Buchvorstellung
Vor ein paar Tagen sah ich im SWR einen faszinierenden Beitrag über eine junge Frau, die im Schwarzwald, so meine ich, mit ihrer Mutter einen Bauernhof betreibt. In ihrem ersten Leben war sie, mit zwei Studienabschlüssen in der Tasche, in Frankfurt am Main eine genervte Managerin gewesen. Mittlerweile züchtet sie mitten in der Provinz mit großem Erfolg Schweine einer altdeutschen Rasse, wobei die Tiere frei durch den Wald laufen dürfen und daher nicht als Bio-Schweine gelten sowie Bresse-Hühner.
Bei der Kamerafahrt durch das Arbeitszimmer der Jungbäuerin fiel mein Blick auf das Buch Das allgegenwärtige Schwein. Die Verlagsbeschreibung hat mich gleich angefixt.
»Allein das Wort Schweinchen bringt Menschen zum Lächeln. Sie denken an rosa Haut, Ringelschwanz und entzückende Ferkelschnäuzchen. Sie denken an Miss Piggy, Wilbur und Schweinchen Dick. Schweine haben sowohl Ovid als auch Kinderbuchautoren, Künstler aus dem antiken Herculaneum bis hin zum modernen Hollywood inspiriert. Und trotzdem weiß man immer noch nicht so recht, was von Schweinen zu halten ist. Sie sind unwiderstehlich, so geheimnisvoll, so widersprüchlich – geziert und fett, wuchtig und niedlich, stur und schlau. Der Mensch offenbart in seinen Schweinebildern eine komplexe Mischung aus Zuneigung und Abscheu, Sentimentalität und Schuld.
In ihrem Buch Das allgegenwärtige Schwein werfen die Autorinnen Marilyn Nissenson und Sudan Jonas einen liebevollen Blick auf das vielschichtige Verhältnis zwischen Mensch und Schwein und auf die Kunstwerke, in denen sich diese Beziehung widerspiegelt. 165 Abbildungen, davon 90 in Farbe, zeigen bezaubernde, würdevolle, unvergeßliche, niedliche und grimmige Schweinedarstellungen von der Antike bis zur Gegenwart, begleitet von Textauszügen. Garniert ist das Werk mit Randbemerkungen, Aphorismen und wenig bekannten Tatsachen über diese faszinierenden, aber häufig mißverstandenen Geschöpfe.
Mediziner, Karikaturisten und literarische Größen, unter anderem Dylan Thomas, George Orwell, Beatrix Potter und Lewis Carroll, untersuchten die Beziehung zwischen Mensch und Schwein genauer. Harry Truman war sogar der Meinung: „Präsident sollte nur jemand werden dürfen, der auch Schweine versteht.“
Schweinedarstellungen gehören zu den ältesten Kunstwerken und Schweine waren stets ein unwiderstehliches Thema für so unterschiedliche Künstler wie Hieronymus Bosch, Fabergé, Alexander Calider, Charles Addams und William Steig.
Die Autorinnen stellen ihr Thema mit einer lebendigen Einleitung voller Anekdoten und geschichtlichen Anmerkungen vor. Ein Literaturverzeichnis für den leidenschaftlichen Schweinefan runden dieses gelungene Buch ab.«
Der Text ist so treffend, dass ich ihn weder ändern oder austauschen mag. Highlights des Buches sind für mich unter anderem die Worte des faszinierenden Schriftstellers G. K. Chesterton (siehe: https://de.m.wikipedia.org/wiki/G._K._Chesterton):
»Wir wissen nicht, welche faszinierenden Veränderungen in dem Schwein stattfinden könnten, wenn es einmal ein Haustier geworden ist … Man kennt einen Dackel oder einen Bernhardiner auf der Straße. Aber sähe man einen Hund in seiner ursprünglichen Form auf der Straße, würde man schreiend davonlaufen. Hunderte, ja Tausende von Jahren hat niemand mehr die gräßliche, haarige Urform des Hundes gesehen. Warum also sollten wir die Hoffnung aufgeben, daß die Urform des Schweins sich weiterentwickelt? Es könnte verschiedene Arten von Schweinen geben … Es könnte kleine, lebhafte, kämpferische Schweine geben, so wie Scotch-Terrier, oder kleine, rührende Schweine, wie King-Charles-Spaniel … Wer sich an Haartrachten erfreut, fände Vergnügen daran, die Borsten wie bei einem Pudel zu frisieren … Mit gutem Training hätte man ein Schäferschwein statt eines Schäferhundes, ein Schoßschweinchen statt eines Schoßhündchens.
