von Dr. Hans-Dieter Willkomm
Es ist noch gar nicht so lange her, da galt für den Jäger nur der rote Bock etwas. Rot musste die Decke sein, wenn es ans Jagen ging. Und so mancher Jäger hängt noch heute an dem alten Zopf, hält nur den Schuss auf den Sommerbock für weidgerecht, derweil Übereifrige für den Winterbock – den grauen Bock ohne Gehörn – plädieren.
Und auch das gab es (und gibt es noch!): das Jagdpalaver gegen das Schießen von Schmalrehen im Frühjahr: Gönnt ihnen doch ein paar Monate Ruhe! Mit dem Januar endet die Schusszeit, und im Mai geht die Jagd wieder auf – wo bleibt da die viel zitierte Weidgerechtigkeit? Dank wildbiologischer Erkenntnisse und nicht von der Hand zu weisender, jagdpraktischer Überlegungen hat man sich nun von herkömmlicher Schonzeit beim Schmalreh gelöst.
An erster Stelle steht auch beim Rehwild der Jungwildabschuss: Nur ein geringer Teil des Jungwildes darf jährlich zuwachsen. Zu keiner anderen Jahreszeit können Jährlinge und Schmalrehe erfolgreicher bejagt werden als im Frühjahr. Wer erst noch lange wartet, hat das Nachsehen. Die allgemeine Frühjahrsregheit zum einen und die noch niedrige Vegetation muss man sich zunutze machen, um eine gründliche Auslese unter den einjährigen Böcken und Schmalrehen zu halten. Darüber hinaus stellen am Abschussetat der Böcke die Jährlinge den größten Anteil. Wurden im Herbst zu wenig Kitze geschossen, bedeutet das, im Frühjahr nicht nur die Jährlinge, sondern auch die Schmalrehe bejagen und zwar nach dem Grundsatz »Wahl vor Zahl«! Warum? So mancher Jäger wundert sich über die »schwächlichen« Schmalrehe, noch sind ihm die starken Kitze vom Spätherbst/Winter in Erinnerung. Aber der Winter – mag er noch so mild gewesen sein – zehrt an den Kräften der jungen Stücke. Doch der erfahrene Jäger
weiß, Schmalrehe kommen schwächer aus dem Winter, in den sie als Kitze hineingegangen sind. Aber sie erholen sich rasch. Vor allem müssen wir beim Schmalrehabschuss an die Reviere mit hohen Abschusszahlen denken. Sie erfüllen im Frühjahr einen nicht unerheblichen Teil ihres geplanten notwendigen Abschusses. Denn zu keinem anderen Zeitpunkt lassen sich Schmalrehe sicherer ansprechen als Anfang Mai. Auch gilt es zu bedenken, dass erfahrungsgemäß Schmalrehe an Straßen und Autobahnen überfahren werden. Durch gezielten Abschuss an solchen gefährdeten Stellen, kann man derartigen Unfällen zuvorkommen.
Zugegeben: es gehört bestimmt nicht zu den allerbesten Weidmannsfreuden, sich am ruppigen, »engerlingsgeplagten« Jährling, der zu Aufgang der Jagdzeit am 1. Mai mehr oder weniger einem armen Scheusal als einem Bock gleicht, genossen zu machen. Doch sein rechtzeitiger Abschuss ist eine dem Rehbestand dienende Pflicht! Was heißt nun, gleich zu Aufgang der Jagdzeit in die Vollen gehen? Bei den Jährlingen muss »Zahl vor Wahl« gehen, sofern es sich um Knopfspießer bzw. um Böcke mit dünnstangigen, kurzen Spießen, meist noch unbefegt, handelt. Bei Gablern oder Sechsern heißt es genau hinzuschauen, ob das Stück gut bei Leibe ist oder klapperdürr auf den Läufen steht.
Phänomen »Knopfböcke«
All das ist nichts Neues für den Rehwildjäger unserer Zeit, danach wird gehandelt. Zumindest von denjenigen, die Rehwildhege ernst nehmen und darunter mehr als den Abschuss starker Böcke verstehen. Trotzdem klagen die Revierinhaber, dass die Knopfböcke trotz eines jährlichen hohen Abschusses nicht weniger werden, Jahr für Jahr wie Pilze aus der Erde schießen. Wie ist diese Tatsache zu erklären, und ist dieses Phänomen vom Jäger zu beeinflussen? Die genetische Veranlagung, die ererbte Genkombination (es kommt zu einer zufälligen Kombination der Gene des Vaters und der Mutter des Bockes, beide Elternteile liefern exakt 50 % der Gene eines jeden Nachkommen). Bock und Ricke tragen also zur genetischen Ausstattung der Kitze in gleicher Weise bei. Das heißt: Knopfspießer sind vollkommen normal veranlagt, jedoch aufgrund äußerer Einwirkungen (sozialer Stress, ständige Beunruhigung, keine artgerechte Äsung) daran gehindert worden, ein stärkeres Gehörn auszubilden. Die ererbte Genkombination beeinflusst den Wachstums- und Regenerationsprozess des Gehörns. Darin liegt begründet, was den Jäger fasziniert, die Vielgestaltigkeit und Stärke des Gehörns. In welcher Stärke der Bock das Gehörn aufsetzt, hängt von den Umwelteinflüssen ab, denen das Rehwild ausgesetzt ist. An erster Stelle sind die Biotopverhältnisse zu nennen, allen voran die Äsung und ihre Qualität. Damit in Verbindung steht der zahlenmäßige Bestand des Reviers. Und hier liegt der Hase im Pfeffer! Je höher der zahlenmäßige Bestand, desto schlechter ist die Qualität des Rehwildes und umso zahlreicher die Knopfspießer. Wenn wir zur Kenntnis nehmen, dass von der genetischen Konstellation der Bock alle Voraussetzungen mitbringt für ein braves Gehörn, ein hoher Bestand die innewohnenden Kräfte nicht ausleben lässt, kann das nur heißen, die Jährlinge nach der körperlichen Verfassung zehnten. Um mit den Worten des Rehwildkenners und -forschers Herzog Albrecht von Bayern zu sprechen: Hauptsache, genug Jährlinge zur Strecke bringen, also die Rehwilddichte senken, und auf diese Weise sozialen Stress verhindern. Es heißt aber auch, die Lebensraumqualität, sprich die artgerechte Äsung zu allen Jahreszeiten verbessern, und die Böcke in ausreichender Zahl so alt werden zu lassen, dass sie ihre genetische Potenz auch zeigen können. Dann, ja dann ist der von Ferdinand von Raesfeld geprägte Slogan von der »Hege mit der Büchse« kein leeres Wort.

