von Dr. Hans-Dieter Willkomm
Bevor der Jäger des Tieflandes zum Gamsjagern reist, muss er sich darauf vorbereiten, was ihn im Hochgebirge erwartet – von der Kondition und der Ausrüstung her und von der Art zu jagen. Im Sommer, vom Aufgang der Schusszeit am 1. August bis zum frühen Herbst, wird es zumeist die Pirsch in die Hochlagen sein, aber auch der Ansitz in der Latschenregion, je nach dem Wild – starker Bock oder Altgeiß, Jährling oder geringer Bock –, auf das man jagen will.
Leben und Verhalten der Sommergamsen
Bei der Jagd auf Sommergamsen ist zu unterscheiden zwischen der Jagd auf reine Waldgamsen, den allein gehenden älteren Böcken und Geltgeißen und dem Scharwild in den Hochlagen. Der ältere Gamsbock sucht sich vom Frühjahr an ruhige Einstände in der oberen Waldregion, wo dichter und lockerer Fichtenaufwuchs zu finden sind, durchzogen von verwachsenen Gräben, durchbrochen von kleinen Wiesenflecken, oder in der Krummholzzone, und er stört sich dort kaum an den Touristen. Nicht unmittelbar dort, wo die alten Böcke ihren Einstand bezogen haben, aber an ähnlichen Plätzen, nehmen alte Geißen, die sich vom Rudel getrennt haben, gern ihren Einstand. Was sie von den Wald- und Latschenböcken unterscheidet: Sie sind vorsichtiger und deshalb schwieriger zu bejagen.
Unter Scharwild, auch als Geraffel oder Faselzeug bezeichnet, sind die kleineren und größeren Rudel – Geißen, führend und nichtführend und Jahrlinge, mitunter auch zweijährige Böcke – zu verstehen. Geführt wird das Rudel stets von einer erfahrenen Kitzgeiß. Junge und mittelalte männliche Stücke finden sich in kleinen Trupps zusammen. Ob einzelne Stücke in der Latschenregion oder die Rudel in den Hochlagen – morgens wechselt das Wild äsend durch die Einstände, ruht zumeist über Mittag, um am späten Nachmittag wieder rege zu werden.
Bevor das Steigen beginnt
Die Gebirgsjagd muss der Jäger über das Rucksackpacken angehen. Ein Zuwenig im Rucksack kann schlimme Folgen haben, denn Schwitzen und Frieren wechseln sich in den Hochlagen ab. Darüber hinaus dient der gut gepackte Rucksack auf Felsen gelegt als Gewehrunterlage. Ob leichte oder schwere, wasserfeste Bergschuhe zu bevorzugen sind, hängt von der Begehbarkeit des Geländes und der Jahreszeit ab, insbesondere vom Bewuchs.
Ein Hinweis für Unerfahrene: In den Bergen heißt es mit den Kräften haushalten; auf das langsame Steigen kommt es an, rasches Gehen überfordert den untrainierten Körper. Zuerst wird es meist ein »anstrengender Spaziergang« hoch ins Revier sein, dann ein vorsichtiges Angehen der Gamseinstände in den Kesseln und Karen. Je nach Höhe und Steilheit des Pirschgebietes muss sich der Bergjäger rechtzeitig auf den Weg machen, falls die Rudel durch Störung – z. B. Touristen – nicht bereits in ruhigere Lagen gewechselt sind, und er beim Nachpirschen nicht vom Abend überrascht wird.
In der Latschenregion
Je nach Geländebeschaffenheit lassen sich die Waldgamsen und die Latschenböcke vom hohen bzw. niedrigen Sitz aus am Nachbarhang oder im hohen Talboden bestätigen. Gesucht und erfasst wird das Wild mit dem Glas, angesprochen mit dem Spektiv. Vom Gelände – seiner Enge oder Großräumigkeit – hängt es ab, ob vom Beobachtungssitz ein sicherer Schuss möglich ist, oder ob der Jäger näher heran muss. Handelt es sich um feste Einstände des bestätigten Stückes, rückt man näher heran, sitzt hinter einem Felsblock oder Latschenbusch bzw. pirscht das Stück an, sucht sich eine geeignete Schussposition hinter guter Deckung.
Die beste Zeit fürs Jagern sind die Morgenstunden und der späte Nachmittag. Das Wild kommt zu dieser Zeit aus der Ruhe und zieht äsend langsam durch seinen Einstand. Anpirschen macht aber nur Sinn, wenn man von seinem Beobachtungspunkt aus das Stück im Blick hat und der Wind passt.
Aufstieg zum Scharwild
Ganz anders die Jagd auf das Scharwild. Geißen, Kitze, Jahrlingsgeißen und junge Böcke stehen in Rudeln, deren Größe von der Höhe des Bestandes und der vorhandenen Äsung abhängig ist. Sie halten sich im Sommer auf den Graten, den Hochalmen und in den hochliegenden Talkesseln auf, wollen dort ungestört sein. »Wie der Frühling geht, so gehen auch die Gamsen «, sagt der Bergjäger – von den Waldalmen über die Baumgrenze bis zu den alpinen Matten. Das Scharwild wechselt lieber in äsungsärmere Gebiete, als dass es in ständiger Unruhe vor Störungen lebt. Wird es in seinem Einstand wiederholt gestört, verlässt es den Kessel, um den ganzen Sommer über nicht zurückzukehren. Roglich gemachtes Gamswild nimmt meist zwei oder drei Kare, bevor es Halt macht. Deshalb ist planloses Herumsuchen nach Gamsen nicht ratsam.
Ansitzen und Pirschen
Sitzen vom Morgen an und Warten am Rand von Karen, von Hochkesseln oder an Berglehnen mit viel Einblick und wo Ruhe herrscht, führt zu jagdlichem Erfolg und hält die Gamsen auch nach dem Schuss in ihren angestammten Einständen. Durch langjährige Beobachtung weiß der Bergjäger genau, wann und wie das Gamswild im Sommer wechselt und welcher Wind zu unterschiedlichen Tageszeiten an jeder Stelle des Kares weht. Guter Wind entscheidet beim Gamsjagern über den Erfolg.

