Buchvorstellung von Vincent Klink
»„Wenn ich Sie so anschaue, Herr Philosoph“, so hatte es Dr. Schulten-Langen, sein früherer Hausarzt ausgedrückt, „wenn ich Sie so anschaue, Sie hochrühmlicher Mensch, sehe ich Bedenkliches. Ihre Augen stehen hervor, sind gallertartig und trübe. Ihre Hände zittern, Ihr Atem geht unverhältnismäßig schwer. Sagen Sie nichts, es kann gegen Sie verwendet werden. All Ihre sogenannten Beschwerden, Magendruck, Völlegefühl, saures Aufstoßen, Herzrasen, flagrante Nervosität, bis hin zu Haar- und Zahnausfall, und Ihre verschiedenen, plötzlich auftretenden Absenzen haben nur eine Ursache, das Saufen.“
Ich saufe nicht“, hatte Hegel daraufhin kraftlos erklärt, dabei rumorte schon die Wut in ihm, „ich trinke ab und zu ein Glas Wein. Zu den Mahlzeiten beispielsweise.“
„Zu den Mahlzeiten?!“, höhnte der Arzt. „Dann darf Ihre Existenz wohl als eine einzige, lang anhaltende Mahlzeit bezeichnet werden. Sie sind, wenn ich das so sagen darf, ein Drei-Liter-Philosoph.“«

Ein Buch, in dem so etwas steht, mag ich und halte es beglückt in der Hand. Schon vom Einband, von der blauen Kapitalseide angenehm berührt, sage ich zu dem schön gebundenem Buch im Duodezformat: „Dich kann man in die Jacke stecken und jederzeit konsultieren, und ich bin deshalb besser dran als ohne.“
Denn selbst wenn das Hirn lahmt, kann jederzeit aus der Jackentasche nachgetankt werden. Im Buch eingelegt finde ich eine kleine Vita des Autors., mir lacht ein Foto entgegen, und darunter steht: Otto A. Böhmer. Dem Mann sehe ich an, dass er weiß, von was er schreibt. Der Autor ist gelernter Philosoph und sieht gottlob nicht so aus. Der Verdacht, der Mann könnte ein guter Esser und ein taktischer Trinker sein, ist nicht von der Hand zu weisen.
Ein guter Denker ist er sicher, ein Säufer ganz bestimmt nicht, und trotzdem: Denken und saufen könnte man als eine zwangsläufige Kausalverkettung ansehen, ohne die das Abendland schon längst untergegangen wäre. Schaut man auf die Verheerungen unseres momentanen genießerischen Alltags durch militante Abstinenzler, wird einem angst und bang. Als das Wirtschaftswunder nach dem Krieg in die Gänge kam, wurden Geschäftsverträge unter Wirtshaustischen unterschrieben; heute führt bereits ein kleiner Schwipps zum Karriereknick. Umkehrung der Werte nenne ich das.
Böhmer nahm sich den Stuttgarter Philosophen Georg Wilhelm Hegel zur Brust und hatte leichtes Spiel dabei, immer wieder mal eine Flasche Wein zu köpfen. Wie sollte er sonst als Aficionado und Spurengänger des Altvorderen dessen metaphysische Höhen erreichen können?
Mit Feingefühl für Sprache und Sinn weist das Buch Böhmers ins tiefe Innere des trinkfesten Hegel. Der Schreiber dieser Zeilen behauptet nicht, Hegel jemals einigermaßen verstanden zu haben, konnte sich aber mit Böhmers Buch Hegel & Hegel erfreulich weit an dessen Philosophie anpirschen, ohne Kopfweh zu bekommen. Kann man einem philosophischen Text ein schöneres Kompliment machen? Ich glaube nicht und proste beiden zu, dem Hegel und meinem Zeitgenossen Böhmer.
„Dummheit frisst, Intelligenz säuft.“ Echte Genies geben sich beidem hin. Hegel, zu Lebzeiten hoch geachtet, steht zweifelsfrei im Glanze grandioser Denkleistung. Momentane, freudlose Scholastiker, die sich das Mineralwasser moralinsauer durch ihre Öse reinziehen, reden nicht gerne über das, was Hegel so sympathisch abrundet. Es wurde Zeit, die Trinkkunst des Geistesriesen zu preisen und zu zeigen, dass sich Leute mit genügend Hirnzellen den täglichen Schwips schon deshalb antun müssen, damit der Kopf nicht platzt.
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Otto A. Böhmer

1949 in Rothenburg ob der Tauber geboren, lebt in Wöllstadt (Wetterau). Studium von Philosophie, Politologie, Soziologie und Literaturwissenschaft an den Universitäten Münster und Freiburg, Promotion mit einer Arbeit über J. G. Fichte. 1983 erschien sein erster Roman Der Wunsch zu bleiben, 1987 sein hoch gelobter Freiburg-Roman Das Jesuitenschlößchen: »Ein raffiniert-intellektuelles Vergnügen und berührend-emotionaler Herzenswärmer zugleich«, so die Badische Zeitung.
Film- und Funkarbeiten u. a. für den SWR, Essays und Literaturkritiken u. a. für die FAZ, NZZ, SZ, Die Zeit, die Frankfurter Rundschau. Mehrere renommierte Auszeichnungen, darunter der Erich-Fried-Preis 2001.
Zahlreiche Buchveröffentlichungen, etwa Sternstunden der Philosophie, Der junge Herr Goethe«. Zuletzt, 2010, erschien von ihm Schopenhauer oder Die Erfindung der Altersweisheit.
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Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER gibt es eine Facebook-Gruppe sowie Becher aus Porzellan und Emaille. Kontaktmail für Anfragen siehe Impressum.

Titel: Hegel & Hegel oder der Geist des Weines
Autor: Otto A. Böhmer
Verlag: Klöpfer + Meyer GmbH + Co. KG (22. August 2011)
Verlagslink: https://www.kloepfer-meyer.de/News/248/Wiglaf-Droste-geniesst-Hegel–Hegel.html
ISBN: 978-3863510176
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Vincent Klink

Vincent Klink, geboren 1949, betreibt in Stuttgart das Restaurant Wielandshöhe. In der verbleibenden Zeit musiziert er, widmet sich Holzschnitten, malt und pflegt seine Bienen. Er ist Autor zahlreicher Bestseller, darunter Sitting Küchenbull (2009) und Ein Bauch spaziert durch Paris (2015) und Ein Bauch lustwandelt durch Wien (2019) und Ein Bauch spaziert durch Venedig (2022). Bibliophile Schätzchen sind die Bücher aus der Dumont-Reihe, die er mit Nikolaus Heidenbach und Wiglaf Droste schuf. Nicht nur der Titel Wild ist großartig. Zu den Inspirationsquellen dieses Blogs gehört die leider eingestellte kulinarische Kampfschrift Häuptling Eigener Herd, welcher dieser Reisebericht entnommen wurde.

Titel: Häuptling Eigener Herd, Heft 48
Herausgeber: Wiglaf Droste und Vincent Klink
Verlag: © 2011 Edition Vincent Klink
Website: https://vincent-klink.de/
ISBN: 978-3927350465
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Die Veröffentlichung erfolgte mit freundlicher Genehmigung von Vincent Klink, Küchengott im Restaurant Wielandshöhe in Stuttgart. Ich empfehle den Besuch seines Gourmet-Tempels.

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