Messerkauf im Hinterland – Ein Fundstück aus einer Ferreteria

von Wolfgang Abel

Manche Dinge wird es nie im Internet geben. Das Taschenmesser, das im Schaufenster einer altspanischen Eisenwarenhandlung auf den Balearen lag, kann man auch nicht online bestellen. Ausgerechnet auf Mallorca, keine halbe Mietwagenstunde vom internationalen, völlig entgrenzten Umtrieb auf Palmas Flughafen, liegen ein paar archaische, sichtbar und fühlbar handgefertigte Klappmesser im längst nicht mehr glasklaren Schaufenster einer Ferreteria.

In der alten Weinbaugemeinde Binissalem wurde ein Fachgeschäft zum Relikt, das sich weigert, in der Moderne anzukommen. Wer Freude an Schaufensterarchäologie hat, kommt an solchen Läden ja ohnehin nicht vorbei, sie gehören zu den Reiseerlebnissen, die nicht zu planen sind und lange nachklingen. Es gibt dort keinen Rabatt, aber eine Geschichte. Hinter der rund gelaufenen Türschwelle der Ferreteria war eine deckenhohe Regalwand mit schweren Holzschubladen. Auf dem breiten Tresen stand eine analoge Waage zum Abwiegen lose gekaufter Nägel. Neben Metallwaren und Werkzeug im engeren Sinne gab es noch ein Grundsortiment an Weichware und Applikationen für analog arbeitende Landbewohner. Eimer, Seile, Schmier- und Hilfstoffe, auch Zigaretten und Zigarillos einzeln, Wein vom Nachbarn.

Beim ersten Besuch habe ich mich im Ladenlokal nur scheu umgesehen, Verkaufspersonal war nicht zu sehen. Erst beim zweiten mal bemerkte ich, daß sich die alte Ferreteria nach hinten zu einem Innenhofgarten öffnet, wo einst Brunnen und Mandelbaum, Karren und Esel ihren Platz hatten. Dort trifft sich die betagte Besitzerin am späten Vormittag mit Nachbarn und Freundinnen zu einer Art Abteilungsleiterkonferenz. Der Milchkaffee wird aus der Bar gegenüber geliefert, Skandale und Nachrichten kommen ebenfalls frei Haus. Während des Meetings wird vorne im Laden nur eine Art Notdienst garantiert.

Nach einer Wartezeit wurde mir die Taschenmesserkollektion des Hauses dann in einem sorfgfältig verschnürten, schuhschachtelgroßen Karton präsentiert. Seine Pappe war grau und dick wie Nilpferdhaut. Die alte, abgegriffene Schachtel wurde vermutlich noch während der Francozeit produziert und sie wird noch manche Regierung überdauern. Die Messermodelle waren mit Zahlen von 1 bis 7 nummeriert; auf einer kleinen Papptafel, die in der Schachtel lag, stand hinter jeder Modellnummer ein Preis zwischen 12 und 22 Euro. Die Bleistiftspuren der alten Pesetenpreise waren noch wage zu erahnen – einen Messerkauf im Hinterland kann es nie im Internet geben.

Mein Taschenmesser hat 17 Euro gekostet, es ist nicht smart, aber scharf und spitz. Es hat kein GPS-Modul, das weiche Eisen der Klinge läßt sich unterwegs aber an jedem Sandstein nachschärfen. Mit so einem Messer kann man keinen Flug buchen, aber Sachen machen, von denen Leute träumen, die mit dem Smartphone in der Hand ein Leben suchen, das sie nicht finden werden.

Mit so einem Messer kann man an der schönsten Stelle über der Bucht Brot, Schafskäse und Tomaten aufschneiden oder unterwegs aufgesammelte Mandelschalen aufhebeln. Fische ausnehmen, einen Grillspieß anspitzen, Späne zum Anfeuern machen geht auch. Und nach der Heimreise gilt erst recht: mit einem Smartphone lässt sich kein Apfel teilen und kein Strauß Wiesenblumen schneiden.

 

Anmerkungen

 Dies ist Wolfgang Abels Kolumne vom 31. Juli 2016.

Ich möchte dem charmanten Geschäftsführer des OASE Verlags, Herrn Wolfgang Abel höchstselbst, sehr herzlich für die Erteilung des Copyrights danken. Es empfiehlt sich nicht  nur ein Blick in Abels Kolumnen, sondern auch in das Verlagsprogramm. Das Motto lautet vielversprechend „Vom guten Leben“.

Alle Kolumnen, Bücher und Touren von Wolfgang Abel sind auf der Website des OASE Verlags aus Badenweiler zu finden: http://www.oaseverlag.de/

Im Südwesten Deutschlands erfreuen sich seine „kulinarisch-heimatkundliche Streifzüge“ seit dreißig Jahren einer wachsenden Leserschaft:

http://www.badische-zeitung.de/gastronomie-1/wolfgang-abel-stellt-neuen-ortenau-fuehrer-vor–87047922.html

http://www.bund-rvso.de/wolfgang-abel.html

 

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