Trophäe

Buchvorstellung von Maximilian Bolte

Postkolonialer Thriller oder ein moderner Eulenspiegel? Du solltest dieses Buch lesen. Es möchte verstanden werden. Gerne auch falsch.

Selten wurde ein Buch dermaßen erpicht von mir verschlungen, wie Gaea Schoeters Roman Trophäe.

Im ersten Teil des Buches reist ein westlicher Jäger nach Afrika um dort unter Anleitung seines Jagdreiseveranstalters und mittlerweile guten Freundes als letzte Kreatur der Big Five ein Nashorn zu erlegen. Die spannende Jagd verläuft nicht erfolgreich, weil Wilderer die Pläne durchkreuzen. Um den Gram seines Jagdgastes zu besänftigen, nimmt der Outfitter van Heeren den Protagonisten mit dem sinnbildlichen Namen Hunter White mit auf einen Hochstand, um die Jagd junger eingeborener Jäger auf eine Antilope zu beobachten. Im Zuge dessen erhält White ein perfides Angebot auf eine Menschenjagd, die den zweiten Teil des Buches einläutet.

Stilistisch kann sich das Buch in Bezug auf die Beschreibung der Jagdszenen an Größen der kolonialen Jagdliteratur messen. Die Anspannung während der Jagd wird auf so authentische Art und Weise aufgebaut, dass es nur schwer zu glauben ist, dass die Autorin über keinerlei eigene Jagderfahrung verfügt und noch keinen Fuß auf afrikanischen Boden gesetzt hat[1].

Schoeters schafft es, im ersten Teil des Buches ein realistisches Bild von einem sich auf der moralisch sicheren Seite glaubendem, reflektierten Großwildjäger zu zeichnen:

– »Er erinnerte sich an seine erste Hirschjagd: […] Zeigen, dass er des Jagens würdig war. Ein würdiger Jäger. Und ein guter Schütze, der seine Beute schmerzlos und schnell töten würde« –

Hunter White wird als ein unternehmerisch erfolgreicher, reflektierter und jagdethisch anspruchsvoller mitnichten unsympathischer Typus Mensch dargestellt, der versucht, durch seine Reisen dem städtischen, digitalen Hier der Moderne zumindest für einen Zeitraum zu entfliehen. Er ist auf der Suche nach direktem Kontakt zur unzivilisierten Natur. Als Jäger bewundert er etwa die mit seinem Jagdreiseveranstalter und Freund von einem Hochstand beobachtete Szene »in der der Mensch noch als Tier unter Tieren jagt […] dem geregelten Totfoltern von Tieren konnte Hunter noch nie etwas abgewinnen«.

Als persönlich nicht nachvollziehbar gestaltet sich in der szenischen Darstellung der Jagd einzig die von Schoeters konstruierte Aussage: »Aber, und darin unterscheidet sich der Mensch vom Tier – ungesehen will er nicht zuschlagen.« Dies formuliert Schoeters als allgemeingültig. Als passioniertem Jäger ist mir und auch allen von mir befragten jagenden Bekannten dieser Wunsch nach Aufmerksamkeit durch die Beute noch nie untergekommen. Ganz im Gegenteil sollte es das höchste Ideal eines Jägers sein, die Beute unentdeckt zu erlegen. Da sich diese „Perversion“ aber in allen Jagdszenen des Buches wiederholt, sei hier darauf hingewiesen.

„Erst kommt das Fressen, dann die Moral“ – sagt Brecht in der Ballade Wovon lebt der Mensch. Und die Streitbarkeit eben dieses Zitates scheint mir den Kern des extrem tiefsinnig geschriebenen ersten Teils des Buches zu treffen. Die Aufrechterhaltung des eigenen, märchenhaften Bildes vom wilden, gar „ehrlichen“ Afrika, in dem zu Jagen sein Begehr ist, lässt sich Hunter White viele harte Dollar kosten. Der Jagdhelfer Jeans desillusioniert ihn und den Leser mit den passenden Worten: »Sie wissen rein gar nichts über Afrika. Sie sind noch nie dagewesen. Oder denken Sie, dass die Lodge Afrika ist? Da gibt es nicht mal Afrikaner, abgesehen vom Butler, dem Koch und den Zimmermädchen.« Die dem Protagonisten im Lauf des Buches angebotene Jagd auf einen Menschen kommentierte der Jagdhelfer gegenüber White mit einer Relativierung: »Die Armee erschießt jedes Jahr mehr Wilderer, um ihr Jagdwild zu schützen, als die Wilderer Nashörner abknallen. Auftrag der Regierung. Zum Schutz der Wirtschaft. Die Menschenjagd ist ein Nebenprodukt der Trophäenjagd. Und wer bezahlt das? […] Sie. Mit jedem Dollar, den Sie hier für den Artenschutz ausgeben.«

White kämpft dagegen an, auf das Angebot der Menschenjagd einzugehen. In hitziger Diskussion mit dem Jagdveranstalter bringt dieser die Situation auf den Punkt: »Deine westliche Moral ist ein Luxusprodukt, das man sich leisten können muss. Der Rest der Welt muss mit Pragmatismus auskommen.« Müssen wir – mit Brecht – moralisch handeln, wenn wir satt sind?

