Nervennahrung: Wildes Hirn

Rezeptvorstellung von Daniel Schoch

Das Gehirn. Das Organ des Geistes, mag so mancher denken.

Die Steuerzentrale des Körpers, beim Mensch, wie bei den meisten Tieren, besteht aus Nerven- oder Gehirnzellen, den sogenannten Neuronen. Der Mensch hat davon etwa 100 Milliarden. Wieviele Neuronen das Reh hat, konnte mir weder die Jagdliteratur  in meinem Regal, noch der allwissende Blechdepp auf meinem Schreibtisch sagen.

Aber wie beim Menschen steuert auch beim Reh das Stammhirn die lebenswichtigen Körperfunktionen wie z.B. die Atmung oder den Herzschlag.

Hinterm Stammhirn sitzt das Kleinhirn, welches die Bewegungsabläufe koordiniert .

Das Zwischenhirn hat recht vielfältige Funktionen, sollte sich der geneigte Leser dafür detaillierter informieren wollen, so möge er doch bitte seinen eigenen Blechdeppen oder die nächstgelegene Bibliothek konsultieren, denn wie die genauen Aufgabenbereiche des Großhirns auch, würde eine exaktere Auflistung den Rahmen dieses Absatzes sprengen.

Soviel noch zum Großhirn: Es ist bei weitem der größte Teil des Gehirns, es verarbeitet Reize, die aus der Umwelt aufgenommen werden, sofern diese nicht schon zuvor unbewusst in „niederen“ Hirnregionen verarbeitet wurden. Der Sehnerv endet hier, auch das Hörzentrum, seitlich im Schläfenlappen. Und das Gedächtnis, sowie die Lernfähigkeit sind im ebenso zuzuschreiben, wie die Sprech- und Denkfähigkeit und das Bewusstsein. Ob die letzteren bei Rehen vorhanden sein mögen, das mag ein jeder für sich beantworten.

Was ich dann aber wieder für uns alle beantworten kann, ist die Frage nach den Inhaltsstoffen. Etwa die Hälfte des Gehirns besteht aus Eiweiß, die andere aus Fett. Mineralstoffe und Vitamine finden sich auch darin.

Und somit kommen wir nun endlich zur Verwertbarkeit, denn was aus Eiweiß und Fett besteht, das kann man in aller Regel auch essen, und das wird auch vom Menschen schon seit Urzeiten getan. Dass das Gehirn von vielen als eklig empfunden, und als Nahrungsmittel abgelehnt wird, ist ein Umstand, der wohl erst in der jüngeren Neuzeit aufgekommen ist, in der die meisten nicht mehr essen müssen, was erhältlich und verwertbar ist, sondern essen können, was im Supermarkt steht und für Geld zu haben ist.

Rehe habe ich dieses Jagdjahr schon einige verwertet. Leber, Nieren, Herz und Lecker (Zunge) gehören für mich schon immer zu den Innereien die genauso selbstverständlich gegessen werden, wie das Fleisch auch, und auch die Knochen verwende ich regelmäßig zur Erzeugung kräftiger Wildfonds. Das Hirn aber, habe ich bisher verschmäht.

Bis jetzt. Jedes Reh hat ein Hirn, jedes davon kann man essen, und nachdem Fabian Grimm in seinem Blog https://www.haut-gout.de/wordpress/ schon vor einiger Zeit die Zubereitung thematisiert hatte, habe ich nun auch in einem meiner beiden neuen Kochbücher von Karl-Josef Fuchs, die ich mir gerade nach einem Hinweis vom KRAUTJUNKER gekauft habe, ein Rezept für gebackenes Wildschweinhirn entdeckt.

Kurzum, es war an der Zeit, einn wenig Hirnforschung zu betreiben.

Und so saß ich an einem kalten Winterabend in meinem Ansitzsack, als ich plötzlich links hinter meinem niedrigen mobilen Hochsitz, den ich erst tags zuvor an diesen Platz gestellt hatte, hastiges Rascheln im gefrorenen Laub vernahm, das den Waldboden bedeckte.

