Von einfachen und schwierigen Begegnungen

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von Werner Berens

„Na, heute schon was totgeschossen?“, fragt der Mann mit Hund den Jäger, der von der Kirrung kommend an sein Fahrzeug herantritt. Er bekommt keine Antwort, sieht wie dieser den Kopf schüttelnd in den Jagdwagen einsteigt. Während noch in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts in manchmal fragwürdiger Manier auftretende Jäger Störer und Kritiker ohne  nennenswerte Gegenwehr aus dem Revier „scheuchen“ konnten, haben sich die Verhältnisse inzwischen um 180 Grad gedreht. Etliche Hundehalter, Mountainbiker, Wanderer, Jogger und Reiter betrachten Feld und Wald als eine Form persönlichen Eigentums, bei dessen Nutzung weder Jäger noch Jauche verteilende Landwirte ihnen in die Quere kommen dürfen. Facebookgebildete Jagdgegner und Naturschützer erringen „salamitaktisch“ die Deutungshoheit über das jagdliche Geschehen.  Und manche vorgeblich Ängstliche scheinen zu glauben, dass Jäger mit geschlossenen Augen die Waffe in eine beliebige Richtung halten und abdrücken, und sie deshalb bei der Naturnutzung immerfort durch Jäger gefährdet seien.

Doch es ist nicht alles rabenschwarz, denn glücklicherweise wird die Meinungsgesellschaft immer noch durch erfreulich neutrale, wissbegierige Zeitgenossen komplettiert, die interessiert zuhören, wenn man ihnen erklärt, warum man auf die wunderschönen Nilgänse schießt. All das stellt Jäger und vor allem Jagdpächter vor Herausforderungen, die einer Gratwanderung gleichen: Wie gehe ich mit den Vorgenannten so um, dass meine jagdlichen Tätigkeiten nicht zur Hälfte aus „Scharmützeln“ mit Jagdgegnern und Hundespaziergängern bestehen und wie begegne ich dem skeptisch dreinschauenden Wald- und Wiesenspaziergänger?

Verschiedene „Jagdabgewandte“

Hardcorejagdgegner und Tierschützer

EINE Antwort darauf gibt es ebenso wenig, wie es eine Sorte von Jagdabgewandten gibt.

Da ist zunächst einmal der Hardcorejagdgegner, die Hardcoregegnerin. Sie – ich berichte hier von eigenen Erfahrungen – schickt bei Treibjagden ihre Kinder mit Trompeten und Trommeln ins Feld, kontrolliert die Profiltiefe an den abgestellten Jägerfahrzeugen, fordert brieflich den Bürgermeister auf, die Jagd zu untersagen, moniert bei der unteren Jagdbehörde, dass die neu errichtete Kanzel das Landschaftsbild beeinträchtige und kann im Homeoffice wegen des Schussknalls nicht arbeiten, den 500 Meter weiter Jäger bei der Krähenjagd verursachen.

„Das ist ein böser Mensch, mit dem reden wir nicht“, hielt die Dackelbesitzerin ihre beiden zu mir drängenden Hunde vom „Gespräch“ mit mir ab. Ich stand mit Flinte am Wirtschaftsweg hinter einer Hecke und wartete auf „Schadgänse“, zu deren Vergrämung meine Jagdkollegen und ich mit Flinte unterwegs waren. Böse Menschen sind alle, die NICHT fest daran glauben, dass die Natur sich selber regele und deshalb als Jäger direkt und Landwirt indirekt Tiere tötet. Die harmlose Variante äußert ihre Ansicht wie oben. Die „arbeitsintensivere“ Sorte läuft in der Blattzeit als Einzelperson mit Hund den Feldweg zwischen Sitz und Buschgruppe auf und ab, und zwar bis zum Ende des Büchsenlichtes. Als Gruppe besuchen Tierfreunde den Jäger gern am Krähenstand und fordern, dass er sofort die  Jagd einzustellen habe, weil sie und alle ihre Nachbarn nicht möchten, dass hier gejagt wird. Und selbstverständlich möchte man den Jagdschein sehen.

