Buchvorstellung
Frauen spucken das Wort „Fett“ heute mit der gleichen angewiderten Grimasse aus, wie das Wort „Pornographie“ in den 50er-Jahren. Oder Liberale ihren Fäkalausdruck „Steuererhöhungen“. Daher war ich nicht überrascht, als die Gesichtszüge meiner Frau beim Anblick des Rezensionsexemplars entgleisten, als hätte ein Wüstling Doris Day in eine Stripteasebar eingeladen. Die alte Weisheit bedenkend „Familie ist gut, aber böse musst Du mit ihr sein“ lag mir „Schatzi, wenn Du mich wirklich liebst, dann willst Du es auch“, auf der Zunge, aber vor ihrer temperamentvollen Reaktion war mir dann doch bange.
Erwartet der Leser einen wahren Falstaff oder Gargantua als Autor einer Fett-Bibel, so erlebt er die erste Überraschung: Die Autorin sieht auf ihrem Foto eher wie eine strenge Lehrerin aus. Jennifer McLagan ist eine australische Köchin mit schottischen Wurzeln, die in Michelin-besternten Restaurants sowie Botschaften in Melbourne, Paris und London arbeitete und mittlerweile in Toronto lebt, kocht und schreibt.
Wie um dem skeptischen Leser in Zeiten des Kulturprotestantismus die Angst vor schuldbeladenen hemmungslosen Exzessen zu nehmen, präsentiert sich das Buch wie ein naturwissenschaftliches Oberstufenbuch. Das Layout ist sehr nüchtern mit niedrigen Farbkontrasten und wenigen Fotos. Haupt- und Süßspeisen sind nicht auf dem ersten Blick zu unterscheiden. Die wenigen Bilder lösen keinen spontanen Speichelfluss aus.
Das sparsame Layout begründet sich jedoch nicht in pädagogischen Maßnahmen, sondern in Budgetgrenzen. Die deutsche Ausgabe ist das auflagenschwache Liebhaberobjekt eines branchenfremden linkspolitischen Kleinverlages. Vor der Courage von Autoren und Verlegern, trotz wirtschaftlicher Zwänge gegen den Strom zu schwimmen, ziehe ich immer den Hut. Es passiert selten genug und ich ertappe mich selbst oft dabei denkfaul oder ängstlich die öffentliche Meinung nachzuplappern, ohne es recht zu merken.
Fängt man jedochzu lesen an wird man schon zu Beginn der Lektüre von den Gedanken der Autorin angezogen, wie Sindbads Dhau vom Magnetberg. Ihre Könnerschaft in der Darstellung von Esskultur bis Küchenpraxis zeigt sich in tiefer Fachkenntnis, unerschrockener Abweichung von zeitgenössischen Mehrheitsmeinungen und ist dabei nicht trocken oder technisch, sondern in so humorvoller, anekdotenreicher und flüssiger Sprache verfasst, dass die Optik des Buches an Bedeutung verliert, weil das eigene Kopfkino anspringt und Bilder projeziert.
Die englische Ausgabe von „Fett“ erschien bereits 2008 unter dem Titel „Fat: An Appreciation of a Misunderstood Ingredient, with Recipes“, gewann gleich zwei James-Beard-Awards und war Finalist des IACP-Awards. Preise also, welche als die Oscars und Golden Globes der kulinarischen Welt gelten. Schon 2005 erschien ihr erstes Buch „Bones: Recipes, History, and Lore“, das ebenfalls einen Beard-Award erhielt. 2011 folgten die ebenfalls ausgezeichneten Werke „Odd Bits: How to Cook the Rest of the Animal“ und 2014 „Bitter: A Taste of the World’s Most Dangerous Flavor, with Recipes“.
Hier führt jemand einen Feldzug gegen die Vorurteile und Verflachung unserer Esskultur. Die Kritiken und Preise, die dabei errungen wurden, sind keine Glückssiege, sondern die verdienten Lorbeeren eines unkonventionellen und strategisch denkenden Kopfes, der außerhalb der sicheren Fahrwasser des Medien-Mainstream navigiert.
