von Wolfgang Abel
An fünf Wochentagen steht Bernhard Brüderle mit seiner Interpretation eines rollenden Speisewagens auf dem Freiburger Münstermarkt. Erzeugerseite, direkt vor der Stadtbibliothek, stets mit Hut. Brüderle hat einen Obstbaubetrieb im Renchtal, er kultiviert dort ein breites Sortiment an Beeren, Stein- und Kernobst. Sein Angebot reicht vom Frühjahr bis weit in den Spätherbst. Im letzten Jahr kam Brüderle noch im Dezember auf dem Markt, mit Renchtäler Haselnüssen und allein sieben Birnensorten. Darunter auch Spezialitäten wie Boscs Flaschenbirne, auch Kaiser-Alexanderbirne genannt. Von außen Wolfgang Abels Kolumne, am 10. August 2016 eine eher unscheinbare Erscheinung mit grünlicher Fruchtschale, zur Reife zimtfarben berostet. Innen eine Wonne mit gelb-weißem Fruchtfleisch, saftig schmelzend.
Wenn Bernhard Brüderle auf dem Münstermarkt steht, Sorteneigenschaften erklärt und mit dem Langmut des Landwirtes schwierige Kunden und Freiburger Befindlichkeiten weglächelt, sieht man einen geerdeten Menschen. Einen, der in seinen Früchten aufgeht und sie in ihm.
Brüderle wäre somit ein Gegenentwurft zu jenen gepiercten Food-Truckern, hyperaktiven Pop-up-Gastronomen und wirtenden Seelsorgern, die mittlerweile mit immer höherer Drehzahl durch die kulinarische Gemeinde getrieben werden. Längst gehören Haarstyling, die gewaltfrei produzierte Hornbrille und ein Traumatisierten-Hilfsprojekt zur Ausstattung des bessermeinenden Nährstandes. Selbst Straußenwirte haben die umsatztreibende Funktion des Storytellings entdeckt. Jeder Frischkäse hat jetzt ein Narrativ. Wenn nicht diskriminierungsfrei, dann rückstandstandsarm. Aroma heißt jetzt Moral.
Zum steilen Auftritt der kulinarischen Pastoren passt der entwurzelte, medial verstrahlte Kunde. Er redet achtsam und kauft seine Naschbeeren und Partytomaten in einem Aufwasch mit Klopapier und internationalem TofuJunk, natürlich alles in Bioqualität. Ein Markt, ein Wagen, ein Magen. Alle im Laufrad, an der Kasse gibt es Treuepunkte.
Auch deshalb gehören Leute wie Bernhard Brüderle zu meinen Helden des Alltags. Anders als Rhabarberschorlehipster und radikalisierte Prediger machen sie einfach ihre Arbeit. Naschbeeren heißen bei Brüderle immer noch Kulturheidelbeeren oder eben Waldheidelbeeren, was ein himmelweiter Unterschied ist. Brüderles Waldheidelbeeren lassen sich kaum kultivieren. „Es dauert acht Jahre bis sie tragen und dann gibt es maximal 50 Gramm pro Strauch. Das lohnt sich nicht.“ Aber er kennt Sammler, die in die Wälder unterhalb der Hornisgrinde gehen und er steht an fünf Tagen in der Woche auf dem Markt und danach noch auf dem Feld. Er macht seine Arbeit, wie all jene, die das schöne Wort Landwirtschaft mit Leben füllen, nicht mit Sprüchen.
Ein paar Stände weiter bekomme ich reife, ochsenblutrote Fleischtomaten bei einem wach dreinblickenden Mütterle. Hände und Kreuz sind vom Leben, vom Kaiserstuhl, auch vom Hacken gezeichnet. „Buckeln“ nennt man diesen etwas aus der Mode gekommenen Lifestyle hier im Südwesten. Buckeln ist das Gegenteil von Chillen. Krumme Buckler sind mir lieber als coole Chiller. Außerdem schmeckt Moral ganz anders als eine dünnbodige Tarte mit Waldheidelbeeren und frischer Sahne.
Obsthof Brüderle, Freiburger Münstermarkt (außer Sa.) , Nordseite, Höhe Stadtbibliothek
Anmerkungen
Dies ist Wolfgang Abels Kolumne vom 10. August 2016.
Ich möchte dem charmanten Geschäftsführer des OASE Verlags, Herrn Wolfgang Abel höchstselbst, sehr herzlich für die Erteilung des Copyrights danken. Es empfiehlt sich nicht nur ein Blick in Abels Kolumnen, sondern auch in das Verlagsprogramm. Das Motto lautet vielversprechend „Vom guten Leben“.
Alle Kolumnen, Bücher und Touren von Wolfgang Abel sind auf der Website des OASE Verlags aus Badenweiler zu finden: http://www.oaseverlag.de/
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