Abb.: Sommergams auf der Äsung. Sommergamsen sind tagsüber auf der Äsung rege.
Bei unsicherem Wetter, wenn der Wind im Kar dreht, die Hänge herauf- und herunterzieht, sollte man aufs Jagern verzichten, bessere Tage abwarten. Bei stetigem Wetter muss der Jäger beachten, dass sich nach Sonnenaufgang der Wind umstellt, der nächtliche Talwind zum Bergwind wird. Deshalb können morgens, wenn das Gamswild rege zu werden beginnt, in den Karen die besten Plätze sein, tagsüber dagegen am Grat. Der Jäger schaut dann zu den Gamsen hinab bzw. das Rudel wechselt zu ihm herauf. Das Gamswild windet scharf, äugt aber schlecht.

Abb.: Zwei starke Sommergamsen gut gefärbt in einem steinigen Grashang.
Doch ist Vorsicht geboten beim Anpirschen eines Rudels. Erst wenn es »echt« wechselt, nicht nur herumtritt, geht man es bei guter Deckung (Felsbrocken, Felsvorsprünge) an bzw. pirscht ihm am Hang nach und vermeidet dadurch Weitschüsse. Denn eine ruhig sitzende Gams lässt sich außerordentlich schwer ausmachen, sie erkennt den sich bewegenden Jäger und warnt daraufhin mit Pfiff das Rudel.
Ende der Leseprobe, aber nicht des Kapitels.
Verlagsinformation zum Autor:

Dr. Hans-Dieter Willkomm ist Naturwissenschaftler, Jagdjournalist und Jagdbuch-Autor. 15 Jahre lang war er Chefredakteur der Zeitschrift unsere Jagd (siehe: https://www.jagderleben.de/unsere-jagd).
Deutsches Jagd Lexikon zum Autor: http://deutsches-jagd-lexikon.de/index.php?title=Willkomm,_Hans-Dieter
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Anmerkungen

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Titel: Schalenwild artgerecht bejagen – Zum Schutz von Wald & Flur
Autor: Dr. Hans-Dieter Willkomm
Verlag: BLV Buchverlag
ISBN: 978-3-8354-1579-9
Verlagslink: https://www.blvverlag.de/hans-dieter-willkomm/schalenwild-artgerecht-bejagen.html
Erste Leseprobe aus dem Buch: https://krautjunker.com/2017/05/27/rehwild-gleich-in-die-vollen-gehen-mit-den-jaehrlingen-und-schmalrehen/
Bildnachweise:
Autor Dr. Hans-Dieter Willkomm: © Willkomm / BLV Buchverlag
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