Buchvorstellung von Tim Wesly Hendrix
„Morgen!“ Was soll an diesem Morgen gut sein? Meine Kollegen kennen das schon. Ich schlurfe mit verquollenen Augen herein. „Ja liegt denn was oder sind die Kinder krank?“ ist die nächste unumgängliche Frage. Wer denkt man kann nicht intensiv blatten und gleichzeitig arbeiten hat im Eigentlichen recht, aber manchmal muss halt auch das Unmögliche gehen. Morgens eine kleine Runde, dann mittags nach der Arbeit und abends sowieso bis zur Dunkelheit. Dazwischen wollen dann die Kinder versorgt werden und im Dunkeln der Rest der Arbeit erledigt werden. Nach zwei Wochen erinnerte meine Erscheinung dann doch sehr an den letzten Wächter des Grals in Indiana Jones letztem Kreuzzug.
Diesmal lag nichts. Es ist auch keine Blattzeit. Der Schuldige an meinem fatalen Zustand totaler Ermüdung ist Graf Quadt. Wie konnte er auch ein so spannendes Buch schreiben und dann noch so versenden, dass es an einem Donnerstag eintrifft. Einem Donnerstag dazu, an dem meine Frau wieder einmal in München auf Geschäftsreise weilte?
So wurde ich quasi gezwungen abends, als die Kinder schliefen, den Kamin anzumachen, mir eine gute Zigarre und einen alten Whisky zurechtzulegen, um wenigstens ein zwei kleine Kapitel zu lesen.
Als ich das nächste Mal auf die Uhr schaute, war es leider schon die Zeit, in welcher es mich im Sommer hinaus zur frühen Blatterei getrieben hätte. Damit nur zwei Stunden vom viel zu frühen Erwachen des Jüngsten. Aus der einen Zigarre war dann auch eine veritable Armee geworden und meine Stimme glich einem Reibeisen. Warum ich es doch nicht bereut habe, ist klar – Graf Quadt hat es wieder einmal geschafft mit seinem literarischen Talent ein Werk zu schaffen, dass keinen Jäger kalt lassen kann.
Man soll ein Buch nicht nach seinem Äußeren beurteilen. Doch was könnte passender sein, als der zünftig, jovial in Loden gehüllte Graf auf der Rückseite des Buchdeckels?
Im Inneren setzt sich der Eindruck fort. Die Bilder zumeist aus der Hand Quadts und damit beinahe lyrisch inszeniert – ich erwische mich immer wieder wie ich neidvoll auf die Böcke schaue. Nicht der Trophäe wegen, sondern weil meine eigenen Inszenierungen nie die stimmungsvolle Aura seiner erreichen. Da hilft auch kein Studium der Kunstgeschichte.
Neben Böcken gibt es auch noch Karten, deren Gestaltung einen doch sehr an Tolkiens Meisterwerke erinnert, und die es erlauben seine Fahrten auch geografisch nachzuverfolgen. Wie früher, als das Navigationssystem noch nicht die letzte Romantik der Fernreise mit dem Automobil geraubt hatte.
Alles in allem eine sehr schöne Arbeit. Doch ist das natürlich nur Beiwerk. Der eigentliche Schatz dieses Buches liegt in den Geschichten, die es uns erzählt.
Die Fahrt beginnt in Germania – der Lateiner würde genauer von Germaniam meridiem occidentalem sprechen. Da ist auch direkt alles dabei, was man sich von so einer deutschen Blatt-Fahrt erhofft. Weißbier in Maßen, der wohl spannendste vergeigte Schuss der Jagdliteratur und viel mehr. Besonders die Reise an den Niederrhein hat mich gefreut. Mein Großvater stammt aus der Region und das Problem der elendshohen Türme auf flachem Feld hat mich selbst schon zur Weißglut geführt. Wie schön hat man es doch im Mittelgebirge. Das dennoch eine spannende Blattjagd in der Ebene möglich ist, beweisen die Geschichten von Graft Quadt an dieser Stelle anschaulich.
Von Deutschland geht es dann nach Österreich – Felix Austria kann man hier wörtlich nehmen. Was für ein Glück, wer in der Alpenrepublik zur Jagd gehen kann. Nicht nur, soviel sei verraten, auf den roten Bock. Ob Lebensbock, Steinschlag oder Heimkehr – es ist ein Fest. Dabei fangen die Geschichten neben der Jagd noch viel mehr ein.
In Böhmen, der tief in Tradition verhafteten Region, findet dann die Reise ihr Ende. Wieder nicht Rehrein. Aber mit so liebevollen Schilderungen von Land und Leuten, dass es einen schon in den Fingern juckt dieses Land auch einmal jagdlich zu bereisen.
Was kann man abschließend zu diesem Buch nur sagen? Es ist sicher nichts für hektische Momente. Der Schießer und Schädlingsvernichter wird auch nicht recht seine Freude an den oftmals emotionalen Schilderungen haben. Wer aber Jäger ist dem wird es die Sehnsucht nach der Jagd wecken. Wer darüber hinaus auch noch die anderen Werke Graf v. Quadts kennt wird sich an viele Personen und Orte erinnern. Es ist ein Treffen mit alten Bekannten, aus der Ferne lieb gewonnen Orten, und alleine schon für ein Wiedersehen mit dem Herrn Schlagradel hätt sich das Buch gelohnt. Wer kennt es nicht, gerade von den Drückjagden, da trifft man Freunde wieder. Da fühlt man sich für einen kurzen Moment auch in der Fremde daheim. Genau das macht das Buch, genau das ist sein Wert. Eine Schatzkiste an Geschichten. Ein tiefes Eintauchen in die Passion zur Jagd auf den roten Bock.
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Bertram Graf v. Quadt

