Buchvorstellung von André Brüggemann
„Was machst Du da?“ – Ich antworte „Ich blättere in meinem neuen Kochbuch“. Für die Antwort ernte ich einen irritierten Blick meiner Frau gepaart mit einem Stirnrunzeln. Ich blicke sie an, dann zurück ins aufgeschlagene Buch und kann mir ein Schmunzeln nicht verkneifen.

Blättert man nämlich durch das (Koch-)Buch Wild aus dem DuMont Verlag, fallen einem nicht als Erstes die (vergleichsweise wenigen) Rezepte ins Auge sondern die zahlreichen Abbildungen Illustrators Nikolaus Heidelbach.
Nikolaus Heidelbach ist einer der drei Autoren und hat bereits zahlreiche Bücher illustriert. Wiglaf Droste, ein zwischenzeitlich verstorbener »Dichter, Gelegenheitssänger und Vorleser« hat einen Teil der Texte in dem Buch verfasst. Gemeinsam mit dem Koch Vincent Klink war er Herausgeber der kulinarischen Kampfschrift Häuptling eigener Herd. Vincent Klink ist schließlich der Dritte im Bunde, er steuert die Rezepte zu dem Werk bei. Jedoch beschränkt sich Klink nicht auf nur Rezepte sondern liefert auch einige Texte.

Das Trio hat bereits einige gemeinsame Werke bei DuMont heraus gebracht, z.B. Wurst oder Wein. Das Exemplar, welches ich in den Händen halte, nennt sich Wild und fügt sich damit in die Titel-Alliteration ein. Es ist ein Hardcover Buch mit Leineneinband, der Titel ist in Goldbuchstaben geprägt, das Ganze macht dadurch einen hochwertigen Eindruck. Auf rund 163 Seiten wechseln sich die schon erwähnten Abbildungen Heidelbachs mit Texten von Droste und Klink ab. Diese reichen von Gedichten und Geschichten bis zu Anekdoten und Witzen.
So berichtet Droste beispielsweise in dem Kapitel »Born to be wild oder born to be Wildbret?« über »den Jäger Karl May, mitsamt Westmännern, Bärentatzen und Edeltürken« und schlägt dabei einen Bogen von ihm selbst als Leser, dem »Knaben im Vor-Playstation-Alter«, über das Leben Karl Mays »Später ließ er sich einige Diebereien, Betrügereien und Hochstapeleien zuschulden kommen« bis hin zur Kulinarik (denn irgendwie ist es ja auch ein Kochbuch): »Die größte aller Delikatessen aber war laut May eine abgeschnittene Bärentatze. Diese für den Esser wie für das Gegessenwerdende gleichermaßen bedauernswerte, aus den ganz und gar ungenießbaren Zutaten Fell, Lederhaut, Sehnen und Fingerknochen bestehende Bärenhand wurde zur Zubereitung entweder vergraben und später, nachdem die Maden sie halb zerfressen hatten, karlmayhaft genüsslich verspeist.«
Oder statt Bärentatzen mit Maden doch lieber ein Gedicht?
»Rehe rücken
Liebste, lass uns Rehe rücken,
Eh´ die Rehe, voll Entzücken,
Still zu ihren Mäusen gehen
Und mit Ehe sie beglücken
In der Abendstunde.
Nein? Herr Wirt, noch eine Runde!
Gehen denn die Rehe gar nicht
Stille zu den Mäusen hin?
…«
Apropos Reh: Vincent Klink hält dafür das Rezept Pochierter Rehrücken mit Kürbispfannkuchen bereit, alternativ böte sich auch Rehrücken mit schwarzen Nüssen oder Gefüllte Rehschnitzel an. Einige andere Rezepte von Vincent Klink aus diesem Buch wurden auf Krautjunker bereits vorgestellt, siehe Verlinkung unten.
Doch Klink liefert nicht nur das Rezept für die Zubereitung des Rehs, er schreibt unter der Überschrift »Vorsicht Blondinen« auch (Fiktion oder selbst erlebt?) wie es den Weg in die Küche findet:
»Ich stehe also in der Küchentüre und staune eine Frau an. Eine richtige Frau, rund, elastisch und kraftvoll, keineswegs dick, sondern so wie mir vor dreißig Jahren die Sophia Loren verdeutlichte, wie Weiblichkeit sein kann. Blondes schulterlanges Haar streichelt ihre freien Schultern und verhakt sich etwas in den Spaghettiträgern, die eine dünne Bluse halten. Oberbekleidung ohne Unterbekleidung wirkt auf einen Koch mindestens so anregend wie das, was die groß gewachsene Frau mit sich führt: Es könnte ein Babykorb sein, den sie zwischen knallengen Jeans und dem Unterarm eingeklemmt hält. Zwei süße dunkle Knopfaugen schauen heraus, unter etwas Tannenreisig sehe ich weiß-braun gesprenkeltes Fell. In der Plastikwanne, die sie auf ihren Hüften abgestellt hat, liegt ein Rehkitz und es ist tot. „Können Sie das gebrauchen?“ , fragt die Frau, hoch aufgerichtet, wobei sie mir unbefangen ins Gesicht schaut. Sie redet wie jemand, der weiß was er tut. „Haben Sie das selbst geschossen?“ „Klar“, entgegnet sie“. und es klingt überhaupt nicht waidmannselig oder sonst irgendwie nach Jägerstammtisch, sondern so bescheiden-forsch, wie man sich vielleicht eine gute Wirtin vorzustellen hat, die von ihrem Koch sehr überzeugt ist. Ich trete von einem Bein aufs andere und hätte mir ein bisschen vom sicheren Auftreten der Frau gewünscht. „Wirklich selbst geschossen?“ Dann bin ich schlagartig still, weil sich nun bei der Dame von der Nasenwurzel steil nach oben eine Falte zieht. Solcherart Signatur ist mir von meiner Ehefrau bekannt und am liebsten möchte ich in Deckung gehen. Mit starken Frauen kenne ich mich nämlich aus und vor mir stand offensichtliche eine.«
Das nur als kurzer Auszug; Klink berichtet in amüsantem Stil noch von weiteren Zusammentreffen mit Jägerinnen, illustriert wird auch dieser Beitrag von Heidenreich.