…
Schweine sind sehr schöne Tiere. Wer anders darüber denkt, der sieht nichts mit eigenen Augen an, sondernnur durch die Brille von anderen. Die wahren Umrisse eines Schweins (ich meine ein wirklich fettes Schwein) gehören zu den hübschesten und schwelgerischsten in der Natur, das Schwein besitzt dieselben großartigen Kurven, geschwungen und doch gewichtig, wie wir sie bei fließendem Wasser oder ziehenden Wolken finden … Es hat die ausgeformte, feine und universelle Wohlgestalt, die die welche nicht nachdenken (beim Betrachten von Schweinen und ausgezeichneten Journalisten), lediglich für Nichtvorhandsein von Gestalt halten. Denn Fettsein an sich ist eine wertvolle Eigenschaft. Während es beim Betrachter Bewunderung hervorruft, erzeugt es beim Besitzer Bescheidenheit. Wenn es etwas gibt, in dem ich von den mönchischen Einrichtungen der Vergangenheit abweiche, dann ist es darin, daß sie manchal Demut mittels Abmagerung zu erreichen suchten. Es kann schon sein, daß die dünnen Mönche heilig waren, aber ich bin sicher, daß die fetten Mönchen die demütigeren waren. Falstaff hat gesagt, daß fett sein bedeutet, daß man nicht gehaßt wird, sondern ausgelacht wird, und das ist eine viel gesündere Erfahrung für die menschliche Seele.«
Chesterton würde sich freuen, wenn er von heutigen Zwergschweinen lesen würde, die im Fernsehen Lieblingssendungen genießen oder so clever sind, dass sie heimlich Kühlschranktüren öffnen, um sich ihre Leckerbissen zu stibitzen.
Schweine sind uns eben vom Verhalten, aber auch körperlich, verblüffend ähnlich. Ihre Haut und Herzklappen werden bei humanmedizinischen Transplantationen verwendet. Sie trinken gerne freiwillig hochprozentigen Alkohol, so dass sie für Studien über Alkoholismus genutzt werden können. Manche Testtiere genießen sogar bereitwillig einen Liter Wodka täglich. Nicht auszudenken, wie dies ausarten könnte, würden sie Gin Tonic entdecken…
So bemerkte der große Trinker Winston Churchill einmal, dass Hunde zu uns aufblicken, Katzen auf uns herabblicken, aber Schweine uns als Gleichgestellte beachten. Vielleicht schrieb er dies schon in dem Wissen, dass die Zeichner des Film-Klassikers von Der Aufstand der Tiere, der auf George Orwells politischer Fabel Farm der Tiere basiert, beim Zeichnen des Ebers alter Major an ihn dachten?
Hausschweine, die nicht geschlachtet werden, können ein Alter von zwölf bis fünfzehn Jahren erreichen und dabei ein Gewicht von mehr als 450 Kilogramm erreichen. Wobei Big Bill, ein Schwein der Rasse Poland China, welches vor dem Zweiten Weltkrieg in Tennessee lebte, ein Gewicht von 1.156 Kilogramm erreichte und von der Schnauze bis zum Schwanz drei Meter maß. Aufgrund veränderter Ernährungsgewohnheiten sind unsere heutigen Hausschweine um 50 Prozent magerer als die Tiere, welche seinerzeit gehalten wurden. Im gleichen Maße wie die Schweine magerer wurden, wurden die Menschen übrigens fetter, aber das ist das Thema einer anderen Rezension auf diesem Blog (siehe: https://krautjunker.com/2016/06/25/fett-loblied-auf-eine-verrufene-ingredienz/).
Kurzum, ein faszinierender Streifzug durch die Beziehungsgeschichte Mensch und Schwein, die vor etwa 6.000 Jahren in China begann. Das Buch ist halb ein größeres Essay, halb ein Bildband und sowohl für Vegetarier als auch Karnivoren geeignet. Ich habe es an einem verregneten Sonntag in einem Schwung durchgelesen. Wer sich detaillierter informieren möchte, findet genug Anregungen für verschiedene Richtungen.
Abb.: Miss Piggy: „Who? Moi?“
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Anmerkungen
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Der Titel ist aktuell vergriffen. Gebrauchte Exemplare kann man für schmales Geld bei www.buchhai.de erwerben. Am besten die ISBN von Amazon kopieren und in die Suchmaske bei Buchhai eingeben.
Titel: Das allgegenwärtige Schwein
Autorin: Susan Jonas
Bildredaktion: Marilyn Nissenson
Übersetzerin: Almuth Heuner
Verlag: Könemann, Köln (März 2000)
ISBN: 978-3895086014
Und lecker! Lecker sind Schweine auch! 😜
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