Ein wollüstiger Bissen Nahrung: Oysters Rockefeller

Koch, Weißer, muß was von Austern verstehen.
Bewerbungen nach 13.00,
Illiffe, 847 E. Allegenny
Anzeige im „Philadelphia Inquirer“
März 1941

von MFK Fisher

»Der Geschmack von Austern hängt von vielerlei ab. Wenn sie frisch, süß und gesund sind, schmecken sie gut, ganz einfach… vorausgesetzt, der Esser mag Austern.
Natürlich gibt es Unterschiede. Eine Auster kann wie eine Chincoteague, eine Blue Point oder wie eine milde Auster aus den Louisiana Bayous schmecken oder vielleicht wie die metallischen winzigen Oympias von der Westküste. Oder sie könnte den klaren, strengen Geschmack einer winterlichen Stadt in Frankreich haben, wo die Portugiesen und die Garennes in Verkaufsständen aufgeschichtet werden und grün wie der Tod den Uneingeweihten erschrecken, aber doppelt so schmackhaft sind, wie sie aussehen. Sie könnten aber auch fest und fett wie die englischen Austern schmecken, die es um Plymouth herum gibt.

Bildquelle: Foto von Studio Crevettes auf Unsplash

Eine Auster wird so schmecken, wie es derjenige erwartet, der sie verzehrt, und das hängt völlig von dem Koster ab. ich zum Beispiel habe seit meinem siebzehnten Lebensjahr von jeder Auster erwartet, daß sie köstlich ist, und das waren sie dann auch mit wenigen Ausnahmen. Im Gegensatz dazu gibt es Leute, die erwarten, daß es sie würgt, wenn sie versuchen sollten, diese Molluske zu verschlingen, und es wird sie würgen.

Man kann Austern ausschließlich ihres Eigengeschmacks wegen essen. Das tut man, wenn man sie aus der Schale schlürft, auch bei manchen gekochten Gerichten; man kann sie aber auch hauptsächlich der Sauce wegen essen, wie es bei Oysters Rockefeller oder deren Nachfolger der Fall ist; Man kann sie aber auch als Geschmacksverstärker essen … in Füllungen zum Beispiel.

Austernfüllungen, natürlich für Truthähne, sind so amerikanisch wie Maiskolben mit heißer Butter oder gedämpftes Bleßhuhn, wenn Amerikaner sich überhaupt die Mühe machen, ihre eigene Kultur zu kennen. Für viele Familien ist die Austernfüllung ein notwendiger Bestandteil des Weihnachtsmahls, und wenn sie nicht serviert würde, läse man das als sicheres Zeichen des Verfalls der Familie, so als käme Mama im Unterrock zur Kirche oder Onkel Jim brächte sein Verhältnis mit zum Kinderpicknick.
[…Textkürzung…]
Die exotische Mischung dieses Ho Tsee Seeng ist gar nicht so weit entfernt von der Schärfe der Oysters à la Rockefeller. Beide Gerichte hängen weit mehr von den Kräutern ab, die sie körperreich machen, als von den Austern. Ob die nun „trocken und faulig“ sind wie in einer dunklen Küche in Chungking oder San Francisco oder frisch wie in New Orleans, die Kräuter müssen mit pedantischer Aufmerksamkeit vorbereitet werden.

Es gibt viel zu viele Legenden über Oysters Rockefeller, um sie für eine als die richtige entscheiden zu können. Genauso dumm ist es zu behaupten, man habe das wahre Rezept, denn schließlich wird jeder Gourmet, der einmal bei Antoine in der St. Louis Street in diesem netten nostalgischen Saal diniert hat, vermuten, er habe nach der dritten oder vierten Portion – nicht nach der ersten natürlich – das Geheimnis ganz persönlich gelüftet.

Abb.: Antoine’s Restaurant in New Orleans; Bildquelle: https://antoines.com/

Es ist wahr, daß es Mr. Alciatore gelungen ist, wie vor ihm seinem Vater und davor seinem Großvater, die Rockefellers dauerhaft köstlich zu erhalten. Das ist wahrscheinlich auch das Geheimnis ihrer völlig gerechtfertigten Berühmtheit, viel eher als ihre geheime Formel. Auch andere Restaurant servieren Oysters Rockefeller, manche billiger, manche etwas teurer, und sie ähneln denen von Antoine. Aber sie sind nicht so gleichbleibend gut. Manchmal ist das Steinsalzbett einen Zentimeter dick, manchmal drei, manchmal ist das weiche grüne Deckblatt über der Auster dunkel, manchmal ist es leicht gesprenkelt, was logischerweise Konsequenzen für den Geschmack des Gerichtes hat.

Dieses zwar einfache, aber dennoch schwierig umzusetzende Erfolgsrezept wurde vom Barkeeper des Roosevelt Hotels, New Orleans, nachgekocht und hat ebenfalls dauerhaft exzellente Ergebnisse. Ihre Werbung behauptet, sie seien die einzigen, die einen Original Ramos Gin Fizz mixen können, jenen samtenen und subtilen Drink, der schon unzähligen Reportern, Politikern und anderen menschlichen Wesen über lange, nahrungsarme Sommer an den vor Hitze brodelnden Bayous serviert wurde.