Hundeausführer und Naturgenießer

Eine besonders herausfordernde Form von „Jagdabgewandten“ im jagdlichen Umfeld dicht besiedelter Gebiete sind der „Hunderudelfreund“ und die Hunderudelfreundin. Während der stark übergewichtige Mops brav an ihrer Seite bleibt, fegen Tutnix 2 und 3 über die Äcker, stöbern kurz durch den Mais, verbellen irgendetwas und erscheinen mit etwas Glück nach angemessener Zeit wieder bei Herrchen oder Frauchen. Nein, sie hat nichts falsch gemacht. Früher als Kind hat sie hier ganz viele Rehe gesehen. Jetzt, wo sie täglich mit ihren Hunden hier spazieren geht, sieht man keine mehr. Die Jäger haben alle totgeschossen. Dass die Rehe sich verstecken wegen der Hunde? Niemals, denn ihre Hunde würden einem Reh nichts tun und haben das Recht auf Auslauf, hier und jetzt.

Letzteres gilt auch für Reiter, die auf der Wiese vor dem sichtbar besetzten Hochsitz auf und ab reiten und für Mountainbiker, die die biketechnisch reizvolle Steigung an der besetzten, offenen Waldkanzel mehrmals bewältigen wollen.

Abb.: Jäger mit Gewehr in Voranschlag Drückjagd; Bildquelle: Wikipedia

Neutrale Zeitgenossen

So, bevor nun der Eindruck sich verfestigt, dass ich mir auf der Basis eigener Erfahrungen in  selbsttherapeutischer Absicht den Frust von der Jägerseele schreibe, weise ich darauf hin, dass es auch „Jagdabgewandte“ gibt, die offen für Informationen und durchaus kooperativ sind: „Sorry, tut mir leid, das wusste ich nicht“, antwortet mir die Dame, ruft ihren Hund vom Stöbern zurück und entschuldigt sich mehrfach. Dass jetzt Ende Mai die Ricken ihre Kitze ablegen und ihr Hund, ohne dass sie das bemerke, womöglich Dinge tue, die sie gar nicht sehen wolle, hatte ich ihr erklärt. Warum man denn auf diese klugen Vögel schieße, wollte ein Spaziergänger mit Hund wissen, der sich darüber wunderte, dass mein Lockbild nicht wegflog. Es dauerte etwas, bis er es als solches erkannte, aber bedankte sich dafür, nun klüger geworden zu sein, nachdem ich ihm die Zusammenhänge erklärt hatte.

Jagdpächterbaustellen

Vor allem Jagdpächter haben neben dem „einfachen“ Jäger zusätzliche Baustellen zu bedienen. Die überfahrenen Rehe und Sauen meldet die Polizei der Unfallhäufigkeit entsprechend überwiegend nachts. Um die Sau, die oberflächlich angeschweißt durch das Dorf rennt und sich partout nicht von der Feuerwehr einfangen lassen will, muss er sich kümmern. Und mit der Info, dass der bewaffnete Mensch in Camouflage weder Reichsbürger noch Islamist ist, sondern ein Begeher beim Pirschgang kühlt der Pächter die Aufregung des wachen Bürgers und der Polizei herunter… und außerdem sind die Sauen im Weizen, meldet der Landwirt, und erwartet umgehende Reaktion.

Gratwanderungen

Jeder Jagdpächter, jeder Jäger hat inzwischen realisiert, dass die Zeiten feudalherrschaftlichen Auftretens vorbei sind. Das heißt aber nicht, dass man die angesägten Sprossen am Hochsitz dulden muss, sondern anzeigt… auch wenn es meistens nicht viel hilft. Aber es heißt, dass man sich überlegen muss, in welchen Fällen Widerstand in welcher Form nötig und wo gelassenes Aussitzen nervenschonender ist.

Die Dame ertrage es nicht, vom Wohnzimmer aus auf die Stätte des Tiermordes blicken zu müssen. Ob man denn den Hochsitz nicht woanders hinstellen könne, fragte die untere Jagdbehörde. Genervt von den unzähligen Eingaben und Gesprächswünschen der Hardcorejagdgegnerin sehnte die Jagdbehörde Frieden herbei. Wer sich darauf einlässt, sich die Salamischeibe gemäß der bekannten Taktik schon selber abschneidet, hat verloren, denn er wird sich zukünftig Vorabgenehmigungen der Jagdgegnerin für alles einholen müssen. Hardcorejagdgegner sind durch kein „Einlenken“ zum Umdenken zu bewegen und allein die Aussicht, bei entsprechendem Verhalten die Ordnungswidrigkeit Jagdstörung anzuzeigen oder zivilrechtliche Ansprüche zu stellen kann im besten Fall (da juristisch schwer fassbar) „Vorsicht“ bei den Genannten verursachen. Ansonsten hilft nur Gelassenheit und Staunen über die bunte Vielfalt des Irreseins angesichts von Jagdgegnern, die die Profiltiefe von Jägerautos kontrollieren und Briefe an Bürgermeister zwecks Jagdverbot schreiben.

