Buchvorstellung
Ende Oktober stellte ich einmal wieder Der Habicht von Terence Hanbury White in der Facebookgruppe des KRAUTJUNKER vor. Tobias Kueblboeck kommentierte dies mit den Worten: „Wenn wir schon bei Belletristik mit Falknereibezug sind: Rites of Autumn und Equinox von Dan O‘Brien sind auch empfehlenswert. Zumindest ersteres gibt es auch in einer deutschen Übersetzung“.
Ich bin froh, Herbstriten gelesen zu haben. Dan O’Brien ist ein großer Geschichtenerzähler, der den Leser in seine wilde wilde Welt hineinzieht, welche die meisten Menschen nicht verstehen und die ihnen nichts bedeutet. Das Buch beginnt beginnt mit dem missglückten Versuch vier junge Wanderfalken auszuwildern.
»Das Wort freilassen hört sich so einfach an. Aber für jeden, der auch nur die geringste Ahnung davon hat, was es für ein junges Tier bedeutet, in der Wildnis zu überleben, klingt das Wort unglaublich optimistisch und mag naiv oder sogar überheblich anmuten, weil viele Menschen dieses Wagnis unterschätzen. Unter wohlmeinenden Naturforschern ist es üblich geworden, Einrichtungen zu gründen, um verletzte oder verwaiste Greife der Wildnis zurückzugeben. In vielen dieser Zentren werden die Vögel gefüttert und umsorgt, ja sogar ausgebildet, bis sie für die Rückkehr vorbereitet scheinen. Aber die meisten Rehabilitations- und Freilassungsprogramme haben nur selten Erfolg. Ein verletzter oder verwaister Raubvogel wird bald ein toter Vogel sein, und die Freilassung solcher Tiere ist – so erfreulich sie für den Pflegenden sein mag – schlicht eine Hinrichtung. Raubvögel sind zerbrechlich. Nur die Allerbesten können in der Natur überleben. (Nur etwa zehn Prozent schaffen es bis zur Geschlechtsreife.) Die Allerbesten werden nicht zu Waisen, sie brechen sich nicht die Flügel. Die Besten sind vollkommen und brauchen nichts, was der Mensch ihnen geben könnte – außer einer intakten Umwelt. Das System, das die Natur zur Aufzucht und Auslese der Raubvögel entwickelt hat, ist kompliziert und – nach menschlichem Ermessen – hart und grausam. Die Vorstellung, daß wir dieses System verbessern können, ist ein klassischer Fall von Hybris.
(…)
Es ist unvermeidlich, daß viele von ihnen sterben. Doch man gewöhnt sich nie daran. Die Formel Überleben des Stärkeren klingt einleuchtend, wenn man darüber in einem Lehrbuch liest oder beim Kaffee diskutiert; doch die Wirklichkeit kann niederdrückend sein.«
Nach dem Desaster, welches nur ein Weibchen überlebt, beschließt der Autor, den weiblichen Falken Dolly zu nennen und das Jagen beizubringen, während er ihn auf seiner natürlichen Winterwanderung nach Süden begleitet. Weitere Reisgefährten in seinem Pickup mit Wohnwagen sind sein junger English Setter Spud der Labrador Retriever Jake.

O’Brien erlebt mit seinen Jagdgefährten eine 2000 Kilometer lange Odyssee von den nördlichen Ebenen an der Grenze zu Kanada bis zum Golf von Mexiko, wobei man das Land riecht, schmeckt und spürt. Und auch den Falken. »Die Menschen, die diese Vögel halten, berauschen sich insgeheim am Geruch von Falkenfedern. Er ist frisch und würzig, eine Mischung aus Hochgebirgs-Kinnikinick, der salzigen Gischt des Ozeans und den Urwäldern von Yucatán. Es ist berauschend.«
Bei seinen Erzählungen, welche von einer melancholische Herbststimmung erfüllt sind, begleitet der Leser ihn und seine Jagdgefährten bei ihren Freuden und Leiden. O’Briens Ehrfurcht vor der Natur ist so leidenschaftlich, dass sie selbst Leser, welche die Jagd ablehnen, von seinen Beschreibungen der Falknerei gefesselt sein müssen.