Es war die Stunde mit dem letzten Licht des Tages, die „magic hour“, die blaue Stunde. Und dunkelblau schien der Himmel, mit einem Rest Orange im Westen, wo die Sonne gerade untergegangen war. Einzelne graue Wolken zogen über die hohen Eschen, den Ahorn und die vereinzelten Eichen, die schon seit Napoleons Zeiten in unserem Auwald stehen und sich schwarz gegen den Himmel abhoben.

Ich hielt den Atem an, erstarrte und traute mich nicht zu regen, um das, was da mit hastigem Tapsen direkt neben meinen Sitz zog, nicht zu verschrecken. Da hielt das Tapsen plötzlich inne, und ich hörte Kaugeräusche, und blickte doch weiter starr nach vorn zum Altrheinarm, auf dem mit lautem Flügelschlag ein paar aufgeschreckte Nilgänse fauchend das Weite suchten. Nach ein paar Minuten drehte ich langsam meinen Kopf zu den Lauten und sah zwei Rehe, Geiß mit Kitz, die sofort mit erhobenen Häuptern in meine Richtung sicherten. In meiner Bewegung erstarrte ich wieder, und beide sprangen in einem leichten Bogen ab, bis sie genau vor mir, in etwa 40 Metern Entfernung stehen blieben, um erneut zu sichern. Als sie wieder zu äsen begannen, als wäre nichts gewesen, ging ich in Anschlag, entsicherte meine Waffe, und als das Bockkitz breit stand, krümmte ich meinen Zeigefinger, was den sofortigen Tot des Rehs zur Folge hatte. Die Geiß sprang ab, kehrte auch nicht mehr zurück, doch das Kitz lag sofort im Knall. Nach einer Viertelstunde barg ich das Stück mit klammen Fingern. Das Laub glitzerte und knackte bei jeder Bewegung.

Bildquelle: Daniel Schoch

Heute dann, am übernächsten Tag nach der Jagd, zerwirkte ich das Wild und nach getaner Arbeit nahm ich das Haupt, das ich von der Decke befreit hatte, und öffnete den Schädel mit der Japansäge von meiner Hobelbank. Als ich die Hälften auseinanderbrach, lag das Hirn vor mir. Es war aus der linken Schädelhälfte heraus gerutscht und hing noch in der rechten. Mit einem Löffel entnahm ich es vorsichtig, spülte es kurz ab, und legte es in eine Schale mit kaltem Wasser. So kam es für die nächsten Stunden in den Kühlschrank, während ich mir überlegte, wie ich es zubereiten wollte.

Gerne hätte ich es gebacken, wie das Wildschweinhirn von Herrn Fuchs´ Buch. Allerdings waren heute auch die schwarzen Wintertrüffel aus Italien gekommen, und ich hielt es kaum aus, sie nicht kosten zu können.

Bildquelle: Daniel Schoch

Am Ende entschloss ich mich, beides zu probieren. Die linke Hirnhälfte sollte gebacken werden, im Anschluss sollte die rechte mit Ei und Trüffel in der Pfanne landen.

Ich entnahm das Gehirn dem kalten Wasserbad und entfernte vorsichtig Hirnhaut und Blutgefäße so gut es ging unter fließendem Wasser. Dann teilte ich es in der Mitte, entfernte Hirnstamm und Kleinhirn, weil ich mir nicht sicher war, was ich tat und ob das alles gegessen werden sollte, legte die rechte Hälfte in die Kühlung zurück und zog die linke durch zwei verquirlte Wachteleier, um sie anschließend in Semmelbrösel zu wenden. In reichlich Butter durfte sie nun ringsum goldene Farbe annehmen und eine knusprige Kruste bilden.

