Die Menschenfresser von Tsavo

Buchvorstellung von Werner Berens

Vorbemerkungen

Die Menschenfresser von Tsavo lautet der Titel auf dem Cover, der beim Aufschlagen des Buches ergänzt wird und nun lautet: Die Menschenfresser von Tsavo und andere Abenteuer aus Ostafrika.

Mit dieser Ausgabe von JAGEN WELTWEIT hält der Leser ein opulent ausgestattetes Buch mit vergoldeten Buchkanten, etlichen Fotos als Zeitdokumenten und einem stabilen Einband in den Händen, das schon beim ersten Eindruck eine Anmutung von Qualität erzeugt, die Lust darauf macht, herauszufinden, ob der Inhalt das halten kann, was das Äußere verspricht.

Bildquelle: Werner Berens

Der Autor heißt John Henry Patterson. Er war Ende des 19 Jahrhunderts in Ostafrika mit dem Bau einer Eisenbahnbrücke über den Tsavo beauftragt.

Abb.: John Henry Patterson; Bildquelle: Wikipedia

In einem Vorwort von F. C. Selous bestätigt dieser, dass die geschilderten Ereignisse spannend, lesenswert und vor allem durchaus wahr sein müssen, da er sich als erfahrener Jäger mit »Löwengeschichten« auskenne.

Zum Geleit heißt die Darstellung und Erklärung der historisch-zeitlichen Gegebenheiten zum Ende des 19.Jahrhunderts im in Kolonien aufgeteilten Afrika. Dr. E.C.J. Weber nimmt hier 2005 Stellung zum Autor, den Gegebenheiten und vor allem zur Bewaffnung damaliger Afrikajäger, die teilweise mit Waffen für die Großwildjagd ausgestattet waren, welche allenfalls die Leistung eines für mitteleuropäische Verhältnisse ausreichenden Mittelkalibers vor die Laufmündung brachten.

In 28 Kapiteln berichtet der Autor von Ereignissen und Abenteuern. Er beschränkt sich dabei nicht auf das Geschehen um jene Menschenfresser, die in Der Geist und die Dunkelheit eine opulente (verfremdete) filmische Entsprechung der tatsächlichen Ereignisse fand.

Der inhaltliche Kern des Buches schildert die Ereignisse um zwei Menschen fressende Löwen beim Bau der Brücke über den Tsavo als Teil der Eisenbahnlinie von Mombasa zum Victoriasee. Bis einschließlich Kapitel Neun hatte der Autor »alle Hände voll« zu tun als leitender Ingenieur die erwähnten Löwen zu erlegen….. unterschiedlichen Quellen zufolge 28 bis 135 Opfer unter den Arbeitern an der Eisenbahnstrecke.

Abb.: Der erste 1898 von Patterson im Tsavo-Gebiet erlegte Löwe; Bildquelle: Wikipedia

In den folgenden Kapiteln berichtet der Autor über Eigenschaften und Lebensweisen verschiedener Eingeborener (Die Suaheli und andere Stämme), technische Herausforderungen (Die Fertigstellung der Tsavo Brücke) und von zahlreichen Jagdabenteuern (Löwen auf den Athi Plains).

Abb.: Der zweite Tsavo-Löwe; Bildquelle: Wikipedia

Leseerlebnis

Der Autor berichtet, er erzählt nicht, – und das tut er offenbar ganz bewusst. Zu den Ereignissen und seinem Sprachstil nimmt er wie folgt Stellung:
»Ich bin davon überzeugt, dass viele meiner Leser … dazu neigen werden, meine Schilderungen für übertrieben zu halten. Hierzu kann ich nur versichern, dass ich mich … im Übrigen strikt bemüht habe, die Geschichten … so zu berichten, wie sie sich tatsächlich ereignet haben.«

Nein, da steht nun keine trockene, langweilende Auflistung von Ereignissen im Telefonbuchstil. Aber etwas ist grundlegend anders als in gewohnter Lektüre. Der angesichts des angekündigten Berichtens statt des erwarteten Erzählens skeptische Leser wird überrascht feststellen, dass er mit dem Lesen kaum aufhören kann. Warum ist das so? Warum kommt der Autors ohne blumige Sprachgirlanden und metaphorische Assoziationen aus? … Was an diesem Buch fesselt, ist nicht eine Erzählkunst, die aus Alltäglichem Dramatisches macht, sondern die Nüchternheit der tatsächlichen Ereignisse, ihre reale Dramatik und die stets präsente Frage, wie der Autor aus den „Zwickmühlen“, in die er sich oft selber bringt, wieder herauskommen mag. Welcher halbwegs geistig intakte Jäger der Neuzeit, würde mit einer Waffe, die in etwa dem Kaliber 7×57 an Leistung entspricht, auf männliche Löwen losgehen?

