Lotta

am

von Florian Asche

Lotta ist dreizehn, ein cremefarbener Labrador mit all den sympathischen Eigenheiten dieser Hunderasse. Gelehrig, wenig bellfreudig, mit dem rassetypischen Appetit. Seit ihrer zehnten Woche lebt sie bei der gleichen Familie in Hamburg- Wellingsbüttel. Als Welpe war sie sechs Monate der niedliche Spielgefährte der Kinder, die sie im Puppenwagen herumfuhren. Doch das Interesse ließ rasch nach, als die Kinder Lotta regelmäßig Gassi führen sollten. Und so war es dann Frauchen, die tagein tagaus den Labrador durch die städtische Grünanlage führte, eineinhalb Kilometer Rundweg. Kein Wunder, dass Lotta bei diesem Bewegungsmangel stets ein wenig übergewichtig war. Das tat dem ausgeglichenen Wesen allerdings keinen Abbruch. Lotta lag in ihrem Körbchen, hörte Frauchen beim Klavierspielen zu und erlebte, ohne es zu verstehen, die gesamte Entwicklung einer gut bürgerlichen Hamburger Familie. Lotta lag unter dem Esszimmertisch als der Vater stolz von seinem Aktienoptionsprogramm erzählte. Sie bekam den Krach mit, wenn die Kinder schlechte Noten nach Hause brachten oder das fröhliche Lachen, wenn Geburtstag gefeiert wurde. Sie erlebte die Konfirmation und das Abitur der Kinder ebenso mit wie den Tod der Großeltern und die Scheidung von Herrchen und Frauchen. Von alledem hat Lotta niemals etwas verstanden. Ihr selbst ging es immer gut. Einmal hatte sie einen Bandwurm, der medikamentös schnell ausgetrieben wurde. Selbst für einen Hund ist Lottas Leben einigermaßen gleichförmig und langweilig verlaufen, wenn es diese Worte im Tierreich gäbe.

Nun aber sind dreizehn Lebensjahre vorbei und Lotta hat Magenkrebs. Ihr Bauch schwillt an, wird hart und druckempfindlich. Lotta beginnt, sich zu übergeben. Sie frisst immer weniger. Auch der tägliche Spaziergang bereitet ihr Schmerzen, von denen sie nicht weiß, woher sie kommen und wie lange sie dauern werden.

In einem durchschnittlichen Jägerhaushalt wäre jetzt der Zeitpunkt für den letzten Gang gekommen. Wenn der Hund teilnahmslos wird, wenn er auf dem Stand nicht mehr dem Wild entgegenfiebert, wenn der Bauch so hart ist, dass der Jagdkumpan handscheu wird, dann ist die Stunde für Entscheidungen gekommen. Hans Liepmann hat darüber geschrieben: „eine Rottweil Nr. 5 ist der beste Abschluss für ein jägerfrohes Leben“. Wem das zu archaisch ist oder wer das waffenrechtliche Delikt fürchtet, der geht zum Tierarzt. Das Ergebnis ist im Grunde gleich. Ein leerer Hundeplatz, Stille im Haus, etwas fehlt. Doch in jedem Fall ist es ein Abschied vom Jagdgefährten ohne große Schmerzen. Doch Lotta lebt nicht auf dem Land, sondern in Hamburg-Wellingsbüttel. Nachdem sie sich drei Tage durchgehend erbrochen hat, schlägt der zuständige Kleintierarzt eine Magenoperation vor. Damit könne man durchaus noch ein paar Monate herausholen, so predigt er. Die Familie ist sofort bereit, alles Mögliche zu tun, um das kostbare Mitglied zu retten. Die Operation ist ein voller Erfolg und kostet lediglich 1.300,00 EUR zzgl. Umsatzsteuer. Lotta nimmt auch schon nach kurzer Zeit das eine oder andere Leckerli zu sich. Die Familie ist glücklich. Doch nach fünf Wochen sieht alles so aus wie vorher. Aus Göttingen meldet sich die Tochter mit der Adresse eines Hundeheilpraktikers, der schon wahre Wunder vollbracht haben soll. Lotta nässt derweil den Boden und kann sich kaum mehr aus dem Körbchen ziehen. Sie hechelt die ganze Zeit, erbricht allerdings ihr Wasser sofort wieder. Frauchen beruft eine Familientelefonkonferenz ein. „Sollen wir nicht doch einen Tierarzt holen?“ Die Tochter weint still vor sich hin, der Sohnemann bleibt gefasst. „Ich denke, wir sollten uns am Wochenende noch einmal gemeinsam treffen, um uns Lotta anzusehen. Dann können wir ja immer noch eine Entscheidung treffen.“ „Ja“, meint Ex-Herrchen. „Und wenn es dann noch immer schlimm ist, dann begleite ich Dich zum Tierarzt.“

Das Wochenende kommt und es ist noch immer so schlimm. Da der Tierarzt am Sonntag keinen Dienst macht, wird er am Montag von Frauchen angerufen. Die Kinder sind wieder an ihren Studienorten und Ex-Herrchen bei seiner neuen Freundin. „Haben Sie noch einen Termin frei, um Lotta… sie wissen schon…“ Doch als der Veterinär am Nachmittag vor der Haustür steht, da ist Lotta bereits unter ihren letzten Magenkrämpfen verschieden. „Sie ist ganz friedlich eingeschlafen“, lächelt Frauchen unter Tränen. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Hund, dessen einziges Kapital die Gesundheit ist, bereits vier Monate Dauerschmerz hinter sich. Die Probleme des Tierschutzes finden nicht auf der Jagd statt, sondern in unseren biederen deutschen Wohnungen. Es sind Probleme der Menschen, die mit dem Tod nicht mehr leben können.

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KRAUTJUNKER-Kommentar: Dieses Essay wurde auf dem Facebook-Profil von Dr. Florian Asche veröffentlicht.

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Florian Asche

Der Rechtsanwalt Dr. Florian Asche ist Vorstandsmitglied der Max Schmeling Stiftung und der Stiftung Wald und Wild in Mecklenburg-Vorpommern.Einem breiten Publikum wurde er bekannt durch seinen literarischen Überraschungserfolg über den göttlichen Triatlhon: Jagen, Sex und Tiere essen (siehe: https://krautjunker.com/2017/01/04/jagen-sex-und-tiere-essen/https://krautjunker.com/2017/09/19/sind-jagd-und-sex-das-gleiche/)

Website der Kanzlei: https://www.aschestein.de/de/anwaelte-berater/detail/person/dr-florian-asche/

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Mehr von Dr. Florian Asche: https://krautjunker.com/?s=florian+asche

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Anmerkungen

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