Die Kichererbsen der Señora Dolores: Geschichten vom Kochen

von Thomas Thelen

Die Kurzgeschichten Stevan Pauls zelebrieren die liebevolle Leichtigkeit, die den koch- und genußorientierten Menschen erfasst, wenn man beschwingt vom frischen, drallen Angebot eines guten Wochen- oder Bauernmarktes einkauft, was einen anlacht, und spontan aus dem vollen Fundus an Rezepten und Erfahrungen aus dem marktfrischen Angebot ein schmackhaftes Gericht am heimischen Herd zaubern kann für die hungrigen Mäuler der Lieben.

Viele Kocherfolge, aber auch – endlich mal: Ein dramatischer Misserfolg, schonungslos dokumentiert. Eine Selbsterfahrung eiskalten Scheiterns am heimischen Herd. Keine dystopische Autorenphantasie, sondern das erschütternde Eingeständnis eines Erfolgsverwöhnten, die Grenzen seines Könnens auslotend. Rosarote Betonpampe statt rosaroter Selbstüberschätzung… – lesen Sie es am besten selbst!

Bildquelle: Mairisch Verlag

Den inspirierenden Perspektiven, die die TV-Serie Lou Grant auf den schreibenden Journalismus bot, sowie den Herausforderungen der gymnasialen Mathematik, Physik und Chemie (respektive den nicht ausreichenden pädagogischen Kompetenzen der entsprechenden Lehrkörper) ist es zu verdanken, dass Stevan Paul die fiktionale wie die non-fiktionale Kulinarikliteratur auf ein einzigartiges Niveau an Lesevergnügen und Wissensvermittlung gehoben hat.

Sein neuer, Anfang September 2024 erscheinender Erzählband Die Kichererbsen der Señora Dolores steht dafür pars pro toto.

KRAUTJUNKER konnte noch vor Erscheinen des Bandes im mairisch Verlag, Hamburg, einen ausführlichen Blick ins schön gestaltete Buch werfen und ein investigatives Interview mit dem Autor führen.

Musstest Du, Stevan, als Autor Kochen lernen, um Dich ernähren zu können?

Nee! Meine Schulzeit wurde nach der 11. Klasse ob Mathe, Physik und Chemie abgeschlossen. Eine Kochlehre sollte es richte, die sich als Segen für mich herausstellte: Bereits nach dem ersten Tag in einer Profiküche war es um mich geschehen. Leidenschaft und Liebe zum Kochen erwiesen sich als meine Erfüllung – gesucht und gefunden!

Mein Lebensthema ist das Kochen; mein Jugendtraum war der Journalismus. Die Fernseh-Serie Lou Grant hat mich inspiriert, fasziniert: Die Arbeit in einer lebendig vibrierenden Zeitungsredaktion, Themen recherchieren, Themen finden! Talent zum Schreiben hatte ich schon früh. Auf Hamburger Poetry Slams habe ich als Der Mann im Cord Anzug Mitte der 90er viel gelernt: Vor Menschen frei sprechen, Vorlesen, Bühnenpräsenz, Dialog mit dem Publikum. Daher auch meine große Freude über das neue Buch mit den dreizehn Erzählungen, denn das ist ein guter Grund für eine Lesetour im Herbst 2024 und im Frühjahr 2025.

[Daten der Lesetour findet Ihr auf à https://www.mairisch.de/termine/]

Wie gestaltete sich Dein Weg vom Profikoch zum Autor?

Sechs Jahre lang habe ich Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre in der Sterne-Gastronomie gekocht. Damals waren noch Gewalt in der Küche, fliegende Pfannen und derbes Geschrei, Wahnsinns-Arbeitszeiten an der Tagesordnung. Die Küchen waren wesentlich heißer als heute; Testosteron dampfte über allen Töpfen. In meiner letzten Station in Berlin öffnete mir eine Kollegin nach einem besonders krassen Abend die Augen: „Stevan, Du musst nicht hier sein!“ – Am nächsten Tag habe ich gekündigt, trotz meines Pflichtbewusstseins und dem Gefühl, meinen Eltern wegen der Schwierigkeiten während der Schulzeit etwas schuldig zu sein. Doch dieser Schritt war die beste Entscheidung meines Berufslebens!

So also schloss das Kapitel „Profikoch“. Wie aber startete der Autor und Journalist?

Die Zäsur war nicht so trennscharf, denn ich begann in Hamburg als Koch bei Essen & Trinken. Das entwickelte sich zu meiner Startrampe für die Kulinarik-Publizistik. e&t war damals ein Haifischbecken der Alphatiere des deutschen Food-Journalismus. Der Koch sollte Kochen, Rezepte entwickeln, nicht Schreiben! Zu meinem Glück hatten jedoch die saturierten Oldies keinen Bock mehr auf (Presse-)Reisen, sie hatten bereits die ganze Welt gesehen und verköstigt. So durfte oder musste der Koch raus in die internationale Gastro-Welt, durfte aber kaum darüber schreiben, gerade mal briefmarkengroße Info-Häppchen kamen ins Blatt. Aber ich habe unheimlich viel bei Gruner & Jahr gelernt, bis heute bin ich Angelika Jahr sehr dankbar. Sie hat mich gefordert und gefördert.

Im Jahr 2000, ich bin gerade mal 30 Jahre alt, gehe ich zu meiner Mentorin und Verlegerin ins Büro und Angelika Jahr erkennt sofort, dass ich kündigen will. Sie teilt mir mit, dass sie immer gewusst habe, mich nicht ewig halten zu können, und sie unterstützt meinen Start in eine ungewisse Selbstständigkeit gleich mit einem ersten Auftrag für essen & trinken. Wunderbar!

