Ein Bauch spaziert durch Venedig

am

Buchvorstellung von Beate A. Fischer

Ein dicker alter weißer Mann bereist mit seiner Frau Norditalien, genauer gesagt Venetien und Venedig. Die ihn begleitende Frau, Eva, seine Tochter spielt in dem Buch eher eine untergeordnete Rolle. Vincent Klink, geboren 1949, Betreiber des Restaurants Wielandshöhe in Stuttgart. Koch und, wie man dem Internetauftritt entnehmen kann, ein sehr aktiver Schreiber. Kann man es Schriftsteller nennen? Kleine „Überlebens-“rezepte für jedermann und jedertag. Klink leistet sich neben dem Restaurant sogar einen kleinen Verlag. Der vorliegende Band ist jedoch bei Rowohlt erschienen, wie auch sein „Bruder“ über Paris. Ein ähnlich anmutendes Werk über Wien erschien im Ullstein–Verlag. Kochen, Schreiben, Malerei Holzschnitte und Drucke, Bienen und Musik zeichnen den vielfältigen Genussmenschen aus.

Das Buch ist eine Reisebeschreibung als solche herrlich altmodisch entschleunigt.  

»In jüngeren Jahren litt ich unter ungezügeltem Vorwärtsdrang und sammelte jede Menge Strafzettel, drückte das Gaspedal durch bis zum Anschlag, bekam aber von der Landschaft nichts mit.«

Klink nimmt uns mit in sein Italien und erinnert mich an die Figur des Flaneurs in der französischen Literatur.

Der Flaneur streift (flaniert) die durch Straßen und Passagen der  Großstädte mit ihrer anonymen Menschenmasse und hier bietet sich ihm Stoff zur Reflexion und Erzählung. Der Flaneur lässt sich durch die Menge treiben, schwimmt mit dem Strom, hält nicht inne, grüßt andere Flaneure obenhin. Er ist intellektuell und gewinnt seine Reflexionen aus kleinen Beobachtungen und er lässt sich sehen, aber sieht auch, wenngleich mit leichter Gleichgültigkeit. Der Flaneur in all seiner Dandyhaftigkeit stellt ein wichtiges Thema der – vor allem weltstädtischen – individualisierten Kunst dar, auch der Lebenskunst.
Quelle: wikipedia

Knappe 100 Seiten lang nimmt uns Klink mit durch das Vorland Venedigs – Venetien. Gemeinsam mit seiner Tochter fährt er mit dem Auto durch die Landschaft, um hier und dort aussteigen, innezuhalten und sich die Muße für einen näheren Blick zu Fuß oder mit dem Fahrrad zu erlauben. Wie gemächlich es dabei zugeht, mag sich der geneigte Leser vorstellen können. Über Bozen führt sie die Reise über Brixen und Asolo nach Treviso und Vicenza, weiter nach Padua.

Bildquelle: Beate A. Fischer

Der Erzählton ist heiter und anekdotisch.

»Deshalb bleibt nun Zeit sich den vielen Kathedralen in Padua zu widmen. …… Die Kirche ist nur kurz geöffnet und wir stellen die Fahrräder ab. Eva raunzt etwas von AFC-Tour (Always a fucking church), setzt sich auf einen schattigen Poller und bleibt druaßen. Ich selbst, zäh und unzerstörbar trotz der Hitze, wackele etwas hüftsteif auf das Portal zu und stehe unvermittelt im schrägen Abendlicht der Renaissance.   … irgendwann bekomme ich einen Stupser in den Rücken und Eva flüstert mir ins Ohr: Ich habe Hunger!«    

Im guten Gasthaus angekommen, schwelgen die beiden in sarde in saor – marnierte Sardinen, baccala mantecato, Mus vom Stockfisch, Pferdeschinken, Auberginen mit Asiago, Kaninchen süßsauer und mit Minisardinen gefüllten Kürbisblüten, Bigoli und Gnocchi mit Ragout vom Perlhuhn – alles ohne Parmesan.

Kirchen kommen in diesem Buch sehr viele drin vor, für meinen Geschmack hätten es ein paar weniger Kirchen und etwas mehr Rezepte sein können.

Während sich der erste Teil des Buches sich der Reise durch Venetien widmet, folgen dann zweihundert Seiten Venedig.

Kenntnisreich und geschichtlich fundiert, führt uns Klink in zwölf Kapiteln durch die sechs Stadtteile der Lagunenstadt  Venedig.

