Mohammed

von Florian Asche

Jedes Jahr im November wird uns bewusst, dass die jagdliche Tradition innerhalb Europas eng mit dem Christentum verbunden ist. Auch diejenigen von uns, die es sonst mit dem Grundsatz halten „Berge von unten, Kirchen von außen, Kneipen von innen“, sitzen am 3. November gern einmal in einer Hubertusmesse. Lichterglanz und Hörnerklang, vielleicht auch ein Hirschhaupt, gebettet auf Herbstlaub, geben den Rahmen für einen Moment der Einkehr, der Hinterfragung unseres Tuns und unserer ethischen Maßstäbe. Neben allen selbstkritischen Gedanken steht dabei das unbedingte Bekenntnis zur Naturnutzung der Jagd als solcher. Der in der Bibel beschriebene Bund zwischen Gott und Noah (Gen 9,1) beinhaltet die Nutzung allen pflanzlichen und tierischen Lebens.

„Dann segnete Gott Noah und seine Söhne und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar, mehrt euch und füllt die Erde! Furcht und Schrecken vor euch soll sich auf alle Tiere der Erde legen, auf alle Vögel des Himmels, auf alles, was sich auf dem Erdboden regt, und auf alle Fische des Meeres; in eure Hand sind sie gegeben. Alles, was sich regt und lebt, soll euch zur Nahrung dienen. Das alles übergebe ich euch wie die grünen Pflanzen.“

Angesichts dieses Vertrags stellt sich für uns weniger die Frage, ob wir jagen, sondern wie wir es tunt. Hinter unserer uralten Einbindung in die christlich-jüdische Tradition verschwindet meist der Blick über den Berg, hinter dem bekanntlich auch noch Leute wohnen. Tatsächlich wird es ja auch den Jagdreisefreund vornehmlich in Länder mit christlicher Jagdtradition verschlagen, z. B. nach Polen, Ungarn oder Österreich. Nur selten findet einer von uns in islamische Jagdländer, obwohl deren Tradition mitunter besonders bedeutend ist. Persien, zum Beispiel, der heutige Iran, ist eines der aufregendsten und vielfältigsten Jagdländer, wenn wir der einschlägigen Literatur von Roderich Götzfried oder Wilhelm Krämer glauben dürfen. Die Keiler der Türkei sind berühmt wie die Steinböcke des Pamirgebirges oder die Felsentauben in Tunesien. Über eine Milliarde Moslems teilen sich diese Welt mit uns. Das ist Grund genug, die klassische Frage zu stellen: „Wie hältst Du es mit der Jagd?“.

Abul Kasim Muhammed Ibn Abd Allah, kurz Mohammed, wurde um das Jahr 570 in Mekka geboren und starb am 8. Juni 632 in Medina. Schon als Kind verlor er Vater und Großvater und wurde im Hause seines Onkels Abu Talib aufgezogen, der als Kaufmann seinen Lebensunterhalt verdiente. Auch Mohammed nahm an einigen Handelskarawanen teil, ohne jedoch den großen wirtschaftlichen Erfolg für sich zu verbuchen. Erst die Heirat mit der reichen Kaufmannswitwe Chadīdscha bint Chuwailid machte den Mitzwanziger wirtschaftlich unabhängig. Er lebte fortan geachtet, doch nicht sonderlich bekannt in seiner Heimatstadt. In die Religionsgeschichte tritt Mohammed ein, als er am Anfang seines letzten Lebensdrittels, mit Anfang 40 eine Vision vom Erzengel Gabriel hat. In einer Welt, die in der damaligen arabischen Kultur von einer Vielzahl polytheistischer Religionen geprägt ist, verkündet Mohammed rauf hin das Erlebte als die Erkenntnis: „Es gibt nur einen Gott und das ist Allah.“. Mit diesem Kernsatz, dessen Wesensgehalt schon am Anfang der 10 Gebote zu finden ist, setzt sich Mohammed automatisch in Widerspruch zu den vorherrschenden polytheistischen Gemeinschaften in Mekka und es kommt schnell zu erheblichen Auseinandersetzungen. Aus Furcht um sein Leben muss er seine Heimatsstadt verlassen und zieht mit seinen Anhängern nach Medina, ungefähr 400 km nördlich der Heimat. Dort entwickelt er sein Religions- und Staatswesen. Seine Anhängerschar nimmt rasch zu, so dass Mohammed schließlich auch die militärische Auseinandersetzung mit den Gegnern daheim suchen kann. Einige Zeit neigt sich die Waagschale des Schlachtenglücks mal zu dieser mal zu jener Seite. Doch 630 nach Christus nimmt der Prophet schließlich, fast ohne Blutvergießen, Mekka ein. Dort zerstört er sämtliche polytheistische Statuen und setzt damit den Startpunkt für den sich rasch ausbreitenden Islam.

