Fast so alt wie die Geschichte der Rezepte für Speisen und Getränke ist die Tradition, diese nach ruhmreichen Persönlichkeiten zu benennen. Die unsichtbaren Zaubermeister in den Küchen möchten so ihre Verehrung ausdrücken und vielleicht auch etwas von dem Glanze der Berühmten für die eigenen Kreationen gewinnen.
Nach einigen Jahrhunderten, in denen die Delikatessen immer populärer wurden, jedoch das Personal auch auf der Führungsebene der Welt mehrfach wechselte, kommt es zu den ironischen Situationen, dass die meisten Menschen mehr mit den Köstlichkeiten, als ihren Paten verbinden. Im besten Fall fangen die Schlemmer an, sich irgendwann zu fragen, warum die Filetspitzen Stroganow, die Sachertorte oder Carpaccio ihre klangvollen Namen erhielten.
Ich will mir nicht anmaßen Auguste Escoffier zu sein, aber behaupte einen guten Drink mixen und genießen zu können. Zu den edelsten Gewürzen gehört für mich Safran und an schönen Sommerabenden schätze ich einen guten Gin Tonic. Meine Begeisterung war daher groß, als ich während der letzten Audienz, die mir meine künstlerische Leiterin Melissa K. aus M. gewährte, ihren Gin Tonic mit Safran entdeckte.
Safran ist ein Gewürz, das aus den Stempelfäden der Blüten einer Krokus-Art gewonnen wird: Ihren Ursprung haben die Schwertliliengewächse auf den ägäischen Inseln und Kreta.
Um ein Kilogramm Gewürz zu gewinnen, müssen auf einer Anbaufläche von 10.000 Quadratmetern 150.000 bis 200.000 Blüten angebaut werden. Seit der frühen Antike ist die Ernte reine Handarbeit. Da ein Pflücker pro Tag nur 60 bis 80 Gramm am Tag ernten kann und die Blume nur einmal jährlich blüht, zählt Safran zu den teuersten Gewürzen und galt schon bei Homer als Luxusartikel.
Die alten Griechen schätzten das exklusive Heil- und Gewürzmittel so sehr, dass sie ihren Göttervater Zeus auf einem Safranbett schlafen ließen. In anderen antiken Kulturen wurden die Hochzeitsschleier der Bräute mit Safran gelb gefärbt und im römischen Reich streuten die reichen Familien Safranfäden auf die Hochzeitsbetten.
Insbesondere die botanische und medizinische Literatur des antiken und mittelalterlichen Frankreichs ist reich an Anekdoten über Safran. Angeblich soll ein Übermaß des Genusses zu ausgelassenem und übergeschnapptem Verhalten führen. Die Destilliere Gabriel Boudier inspirierte dies zu ihrem Saffron Gin. Die Herrin von Slot Halemejse, die gerne immer noch einen draufsetzt, toppt all dies, indem sie verschwenderisch wie eine Cäsarengattin noch weiteren Safran hinzufügt.
Widmen möchte ich Melissas Longdrink dem von mir verehrten Literaturwissenschaftler, Schriftsteller und Honorarprofessoren Rüdiger Safranski.
Zunächst inspirierte mich ganz platt (so bin ich manchmal) die Wortähnlichkeit zwischen Safranski und Safran. Zum anderen attestierte mir der Publizist Burkhard von Grafenstein mehrfach, dass mein Weblog für ihn klassisches „Biedermeier“ sei. Mit dieser Epoche und ihre Protagonisten wiederum hat sich Rüdiger Safranski in einigen seiner hochgelobten Bücher auseinander gesetzt. Last but not least wurde Safran im Biedermeier ganz außerordentlich geschätzt. Inneneinrichter tapezierten die Damen Salons im Farbton „Safran-Apfel“ und das Gewürz selbst war beispielsweise eine obligatorische Ingredienz bei der Suppe, Vorspeise und süßen Tee einer Kindstaufentafel. Ebenso wurde der aufgrund seines Safrananteils gelb leuchtende Gugelhupf im Biedermeier populär und ist aus der biedermeierlichen Kaffeehauskultur nicht wegzudenken.
