Rehmuseum: Wann jagen wir endlich wissensbasiert?

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von Florian Asche

„Herrgottdonnerwetter! Wie konntest Du nur diesen Jährling schießen?!“ Anklagend rollten die Augen des empörten Jagdherren zwischen dem Schützen und seinem Rehbock hin und her. Der Jungjäger blickte betroffen zu Boden und murmelte etwas das nach Entschuldigung klingen sollte. Anklagend deutete der Finger des Beständers auf die zwölf Zentimeter langen, dünnen Spieße. „Was aus dem noch geworden wäre!“ Noch ein paar Minuten dauerte die Verbalinjurie und dann war der Delinquent entlassen.

Ich kann mich noch genau an dieses Gespräch erinnern, denn die Rolle des Jagdfrevlers fiel damals mir selbst zu. Und tatsächlich holte ich mir Frühjahr 1986 das umstrittene Gehörn von der Trophäenschau ab. Das Formblatt war mit einem anklagenden roten Punkt versehen. Fehlabschuss!

Nun stehe ich mehr als 30 Jahre später an einer Vitrine des Rehmuseums von Berchtesgaden und lächle in mich hinein. Diese spektakuläre Sammlung der Rehwildhege des Herzogs Albrecht von Bayern wirkt auf mich wie eine späte Absolution. Eigentlich wusste ja schon 1986 jeder wildbiologisch Interessierte, dass man Rehwild nicht durch Wahlabschuss in der Trophäenqualität verbessern kann. Das war ein wesentlicher Fehler des Reichsjagdgesetzes, der viele Freundschaften gekostet hat. Und dennoch hängen Jäger an nichts so sehr wie an ihren liebgewordenen Vorurteilen.

Abb.: Rehmuseum; Bildquelle: Rehmuseum

Da ist z. B. die Altersschätzung anhand des Zahnabschliffs. Im Rehmuseum legen mehrere Gebisszweige gleicher Jahrgänge Zeugnis dafür ab, dass ein Rehbock genauso individuell harte oder weiche Zähne haben kann wie ein Mensch. Da gibt es ziemlich abgekaute vierjährige Gebissleisten und siebenjährige Böcke, die noch im vollen jugendlichen Zahnschmelz zu bewundern sind. Im Geiste sehe ich die unzähligen Diskussionen der Selbstgerechten vor mir, die verkündeten, welches Alter der Erlegte nun wirklich haben sollte. In einer anderen Vitrine bewundere ich uralte Böcke mit hohen Rosenstöcken und Jugendliche mit niedrigen. Daneben hängen Fotos von Youngstern mit grauer Maske und senil Alten mit jugendlichem Gesamteindruck. Auch wird dem kundigen Gast verdeutlicht, dass Rehwild weder auf Bestandsdichte, noch auf Wahlabschuss reagiert, sondern ausschließlich auf Störungsarmut und Äsungsqualität.

Doch gerade bei der Jagd scheint es sehr lang zu dauern, bis wissenschaftliche Erkenntnisse Eingang in die Praxis finden. Wir hängen mit einer gewissen Zärtlichkeit an dem, was wir vor Jahren und Jahrzehnten einmal gelernt haben und was schon damals falsch war. Noch heute findet sich mitunter der Hinweis in den Lehrbüchern, man könne das Lebensalter des Fasans am Sporn ablesen. Auch die Methode Vorberg ist offenbar unausrottbar, um das Rehwild auf sein Alter anzusprechen. Dabei muss man doch nur an Gerhard Schröder denken, um zu erkennen, dass auch alte Knaben manchmal beneidenswert wenig graue Haare haben. Am sichersten ist wohl die Methode der alten Berufsjäger. Wenn sie einen Gast führen und mit dem Brustton der Überzeugung sagen: „Bitte schießen, der Bock ist reif“, dann liegt das vor allem daran, dass sie jeden Tag im Revier sind und den alten Knaben schon das fünfte Jahr in Folge an diesem Platz sehen. Die Wahrheit ist auf dem Feld und steht nicht im Buch.