Fallen dem Koch keine neuen Rezepte mehr ein, nur noch dem Ficton-Autor? Oder sind die Rezepte gar die Inspiration für die Story?

Dem Koch Stevan Paul fallen viele neue Rezepte ein, ich lese viel – online, Zeitschriften, die Bücher der Kollegen, Erfahrungsaustausch mit anderen Köchen – es gibt vielfältige Inspirationen.

Man kann, man muss das Kochen, die Rezepte nicht ständig neu erfinden, aber man kann sie mit einem individuellen Twist, mit überraschenden Würzungen neu interpretieren und präsentieren.

Prototypisch hierfür ist mein Langzeit-Projekt für Effilee, die Schnellen Teller.

In der Literatur dagegen seien immer zuerst die Story, die Idee und die Persönlichkeiten der Protagonisten da; erst dann folgen die Kulinarik, die Rezepte. Dadurch, dass Stevan Paul immer auch Kulinarik mitschreibt in seinen Geschichten, ergibt sich fast zwangsläufig der Brückenschlag zum Rezept. Nicht zuletzt auch daher, weil viele Leserinnen und Leser die „literarischen“ Rezepte nachkochen, individuell interpretieren und online publizieren. Auf Instagram kann diesem Treiben hier folgen.

„Diesen dritten Erzählband hätte ich gerne auch mal ohne Rezepte gemacht, um das Augenmerk stärker auf die Texte zu fokussieren, aber sowohl der Verlag als vor allem auch das Lesepublikum erwarten Rezepte und freuen sich sehr darüber.“ Und so erzeugt die Erwartungshaltung weitere literarisch basierte Rezepte…

Lieber Stevan, wir danken Dir für das Gespräch!

Bildquelle: Thomas Thelen

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Buchvorstellung des Verlags

Eine kochbegeisterte Buchhändlerin verliebt sich in einen Barmann. Ein eigensinniger Postbeamter wagt auf der Suche nach der perfekten Ramen-Suppe die Reise in sein Sehnsuchtsland Japan. Eine gestresste Managerin entspannt sich endlich bei einer Kugel Himbeereis. Ein Hygienekontrolleur der alten Schule macht Bekanntschaft mit der wirkungsvollen Kraft indischer Gewürze. Und Señora Dolores kocht noch einmal ihren berühmten spanischen Eintopf und findet dabei alte Freunde wieder.

Stevan Paul nimmt uns in seinen Texten mit auf eine Reise rund um die Welt. Zwischen Japan, Friesland, Italien, Hamburg, Spanien und New York entfalten sich anrührende und humorvolle Geschichten, die alle eines verbindet: Die Leidenschaft für gutes Essen und eine universelle Liebe zur Kulinarik. Und um die Geschmackswelten direkt in die eigene Küche zu holen, gibt es zu jeder Geschichte das passende Rezept.

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Bildquelle: (c) Vivi D’Angelo; http://www.mairisch.de

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Tim Raue schreibt: Stevan Pauls Texte sind wie seine Gerichte: Sie enthalten immer einen persönlichen Twist, eine Würze und eine besondere Kombination, die sie einzigartig macht. Ein feiner, raffinierter und liebevoller Buchgenuss!“ – und Bauchgenuss, möchte man den Berliner Sternekoch ergänzen.

Bildquelle: Mairisch Verlag

Ausstattung: Der Band ist wunderschön gestaltet und ausgestattet, Hardcover mit Lesebändchen, erbaulich-leichthändische Illustrationen von Andrea Pieper in den fein abgestimmten Farben blau und orange setzen Akzente im Buch.

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Stevan Paul

Stevan Paul stammt vom Bodensee, ist gelernter Koch und lebt seit über zwanzig Jahren in Hamburg. Er war schon Frühstückskoch in einem Musikclub, hat als DJ auf St. Pauli Platten
aufgelegt und ein paar Jahre in Sterne-Restaurants gekocht. Heute arbeitet er als freier Journalist für Zeitschriften und Magazine. Er ist Autor zahlreicher Kochbuchbestseller, darunter
Deutschland vegetarisch und Meine japanische Küche. Im mairisch Verlag ist Stevan Pauls Literatur zu Hause: Nach seinem Roman Der große Glander erscheint nun schon sein dritter Band mit kulinarischen Geschichten.
stevanpaul.de

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Thomas Thelen

Thomas Thelen ist Deutsch-Drahthaar-Bändiger, Leihhund-Bespaßer, Fliegenfischer, Holzwerker und Genießer – und eher nebenher Unternehmensberater und Autor.
Zuhause in den südbadischen Weinbergen, hält er nicht nur nach Schwarz- und Rehwild Ausschau, sondern auch nach empfehlenswerter Lektüre und leckeren Rezepten. Wenn sie seinen Geschmackstest bestehen, werden sie hier umgehend weiterempfohlen – oder kritisch betrachtet.

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Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER gibt es eine Facebook-Gruppe sowie Porzellantassen. Weitere Informationen hier.

Titel: Die Kichererbsen der Señora Dolores: Geschichten vom Kochen

Autor: Stevan Paul

Verlag: Mairisch Verlag

Verlagslink: https://www.mairisch.de/programm/stevan-paul-die-kichererbsen-der-se%C3%B1ora-dolores/

ISBN: 978-3-948722-33-3

Leseprobe: à https://www.mairisch.de/app/download/8266766961/Paul_Kicherbsen-Senora-Dolores_Leseprobe.pdf?t=1722178131


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