Nach einer kurzen persönlichen Einleitung über den gelassenen und genussfreudigen Gebrauch von Fett in den 60er Jahren wird geschildert, wie es dazu kam, dass uns in den Fleisch-Verkaufstheken magere, farblose und entbeinte Klumpen in Vakuumverpackungen präsentiert werden, die weder optisch an die Tiere erinnern sollen, die sie einmal waren, noch herzhaft schmecken.
1977 bestätigte der US-Kongress den seinerzeitigen Stand der wissenschaftlichen Irrtümer, dass der Verzehr tierischer Fette gesundheitsschädlich sei. Jahrtausende menschliche Erfahrung, die traditionelle Rezepte, Volksfeste, Sagen und Sprichwörter prägten, wurden dabei von der Politik geflissentlich ignoriert.
Der geneigte Leser zieht beim Lesen unwillkürlich Parallelen zu aktuellen Erziehungsversuchen der Parteien und Massenmedien der deutschen Erregungsgesellschaft.
Anschließend zertrümmert Jennifer McLagan auf der Basis des heutigen Wissens genüsslich das überholte Glaubenssystem, indem komprimiert aber systematisch medizinische Fakten und Küchenphysik erklärt werden. Der Verzicht auf Fett führt zum Mehrverzehr von Kohlehydraten und mehr Zwischenmahlzeiten, was nach neuesten Erkenntnissen noch ungesünder ist. Kein Wunder also, das Übergewicht eine Volkskrankheit wurde, die fettarme Essenszubereitung Speisen qualitativ verschlechterte und das Essen glückspendender Aromen beraubte. „Fettloses Essen ist geschmacklos, freudlos – und ungesund.“
Der Hauptteil des Buches gliedert sich in die Kapitel „Butter“, „Schweinefett“, „Geflügelfett“ und „Rinder- und Lammfett“. In einer Kapitel-Einleitung wird das jeweilige Fett aus verschiedenen Perspektiven – Herstellung, Eigenheiten, Küchengeschichte, Verarbeitung – erklärt. Darauf folgen viele verlockende und überraschende Rezepte, die bedauerlicherweise spärlich und nicht besonders reizvoll illustriert sind. Etwas problematisch erwies sich für mich die aufsatzähnliche Form der Rezeptbeschreibung. Bei mir führte sie dazu, dass ich kompliziertere Gerichte beim Zubereiten immer wieder von vorne lesen musste. Absolut faszinierend jedoch sind vor allem die locker eingestreuten Informationen, internationalen Sprichwörter und Geschichten zum Thema Fett. So erfährt man, dass seit mindestens 2.000 Jahren bis in die frühe Neuzeit Iren und Schotten Butter und Schafstalg in ihren Mooren lagerten. Oder warum seit Urzeiten Fette für die Herstellung von Kosmetik und Medizin wertgeschätzt wurden. Oder dass in Bazas, einer Stadt südlich von Bordeaux, jedes Jahr das mittelalterliche Fest der fetten Rinder gefeiert wird. Nicht erst seit biblischen Zeiten war Fett ein Synonym für Glück, Genuss und Wohlstand.
Fazit: Jennifer McLagans hat mit ihrer Ode an das Fett ein kulinarisches Werk von hoher Qualität geschaffen. Ein Lieblingsbuch wird es für mich nur nicht, da mir die gestalterische Aufbereitung nicht schmeckte und bei den zubereiteten Speisen letztendlich der überraschende Clou fehlte, welches ein Kochbuch in den Olymp erhebt.
Unzweifelhaft stellt das Buch jedoch eine Bereicherung für jede Bibliothek dar, weil es auf eine mutige und originelle Art dem Leser neue Zusammenhänge erschließt und dabei gut unterhält.
Fett – klug und bewusst verwendet – steht nach der Lektüre wieder für Genuss, Gesundheit und ein gutes Leben.
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Anmerkungen
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Titel: Fett – Loblied auf eine verrufene Ingredienz
Autorin: Jennifer McLagan
Verlag: Rotpunktverlag, Zürich 2012
ISBN-13: 978-3858695116
Anmerkung: Diese Rezension wurde bereits zuvor auf http://valentinas-kochbuch.de/ veröffentlicht und leicht überarbeitet.
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