Martin Walker, ein schottischer Historiker und politischer Journalist, ist deutschen Lesern als Krimiautor um Bruno Courrèges bekannt. Seine Krimis spielen in Saint Denis, einem Örtchen im Périgord. Diese Landschaft und historische Provinz liegt im Südwesten Frankreichs, etwa 150 Kilometer landeinwärts von Bordeaux.
Der Chef de police und einziger Ortspolizist von St. Denis unterscheidet bei der Aufklärung von Verbrechen entspannt zwischen Recht und Gerechtigkeit und lässt, ganz Französisch, auch mal Fünfe gerade sein. Sein Privatleben als Hobbykoch, Rugbytrainer und begehrtester Junggeselle des Örtchens, eingebettet in die idyllische Landschaft des Périgord, machen den eigentlichen Reiz der Reihe aus. Die Kriminalfälle sind nie so beunruhigend und düster sind wie in schwedischen Krimis, manchmal sorgt auch der Diebstahl eines besonders hochwertig gereiften Käses für große Aufregung. Davon abgesehen sind das Wetter und das Essen immer besser.
Irgendwann erwischt sich der Leser bei dem Gedanken, selbst nach St. Denis ziehen. Dort würde man den ganzen Tag in einem Bistro sitzen, lecker essen und dazwischen Backgammon spielen, Pastis trinken und Gauloises schmöken. Pappsatt durch von der Sonne geküsste Lebensmittel, hätte es sogar einen gewissen bizarren Reiz Citroen zu fahren. Bräche der Wagen zusammen, säße man mit einer Flasche gekühlten Weißweines auf der Motorhaube, genösse den Ausblick auf leuchtende Schlösser, Weinberge und Obstgärten, während man auf einen Freund wartete, der nun aber hoffentlich kein französisches Auto führe. Vielleicht käme auch – oh là là – eine unbekannte Schönheit vorbei und das Autoradio spielte auf einmal Je t’aime… Spontan käme es zu l’amour und danach gäbe es wieder Pastis und Gauloises. Wenig später wäre es Zeit für die nächste Mahlzeit. Und das Beste daran, alles ist so lecker und gesund, dass man dabei nicht dick wird! Wäre dies nicht ein Leben wie Gott in Frankreich?
Brunos Kochbuch kommt in einem nostalgischen Einband daher, der an Jugendstil oder Art Deco erinnert. Weder Grafik noch Foto sind auf dem Titelbild, dafür prangen die Namen von Autor und Romanheld auf den Farben der Trikolore. Wie in der guten alten Zeit ist die Bindung solide, das Papier und der Druck hochwertig. Nach vielen bombastischen Fotos, fragt man sich bald ungeduldig: Wann geht es mit den Rezepten los? Hier erscheint die Einleitung. Es ist ein unterhaltsam geschriebener Text über das Lebensgefühl im Périgord und den Autor mittendrin im Schlaraffenland. Das Leben der Menschen in der lichtdurchfluteten Landschaft, in der ihnen gebratene Tauben in den Mund fliegen, wird sehr verlockend geschildert. Über die spannende Geschichte – über 300 Jahre herrschten hier englische Könige – und die kulinarischen Besonderheiten der üppigen und lieblichen Landschaft erfährt der Leser nichts. Aus den Bildern und Rezepten ergibt sich jedoch intuitiv, was der Schriftsteller und Historiker André Maurois (eigentlich Émile Salomon Wilhelm Herzog, * 1885; † 1967) an anderer Stelle erklärte: „Die Zutaten der Bonne cuisine sind hier weder exotisch noch selten. Jede Bauernhütte besitzt sie. Foie gras: alles was man zu tun hat, ist, eine Gans zu nudeln. Trüffel? Sie sind ein Wunder, eine Laune der Natur. Confit oder Ballotine? Hat nicht jeder Pächter seinen Hof? Einen Schinken? Alle Bauern halten Schweine. In Périgrod sind ländliche Feste stets Meisterwerke des guten Geschmacks.“
Das Layout des Buches selbst ist eine Augenweide. Ist der Fotograf so ein großer Künstler oder hat sich die Foto-, Bildbearbeitungs- und Drucktechnik so wahnsinnig verbessert? Vielleicht trifft beides zu. Auf die Mittel moderner Fotostudios und Foodstylisten wurde sogar verzichtet, was ich sehr sympathisch finde. Vergleiche ich die Fotos mit denen älterer Kochbücher ist es, als wenn man zuvor durch jahrelang ungeputzte Fenster endlich klar sieht*. Anschließend gerät man in Versuchung, in die Bilder hineinklettern zu wollen.