Mit dem Biedermeier wird der Zeitraum vom Ende des Wiener Kongresses 1815 bis zum Beginn der bürgerlichen Revolution 1848 in den Ländern des Deutschen Bundes bezeichnet. Mir erscheint diese Epoche irritierend modern. Die bestehenden Staaten, damals Königreiche, wankten in ihren Grundfesten. Geistesgrößen und Revolutionäre zündelten an uralten Konstruktionen. Im Nachhinein wissen wir, dass ihre Visionen nicht immer menschlicher und klüger als der Status quo waren, auch wenn wir vor ihrem Heldenmut angesichts der übermächtigen Obrigkeit den Hut ziehen. Die Feudalherren und ihre Büttel wiederum reagierten mit Unterdrückung, Repression und Zensur.
Von Reaktion wie Revolutionären gleichermaßen beunruhigte Bürger die das Leben ihrer Familien bewahren wollten, traten den Rückzug ins Private an. Sie schufen sich ein unpolitisches und rechtloses „Idyll“, in dem sie zwar wenig Rechte genossen, aber auch keine Angriffsfläche boten.
Feuerköpfe wie der revolutionäre Dichter Ludwig Pfau verspotteten sie in diesem Gedicht von 1847 als ängstliche Spießer:
HERR BIEDERMEIER
Mitglied der „besitzenden und gebildeten Klasse“
Schau, dort spaziert Herr Biedermeier
Und seine Frau, den Sohn am Arm;
Sein Tritt ist sachte wie auf Eier,
Sein Wahlspruch: Weder kalt noch warm.
Das ist ein Bürger hochgeachtet,
Der geistlich spricht und weltlich trachtet;
Er wohnt in jenem schönen Haus
Und – leiht sein Geld auf Wucher aus.
Gemäßigt stimmt er bei den Wahlen,
Denn er missbilligt allen Streit;
Obwohl kein Freund vom Steuerzahlen,
Verehrt er sehr die Obrigkeit.
Aufs Rathaus und vor Amt gerufen,
Zieht er den Hut schon auf den Stufen;
Dann aber geht er stolz nach Haus
Und – leiht sein Geld auf Wucher aus.
Am Sonntag in der Kirche fehlen,
Das wäre gegen Christenpflicht;
Da holt er Labung seiner Seelen –
Und schlummert, wenn der Pfarrer spricht.
Das führt ihn lieblich bis zum Segen,
Den nimmt der Wackre fromm entgegen.
Dann geht er ganz erbaut nach Haus
Und – leiht sein Geld auf Wucher aus.
Acht! Wandrer, die gen Westen streben!
Wie rühret ihre Not sein Herz!
Wohl sieht er sammeln, doch zu geben
Vergisst er ganz in seinem Schmerz.
“Ihr Schicksal ruht in Gottes Händen!“
Spricht er – dann geht er auszupfänden,
Nimmt einem Schuldner Hof und Haus
Und leiht sein Geld auf Wucher aus.
Den einzgen, hoffnungsvollem Sprossen –
Denn nicht mehr, das wäre Überfluss -,
Den hält er klösterlich verschlossen:
Die Sünde stammt ja vom Genuss.
Die Mutter führt ihr Küchlein sittig
Wie eine Henne unterm Fittich;
Sie sorgt für strenge Zucht im Haus
Und – leiht ihr Geld auf Wucher aus.
O edles Haus! O feine Sitten!
Wo jedes Gift im Keim erstickt,
Wo nur gepflegt wird und gelitten,
Was gern sich duckt und wohl sich schickt.
O wahre Bildung ohne Spitzen!
Nur der Besitz kann dich besitzen –
Anstand muss sein in Staat und Haus,
Sonst – geht dem Geld der Wucher aus.
Der zunächst negativ konnotierte Begriff erfuhr nach 1900 einen Bedeutungswandel und bezeichnet mittlerweile eine kleinbürgerliche Kultur der Häuslichkeit und des Privaten, die in den größeren geschichtlichen Rahmen der Romantik eingebettet ist. Letztendlich war das Biedermeier eine gesellschaftliche Ruhephase vor Umwälzungen, die Europa stark veränderten und dabei viele Opfer forderten. Sehr kurz gefasst wurden die Veränderungen, die noch im Biedermeier zurückgedrängt wurden, durch Verstädterung, Industrialisierung und Demokratie ausgelöst.