Abb.: Bayou Corne in Louisiana; Bildquelle: Wikipedia

Einmal trank ich, aus Forschungsgründen, weit weg vom geheiligten Roosevelt, zwei Ramos Gin Fizz. Sie waren absolut schlecht. Ich ging zum Hotel zurück und sah dem alten Barkeeper aufmerksam dabei zu, wie er kleine Spritzer von diesem und jenem zusammenschüttete und die Mixtur dann einem starken, jungen Herkules von Chef-Shaker überreichte. Ich kam zu dem Schluß, daß unendliche Sorgfalt, unwandelbare Geduld und eine sich nie verändernde Formel größere Wirkung haben als irgendein magisches Element wie getrocknete Nektarflocken oder ein Tropfen des Ramos-Zaubertrankes.

Abb.: Verlängert man einen Sour auf Gin-Basis mit etwas Sodawasser, entsteht ein Gin Fizz, mit zusätzlich Eiweiß wird ein Silver Fizz daraus. Der abgebildete Ramos (Gin) Fizz enthält darüber hinaus Sahne und einige Tropfen Orangenblütenwasser; Text- und Bildquelle: Wikipedia

Ich habe mir diese Theorie zu meinem eigenen Vergnügen sogar selbst bewiesen, indem ich mir selbst mit unendlicher Sorgfalt und engelhafter Geduld einen Ramos gemixt habe, nach einem Rezept, das zur Jahrhundertwende für Solaris-Lebensmittel gedruckt wurde. Die Zutaten waren leicht zu bekommen, jedenfalls nachdem ich Orangenblütenwasser aufgetrieben hatte… und der Drink war, der Himmel vergebe mir diese Blasphemie!, ebenso gut wie irgendeiner, der je im Roosevelt gemixt worden ist.

Bildquelle: Foto von Edoardo Cuoghi auf Unsplash

Es ist keineswegs unmöglich, Oysters Rockefeller zu kopieren, trotz aller Legenden und der Aura, die um sie herum entfaltet worden sind. Das Hauptgeheimnis besteht darin, daß sie chez Antoine bestellt hat, bekommen Sie eine durchnummerierte Postkarte überreicht, genau wie in alten Tagen bei Ihrer Ente im Tour d’Argent in Paris (wo sonst?), so daß Sie wissen, der wievielte Gourmet seit Anbeginn Sie sind, der diesen berühmten Leckerbissen verspeist hat. Dieses hübsche Detail wird auch dadurch kaum beeinträchtigt, daß unter dem Bild in Kursiv steht: „Das Rezept ist ein geheiligtes Familienrezept.“

So chichi die ganze Angelegenheit auch sein mag, ihr würdevoller Ernst ist jedenfalls entwaffnend. Man kann es eine kleine Übertreibung der Wahrheit nennen, denn obwohl die Alciatores möglicherweise eine Teeelöffelspitze von diesem mehr und eine Prise von jenem weniger nehmen, gibt es viele Hobbyküche, die ein gleich gutes Rezept haben wie Antoine, sagen Louisanas Gourmet.s. Unseres ist aus A Book of Famous Old New Orleans Recipes Used in the South for More Than Two Hundred Years und geht so:«

Oysters Rockefeller

[KRAUTJUNKER-Kommentar: Das aus dem Buch stammende Rezept wurde von Reiner Grundmann etwas überarbeitet, da es teils nicht so präzise war]

Bildquelle: Reiner Grundmann

Oysters Rockefeller bestehen aus Austern mit halber Schale, die mit einer reichhaltigen Sauce aus Butter, Spinat, Sellerie und anderen grünen Kräutern sowie Semmelbröseln garniert und anschließend gebacken oder gegrillt werden. Zitronenspalten sind die typische Beilage.

Die Originalsauce kann Spinat enthalten oder auch nicht, eine beliebte Abkürzung, um die charakteristische hellgrüne Farbe des Gerichts zu erzielen. Viele zeitgenössische Adaptionen verwenden gewürfelte Austern anstelle von ganzen. Außerdem wird gewürfelter Speck oft als nicht traditioneller Belag zusätzlich zur Soße oder anstelle dieser verwendet.

Das Gericht gilt in den gesamten Vereinigten Staaten als beliebte Vorspeise in Restaurants und wird im Süden als Brunchgericht serviert.

Zutaten
12 Austern
1 Tasse Austernflüssigkeit
1 Tasse Wasser
1 Bund Frühlingszwiebeln
1 kleiner Thymianzweig oder gerebelt
1 Tasse Semmelbrösel
1 Schnapsglas ‚Pastis (im Originalrezept (Herbsaint), Reiner verwendete „nur“ Pernod.
1 Tasse Butter
1 Bund Spinat
1 EL Worcestershire Sauce
1 kleine Stange vom Staudensellerie
Parmesan, meine Zutat
1 – 2 große Knoblauchzehen

Bildquelle: Reiner Grundmann

Zubereitung
Austern von der Schale lösen, abspülen und abtropfen lassen. Jede Auster wieder auf eine Schalenhälfte setzen.  Das Austernwasser sammeln und im Anschluss zu der Spinatmasse geben.