Ende der Leseprobe, aber nicht des Kapitels. Die weiteren Unterpunkte lauten:
Gruppenansitz zu Jagdaufgang – wie organisieren?
Ansprechen der Jährlinge
Ansprechen der Schmalrehe
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Verlagsinformation zum Autor:

Dr. Hans-Dieter Willkomm ist Naturwissenschaftler, Jagdjournalist und Jagdbuch-Autor. 15 Jahre lang war er Chefredakteur der Zeitschrift unsere Jagd (siehe: https://www.jagderleben.de/unsere-jagd).
Deutsches Jagd Lexikon zum Autor: http://deutsches-jagd-lexikon.de/index.php?title=Willkomm,_Hans-Dieter
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Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER gibt es eine Facebook-Gruppe sowie Becher aus Porzellan und Emaille. Kontaktmail für Anfragen siehe Impressum.

Titel: Schalenwild artgerecht bejagen – Zum Schutz von Wald & Flur
Autor: Hans Dieter Willkomm
Verlag: BLV Buchverlag
ISBN: 978-3-8354-1579-9
Verlagslink: https://www.blvverlag.de/hans-dieter-willkomm/schalenwild-artgerecht-bejagen.html
Bildnachweise:
Titelbild mit junger Ricke: © Marek / BLV Buchverlag
Kapitaler Rehbock: © Willkomm / BLV Buchverlag
Autor Dr. Willkomm: © Willkomm / BLV Buchverlag
DAS spricht mir aus dem HERZEN.. so kenne ich es ,habe es so g e l e r n t und so durchgeführt.. bis heute ( mit kleinen Ausnahmen- zugegeben- wenn DER KAPITALE vor mir stand, den ich befürchtete ; “ nie wieder zu sehen“- gebe ich zu einer „Schande“zu :
ABER – sehen wir und doch die stolzen Bilder und Berichte an : VIEL mehr „GUTE, Reife, Entwicklungsfähige .. werden d e m o n s t r i e r t .. Ist es DAS .. was mit dieser JAGDPERIODE b e a b s i c h t i g t war/ist ….??! kein weiterer Kommentar, jeder ,der noch an den im Text genannten ALT-EHRWÜRDIGEN glaubt und danach (auch heute noch) handelt … weiß worauf ich anspiele. Wegen der Vermeidung immer neuen KNATSCHES sage ich deshalb nicht mehr dazu … WEIDMANNSHEIL…übrigens . die von Dr.Willkomm gebotenen Beitrage sind für mich (fast) alle sehr informativ, fachlich gut und gerechtfertigt .. DANKE dafür, Dr Willkomm !! Nicht nur hier auf Facebook !!
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Vielen Dank für den freundlichen und klugen Kommentar. Und bitte keine Bange vor freier Meinungsäußerung, weder hier noch anderswo.
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