Aber wenn man selbst (als europäischer Jäger) moralisch zu handeln hat, wie kann es dann sein, dass es Menschen gibt, die (Hunger) leiden, und daher auf unmoralisches Handeln angewiesen sind? Und ist dann nicht der Satte der Unmoralische und der Hungernde in seiner Situation schuldlos gefangen?[2] Und gibt es überhaupt Sättigung? Es ist durch Zahlen belegbar, dass die Trophäenjagd die Population vieler wildlebender Tiere Afrikas deutlich stabilisiert hat. Es ist auch erwiesen, dass viele Regionen für den Fototourismus nicht geeignet sind und dieser nur in bestimmten Konstellationen der Jagd vergleichbare Summen erwirtschaftet.[3] Umso spannender ist der innere Dialog, den die Lektüre dieses „ethischen Mindfucks“ – wie Dimitri Verhulst auf dem Buchrücken zitiert wird –  in einem auslöst. Wo fängt (post-)kolonialistischen Handeln an? Dürfen wir überhaupt den moralischen Zeigefinger gegen einzelne Afrikanische Staaten erheben? Die Drohung Botswanas 20.000 Elefanten in die Bundesrepublik Deutschland übersiedeln zu wollen, wenn die geplante Einfuhr der Trophäen verboten würde, ist nur eines von vielen Symptomen unserer eigenen moralischen Hybris, der Übervorteilung der Welt durch westliche Wertevorstellungen.

Schoeters schafft es durch ihre packende Darstellung der Jagdszenen und der tiefgründigen Auseinandersetzung mit dem moralischen, inneren Kampf des Protagonisten den Leser zu fesseln.

Die Trophäenjagd scheint in all ihrer Unbegreiflichkeit für nichtjagende Personen aber nur die durch Schoeters beeindruckend gezeichnete Kulisse für die eigentliche These des Buches, nämlich die Infragestellung europäischer Wertvorstellungen vor dem Hintergrund moralischer Überheblichkeit. Nach dem Fressen die Qual der Wahl? Lies das Buch und bilde Dir Deine eigene Meinung.


[1] Gaea Schoeters Roman „Trophäe“ – ttt – titel, thesen, temperamente – ARD | Das Erste

[2] Frei nach K.Thiele, 2017

[3] National Geographic Sept 2, 2013: “Tanzania has 15 photo-safari areas, which have been lauded as a non-comsumptive alternative to traditional hunting tourism. Without the financial resources provided by hunters to protect habitat and stop poachers, there would be no infrastructure for wildlife management.”

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Pressestimmen

Schoeters schreibt sinnlich und gewaltig … ein intensives Leseerlebnis …berauschend und klug!
―Tim Felchlin, Ö1

Gaea Schoeters schreibt mit einer Sprachgewalt, die einem die Nackenhaare aufstellt.
―Annette König, SRF

Ein brisantes Thema literarisch so eindrücklich verarbeitet zu haben, dass die Leser gleichermaßen fasziniert wie abgestoßen in die Welt der Jagd hineingezogen werden, die die meisten nicht einmal im Ansatz kennen dürften.
―Doris Kraus, Presse am Sonntag

Ein Buch, wie ich es besonders liebe … Schoeters zieht einem den Boden unter den Füßen weg … Das ist große Literatur!
―Denis Scheck, WDR2 Lesen,

Unglaublich spannend und rasant erzählt. In Sätzen von hemingway’scher Präzision.
― Barbara Beer, Kurier

Als hätte sich Hemingway mit Kafka zusammengesetzt … Erschüttert uns ganz souverän in unseren Erwartungen.
― Denis Scheck, WDR3 Mosaik

Schoeters lässt uns ganz nahe an dieser Jagd teilhaben und schafft tatsächlich eine Art hautnahes Miterleben.
―Wolfgang Huber-Lang, APA

Atemlos und dabei beeindruckend sinnlich.
―MDR Kultur, Katrin Schumacher

Eine durch Mark und Bein gehende Lektüre, die ins Herz der Finsternis führt … Nach diesem Roman ist einem schwindelig. Literatur, die etwas wagt, vermag das zu bewirken.
―Sebastian Fasthuber, Falter

Der vielleicht ästhetisch kühnste Wurf ist der Roman ‚Trophäe‘ … ein scheinbar realistischer, aber latent grotesker Erzähltext … eine Art literarischer Wiedergänger von Joseph Conrads Herz der Finsternis.
―Jan Wiele, F.A.Z.

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Gaea Schoeters

Gaea Schoeters, geboren 1976, ist eine flämische Autorin, Journalistin, Librettistin und Drehbuchautorin. 2012 hat sie den Großen Preis Jan Wauters für ihren kreativen Umgang mit Sprache gewonnen. Für Trophäe wurde sie mit dem Literaturpreis Sabam for Culture ausgezeichnet. Der Roman wurde von der niederländischen Presse sehr positiv besprochen. 2024 ist ihr Roman Trophäe, aus dem Niederländischen von Lisa Mensing, bei Zsolnay erschienen.

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Maximilian Bolte

Maximilian Bolte. Jahrgang 1990. Stark dem Wasser verbundener, mittlerweile im Herzen Sachsen-Anhalts beheimateter, liberaler Exilfriese. Jäger, Kleinwaldbauer, an der Georgia Augusta studierter Altphilologie- & Biologielehrer mit Hang zum Handwerk und zum rustikalen Leben.

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Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER gibt es eine Facebook-Gruppe sowie Porzellantassen. Weitere Informationen hier.

Titel: Trophäe

Autorin: Gaea Schoeters

Übersetzung: Lisa Mensing

Verlag: Paul Zsolnay Verlag; 5. Edition

Verlagslink: https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/gaea-schoeters-trophaee-9783552073883-t-5240#

ISBN: 978-3552073883

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