„Tierfreunde“, die ihre Dackel nicht mit mir reden lassen wollen, kann man ignorieren. Manchmal aber ergeben sich Anknüpfungspunkte, wenn sich herausstellt, dass die Damen und Herren nicht gegen Jagd sind, aber gegen das, worauf sich ihrer Meinung nach Jagd beschränkt. Wer glaubt, Jagd sei ausschließlich das lustbetonte „Abknallen“ zu jeder Tages- und Nachtzeit von allem, was sich bewegt, kann nur gegen Jagd sein. Das ist die Chance für das Gespräch. Man kann erklären, dass man nur zu bestimmten Zeiten Rehe schießt, dass und warum die Hasen im Frühjahr und Sommer Ruhe haben und die Sauen nicht. Mit etwas Glück trifft man oft auf offene Ohren und einen offenen Geist. Aber auch der Ton macht die Musik.

Ich erinnere mich an ein mit Walkingstöcken bewaffnetes Quartett älterer Damen, die schimpfend den Wirtschaftsweg entlang von hinten auf das Maisfeld in den Rücken der Gänsejäger eilten. Das sei unverschämt, dass hier Jäger herumballern, während sie und auch andere hier unterwegs seien. Sie würden die Polizei benachrichtigen. Ein genervter Jagdkollege, dem eine Stunde vorher ein muskelbepackter Zeitgenosse in fragwürdiger Logik erklärt hatte, dass er ihm nur deshalb die Flinte nicht um den Hals wickele, weil er bewaffnet sei, antwortete etwas unüberlegt: Gern könnten die Damen die Polizei rufen, aber sie seien nicht gefährdet, er schieße auf alte Frauen nur dann, wenn sie ebenso hoch flögen wie die Gänse über dem Maisfeld. Hätte er statt alte Frauen den Begriff sportliche Damen gewählt, wäre die Schärfe aus der Auseinandersetzung genommen und vielleicht ein teilweises Einlenken erreicht worden. Man kann auch vorübergehend mit dem Schießen aufhören und so zeigen, dass man um die Bedenken von Passanten durchaus weiß.

Aber das hilft nicht immer: Der oben erwähnten Hundebesitzerin war auch durch den Einwand nicht beizukommen, dass die Rehe nicht wüssten, dass ihre Hunde Rehen nichts tun und sich deshalb dennoch im Mais oder im Buschwerk versteckten. Man könne die Rehe auch schlecht über die Harmlosigkeit ihrer Hunde informieren, lag mir auf der Zunge, blieb aber dort. Statt dessen  erklärte ich ihr, dass sie, wenn sie ihre Hunde weiter so über die Felder und durch Mais und Gebüsch jagen ließe, Post vom Ordnungsamt bekomme. Anderen Hundebesitzern ist durch ein freundliches Gespräch beizukommen. Bei der Revierkontrolle mit dem Jagdauto den Hundebesitzer nicht in einer Staubwolke verschwinden zu lassen, sondern langsam und Abstand haltend an ihm vorbei zu fahren, gegebenenfalls anzuhalten, das Fenster zu öffnen und ein paar Worte über Hunde zu wechseln wirkt Wunder. Freundlich – und ohne Herablassung – zu erklären, warum der Hund nicht abseits vom Führer im Wald oder über die Felder laufen soll, erzeugt Hundebesitzer, die bei der Revierkontrolle zuwinken und wachen Auges, das Verhalten ihrer Hunde betreffend, durch die Natur gehen, weil sie verstehen, was Jäger tun und warum sie es tun.

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Werner Berens

Werner Berens ist Fliegenfischer, Jäger, Autor und Genussmensch, der den erwähnten Tätigkeiten soweit als möglich die lustvollen Momente abzugewinnen versucht, ohne aufgrund kulinarisch attraktiver Beute übermäßig in die falsche Richtung zu wachsen. Als Leser und Schreiber ist er ein Freund fein ziselierter Wortarbeit mit Identifikationssmöglichkeit und Feind von Ingenieurstexten, die sich lesen wie Beipackzettel für Kopfschmerztabletten. Altermäßig reitet er dem Sonnenuntergang am Horizont entgegen und schreibt nur noch gelegentlich Beiträge für das Magazin Fliegenfischen.

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Anmerkungen

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