Dessen Siegeszug hat der Religionsstifter nicht mehr erlebt. Während Mohammeds Reich noch die Größe Nordrhein-Westfalens hatte, standen die Araber schon 100 Jahre später weit im Okzident. Die gesamte iberische Halbinsel war von ihnen besetzt. Erst 732 beendete Karl Martell bei Poitiers diesen ersten islamischen Sturm auf das christliche Abendland. Und auch danach blieb der Islam für tausend Jahre die große militärische Herausforderung des christlichen Europas. Erst als der Polenkönig Jan Sobieski 1683 die Türken vor Wien schlug, war der Streit der Kulturen beendet.

Nun aber zur Jagd. Die gesetzlichen Grundlagen über Waidwerk und Tiernutzung im Koran sehr dünn gesät. In der Sure 5:1, 2 heißt es lediglich:

„O die ihr glaubt, haltet die Abmachungen! Erlaubt (zu essen) sind euch die Vierfüßler unter dem Vieh, außer dem, was euch verlesen wird, ohne dass ihr jedoch das Jagdwild als erlaubt betrachtet, während ihr im Zustand der Pilgerweihe seid. Allah ordnet an, was Er will.“

Der Hintergrund dieses Gebotes liegt auf der Hand. Die Jagd ist wie wir alle wissen eine große Leidenschaft. Wer dem Wildtier folgt, der konzentriert sich ganz und gar darauf, es aufzuspüren, zu fangen, zu erlegen und sich zu eignen zu machen. Gerade diese unbedingte Konzentration auf die Beute steht jedoch im Widerspruch zum Pilgern, zu einer Reise auf der man Allah näherkommen soll, um durch die eigene Entsagung Gott gefällig zu sein. Man kann also nicht zeitgleich Allah und der eigenen Passion dienen, wenn man auf Pilgerfahrt ist.

Außerhalb der Pilgerweihe ist der Jäger frei, dem Wild nachzustellen, sofern es sich nicht gerade um Sauen handelt. Hier gilt die Sure 6:145:

„Sprich: Ich finde in dem, was mir eingegeben worden ist, nichts, das jemandem zu essen verboten wäre, außer Verendetem und ausgegossenem Blut und Schweinefleisch – denn es ist unrein.“

Ähnlich wie im Judentum ist damit der Aasverzehr verboten, der Verzehr von Blutprodukten und von erstickten Tieren. Man musste also ohne köstliche Rotwurst auskommen und ohne die Canard rouennais, die bekanntlich nicht geschlachtet, sondern erstickt wird, um das Blut im Körper zu halten. Der Hintergrund diese Verbote liegt wahrscheinlich in ganz handfesten lebensmittehygienischen Vorstellungen. Schweinefleisch verdirbt in südlicher Hitze leicht und beinhaltet mitunter Trichinen, Aas enthält Bakterien und auch der Lebensmittelwert nicht entbluteter Tiere ist deutlich reduziert.

Sonstiges Wildbret von Vierfüßlern ist hingegen gestattet, doch soll der Jäger auch bei dieser Erlegung gottgefällig handeln:

„Und wenn ihr beutegreifende Tiere durch Abrichtung von dem gelehrt habt, was Allah euch gelehrt hat, dann esst von dem, was sie für euch fassen, und sprecht den Namen Allahs darüber aus.“ (Sure 5:4)

Außerhalb des Korans finden wir jagdethische Maßstäbe zumeist in den Hadithen, einer Sammlung von Aussprüchen des Propheten und anderer Religionsführer, die von Mohammed als maßgeblich bewertet wurden. Auf diesen Hadithen bauen auch die Leitlinien bedeutender Religionslehrer, die Fatwa, auf. Die Jagdausübung ist dabei weniger ethischen Maßstäben unterworfen, die speziell für die Jagd gelten, sondern vielmehr den allgemeinen Ernährungsriten. Ob ein Wildtier halal (also rein und zum Verzehr geeignet) oder haram (unrein) ist, dass entscheidet sich anhand von einigen wenigen Grundsätzen.

