteilte, noch sich über sie lustig machte oder über sie erhob. In seiner Sicht standen die vergangenen Epochen „unmittelbar zu Gott“, wie es der große deutsche Historiker Ranke formuliert hat. Daher wurden sie nicht aus der überlegenen Perspektive späterer Generationen verurteilt. Hiermit gelang es Alexandre Dumas die Vergangenheit ohne Wertung aus sich selbst sprechen zu lassen. Durch seinen Verzicht auf Wertungen erreichte er die ganze, auch seinerzeit gespaltene Gesellschaft.

Er war ein leidenschaftlicher Republikaner und pflegte liebevolle Freundschaften zu reaktionären Monarchisten, auch wenn deren Familien teils Schuld am tragischen Ende seines Vaters hatten. So war seine Unfähigkeit zu hassen ein zentrales und besonders liebenswertes Merkmal seiner Persönlichkeit, die sich auch auf seine künstlerische Arbeit auswirkte. Seine Eitelkeit und sein Egozentrismus schenkten ihm das hierfür nötige Selbstbewusstsein, in politischen Gegnern faszinierende Menschen zu erkennen, deren Freundschaft sein Leben bereicherten.

Wie er auf andere wirkte, beschrieben die Brüder Goncourt in ihrem berühmten Tagebuch am 14. Februar 1866 nach einem Abendessen bei einem Verleger:
»Mitten in unsere Unterhaltung platzt Dumas der Ältere herein, mit weißer Krawatte, weißer Weste, massig, schwitzend, außer Atem und ziemlich heiter. Er kommt aus Österreich, aus Ungarn, aus Böhmen … er erzählt von Pest, wo man ihn auf Ungarisch gespielt hat, von Wien, wo der kaiser ihm einen Saal aus seinem Palast für einen Vortrag zur Verfügung gestellt hat. Er erzählt von Romanen, von seinem Theater … von einem Restaurant, das er zur Weltausstellung auf den Champs-Elysés eröffnen will, und davon, dass er vergeblich versucht, die Genehmigung für ein neues Theater zu bekommen.
Ein riesiges Ego nach Maß des Mannes, aber es quillt über vor kindlicher Güte, aber es versprüht Witz …«

Unbekümmertheit war das Markenzeichen seiner Persönlichkeit. Einerseits schenkte sie ihm die Freiheit, immer wieder neue Herausforderungen anzugehen, sich von nichts und niemandem einschüchtern zu lassen, offen auf Menschen zuzugehen und dabei stets eine fröhliche Stimmung zu bewahren. Andererseits brachte sie ihn auch immer wieder in brenzlige Situationen: Er lieh sich Geld, wann immer es ging, stürzte sich in riskante Geschäfte, führte Beziehungen mit mehreren Frauen gleichzeitig und wurde Vater, ohne sich groß um seine Kinder zu kümmern. Seine Unbekümmertheit war wie ein zweischneidiges Schwert – sie war sowohl sein Glück als auch sein Unglück.

Abb.: Denkmal von Alexandre Dumas dem Älteren in Paris; Bildquelle: Wikipedia

Alexandre Dumas: Der vierte Musketier von Ralf Junkerjürgen ist ein gut recherchiertes Buch, welches mit wissenschaftlichen Standards das Porträt einer charismatischen Künstlerpersönlichkeit zeichnet. Für meinen Geschmack könnte das Buch noch dicker und etwas humorvoller sein. Das wäre nicht nur gegenüber dem Œuvre, sondern auch dem genussvoll angeschlemmten Leibesumfang, des frohgemuten Alexandre Dumas angemessen.

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Prof. Dr. Ralf Junkerjürgen

Ralf Junkerjürgen ist seit 2007 Professor für romanische Kulturwissenschaft an der Universität Regensburg. Sein Forschungsschwerpunkt ist die französische Literatur und Kultur des 19. Jahrhunderts. 2018 hat er bei wbg THEISS eine erfolgreiche Biografie zu Jules Verne veröffentlicht.

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Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER gibt es eine Facebook-Gruppe sowie Porzellantassen. Weitere Informationen hier: https://krautjunker.com/2024/12/16/krautjunker-tassen/

Titel: Alexandre Dumas: Der vierte Musketier

Autor: Ralf Junkerjürgen

Verlag: wbg Theiss in der Verlag Herder GmbH

ISBN: 978-3-8062-4127-3


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