Diese Passage hat mich ebenfalls berührt:
»Eines Tages, nachdem wir wochenlang mit der Wiedereingliederung von vier Wanderfalken in die Wildnis beschäftigt waren, ging ich in das Büro der Development-Gesellschaft, um zu telefonieren. Ich war an diesem Tag mehrere Male auf den Felsen hochgeklettert, um nach den Wanderfalken zu sehen, und war erschöpft und verschwitzt. Nach meinem Telefongespräch wollte ich gern allein ander Ecke der Bar sitzen, aber eine junge Frau ging lächelnd auf mich zu und setzte sich neben mich. Sie war tief ergriffen und sagte, daß sie noch nie einen so schönen Ort gesehen habe. Ich stimmte ihr zu, und wir blickten aus dem Fenster auf den Felsen, wo die jungen Wanderflaken zu jagen begonnen hatten und so hoch geflogen waren, daß wir sie nicht mehr sehen konnten. Sie erklärte mir, daß sie aus Los Angeles gekommen sei, um hier im Auftrag ihrer Familie zu investieren. Sie wies aus dem Fenster auf den gegenüberliegenden Abhang des Tales, an dem ihre Wohnanlage entstehen sollte. Weiter unen, fußabwärts, plante sie, zwei Grundstücke für ihre Brüder zu kaufen. Sie stand auf und ging ans Fenster, so daß sie mir zeigen konnte, wie bequem das Shopping-Center zu erreichen war. Auf der einen Seite des Tales würden lauter Einfamilienhäuser gebaut – Straßen und Kanalisation im Preis inbegriffen. Das Gebiet, auf das sie wies, bildete die Lebensgrundlage der Wanderfalken auf dem Felsen und aller Tiere im Umkreis von Kilometern. Es würde durch dieses Entwicklungsprojekt zerstört werden, das die Wanderwege der Elche verbaute, sie von ihren Wintergründen und letztlich vom Überleben abschnitt.
Die Frau war attraktiv, und ich beobachtete sie, wie sie sich sehnsüchtig gegen den Fensterrahmen lehnte. Ich überlegte, ob ich mir ein Zimmer nehmen, duschen und diese Frau villeicht zum Dinner einladen sollte. Eine kleine Gruppe Elche graste hoch oben auf dem Hang dort drüben, und ich zeigte sie ihr. Zuerst sah sie nichts und glaubte mir nicht. Endlich hatte sie sie erblickt, und vor Aufregung fehlten ihr die Worte. Ihr ganzes Leben hatte sie in Los Angeles verbracht und nie zuvor lebende Elche gesehen. Elchjäger, sagte sie, versuchten das Entwicklungsprojekt zu stoppen. Sie konnte nicht verstehen, wie irgend jemand Elche jagen konnte. Sie könnte nie etwas so Schönes töten, dazu liebe sie die Natur zu sehr. Sie erzählte, daß der Aufenthalt am Wolf Creek ihr neue Kräfte gab, weil es hier so wild und natürlich war. Oft habe ich mich gefragt, was sie wohl dachte, als sie sich mit der Begeisterung und Unschuld eines kleinen Mädchens vom Fenster abwandte und feststellt, daß ich gegangen war.«
Das Buch ist reich an Anekdoten, seien sie nun biologischer, geografischer, politischer oder historischer Natur. Auch diese unerwarteten Seitenstränge sind informativ und unterhaltsam. So liest man über den großen Crazy Horse, einen Anführer der Oglala-Indianer, einer Abteilung der westlichen Sioux der sich in Fort Robinson in Nebraska niederließ, wo er schändlich ermordet wurde. Oder über die Suche des Spaniers Coronado nach dem nicht vorhandenen Gold in den Hochebenen von Liano Estacado, gleich hinter der Grenze von New Mexico in Texas. Vor allem jedoch lernt der Leser die verschiedenen Vogelarten, welche die Beute von Wanderfalken bilden, in ihren Lebensräumen kennen.