Man kann sich gegen schwere erbliche Belastungen nicht wirklich zur Wehr setzen. Damit war die Jagd unausweichlich. Beim Blick in die Generationen gibt es auf weite Sicht keinen männlichen Vorfahr – und nur wenige weibliche – die nicht gejagt hätten. Vater, Mutter, beide Großväter und so weiter und so fort – alles Jäger, und zum Teil hochprofilierte Jäger: der Vater meiner Mutter, Herzog Albrecht v. Bayern, hat die bedeutendste Monographie des 20. Jahrhunderts über Rehwild verfasst (Über Rehe in einem steirischen Gebirsgrevier) und darin mit viel Unsinn über diese Wildart aufgeräumt. Meine Mutter war an den Forschungen dazu intensiv beteiligt, gemeinsam mit meinem Vater hat sie die Erkenntnisse im gemeinsamen Revier im Allgäu umgesetzt. Nun will und muss aber jeder junge Mensch rebellieren. Ich habe mir dafür aber nicht das jagdliche Erbe ausgesucht, sondern die Schullaufbahn, das nie begonnene Studium, das Ergreifen anrüchiger Berufe (Journalist, pfui!) und anderes mehr. Und ich kann im Rückblick sagen: das war die richtige Entscheidung.
https://wykradt.com/
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Dr. Tim Wesly Hendrix

Tims Frau beschreibt ihn so: „Der ist einfach ein wenig verrückt“ würde sie sagen. Nun liegt das Genie nah am Irrsinn, er nimmt das also als Kompliment.
Aus dem Bergischen kommend zog es ihn in die weite Welt zum Studium – also nicht ganz so weit weg vielleicht – nach Köln. Mit Zwischenstation in Edinburgh beurteilte ihn dann eine Reihe von Professoren als soweit gereift, um ihm den Doktortitel im Fach Kunstgeschichte zu verleihen. Man möge es ihnen verzeihen. Nebenbei gab es dann noch einen Master in Anglophone Literature – was wiederum nichts anderes ist als das schnöde Anglistik Studium vergangener Tage.
Man sieht also, Tim ist den britischen Inseln und der englischen Sprache sehr zu getan. Seine Frau fragt ihn schon nicht mehr, wo der Jahresurlaub seiner Meinung nach hingehen soll, die Antwort ist ihr hinreichend bekannt. Schottland mit seiner raue, poetischen Westküste hat ihn so in den Bann gezogen, dass er dort jeden Urlaub verbringen könnte.
Das heißt nicht, dass er die anderen Länder nicht wertschätzt – aber keines, nicht einmal die berühmten Wasser Afrikas – haben ihn so vollkommen einnehmen können.
Das spiegelt sich auch in der Leidenschaft für Whisky nieder, obwohl er einem guten Wein auch nicht abgeneigt ist. Kommt dann noch eine Zigarre, oder eine seiner geliebten Pfeifen dazu – das ist wahrer Es(s)kapismus für ihn.
Früh schon zog es ihn ans Wasser, um den heimischen Forellen in kleinen Bergbächen nachzustellen und auch heute noch schwingt er gelegentlich seine Fliegenrute. Was gibt es auch schöneres, als bei ausreichend Wind an einem Bach auf einer Hebrideninsel zu stehen und Fliegen aus der Vegetation zu befreien?
Das seine Hardy Ruten nur noch gelegentlich genutzt werden, liegt vor allem an seiner wohl größten Passion: Der Jagd.
Sie war immer irgendwie da. Schon als kleiner Junge vor der beeindruckenden Wand seines Großonkels. So richtig hat er aber erst vor relativ kurzer Zeit zu ihr gefunden. Dies konnte er freilich durch Eifer, seine Frau spricht von manischem Zwang, ausgleichen.
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Anmerkungen

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Titel: Die lange Fahrt: Mit dem Rehruf durch Deutschland, Österreich & Böhmen
Autor: Bertram Graf v. Quadt
Verlag: Verlag J. Neumann-Neudamm
Verlagslink: https://www.neumann-neudamm.shop/products/die-lange-fahrt-quadt
ISBN: 978-3788821043
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