Zunächst muss es sich um ein Wildtier handeln, also nicht um ein halbzahmes Wesen, das von Hand gegriffen werden kann. In diesem Fall ist es nur halal, wenn es nach islamischen Riten geschächtet wird. Man darf an dieser Stelle fragen, ob das klassische Jagdgehege noch reines Wildbret erzeigt. Hier kann es sich um einen Grenzfall handeln.

Wild darf nur verzehrt werden, wenn es ein Jäger erlegt, der bei vollem Verstand ist. Insofern kommt der Zuverlässigkeit in § 6 WaffG i.V.m. § 17 Abs. BJagdG auch eine religiöser Aspekt zu, wenn es sich um psychische Defizite des Waidmanns handelt.

Nur Wildtiere sind halal, die von Jägern erlegt wurden, die den drei Schriftreligionen (Judentum, Christentum und Islam) angehören.

Abb.: Historisches Bild einer Jagd mit Gepard im Indien der Mogulreiche

Zum Beginn der Jagd oder vor dem Schuss muss der Jäger den Namen Allahs aussprechen und dabei folgende Formel gebrauchen: „Bismillah – Im Namen Allahs“ (Sahih al- Bukhari 5565).

Das entsprechende Jagdgerät (der Pfeil, der Speer, das Messer oder das Geschoss) muss scharf bzw. spitz sein (Sahih al-Bukhary Nr. 5476). Das liegt an dem uralten Verbot, das Blut der erlegten Tiere zu verzehren. Schon Noah erhielt von Gott die Regel: „Allein das Fleisch mit seinem Leben, seinem Blut, esst nicht.“ Dieses Grundgebot ist vom Judentum in die christliche Lehre (Apostelgeschichte 15, 20) und den Islam übergegangen. Wird ein Wildtier deshalb nur angeschweißt, so muss es gefangen und geschächtet werden, um halal zu sein. In der berühmten Geschichtensammlung von Robert Ruark „Safari“ spielt das eine besondere Rolle, denn die Jagdhelfer stürzen beim Schuss sofort los, um möglichst noch beim schlegelnden Tier anzukommen. Ist es „kufa“ also bereits verendet, so machen sie traurige Gesichter.

Als Jagdgehilfen darf der Jäger nur einen Greifvogel oder einen Hund benutzen, den er unter Anrufung des Propheten zur Jagd ausschickt. Ohne diese Bestimmung ist beispielsweise der Hund unrein und kommt auch nicht als Haustier in Betracht. Überhaupt hat der Islam es gar nicht mit dem „besten Freund des Menschen“. Wo ein Hund lebt, da kehren keine Engel ein, so heißt es sinngemäß (Bukhari 3225). Ratlos denke ich an mein eigenes Krummbein und frage mich, wo es noch einen Engel braucht, wenn schon ein Dackel im Haus wohnt. Immerhin scheint die Jagd auch den unreinen Hund zu adeln, wenn er diesem gottgefälligen Tun dient.

Zuletzt weisen die Hadithen regelmäßig darauf hin, dass die Jagd der Ernährung des Menschen zu dienen hat. Der gläubige Moslem darf also kein Tier töten, ohne es einer konsumtiven Nutzung zuzuführen (Bukhari 5490). Das zeigt uns wie Diskussionen über die ethische Begründung der Jagd durchaus auch religionsübergreifend stattfinden. Schließlich ist bei uns das Töten von Tieren ohne „vernünftigen Grund“ ein Vergehen gegen das Tierschutzgesetz. Christliche und Islamische Ethik haben also vielfältige Deckungsbereiche.