»sobald der Löwe wahrnahm, dass ich auf ihn zu lief, stellte er sich unter einem Baum ein … Dort stand er nun, beäugte jede meiner Bewegungen und brachte seinen Zorn über meine Anwesenheit mit tiefem bedrohlichem Grollen zum Ausdruck. Mir gefiel seine Miene ganz und gar nicht- und wäre ein weiterer Baum in der Nähe gewesen, so hätte ich ihn sicherlich zuerst erklettert, bevor ich dann aus sicherer Position zu feuern wagte … Da ich indes im Sinn hatte, um jeden Preis mein Glück auf diesen kapitalen Löwen zu versuchen, setzte ich mich da, wo ich war- knapp 60 Yards von ihm entfernt- am bloßen Boden nieder und richtete mein Gewehr auf sein mächtiges Haupt. Nach meinem Dauerlauf war ich so außer Atem, und meine Arme zitterten dermaßen, dass ich nur mit Mühe das Korn auf dem grimmig blickenden Ziel halten konnte … Es war dies ein äußerst aufregender Moment … Also ging ich so ruhig ins Ziel, wie dies nach den Umständen möglich war, und betätigte den Abzug …«

Um das Rätsel aufzulösen: Der Löwe ist nicht tot und wird sehr lebendig, als der Autor mit seinen Begleitern (Großwildjäger jener Zeit haben Waffen- und Proviantträger, jedoch keinen bewaffneten Guide im Hintergrund)  zu dem vermeintlich toten Löwen geht. Er benötigt noch vier Schüsse, um in dem folgenden dramatischen Durcheinander den Löwen zu erlegen. Wie im ganzen Buch wird die Spannung und der Wunsch weiter zu lesen durch die Ereignisse und ihre relativ nüchterne Darstellung selbiger erzeugt … Und … kaum eine der Unternehmungen des Autors verläuft so, wie er sie erwartet, sondern es kommt sehr häufig anders als er – und damit auch der Leser – denkt.

Bildquelle: Werner Berens

Aber nicht nur – je nach Ansicht – der Leichtsinn oder Mut des Autors bei seinen Jagden fesselt den Leser. Der Autor berichtet von seiner Arbeit, von den Menschen, mit denen er arbeitet, von den technischen Schwierigkeiten … und „unterschwellig“ berichtet er von jener Zeit, vom Überlegenheitsbewusstsein der Kolonialisten, von den nahezu selbstverständlich unterschiedlichen Wertigkeiten eingeborener Suaheli, Massai und der auf der Baustelle arbeitenden Inder, die den Löwen zum Opfer fallen. Für zeitgenössische Leser ist das Buch eine Offenbarung von vergangenen Handlungs- und Denkweisen, die zu den heutigen im absoluten Kontrast stehen. Das Buch ist vom Anfang bis zum Ende eine mit überraschenden Ereignissen gespickte opulente Zeitreise, von der man sich – lesend – nur sehr schwer zu lösen vermag.

Bildquelle: Werner Berens

Quintessenz

Um eine oben gestellte Frage zu beantworten: Der Inhalt hält das, was die „Verpackung“ verspricht. Mit dieser Buchausgabe ist JAGEN WELTWEIT ein in sich rundes Meisterstück gelungen. Das Auge isst mit und die Haptik fühlt mit. Und wenn dann noch ein Buchaufbau dazu kommt, bei dem in Prolog, Vorwort und Geleit dem Leser Geländer bereit gestellt werden, an denen er sich durch die historischen Zusammenhänge hangeln kann, ist das sicherlich wohlüberlegt und auch in heutigen woken Zeiten durchaus sinnvoll. Es gibt – meine sehr persönliche Ansicht – kaum Idiotischeres, als historische Ereignisse und menschliche Handlungsweisen aus heutiger Sicht moralisierend zu bewerten. Das ist die Stärke des Buchaufbaues, dass sie das zu vermeiden trachtet. Und die Stärke des Autors ist, dass er NICHT „schriftstellert“, sondern die Ereignisse für sich sprechen lässt. Hier lässt im Gegensatz zum Aufbau das fehlende Geländer aus Metaphern und sprachlichen Girlanden dem Leser die Freiheit, seine eigene Zeitreise in Arbeits-, Lebens- und Jagdverhältnisse in Ostafrika mit Leben zu füllen und vor seinem geistigen Auge Bilder von schwer arbeitenden Indern, primitiven technischen Hilfsmitteln und von gefährlichen Jagden zu erzeugen. Ich bin sicher, dass ich nach gegebener Zeit – vielleicht nach einigen Jahren – das Buch noch einmal lesen werde, denn es ist eines der seltenen Bücher, die in meiner Leseerinnerung „nachhallen“, die auch nach der Lektüre Bilder nächtlicher Löwenüberfälle, und aufregender Jagderlebnisse immer noch aufleben lassen, sobald der Blick auf das Buch fällt.

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Werner Berens

Werner Berens ist Fliegenfischer, Jäger, Autor und Genussmensch, der den erwähnten Tätigkeiten soweit als möglich die lustvollen Momente abzugewinnen versucht, ohne aufgrund kulinarisch attraktiver Beute übermäßig in die falsche Richtung zu wachsen. Als Leser und Schreiber ist er ein Freund fein ziselierter Wortarbeit mit Identifikationssmöglichkeit und Feind von Ingenieurstexten, die sich lesen wie Beipackzettel für Kopfschmerztabletten. Altermäßig reitet er dem Sonnenuntergang am Horizont entgegen und schreibt nur noch gelegentlich Beiträge für das Magazin Fliegenfischen.

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Anmerkungen

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Titel: JAGEN WELTWEIT Classics Band 1: Die Menschenfresser von Tsavo

Autor: J. H. Patterson

Übersetzung: Erhard C. J. Weber

Verlag: Paul Parey Zeitschriftenverlag GmbH

Verlagslink: https://pareyshop.de/produkt/jagen-weltweit-classics-band-1-die-menschenfresser-von-tsavo/


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