Inspiriert davon, dass sich das Leben der Menschen um die Märkte und ihre Angebote dreht, wurde das Buch inhaltlich weder nach den Jahreszeiten oder Menüfolgen, sondern den Produzenten gegliedert: Der Gemüsebauer, der Angler, der Jäger, der Fleischer, der Käser, der Bäcker, der Sammler und der Winzer. Am Anfang jedes Kapitels gibt es ein Essay zu diesem Produzenten. Finden sich hier wichtige Informationen? Nein, aber es macht trotzdem Spaß die Texte mehrfach zu lesen. Die ersten Sätze beim Fleischer lauten: „Nach einer alten Redensart sucht eine Französin ihren Fleischer sorgfältiger aus als ihren Liebhaber und bleibt ihm auch länger treu…“ Daran schließen sich Menüvorschläge, Brunos Küchennotizen, ein Register und Bezugsquellen an. Den Schlusspunkt bildet ein Heftchen im Umschlag mit zwei kulinarischen Fällen für Bruno, Chef de Police. Insbesondere die Menüvorschläge sind eine schöne Idee, auch die anderen Beiträge lobenswert dargestellt. So ist das Register sehr durchdacht einmal alphabetisch und einmal nach Zutaten sortiert. Dazwischen immer wieder großartige Fotos mit liebevollen Details.
Nach dem Verdauen der optischen Reizüberflutung erkennt man jedoch, dass die Buchgestalter die Lesbarkeit in Teilen auf dem Altar der Schönheit geopfert haben. Die Zutaten sind sehr klein gedruckt und nichts für schwache Augen, was für das Kochen unpraktisch ist, sofern man die besten Jahre erreicht hat.
Die vorgestellten Rezepte sind authentisch und unkompliziert. Alles, was ich probierte, funktionierte problemlos. Einige sind schon etwas banal, wie „Tomatensalat nach Großmutterart (S. 71) oder „Jakobsmuscheln mit Petersilie und Knoblauch“ (S. 88). Ich habe die Seiten trotzdem öfters aufgeschlagen und gelesen — schon alleine weil die Fotos so lecker sind. Unkompliziert, aber ein Knüller: „Tarte Tatin mit roten Zwiebeln und Ziegenkäse“ (S. 166) oder „Quiche nach Art des Périgord“ (S. 173). . Sollte es einfach nicht so toll werden wie in dem Buch dargestellt, wird es an den Zutaten liegen, die nicht zu jeder Jahreszeit und an jedem Ort in dieser Qualität und Frische zu bekommen sind.
Besonderes Küchenequipment wird nicht benötigt, auch die Zutaten sind nicht schwer zu besorgen. Eine ärgerliche Ausnahme ist die Unmöglichkeit, im lokalen Handel meiner kalten Heimat Entenschmalz zu kaufen. Eine entscheidende Zutat für viele Rezepte, nicht nur um die weltbesten Bratkartoffeln (S. 76) herzustellen, aber das kann ich dem Kochbuch schwerlich zur Last legen.
Einmal abgesehen davon, dass das Kochbuch für Fans der Bruno Krimis ein Muss ist, lässt sich das Geheimnis von Brunos Küche im Périgord so zusammenfassen: Einfache, frische und hochwertige Zutaten aus der Region werden schnell und unkompliziert so zubereitet, dass sie den Eigengeschmack der Landschaft, das terroir, wiederspiegeln. Das ist jetzt keine extrem innovative Idee. Die Rezepte findet man so oder so ähnlich auch in anderen Kochbüchern über das Périgord, aber das simple Konzept geht absolut auf. Dies alles wurde vom Diogenes Verlag sehr gut sortiert, ästhetisch und ansprechend umgesetzt. Die praktischen Rezepte mit ihren persönlichen Notizen lese ich immer wieder mit Genuss, auch wenn ich mich weder in der Küche befinde, noch aktuell plane, sie umzusetzen. Bon appétit!
*Jeder, der in einer WG lebte, wird diesen Vergleich verstehen.
Anmerkungen
Ich danke dem Diogenes Verlag für die Erteilung der Veröffentlichungsrechte für die Fotos und Rezepte.
Autor: Martin Walker
Verlag: Diogenes
ISBN: 978-3257069143
Fotos: Klaus Einwanger / © Diogenes Verlag
Verlagslink: http://www.diogenes.ch/leser/katalog/nach_autoren/a-z/w/9783257069143/buch
Bisher veröffentlichte Rezepte:
https://krautjunker.com/2016/07/11/pommes-de-terre-a-la-sarladaise/
https://krautjunker.com/2016/07/04/brochettes-dagneau-aux-abricots-grillspiesse-mit-aprikosen/
Tolle Beitrag, super geschrieben! Ich liebe Brunos Kochbuch und freue mich jedes Jahr auf den Sommer in Frankreich, wo ich die Rezepte umsetze.
Liebe Grüße
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Ich liebe Brunos Kochbuch. Toller Beitrag!
Liebe Grüße
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Die Sommerurlaube in Frankreich klingen beneidenswert. Ich war zuletzt an der deutschen Nordseeküste. Dort wurde fast ausschließlich Fisch (frittiert, gebraten, gekocht) mit Kartoffeln (frittiert, gebraten, gekocht) angeboten. Solch traurige Verhältnisse lassen einen schon am Status einer Kulturnation, zumindest in kulinarischer Hinsicht, zweifeln.
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