Mein Resümee? Es ist leichter gut zu sein, als gerecht zu sein. Wer die Natur verstehen und sie unterstützen will, muss menschliches Mitgefühl ablegen. Der Tod eines jungen Wanderfalken ist im Großen und Ganzen keine Katastrophe, sondern der natürliche Lauf der Dinge. Doch er bricht einem das Herz. Man muss sich also auf solche Erlebnisse einstellen, und das Buch ist voll von ihnen.
Dan O’Brien lernte aus dieser Heldenreise, dass sie letztendlich ein Irrweg war. Es geht nicht um das Individuum, das einzelne Tier. Es geht um die Spezies, und die Spezies braucht ihren Lebensraum.
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Dan O’Brien

Dan O’Brien wurde am 23. November 1947 in Findlay, Ohio, geboren. Nachdem er 1966 die High School absolvierte, besuchte er die Michigan Technological University, um Football zu spielen, und machte 1970 seinen Abschluss in Mathematik und Wirtschaft am Findlay College, wo er der Vorsitzende des ersten Earth Day auf dem Campus war. 1973 erwarb er einen MA in englischer Literatur an der University of South Dakota, wo er bei Frederick Manfred studierte. Er erwarb 1974 einen MFA an der Bowling Green University (Ohio), arbeitete als Biologe und schrieb einige Jahre lang, bevor er sich für das Doktorandenprogramm an der Universität Denver einschrieb. Als er 1986 den prestigeträchtigen Iowa Short Fiction Award gewann, gab er die akademische Laufbahn, abgesehen von gelegentlichen kurzfristigen Lehrtätigkeiten, auf.
O’Brien schrieb weiter und arbeitete als Biologe im Auftrag des South Dakota Department of Game Fish and Parks und später für den Peregrine Fund für gefährdete Arten. In den späten 1990er Jahren begann er, seine kleine Rinderfarm in South Dakota in eine Büffelfarm umzuwandeln. Im Jahr 2001 gründete er die Wild Idea Buffalo Company und die Sustainable Harvest Alliance, um Büffel in freier Natur zu züchten und dabei hochwertiges und nachhaltiges Büffelfleisch an Menschen zu liefern, die sich für die menschliche Gesundheit und die der amerikanischen Great Plains interessieren. Im Jahr 1988, dem Zeitpunkt der Veröffentlichung der Originalausgabe, züchtete er Büffel und lebte mit seiner Frau Jill auf der Cheyenne River Ranch im westlichen South Dakota.
Dan O’Brien wurde mit dem Iowa Short Fiction Award, zwei National Endowment for the Arts Grants für Belletristik, einem Bush Foundation Award für das Schreiben, einem Spur Award, zwei Wrangler Awards der National Cowboy Hall of Fame und einem Ehrendoktortitel der University of South Dakota ausgezeichnet. Seine Bücher wurden in sieben Sprachen übersetzt, und seine Essays, Rezensionen und Kurzgeschichten in zahlreichen Zeitschriften veröffentlicht, darunter Redbook, New York Times Magazine, FYI. New York Times Buchbesprechung.
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Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER gibt es eine Facebook-Gruppe sowie Porzellantassen. Weitere Informationen hier.

Titel: Herbstriten: Reise eines Falkners durch den amerikanischen Westen
Autor: Dan O’Brien
Übersetzung: Elke Hosfeld
Verlag: Klett Cotta
ISBN: 978-3608931563
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KRAUTJUNKER-Kommentar: Das Buch ist nur noch antiquarisch erhältlich. Idealerweise die ISBN hier kopieren und über Buchhai suchen und kaufen.
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