Das gilt auch für die Bestandsdichte. Das Kalo-Experiment des dänischen Jagdverbandes stammt aus den fünfziger Jahren. Damals hatte ein Totalabschuss auf einer wildsicher gezäunten Halbinsel den Nachweis erbracht, dass die Rehwilddichte im Wald um gut 400 % höher ist als bei Wildzählungen geschätzt. Rehwild, so stellten die Wildbiologen fest, kann eigentlich gar nicht bestandsgefährdend bejagt werden. Dennoch sorgte sich Mitte der 70iger Jahre der Verleger Franz Burda in einem Aufsatz um das baldige Aussterben dieser Wildart. Schließlich hatte kurz zuvor Horst Stern einen entschlosseneren Rehwildabschuss gefordert. Dabei war die Strecke der 70iger Jahre unvergleichbar höher als während der Geltung des Reichsjagdgesetzes.

Blicken wir ein Stück weiter in unsere Jugendzeit, dann erinnern wir uns noch an die strafenden Blicke der Alten, wenn man es wagte, Ricke und Kitz nach Hause zu bringen. Das Augenrollen hatte dann immer etwas vom Kindermördervorwurf. Heute wissen wir, dass nur ein entschlossener Abschuss des weiblichen Wildes die Dynamik in der Blattzeit erhält. Und doch gibt es noch immer viele Reviere, in denen das weibliche Rehwild ein unbekanntes Wesen ist. Wir sollten häufiger unsere liebgewohnten Vorurteile überprüfen und nicht davor zurückschrecken, tatsächlich auf die Wissenschaft zu hören.

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KRAUTJUNKER-Kommentar: Dieses Essay wurde auf dem Facebook-Profil von Dr. Florian Asche veröffentlicht.

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Florian Asche

Der Rechtsanwalt Dr. Florian Asche ist Vorstandsmitglied der Max Schmeling Stiftung und der Stiftung Wald und Wild in Mecklenburg-Vorpommern.Einem breiten Publikum wurde er bekannt durch seinen literarischen Überraschungserfolg über den göttlichen Triatlhon: Jagen, Sex und Tiere essen (siehe: https://krautjunker.com/2017/01/04/jagen-sex-und-tiere-essen/https://krautjunker.com/2017/09/19/sind-jagd-und-sex-das-gleiche/)

Website der Kanzlei: https://www.aschestein.de/de/anwaelte-berater/detail/person/dr-florian-asche/

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Mehr von Dr. Florian Asche: https://krautjunker.com/?s=florian+asche

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Anmerkungen

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Ein Kommentar Gib deinen ab

  1. Guter Artikel von Florian Asche, wenn auch mit etwas Vorsicht zu lesen.

    ZB kommen die unterschiedlichen Zahnabschliffe in Weichselboden (und anderen, entsprechend großen und strukurierten Revieren) daher, dass die geologischen Gegebenheiten recht unterschiedlich waren. Was zB im Lee der Forststraßen stand, hatte in den Kalkalpen einfach mehr Gesteinsstaub auf der Äsung, entsprechend höher war die Abrasion, ähnliches gilt für die unterschiedlichen Höhenlagen.

    Das und zB die „Ausreisser“ in Gesichtsmasken/Rosen/Rosenstöcken führen bei manchen gern zum Trugschluss, dass man Rehwild nicht ansprechen könne und deswegen auch nicht ansprechen müsse. Das ist ein Irrtum. Mein Großvater legte im Gegenteil sehr großen Wert auf ein sauberes Ansprechen.

    Richtig ist, dass einer seiner wichtigsten Sätze war: es sei einer der häufigsten und größten Fehler in der Rehwildbejagung, zu wenig zu schießen.

    Das enthebt aber nicht von der Aufgabe, die richtigen Stücke zu schießen – sofern man auf Rehwildhege Wert legt.

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