Buchvorstellung von Christian Carl Willinger
Mit Bill Harveys Porini – In the Wilderness bringt der bekannte Selous-Fachmann Dr. Rolf D. Baldus ein Werk heraus, das ein wichtiges Zeitdokument zur Geschichte des Selous-Reservats bzw. der südlichen Landeshälfte Tansanias während der Dreißigerjahre aus dem Blickwinkel des seinerzeitigen Naturschutzes darstellt. Bill Harvey war von 1928 bis 1938 der verantwortliche Game-Ranger der Region und hat später während seiner Kriegsgefangenschaft die Erinnerungen an jene Zeit niedergeschrieben. Sie wurden jedoch nie veröffentlicht.

Die damalige Arbeit als Game-Ranger umfasste neben Wildereikontrolle und Wildzählungen auch den Schutz der Pflanzungen, des Viehs und der Dörfer der Einheimischen vor Schadwild, das scharf bejagt wurde. Da es sich bei diesem Schadwild in der Regel um Elefanten, Büffel, Flusspferde, Löwen etc. handelte, gab es keinen Mangel an abenteuerlichen Situationen. Der Autor berichtet am Rande jedoch auch vom umfangreichen Papierkram, der selbst damals schon zu erledigen war.
Der Erzählstil ist geradlinig und schnörkellos und dürfte deshalb auch für Leser, die im Englischen etwas weniger sattelfest sind, gut zu verstehen sein. Bisweilen schwingt sich der Autor zu poetischen Passagen auf, wenn er das Verhalten des Wildes und der Vögel oder besondere Stimmungen in der afrikanischen Natur beschreibt. Die zahlreichen dramatischen Jagderzählungen sind höchst spannend komponiert, und manche Geschichten erscheinen uns Heutigen, die wir Ursprünglichkeit, Freiheit und Abenteuer kaum mehr kennen, wie aus einem anderen Kosmos.

Besonders interessant und lehrreich erweisen sich Harveys Schilderungen des Verhaltens diverser Wildarten, wobei nicht nur die Krokodilgeschichten schauerlich und atemberaubend sind. Er versteht es auch meisterhaft, naturkundliche Informationen, die an sich eher trocken sind, in kurzweilige und lebendige Stories eigenen Erlebens zu verpacken. Etliche Episoden entbehren auch nicht einer gewissen Komik oder auch Tragikomik, so etwa die Geschichte von der Ziege, die sich selbst erschoß.

Manche Beobachtungen und Einschätzungen Harveys widersprechen denen anderer Autoren. So glaubt man heute eher nicht, dass der Honigdachs in einem symbiotischen Verhältnis mit dem Honiganzeiger steht. Und Kai-Uwe Denker widerspricht vehement der weitverbreiteten Ansicht, je glatter die Sohlen, desto älter wäre ein Elefant.
In der Zwischenkriegszeit fand der überwiegende Teil der Safaris eines Game Rangers noch zu Fuß mit kleinen Trägerkarawanen von etwa 20 Leuten statt, das Automobil diente nur dem großräumigen Ortswechsel – es gab ja großteils auch noch gar kein befahrbares Wegenetz; den jagenden Connaisseur afrikanischer Wildnis beschleicht bei diesen Erzählungen wohl unweigerlich ein Gefühl der Wehmut. Anschaulich beschreibt Harvey auch die unvorstellbaren Strapazen einer Regenzeit-Patrouille, wo man stundenlang durch das knie- bis brusthohe Wasser der bis zu 30 km breiten Schwemmebene des Kilombero und Ugala marschieren musste, mit Myriaden von Moskitos als Draufgabe. Während der Trockenzeit machten einem oft die berüchtigten Büffelbohnen das Leben zur Hölle.