Abb.: La chasse au faucon – Nicolas Sicard; Bildquelle: Wikipedia

Warum ist dann die Jagd im Islam niemals zu einem Teil unserer landeseigenen Diskussion zwischen den Kulturen geworden? Oder haben Sie viele muslimische Jagdfreunde? Rein statistisch gesehen müsste das so sein. Schließlich hat sich die Anzahl der Muslime in den Jahren von 1945 bis heute auf ca. 5,5 Millionen fast vertausendfacht. Auf dieser Grundlage errechnen sich gut 26.000 Jäger mit Koran im Rucksack. Doch die gibt es nicht. Und bei näherem Hinsehen kann uns das auch nicht überraschen. Schließlich hat der Zuzug des Islam in erster Linie in die großen urbanen Räume hinein stattgefunden. Das gilt für die türkischen Gastarbeiter der siebziger Jahre ebenso wie für die Menschen, die seit dem Jahr 2015 zu uns gekommen sind. Mittlerweile hat in Hamburg mehr als die Hälfte der Schulkinder einen Migrationshintergrund. Jedes fünfte Kind spricht im heimischen Haushalt kein Deutsch. Wer unter diesen Gegebenheiten in Hamburg, Köln oder Berlin wohnt, dem fehlt oft der Zugang zu den Traditionen dieses Landes. Kann uns das gleichgültig sein?

In der Flüchtlingskrise 2015 wurde der bekannte Politikwissenschaftler Herfried Münkler während einer Talkshow gefragt, wie man mit dem millionenfachen Zuzug umgehen sollte. Damals dachten noch einige Naivlinge an einen Rückzug der Migranten nach dem Ende des Bürgerkriegs. Doch Münkler schaute den Tatsachen ins Auge. „Wir müssen Deutsche aus ihnen machen“, so forderte der Politologe zu Recht. Nur durch einen gewissen Grad der Assimilation lässt sich eine Gesellschaft als Ganzes, als Nation erhalten. Das bedeutet nicht die Aufgabe eigener Kultur. Eine gelungene Assimilation bedarf jedoch zwingend der Neugierde der Migranten, diese Welt für sich zu entdecken, in der sie schließlich leben wollen. Zu dieser Welt gehört in Deutschland der ländliche Raum, vor allem der Wald. In einer Vielzahl von Märchen und Sagen spielt der Wald eine wesentliche Rolle. Hänsel und Gretel werden dort ausgesetzt. Siegfried wird an einem Waldbach von Hagen getötet und Max gießt seine Freikugeln in der Wolfsschlucht. Wald und Land sind durch die begleitenden Lebensformen und Traditionen Kulturbestandteile unseres Landes geworden, die man kennen sollte. Denn nur was man kennt und liebt, das wird man auch schützen und erhalten. Wir brauchen also Naturpatrioten für einen gelungenen Naturschutz. Deshalb kann es uns auch nicht gleichgültig sein, dass in unseren Städten Parallelgesellschaften entstehen, die den Graben zum Land weiter vertiefen. Wenn wir nicht mehr auf die Naturbildung als Teil der Integration achten, dann wird es für Land und Jagd in der Zukunft noch schwerer, sich verständlich zu machen.

Wir sind also gefordert.

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Florian Asche

Der Rechtsanwalt Dr. Florian Asche ist Vorstandsmitglied der Max Schmeling Stiftung und der Stiftung Wald und Wild in Mecklenburg-Vorpommern.
Einem breiten Publikum wurde er bekannt durch seinen literarischen Überraschungserfolg über den göttlichen Triatlhon: Jagen, Sex und Tiere essen (siehe: https://krautjunker.com/2017/01/04/jagen-sex-und-tiere-essen/https://krautjunker.com/2017/09/19/sind-jagd-und-sex-das-gleiche/)

Website der Kanzlei: https://www.aschestein.de/de/anwaelte-berater/detail/person/dr-florian-asche/

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Mehr von Dr. Florian Asche: https://krautjunker.com/?s=florian+asche

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3 Kommentare Gib deinen ab

  1. Avatar von haraldschweim haraldschweim sagt:

    Glaube und Jagd


    Harald Schweim

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  2. Das ist eine gute Ansage.

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  3. Avatar von Dr. Herbert Wessel Dr. Herbert Wessel sagt:

    Oft schaffen wir es schon nicht, die revierlosen Jungjäger mit auf die Jagd zu nehmen. Wird es bei den jagenden Muslimen oder orthodoxen Christen in Deutschland anders sein? In beiden Fällen sind wir gefragt, will ich meinen. Deutschland wird sich mit der millionenfachen Migration verändern und auch wir müssen uns bewegen, wollen wir eine weitere Spaltung verhindern. Wenn die Migration tatsächlich in diesem Tempo weitergeht, sehe ich allerdings auf Dauer schwarz für ein friedliches Zusammenleben.

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