Bildquelle: Reiner Grundmann


Die Masse auf die Austern geben, beherzt mit Semmelbröseln bestreuen und im Ofen bei 200 Grad 3 – 4 Minuten gratinieren.

Bildquelle: Reiner Grundmann

Olivenöl in einer Pfanne erhitzen und fein gehackte Frühlingszwiebeln mit dem gehackten Knoblauch glasig dünsten. Austern-Wasser und Spinat zugeben und den Spinat zusammenfallen lassen. Pernod, Worcestershiresauce, klein gehackten Staudensellerie, gerebelten Thymian und etwas Parmesan zugeben ebenso den Rest Butter, etwa 1 bis 2 EL. Alles z.B. mit dem Stabmixer in einer Schüssel pürieren. Mit Meersalz und Pfeffer abschmecken. Bei Bedarf je nach Konsistenz Wasser zu geben, dosiert.

Reiner Grundmann: „Entgegen aller Ansichten, dass nur die lebende und mit Salz und Meersalz verspeiste Auster eine Daseinsberechtigung hätte, gibt es eine Vielzahl raffinierter Rezepte zum Überbacken und Gratinieren der Auster – wie auch das Rezept Rockefeller, das man aber auch in diversen Varianten findet.
Mein Urteil für dieses Rezept. Äußerst delikat, mit dem Anisschnaps muss man etwas vorsichtig sein, er wird schnell dominant, wichtig ist die Austernflüssigkeit für den Geschmack nach Pazifik, nach Meer, Algen und Salinen in der Normandie. Auch die in Nordischen Gewässern wachsende Auster ist eine Wiederansiedlung der pazifischen Auster.“

Bildquelle: Reiner Grundmann

»Herbsaint ist ein Stärkungsmittel, das im tiefen Süden aus verschiedenen Kräutern, vor allem Anis gebraut wird. Es gleicht sehr dem Anis Mono, der früher in spanischen Kneipen serviert wurde, oder dem französischen Pernod. Manche Leute sagen, aß man bei Antoine in den Rockefeller-Austern den Pastis verschmäht. Ich selbst glaube das nicht.

Es ist mehr als wahrscheinlich, daß Mr. Alciatore, nicht zu reden von seinem Küchenchef, Camille Averna, sähe er dieses Rezept, sachte den Kopf wiegen oder sogar vielleicht die Mundwinkel verziehen würde. Heiliges Familienrezept hin oder her, ich glaube fest daran, daß jeder gute Koch mit Talent und unerschütterlicher Geduld Oysters Rockefeller zubereiten kann, die genau wie die von Antoine schmecken, so wie ein Engel dem anderen gleicht.«

*

MFK Fisher

Mary Frances Kennedy Fisher (* 3. Juli 1908 in Albion, Michigan; † 22. Juni 1991 in Glen Ellen, Kalifornien) war eine amerikanische Essayistin, die sich vor allem mit Themen rund um die Koch- und Tafelkunst auseinandersetzte. Fisher stand in der Tradition von Brillat-Savarin. Ihre 1949 erschienene Übersetzung seines Hauptwerks, Die Physiologie des Geschmacks, machte seine Arbeit in den USA und Kanada bekannt.
Anfang der-1930er Jahre lebte Fisher für drei Jahre in Frankreich, von dessen Lebens- und Esskultur sie entscheidend geprägt wurde. Nach ihrer Rückkehr in die USA begann sie Essays über die Kochkunst zu veröffentlichen. Ihr erstes Buch, Serve it Forth, unterschied sich so grundlegend von denen anderer weiblicher Autoren vor ihr, dass viele Kritiker annahmen, es sei von einem Mann geschrieben.
In den 1970er Jahren lebte Fisher in St. Helena (Kalifornien), einer Stadt im Napa Valley, inmitten von Weinbergen.
Ihr zu Ehren wird alle zwei Jahre von Les Dames d’Escoffier International der M.F.K. Fisher Prize verliehen, mit denen Frauen ausgezeichnet werden, die maßgeblichen Einfluss auf die Weiterentwicklung der Kochkunst und Tafelkultur haben.
In ihrem Todesjahr 1991 wurde sie in American Academy of Arts and Letters aufgenommen.

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Rezeptbearbeitung: Reiner Grundmann. Besucht Reiners Blog! https://theflyingfish.blog/

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Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER gibt es eine Facebook-Gruppe sowie Porzellantassen. Weitere Informationen hier.

Titel: Austern zum Beispiel: Anleitungen zum Umgang mit einer Delikatesse

Autorin: MFK Fisher

Übersetzung und Nachwort: Gabriele Dietze und Gerd Grözinger

Verlag: Europäische Verlagsanstalt / Rotbuch Verlag, Hamburg 1999

ISBN: 9783434504450


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