Dabei ist Klink durchaus selbstironisch. So berichtet er über eine Motoradfahrt bei großer Hitze zwecks Einkauf von Fischen für das Restaurant:
»Überall sah ich die Schilder montiert ´Baden verboten!`. Nachdem ich mit den Jahren selbst die Silhouette eines alten Karpfens angenommen hatte, wähne ich mich im Recht, wenn ich den Dickschiffen in den Teichen einen Besuch abstatte. Okay, Kopfsprung in unbekanntes Gewässer machen nur ganz Doofe, also nehme ich Anlauf zu einer veritablen Arschbombe. Das Wasser stiebt auseinander wie einst in Pearl Habour. Das war´s dann. Brühwarme Brühe kühlt weder den Leib schon gar nicht den Kopf, sie schlägt nicht einmal über mir zusammen. `Der verdammte Teich ist nicht mal einen Meter tief!´ möchte ich schreien. Mir blieb ein Fluch im Halse stecken. Ich hocke in der Soße, als hätte man Buddha in einer Fangopackung mariniert.«

Mit solcherlei Geschichten geht es munter weiter, zwischendurch eingestreut Rezepte wie Wildentenbrust mit grünem Wacholder oder Westfälischer Potthast. Relativ einfache Wildrezepte, in der Regel ohne exotische Zutaten und ohne die Notwendigkeit von speziellem Zubehör, so dass sie ohne Probleme nachgekocht werden können.
Wer gerne Wild kocht aber auch gerne liest, mit derbem Humor und anzüglichen Zeichnungen klar kommt, sollte sich dieses kleine Kunstwerk mal näher anschauen.
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KRAUTJUNKER-Koch:
André Brüggemann ist passionierter Jäger, Hundeführer und Jagdhornbläser sowie begeisterter Hobbykoch und Genießer. Aufgrund seiner Tätigkeit als Steuerberater in eigener Kanzlei bleibt ihm dazu allerdings weniger Zeit, als ihm lieb wäre.

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KRAUTJUNKER-Kommentar:
Vincent Klink ist mein Küchengott. Alle von ihm veröffentlichten Bücher sind nicht nur große Lernhilfen in Sachen Küchenkultur, sondern gleichermaßen lebensklug und witzig. Auf KRAUTJUNKER ist schon einiges von und über ihn erschienen. Die von Vincent Klink und Wiglaf Droste geschriebenen und von Nikolaus Heidelbach illustrierten kulinarischen Bibeln aus dem DuMont-Verlag sind so etwas wie das Best-of der kulinarischen Kampfschrift Häuptling Eigener Herd, welche Vincent Klink und Wiglaf Droste von 1999 bis 2003 so vierteljährlich wie möglich verlegten. Wer gerne liest, kocht und isst, wird sie lieben.
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Titel: Wild
Autoren: Wiglaf Droste, Vincent Klink
Illustrator: Nikolaus Heidelbach
Verlag: DuMont
Verlagslink: http://www.dumont-buchverlag.de/buch/droste-wild-9783832196059/
ISBN: 978-3-8321-9605-9
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Veröffentlichungen aus dem Buch:
https://krautjunker.com/2019/08/16/frischlingsmedaillons-in-walnussen-a-la-vincent-klink/
https://krautjunker.com/2019/09/05/rote-bete-kraut-als-beilage-zu-wild-a-la-vincent-klink/