Bildquelle: Daniel Schoch
Bildquelle: Daniel Schoch
Bildquelle: Daniel Schoch

Das Ganze sah nun aus, wie ein kleines, dickes paniertes Schnitzel. Ich schnitt es an und probierte. Der Anschnitt erinnerte an panierten Blumenkohl, jedoch ein Blumenkohl, der schon ein gutes Stück über den Garpunkt hinaus gekocht war. Die Konsistenz im Mund ließ mich an Schmelzkäse denken, der Geschmack war sehr zurückhaltend, ein bisschen wie Ei, wie Sahne auch, und dabei ein Hauch von Haselnuss. Nicht schlecht, aber ein Aha-Erlebnis war´s auch nicht. Ich aß es ohne Beilage, ohne Ekel, aber auch ohne Genuss, und ohne Zitrone.

Gespannt war ich nun auf den zweiten Versuch, mein Trüffel, feiner abruzzischer Tuber Melanosporum Vitt., ließ mir schon beim Gedanken an ihn das Wasser im Munde zusammen laufen. Ich hatte die schwarzbraune Knolle noch vor der Hirn-Aktion gehobelt, die Scheibchen grob gebrochen und in etwas warme Butter gelegt.

Aus unserem Garten fand sich noch eine kleine rote Zwiebel, die ich nun fein hackte, und mit einer winzigen Knoblauchzehe bei kleinster Flamme in der getrüffelten Butter dünsten ließ. Die rechte Hirnhälfte hackte ich nun auch recht fein und ließ sie nach kurzer Zeit zur Zwiebel in die Pfanne. Als sie eine weißgraue Farbe angenommen hatte, übergoss ich die Mischung mit fünf verrührten Wachteleiern, bestreute mit etwas Petersilie, rührte einmal durch und ließ das Ganze mit aufgelegtem Glasdeckel und ausgeschalteter Flamme kurz stocken. So landete es auf meinem Teller, mit einer Prise Salz und etwas frisch gemahlenem Tellicherry-Pfeffer. Daneben fand sich eine Scheibe Bauernbrot und, nachdem ich kurz probiert hatte, kein Wein, sondern eine Flasche Pils. Das Hirn mit Ei schmeckte intensiver als das Gebackene, der Trüffel trat fast in den Hintergrund – es war auch nicht viel gewesen – und der Geschmack von Ei und Hirn verband sich zu einer wunderbar nussigen Melange. Ich hatte den Eindruck, dass da zusammen gefunden hatte, was zusammen gehörte. Zumindest auf dem Teller. Seltsam, zwei Produkte so unterschiedlicher Herkunft, eins aus dem Kopf vom Reh, eins aus dem Hinterteil der Wachtel, ergänzen sich zu einem so runden Gericht. Der Trüffel klang fein an, doch nötig wär er nicht gewesen.

Bildquelle: Daniel Schoch

Seltsam auch, dass man kaum Rezepte zum Hirn findet, bei denen es nicht paniert oder mit Ei verrührt wird. Sollten Sie, werter Leser, eines kennen, so lassen Sie es mich gerne wissen.

Dass es da nicht mehr zu finden gibt, das geht mir einfach nicht mehr aus dem Hirn.

Ach, eines noch zum Abschluss.

Liebhaber kranker Musik finden einen passenden Soundtrack in dem Titel Mein Gehirn, dein Gehirn bei der Band Die Kassierer aus Wattenscheid. (https://youtu.be/R9Jd9vaxonU)

Quellen:

https://www.planet-wissen.de/natur/forschung/hirnforschung/index.html

https://www.netdoktor.de/anatomie/gehirn/

https://www.sueddeutsche.de/wissen/intelligenz-im-tierreich-was-im-kopf-steckt-1.1850424-3

https://www.haut-gout.de/wordpress/2016/07/22/reine-kopfsache-ii/

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Gebackenes Wildschweinhirn

Rezeptvorstellung von Karl-Josef Fuchs

FÜR 4 PERSONEN

Bildquelle: © Michael Wissing, Winden (WILD – Best of Wild & mehr)

ZUTATEN
1 abgezogenes Wildschweinhirn
(vom Metzger in 2 Hälften teilen und dritteln lassen)
Salz
weißer Pfeffer aus der Mühle
etwas Mehl
1 Ei
100 g Semmelbrösel
4 EL Butter
3 EL Sonnenblumenöl
etwas Zitronensaft