Zwischendurch berichtet Harvey immer wieder über Sitten, Bräuche, Vorstellungen und Jagden der Stämme des südlichen Tansania, welche in der Zwischenkriegszeit noch sehr ursprünglich lebten. An der Zerstörung historisch gewachsener soziokultureller Strukturen in Afrika hatte übrigens, das sei hier nebenbei bemerkt, die koloniale Epoche weit weniger Anteil als die postkolonialen Experimente mit dem Afrikanischen Weg zum Sozialismus und später, nach dem Fall des Ostblocks, die Globalisierung. Man findet aber auch heute noch in entlegenen Ecken ursprüngliche Lebensformen, so etwa bei den Hadza, der tansanischen Variante der San, die mit Hingabe ein traditionelles Jäger- und Sammlerleben führen.
Bei der Lektüre des Buches spürt der Leser immer, dass hier ein passionierter und ethisch gefestigter Weidmann und Wildhüter sowie treffsicherer Schütze am Werk ist, der eine tiefe Liebe zur Wildnis empfindet und zugleich die Sorgen der Menschen, die mit Großwild zusammenleben müssen, versteht. Es tut in diesen verquerten Zeiten wohl zu lesen, wie pragmatisch man damals Naturschutz betrieb. Dabei fragt sich Harvey durchaus selbstkritisch, ob die doch recht beträchtlichen Entnahmen von Elefanten im Rahmen der Kontrollprogramme wirklich unumgänglich gewesen sind, kommt jedoch zur Erkenntnis, dass es anders nicht möglich gewesen wäre, die Lebensgrundlage der Landbevölkerung zu sichern. Dem ideologisierten Unsinn, der heute oftmals über die damaligen Verhältnisse verbreitet wird, ist am besten durch die Lektüre von Zeitzeugen wie Harvey zu begegnen.
Das Buch wird durch die ansprechenden Skizzen von Bodo Meier ästhetisch aufgewertet und wartet auch mit repräsentativen und eindrucksvollen Photographien von Landschaft und Tierwelt des Selous auf. Eingeflochten sind weiters ein paar zeitgenössische Aufnahmen von Harvey. Sehr interessantes und informatives Kartenmaterial des Selous aus unterschiedlichen historischen Epochen sowie eine Chronologie zur Geschichte des Reservats runden das Werk ab.

Eine kleine Kritik am Rande: Vermutlich wurde das Originalmanuskript per OCR eingelesen und nicht oder nur oberflächlich korrigiert. Jedenfalls fällt auf, dass sich Druckfehler häufiger finden, als man dies erwarten würde. Auch die Beistrichsetzung ist stellenweise – nun, sagen wir – gewöhnungsbedürftig. Beides beeinträchtigt bisweilen den Lesefluss. Aus eigener Erfahrung weiß der Rezensent, dass man sich als Kleinstverleger keinen Lektor leisten kann. Aber vielleicht hätte man einen Anglisten (oder zumindest einen im Schreiben versierten Briten) bitten sollen, vor Drucklegung schnell mal über den fertigen Text zu lesen.

Insgesamt also ein spannendes, unterhaltsames, abwechslungsreiches und zugleich lehrreiches Werk, nicht nur auf jagdlichem und naturkundlichem Gebiet, sondern auch aus historischer Sicht. Bill Harveys Porini sollte in keiner einschlägigen Bibliothek fehlen. Dem Herausgeber jedoch gebührt großer Dank, diese Erinnerungen der Allgemeinheit zugänglich gemacht zu haben.
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Christian Carl Willinger

Dr. Christian Carl Willinger, Jahrgang 1962, studierte an der Universität Innsbruck Humanmedizin und bereiste von Jugend an zahlreiche Länder Europas, Afrikas und Asiens, seit 1990 vor allem mit der Büchse oder im Sattel.
Schon früh begann er seine Eindrücke aufzuzeichnen und durch vielfältige Lektüre zu vertiefen. Seine Interessen sind geprägt von Dualismen: Natur und Kultur, Askese und Genuß, Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften.
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Anmerkungen

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Titel: Porini – In the Wilderness“ (2022), 270 Seiten
Autor: Bill Harvey
Das englischsprachige Buch kostet 35 Euro plus Versand (in Deutschland 3 €).
Im Buchhandel nicht erhältlich – Bestellungen: rolfbaldus@t-online.de