Wunderbar sind die Schilderungen seiner Herbergen des Hotels Gritti z.B., in dem Autor mehr als einmal in seinem Leben abgestiegen ist. Dies kleine Büchlein ist sowohl ein kulinarischer als auch historischer Reiseführer.

Abb.: Vorderseite des Palazzo Dario; Bildquelle: Venedig

»Schräg im Blick der Palazzo Dario mit seinen zwei Gesichtern, alles wunderbar im goldenen Schnitt. Links davon vier Rundbogenfenster, dann Rosetten übereinander abwärts einzelne Rundbogenfenster. Obenauf die klassischen venezianischen Kamine, die aussehen wie schlecht gedrehte Joints. Weiter rechts das eingeschossige Guggenheim Museum, von der faszinierenden Peggy Guggenheim bewohnt, über die man ein eigenes Buch schreiben könnte.«

Abb.: Rückseite des Palazzo Dario; Bildquelle: Wikipedia
Bildquelle: Beate A. Fischer

Klink genießt geröstete Tintenfische  (keine panierten Gummiringe), gegrillte Kraken, sepiaschwarze Ravioli mit Fischfüllung, Asagiokäse von der zimbrischen Hochebene mit viel Rotwein und lädt uns ein ihm in seine nächste Unterkunft, den Palazzo Stern zu folgen.

Eingeflossen sind in die anekdotische Reisebeschreibung die Geschichte Casanovas, eines bekannten Lebemanns, der nicht wegen seiner vielen Frauengeschichten sondern wegen blasphemischer Schriften viele Jahre in Venedigs Kerkern zubringen musste.   

Immer wieder bringen mich die kleinen Randbemerkungen des Autors zum Schmunzeln

»Mit Ernährungsstalinismus kann man sich das Leben absturzartig versauen.«

Dieser Humor und die feine kleine Selbstironie durchziehen beide Teile des Buches. Man muss schon ein alter, dicker weißer Mann geworden sein, um so selbst larmoyant und kenntnisreich ein Buch zu schreiben.      

Klink zieht weiter in das bereits 1877 von John Ruskin bewohnte Hotel La Calcina. Von Ruskin überliefert Klink:

»Es ist unklug, zu viel zu bezahlen, aber es ist noch schlechter zu wenig zu bezahlen. Wenn sie zu viel bezahlen, verlieren sie etwas Geld. Das ist alles. Wenn sie dagegen zu wenig bezahlen, verlieren sie manchmal alles, weil der gekaufte Gegenstand die ihm zugedachte Aufgabe nicht erfüllen kann. Das Gesetz der Wirtschaft verbietet es, für wenig Geld viel Wert zu erhalten.«  

Dagegen stelle ich den Satz von der Webseite Klinks Restaurant: „Die Preise mögen manchem hoch vorkommen. Zahlt man seine vielen Mitarbeiter gut, müssen diese Preise sein. Wir sind mittags und abends immer sehr gut ausgelastet. Vielen Dank an die Gäste, die dies einsehen.“

Zurück in Deutschland

»Meine Sehnsucht nach Gondeln, Vaporetti und sonstigem Wassergefährt wächst augenblicklich ins Ungeheuerliche. Venedig passt nicht in ein Buch, auch nicht in zwei oder drei. Beschriebe man einen Schriftrolle, und wände sie zweimal um die ganze Erde, ew wäre immer noch kein Ende in Sicht. Und so bleibt mir nur noch, einen Gruß der Wehmut zurückzusenden: Venezia, ich komme wieder!« 

Im ersten Anhangteil schreibt Klink ein paar lesenswerte Worte zur Küche Italiens, weniger über Pasta und Pizza, mehr über die Fischküche Venedigs, die Fleischküche des Umlands, die Unterschiede nord- und süditalienischer Küche, die Einflüsse Italiens auf die europäische Küche und warum man nicht alles unter Parmesan begraben muss.

Bildquelle: Beate A. Fischer

Im zweiten Anhangteil gibt es wieder viele Kirchen ….

Alles zusammen ein kleines amüsantes Büchlein in dem ein dicker, weißer, alter Mann durch Venetien und Venedig flaniert, viel gutes Essen isst und dabei interessante Geschichten erzählt. Das Buch ist herrlich altmodisch, sehr entschleunigt, kenntnisreich angenehm zu lesen, keine Weltliteratur, ein bisschen Nabelschau, angenehme Urlaubslektüre oder zum Träumen auf dem Sofa im regnerischen Norddeutschland, für den nächsten Venedigbesuch oder stattdessen.