ZUBEREITUNG
Den Backofen auf 180 °C Ober- und Unterhitze vorheizen.
Die Hirnteile mit Salz und Pfeffer würzen.
Zuerst in Mehl, dann in verquirltem Ei und anschließend in Semmelbröseln wenden.
In einer Pfanne 2 EL Butter und 3 EL Sonnenblumenöl erhitzen. Die panierten Stücke bei mäßiger Hitze von jeder Seite etwa 3 Minuten braten und im Backofen in etwa 5 Minuten fertig garen.
Das Fett abgießen und die Butter erneuern:
2 EL Butter aufschäumen lassen und, mit ein paar Spritzern Zitronensaft, Salz und Pfeffer abschmecken und die panierten Stücke noch einmal von beiden Seiten braten.

TIPP: Das Gericht schmeckt auch mit Hirsch- oder Rehhirn.

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Koch und Kochbuchautor und Jäger Karl Josef Fuchs vom Restaurant Spielweg

Karl-Josef Fuchs, seines Zeichens Wildexperte, führt in der fünften Generation das Romantik-Hotel Spielweg im Münstertal. https://spielweg-shop.com/

Der Fernsehregisseur und Journalist Lutz G. Wetzel schreibt über seinen Jagdfreund Karl-Josef Fuchs:
»Ein Küchen-Künstler, der nicht viel Aufhebens um seine Person macht und der ständig nach der perfekten Zubereitungsart für eine Fleischsorte sucht, der oft in den Details eines neuen Rezepts versunken ist und dem nur Ehefrau Sabine wichtiger ist als Küche, Käse und Jagd. Ein unvergesslich würziges Schäufele vom Wildschwein. Eine optimal zartrosa Rehkeule. Ein Hirschkalbsfilet mit irgendeinem Wahnsinn kombiniert, dass man vorher sagt: Das kann nicht schmecken. Aber dann ist es eine Aromenexplosion am Gaumen. Entsprechend schmachtende Komplimente nimmt Karl-Josef Fuchs eher beiläufig hin. Er muss schon lange niemandem mehr etwas beweisen, ignoriert bewundernswert gelassen den schwitzend aufreibenden Kampf der Kollegen um Sterne, Kochmützen und Kochlöffel und verschwendet kein millionstel Gramm Ehrgeiz an Türmchen aus Jakobsmuscheln und Zitronengras: Eine gute Rehbratwurst, eine saftige Wildenten-Terrine, ein zünftiger Wildschwein-Sauerbraten sind die Sternstunden, die seine Gäste mit ihm feiern.

Karl-Josef Fuchs hat als Leuchtturm der deutschen Wildküche viele treue Fans und nur wenige Schönwetter-Bewunderer. Mit seinen häufig ausgebuchten Koch-, Wurst- und Grillkursen hat er dem Wildbret einen völlig neuen Stellen wert verschafft: Früher war der Rehrücken, die Wildschweinkeule und der Feldhase nur ein Festtagsbraten, inzwischen sind sie ein selbstverständlicher Bestandteil in deutschen Küchen geworden. «

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KRAUTJUNKER-Koch Daniel Schoch

Daniel Schoch ist Jäger, Angler, Imker, Geflügelhalter, Selbstversorger, Schreiner und Spinner. Seine Wurzeln liegen in der sonnigen Pfalz, zwischen Rhein und Reben. Nach einem mehrjährigen Ausflug ins schöne Portugal, zog er vor neun Jahren wieder in die alte Heimat. Seitdem isst er die Wälder und Flüsse des Mittelrheingrabens etwas leerer.
Er liebt und lebt für gutes Essen, gute Getränke, für die Jagd und für den Punkrock.

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Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER gibt es nicht nur eine Facebook-Gruppe, sondern jetzt auch Outdoor-Becher aus Emaille. Kontaktmail für Anfragen siehe Impressum.

Titel: WILD – Best of Wild & mehr

Autor: Karl-Josef Fuchs

Verlag: Tre Torri Verlag

Verlagslink: https://tretorri-shop.de/WILD-Best-of

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