Jede Zeit ist nur aus der Perspektive des eigenen Standpunktes zu begreifen, da es unmöglich ist, sich aus der Subjektivität des Ichs in seiner Zeit zu befreien. Aus meiner heutigen Sicht werden die Digitalisierung des Lebens und das Internet die Welt ebenso auf den Kopf stellen, wie es die Industrialisierung tat. Heutzutage erinneren uns die „Demagogenverfolgungen“ an die unterschiedlichen Ausprägungen der staatlichen Bespitzelung und Zensurmaßnahmen im Internet und insbesondere den sozialen Medien. Damals wie heute weiß der Einzelne, wie gefährlich es für seine Existenz sein kann, sich zu weit aus dem Fenster zu lehnen. Damals wie heute steht letztendlich die Gewalt gegenüber dem Geist auf verlorenen Posten.
Den Rückzug ins Private, auch ein nicht ganz ernst gemeinter Eskapismus in fantastische Welten finde ich verständlich. Der heutige Boom der Fantasy in Literatur und Verfilmungen hat seine Entsprechungen in der Kunst und Literatur der Romantik, welche die Sagen- und Mythenwelt des Mittelalters feierte. Es ist ein sehr deutsches und sehr widersprüchliches Phänomen, von dem auch ich mich nicht frei machen kann.
Doch auch, wenn man weiß, dass man ein Gefangener seiner Zeit ist und es einen letztendlich sowieso erwischt, heißt dies nicht, dass man dabei nicht entspannen, reflektieren, verstehen und genießen kann. Da so oder so niemand lebend aus dieser Nummer nüchtern herauskommt, sollte man dafür sorgen zumindest nicht dumm und nüchtern zu sterben. Hierfür sind geistreiche Bücher und Getränke, die Safranskis Namen tragen besonders geeignet. Eine besondere Empfehlung möchte ich für den Titel „Romantik – Eine deutsche Affäre“ aussprechen. Doch vorerst zum Longdrink, denn allzu viel denken macht bekanntlich durstig.
Rezept für eine Person
1 Buch (z.B. Romantik – eine deutsche Affäre)
einige Eiswürfel
Menge nach Gusto Safran
4 cl Saffron Gin
Menge nach Gusto Thomas Henry Tonic Water
Eiswürfel in ein Longdrinkglas füllen, die gewünschte Menge Safran hinein streuen, Gin darüber gießen und mit Tonic Water auffüllen.
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Anmerkungen
Von KRAUTJUNKER existiert eine Gruppe bei Facebook.
Titel: Romantik – Eine deutsche Affäre
Gebundene Ausgabe
Verlag: Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
ISBN: 978-3446209442
Verlagslink: https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/romantik/978-3-446-20944-2/
Taschenbuch
Verlag: S. FISCHER Verlag GmbH
ISBN: 978-3-596-18230-5
Verlagslink: http://www.fischerverlage.de/buch/romantik/9783596182305
Titel: Schopenhauer und die wilden Jahre der Philosophie
Gebundene Ausgabe
Verlag: Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
ISBN: 978-3446235823
Verlagslink: https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/schopenhauer-und-die-wilden-jahre-der-philosophie/978-3-446-23582-3/
Taschenbuch
Verlag: S. FISCHER Verlag GmbH
ISBN: 978-3596142996
Verlagslink: http://www.fischerverlage.de/buch/schopenhauer_und_die_wilden_jahre_der_philosophie/9783596142996
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Titel: Wieviel Globalisierung verträgt der Mensch?
Gebundene Ausgabe
Verlag: Frankfurt/Main, Büchergilde Gutenberg
ASIN: 3763254366
Verlagslink: –
Taschenbuch
Verlag: Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
ISBN: 978-3446251175
Verlagslink: https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/wieviel-globalisierung-vertraegt-der-mensch/978-3-446-25117-5/
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