*

PRESSESTIMMEN

Die Mischung aus Reportage, Reflektion und Rezepten ist wie immer bei Klink köstlich und gehaltvoll.
― Hannoversche Allgemeine Zeitung

Er versteht es, besondere Momente und den Zauber einer Reise zu teilen
― Der Feinschmecker

Genau diese Melange aus staunenswerten Kenntnissen, schwäbischer Nüchternheit, italienischer Lebenslust und einem gehörigen Schuss Selbstironie macht die Buchrezepturen Vincent Klinks so unwiderstehlich.
― Stuttgarter Nachrichten

Perfekte Sommerlektüre
― Nils Minkmar

*

Verlagsvorstellung des Autors

Bildquelle: © Gerald von Foris

Vincent Klink, geboren 1949, betreibt in Stuttgart das Restaurant Wielandshöhe. In der verbleibenden Zeit musiziert er, widmet sich Holzschnitten, malt und pflegt seine Bienen. Er ist Autor zahlreicher Bestseller, darunter «Sitting Küchenbull» (2009) und «Ein Bauch spaziert durch Paris» (2015) und «Ein Bauch lustwandelt durch Wien» (2019). Zuletzt erschien von ihm «In Bauch spaziert durch Venedig» (2022). 

*

Beate A. Fischer

Beate A. Fischer, geboren 1973, Jägerin seit 6 Jahren, Hundeführerin – verliebt in einem Vizsla sowie Co- und Stiefmutter eines Fox, schießt leidenschaftlich gern Jagdparcour und Flugwild, außerdem hat sich die afrikanische Sonne in ihr Herz gebrannt. Sie lebt im kühlen Nordfriesland auf einem Resthof, arbeitet als Rechtsanwältin und schreibt manchmal auch mal andere schöne Texte. 

*

KRAUTJUNKER-Kommentar

Vincent Klink ist für mich ein Küchengott. Seine leider eingestellte kulinarische Kampfschrift Häuptling eigener Herd sammele ich. Sie ist in vielerlei Hinsicht Inspiration für den KRAUTJUNKER. Ich bin Vincent Klink tief dankbar, dass ich viele Beiträge aus dem Häuptling hier präsentieren darf. Ebenso finden sich auf KRAUTJUNKER weitere Rezensionen von Vincent Klinks Büchern. Einfach den Namen in der Suchmaske eingeben. Seine Biographie Sitting Küchenbull ist vielleicht ein guter Start. Der Titel geht auf das gleichnamige wunderbare Gedicht seines verstorbenen Freundes Wiglaf Droste zurück, welches nicht nur im Häuptling, sondern auch in Vom Knödel wollen wir singen veröffentlicht wurde.

Das Buch Ein Bauch spaziert durch Venedig schenkte mir mein Freund Oliver Welschar, der Herr von Slot Halemesje, zu meinem zweiundfünfzigsten Geburtstag. Dafür und die schmeichelhafte Widmung auf Italienisch möchte ich mich auch an dieser Stelle noch einmal herzlich bedanken. Ich habe das Buch zweimal mit Genuss gelesen. Einmal schon im vorangegangenen Sommerurlaub in Kroatien, das zweite mal dann ab Ende Dezember 2022.

Im Gegensatz zu Beate haben mich auch die Schilderungen der Kirchen des Veneto nicht gelangweilt. Um eine Kultur zu verstehen und somit auch genießen zu können, sollte man viele ihrer künstlerischen Ausprägungen kennenlernen. Die Kulinarik ist ein Teil, die Baugeschichte ein weiterer. Und das Veneto ist eben auch für die extrem spannende Periode der Gotik sowie der darauf folgenden Renaissance berühmt. Hier schufen große Männer die Neuzeit! Die Geisteswelt dieser Epochen zeigt sich zum Niederknien schön in den Palästen und Kirchen. Ich möchte an dieser Stelle auf Egon Friedells Kulturgeschichte der Neuzeit, oder wer es kürzer und polemischer mag, auf New York liegt im Neandertal verweisen.

Kurzum, Ein Bauch spaziert durch Venedig bereitet große Freude und regt dazu an, auf den Spuren meines Küchengottes zu lustwandeln und schlemmen.

***

Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER gibt es eine Facebook-Gruppe sowie Becher aus Emaille und Porzellan. Kontaktmail für Anfragen siehe Impressum.

Titel: Ein Bauch spaziert durch Venedig

Autor: Vincent Klink

Verlag:

Verlagslink: https://www.rowohlt.de/buch/vincent-klink-ein-bauch-spaziert-durch-venedig-9783498002763

ISBN:

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s