Jagd ist kein Hobby

von Florian Asche

„Keine Patronen mehr!“ Annette dreht sich zu mir um und selten habe ich ihr Gesicht so tief verzweifelt erlebt. Wir blicken auf die Luzerne vor uns und das Maisfeld, in dem der angeschweißte Rehbock gerade verschwunden ist. An ihrem Blick, mit dem sie auf den offenen Verschluss der Büchse starrt, erkenne ich, dass sie sich nur noch eines fragt: „Wie konnte mir das nur passieren?“

Das Losglück einer Tombola hatte uns nach Ostungarn geführt, in das Komitat Bekes, die Heimat der starken Rehböcke. Die Blattzeit lief auf Hochtouren und auf den riesigen Luzerneschlägen und abgeernteten Weizenfeldern herrschte im wahrsten Sinne des Wortes ein reges Treiben. Da ich schon mit zwei guten Böcken reich beschenkt war, begleitete ich Annette am Folgetag als Jagdgehilfe. Wir sahen auch eine Menge Rehwild, doch die Böcke werden in Ungarn erst ab einem Zielalter von sieben Jahren freigegeben. Meist schüttelte unser Jagdführer deshalb den Kopf. Doch schließlich erkannte unser Profi einen weit entfernt in der Luzerne stehenden weißgesichtigen Veteran als „Oreg“, als Alten, und bat, zu schießen.

Der Abzug, den der marktbeherrschende Hersteller von Geradezugrepetierern in seine Waffen baut, ist durchaus ein Qualitätsprodukt. Doch man muss bei weiten Entfernungen etwas Zeit mitbringen, um den Schuss so bedächtig kommen zu lassen, dass die Präzision nicht leidet. Soll es mal flott gehen, dann ist der oft geschmähte Stecher hier klar im Vorteil. Das mussten auch wir erfahren. Auf Annettes Schuss machte der Bock eine Kurve, brach zusammen, kam wieder hoch und zog schwerfällig mit heraushängendem Gescheide in die Luzerne, in der er sich niedertat.

Wir umschlugen nun weiträumig das Wundbett und postierten uns so, dass wir den Bock vor dem Mais abfangen konnten. Doch gut geplant ist nicht immer gut ausgeführt. Der Angeschweißte wurde plötzlich hoch und flüchtete aus dem Stand so schnell in den Mais, dass die drei Kugeln, die Annette verschickte, sämtlich in die Botanik gingen. Emotional vernichtet blickte sie auf das Gewehr. In einer solchen Situation zeigt sich, warum die Jagd kein „Hobby“ ist. Ihr fehlt das Spielerische. Ein Hobby beginnt und beendet man, wie es einem gefällt. Wenn ich genug Briefmarken sortiert habe, dann klappe ich das Album zu und mache die Weinflasche auf. Die Jagd hat eine Eigendynamik, die der Ernst des Todes vorgibt. Schon deshalb ist sie eine Lebenseinstellung und kein Hobby. Meine Freundin hätte sich sicher gern schmollend gegen ihr Schicksal ins Bett gelegt, doch das kann nur ein Mensch, der einem Hobby nachgeht, kein Jäger. Nachsuche war angesagt.

In Ostungarn während der Hochblattzeit Hunde zu bekommen, ist gar nicht so einfach, denn jeder Jäger ist mit Gästen unterwegs und die Entfernungen sind groß. Schließlich mobilisierten wir einen wackeren Berufsjägerpensionär, der uns seine gesamte „Meute“ zur Verfügung stellen wollte. Als er dann mit einem Glatthaarfox und einem puscheligen Vierbeiner ungewisser Herkunft anrückte, muss ich ein ziemlich zweifelndes Gesicht gemacht haben. Mir wäre ein scharfer Drahthaar in diesem Maisdschungel jedenfalls lieber gewesen.

Doch das ungarische Nachsuchenduo belehrte uns, dass auch kleine Ritter scharfe Schwerter haben. Nach kurzem Hin und Her zogen sie den Bock im Mais herunter und das Morgendrama war beendet. Meine liebe Freundin schaute mit einer Mischung aus Dankbarkeit und Wehmut auf den Bock, den ihr der Jagdführer vor die Füße legte. Wir kennen alles dieses Gefühl, trotz Beute versagt zu haben, gerade deshalb weil es nicht nur darauf ankommt, dass wir Strecke machen, sondern vor allem, wie wir sie machen. Die Art unseres Tuns schiebt sich vor dessen Erfolg.

Doch entscheidend ist nicht, ob wir makellos durch unser Leben gehen sondern wie wir auf unsere Misserfolge reagieren. Diejenigen, die sie zu leicht nehmen oder auf den Zufall schieben, werden sich häufiger mit dem Misserfolg begnügen müssen. Nur wer sein Versagen annimmt und sich dem Fehler stellt, der ist bereit für die nächste Herausforderung. Über den Nachmittag schlug Annette ein ums andere mal den Abzug ab, um möglichst viel Tempo aus dem Druck zu nehmen. „Langsaaam“ sagte sie sich immer wieder.

Auf der Abendpirsch fiel der Erfolg in Gestalt eines wirklich kapitalen Bockes meiner Freundin in die Hände wie eine reife Birne. Nach dem kürzestmöglichen Pirschgang der ostungarischen Jagdgeschichte zog der Alte vor ihr suchend aus dem Mais auf einen Stoppelacker und erhielt auf 120 m eine saubere Blattkugel. Bei allem Optimismus wird er wohl der beste Ihres Jägerlebens bleiben. Solche Abwechslung von Niederschlag und Erfolg bietet nur die Jagd. Sie ist einfach kein Hobby, sondern Lebenseinstellung.

Abb.: Annette von Karp im August 2020
Abb.: Annette von Karp im August 2020

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KRAUTJUNKER-Kommentar: Dieses Essay wurde am 14. September 2020 auf dem Facebook-Profil von Dr. Florian Asche veröffentlicht.

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Florian Asche

Der Rechtsanwalt Dr. Florian Asche ist Vorstandsmitglied der Max Schmeling Stiftung und der Stiftung Wald und Wild in Mecklenburg-Vorpommern.Einem breiten Publikum wurde er bekannt durch seinen literarischen Überraschungserfolg über den göttlichen Triatlhon: Jagen, Sex und Tiere essen (siehe: https://krautjunker.com/2017/01/04/jagen-sex-und-tiere-essen/https://krautjunker.com/2017/09/19/sind-jagd-und-sex-das-gleiche/)

Website der Kanzlei: https://www.aschestein.de/de/anwaelte-berater/detail/person/dr-florian-asche/

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Anmerkungen

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