Kork-Eiche, Quercus suber

von Jonathan Drori

Die Kork-Eiche wächst sehr langsam. Der niedrige, immergrüne Baum mit den dicken, knotigen Ästen kann gut und gerne 250 Jahre alt werden und bildet frei stehend eine enorme Krone aus. Im Frühjahr heben sich gelbe Blüten wirkungsvoll vom dunkelgrünen Laub ab. Die Blätter sind stachelig wie die der Stechpalme, ledrig und oft dicht behaart. Dieser Baum mag feuchte Winter und heiße Sommer – Bedingungen, die typisch für die Hügellagen des westlichen Mittelmeerraumes sind. Von der Atlantikküste bis nach Italien und von Algerien bis Tunesien bedecken Kork- Eichenwälder eine Fläche von etwa 26.000 km². Mehr als die Hälfte des weltweit produzierten Korks kommt aus Portugal, der Rest größtenteils aus Spanien. Das Holz der Kork-Eiche ist nichts Besonderes, ihre dicke Rinde aber sehr wohl. Laut Plinius d. Ä. schätzten schon die Römerinnen Korksohlen an ihren Sandalen: weil die dicken Sohlen schön leicht waren und sie größer aussehen ließen. Die Rinde ist schwer entflammbar, z. B. bei Waldbränden, und isoliert so gut gegen Kälte, dass man die Benzintanks von NASA-Spaceshuttles mit Kork ummantelt. Natürlich ist die Herstellung von Kork traditionell eng mit Wein verbunden. Schon im alten Ägypten und in der griechischen Antike wurden Amphoren mit Korkstöpseln verschlossen; später begründete dann der Winzer- Mönch Dom Pérignon (sic!) eine himmlische Verbindung von Kork und Wein. Und heute heißt der Verschluss einer Weinflasche ganz einfach Korken. Die Borke schützt die Kork-Eiche auch vor Schädlingen. Sie ist außergewöhnlich undurchlässig, sogar für Luft – keinem anderen natürlich vorkommenden, pflanzlichen Material können so viele Substanzen so wenig anhaben. Kork ist resistent gegen Wasser, Benzin, Öl und natürlich gegen Alkohol. Bei gleichbleibender Elastizität hält er extremem Druck stand, weshalb man Korken auch problemlos in enge Flaschenhälse drücken kann. Beim Schneiden von Kork bilden sich mikroskopisch kleine Hohlräume – unzählige winzige Vakuen, die verhindern, dass ein Korken vom glatten Flaschenhals abrutscht. Die Kork-Eiche ist eine Ausnahmeerscheinung, weil ihre Rinde nach dem Schälen nachwächst. Die äußere Korkschicht kann zum ersten Mal geerntet werden, wenn der Baum etwa 20 Jahre alt ist, und dann wieder alle 10 Jahre. Im späten Frühjahr und im Frühsommer, wenn sich die Borke leicht abschälen lässt, werden Stamm und dicke Äste des Baumes bis zu einer Höhe von rund 2,5 m entrindet. Korkernte ist eine Kunst: Wenn der Schlag mit der Axt nicht kräftig genug ist, ist er wirkungslos; wenn er zu kräftig ist, wird der Bast verletzt, und die Borke kann nicht mehr nachwachsen. Ein Baum mittleren Alters kann bis zu 100 kg Kork liefern. Angesichts der Tatsache, dass das Material so wenig wiegt, ist das eine beachtliche Menge. Bei der Verarbeitung werden die Rinden gekocht, geschrubbt, zugeschnitten, gekürzt und unter Dampfdruck gepresst, bis schließlich Korken aus den Platten gestanzt und an Weingüter in aller Welt geliefert werden können. In der Woche nach der Ernte werden die zunächst glatten, goldbraunen Stämme der entrindeten Kork-Eichen rau und tiefrot. So wirken die Bäume merkwürdig nackt, wie Nordeuropäer in kurzen Hosen mit sonnenverbrannten Beinen.

Abb.: Kork-Eiche; Bildquelle: Illustratorin Lucille Clerk

Kork-Eichen sind wichtig für eine einzigartige, nachhaltige Bewirtschaftung von Habitaten, die in Portugal Montados genannt werden (in Spanien: Dehesas). Dort wird nicht nur Kork produziert, sondern es werden auch Schafe, Puten und Schweine mit den Eicheln der Kork-Eichen gemästet. Der Hutewald der Montados bietet vielen seltenen Arten Schutz: dem Pardelluchs, dem Kaiseradler und dem Schwarzstorch, außerdem Ringeltauben, Kranichen und Finken sowie einer Menge von kleinem Getier, von dem die Vögel sich ernähren. Bedauerlicherweise ist das ökologische Gleichgewicht dieser Gegenden jedoch in Gefahr. Gelegentlich entwickelt Wein einen muffigen Geruch, den eine Substanz namens Trichloranisol verursacht, auf die unsere Nase so sensibel reagiert, dass ein durchschnittlicher Konsument ein tausendmillionstel Gramm davon in einem Glas herausschmeckt. In den 1980er und 1990er Jahren gab es Berichte über minderwertige Korklieferungen, die Wein verdorben („korkig“ gemacht) hatten. Einige Weinproduzenten reagierten darauf, indem sie Kunststoffverschlüsse entwickelten. Mittlerweile weiß man zwar mehr über die Biochemie von Kork, die Produktion wird streng kontrolliert, und Korken verderben den Wein so gut wie nie mehr. Dennoch sind viele Produzenten dazu übergegangen, nur noch Schraub- und Plastikverschlüsse zu verwenden. Das ist ein Jammer, denn die Erhaltung des Lebensraumes Montado hängt von der Korknutzung ab. Sinkt die Korknachfrage, wächst der ökonomische Druck auf die Bauern, das Land auf andere Weise zu nutzen. Wenn Sie Wein mögen, sollten Sie also Flaschen mit Korkverschluss kaufen. Dann können Sie sich nicht nur über den Inhalt der Flasche, sondern auch darüber freuen, dass Sie einen Beitrag zum Artenschutz geleistet haben. Prost!

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KRAUTJUNKER-Kommentar:

Wer als Wein- und Weiberhasser jedermann im Wege steht,
der esse Brot und trinke Wasser, bis er daran zugrunde geht.
Wilhelm Busch (* 1832; † 1908)

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Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER existiert eine Gruppe bei Facebook.

Titel: In 80 Bäumen um die Welt

Autor: Jonathan Drori

Illustratorin: Lucille Clerc # https://lucilleclerc.bigcartel.com/

Verlag: Laurence King Verlag GmbH

Verlagslink: https://www.laurencekingverlag.de/produkt/in-80-baeumen-um-die-welt/

ISBN: 978-3-96244-016-9

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Buchvorstellung: https://krautjunker.com/2019/05/04/in-80-baumen-um-die-welt/

Erste Leseprobe: https://krautjunker.com/2019/06/06/hange-birke-betula-pendula/



2 Kommentare Gib deinen ab

  1. Rosi Pauly sagt:

    Hallo,
    Ich habe eine Frage:
    Wie kam das Trichloranisol in den Wein bzw an den Korken? Das wird in dem Artikel nicht erwähnt.
    Danke für Ihre Antwort

    MfG
    Rosi Pauly

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    1. KRAUTJUNKER sagt:

      Der Text ist eine Leseprobe aus dem Buch. Ich bin da kein Experte und kann diese Frage daher leider nicht beantworten.

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