Die trinkende Frau

In den alten Tagen des Mittelalters war die Welt erfüllt von Gewalt, Rohheit und Alkoholismus. Vielen wird es wie das Paradies vorgekommen sein, aber in einer hierarchischen Gesellschaft konnte nicht jeder seine Wolfsnatur ausleben.

Im Grunde genommen durfte nur richtig Gewalt ausüben, wer männlich und von Adel war. Je niedriger der Rang, desto weniger Opfer. Schlussendlich blieben nur die eigene Frau und Kinder sowie die Bediensteten übrig.

Und auch sich dem Suff zu ergeben, konnte sich nur wirklich leisten, wer nicht ununterbrochen für seinen Lebensunterhalt arbeiten musste. Spätestens wenn an jedem Morgen das Ackerfeld oder die Werkstatt nach einem verlangte und man auch nicht über große Geldmittel verfügte, war man zu relativer Nüchternheit verdammt. Was blieb waren die Träume von den Wein führenden Flüssen des Schlaraffenlandes.

Das Mittelalter ist längst vorbei und wir sind in der Postmoderne angelangt, in dem großen anything goes. Die Sitten sind gelockert, denn traditionelle Konventionen werden kaum noch ernst genommen. Die Herren tragen braune Schuhe am Abend und Frauen stehen mit einem Bier am Grill.

Ganz entgegen dem Eindruck, den die Massenmedien vermitteln, ist die Welt weit weniger gewalttätig geworden. Kamen im 15. Jahrhundert auf 100.000 Menschen 41 Morde, sank die Quote im 20. Jahrhundert auf 1,4 Morde. Am Beginn des 21. Jahrhunderts wird Gewalt nur noch entschuldigt, wenn sie im Einsatz für linke Politik (oder alternativ orientalische Folklore) ausgeübt wird, wie in den vergangenen Tagen beim G20-Gipfel in Hamburg. Ein Treppenwitz der Geschichte, dass nach sozialistischen Revolutionen nicht zu kontrollierende Menschen die ersten sind, welche in Arbeitslagern oder Foltergefängnissen verschwinden. Im Gegensatz zu historischen Konflikten, wo größtenteils Männer aufeinanderprallten und die Frauen zu Hause blieben, sah man in Hamburg auch viele moderne Frauen im Mob beim Plündern und Steine schmeißen.

Selbst in traditionellen den Familienhaushalten nähern sich Frauen in Sachen Gewalt der Gleichberechtigung an. Das Landeskriminalamt Berlin ermittelte 2013 bei insgesamt rund 14.300 Fällen häuslicher Gewalt in 23,8 Prozent der Fälle gegen Frauen. Die Dunkelziffer soll nach einigen Vermutungen bereits doppelt so hoch liegen. Grundsätzliche Sympathie für die Emanzipation hin oder her – für Männer gilt es ebenso als zu verschweigende Schande, von einer Frau verprügelt zu werden, wie eine Frau zu schlagen. Zumindest ich wurde noch so katholisch konditioniert, dass es mir unmöglich ist, gegenüber dem weiblichen Geschlecht die Hand zu heben (meine Mutter hat mir versichert, dass ich ansonsten Weihnachten Knecht Ruprecht begegnen würde).

Und beim Alkohol? Bekanntlich wurde im Mittelalter schon alleine aufgrund der schlechten Wasserqualität massiv gesoffen. In dieser Sache befangenen katholischen Theologen zufolge, konnte man die Reformation Martin Luthers darauf zurückführen, dass er auf der Wartburg täglich sechs Flaschen Wein trank. „Zweifelsohne ist das der Grund gewesen“, heißt es in dem Welterklärungsroman Criticón des Barockdichters Baltasar Gracián, „weshalb die Ketzerei in Spanien nicht Fuß fassen konnte wie in anderen Provinzen, weil die Trunksucht dort nicht Einzug gehalten hat. Das sind unzertrennliche Kumpaninnen, nie werdet ihr die eine ohne die andere sehen.“

Erst durch die Einführung von Getränken aus abgekochtem Wasser, wie Tee und Kaffee und schließlich durch den mit der Industrialisierung einhergehendem erhöhten Arbeitsdruck, ging der Alkoholkonsum immer stärker zurück. Doch auch wenn das Trinken in der Gesellschaft allgemein abnimmt, werden öffentlich trinkende Frauen weniger akzeptiert, als trinkende Männer. Nicht nur im heutigen Europa, sondern in jeder Gesellschaft auf dieser Welt, seit der Erfindung des Suffs.

Schreibe ich vom Trinken, meine ich nicht das Nippen am Prosecco oder das Gläschen Wein, welches so gut für das Herz sein soll, sondern thematisiere ich das klassische Wirkungstrinken. Der Geschmack ist dabei nicht das Wichtigste, denn schließlich ist in unserer europäischen Kultur der Stifter des Alkohols Dionysos. Dieser Gott war kein leutseliger Genießer, sondern Herrscher über die Freude, die Fruchtbarkeit, die Ekstase und den Wahnsinn. Maßvolles Trinken ist hingegen wie ein Flirten mit dem Rausch. Sich nie zu trauen weiterzugehen, ist ewiges Zielen ohne Abzudrücken.

Und was ist der Rausch? Der Rausch bedeutet die Aufhebung von Grenzen bis hin zu ekstatischer Freiheit. Zumindest temporär, vor dem großen Katzenjammer, die Freiheit von Ängsten, Anspannungen, Realitätswahrnehmung bis hin zu dem gefühlten Abschütteln der Schwerkraft sowie dem Gebären von Schnapsideen. Ganz im Gegensatz zu den reellen Tatsachen des Lebens fühlt sich auch der Hässlichste attraktiv und der Dümmste meint die großen Rätsel des Universums knacken zu können. Rausch verbindet Menschen, auch in der Liebe oder in der Religion. Der Drang sich berauschen zu wollen, ist daher ein menschliches Urbedürfnis wie das Lieben und das Träumen. Das Entfesseln der körpereigenen Endorphine ist sinnlich und gefährlich. Insofern ist es kein Wunder, dass die Bürger des alten Griechenlands seinerzeit Frauen nur beim Dionysoskult den Alkoholrausch zugestanden und ihnen selbst bei dieser rituellen Ausnahme nicht wohl war. Und wie bereits erwähnt wird auch hier und heute noch öffentlicher Alkoholkonsum bei Frauen weit weniger gesellschaftlich akzeptiert, weswegen er viel öfters im Verborgenen stattfindet.

Meine Mutter war meines Wissens nur ein einziges Mal in ihrem Leben betrunken. Es begab sich vor 30 Jahren ganz spontan, dass sie beim Aufräumen auf eine verlockend blau glitzernde Flasche Blue Curaçao stieß und gleichzeitig im Fernsehen Schlager aus den 60er Jahren liefen. Eine Kombination wie Nitro und Glyzerien. Der Rest des Abends ist Legende, von fröhlichem Gröhlen untermalt.

DIE ZEIT-Journalistin Elisabeth Raether, welche mir vorher nur durch ihr Kochbuch Wochenmarkt bekannt war, die aus der gleichnamigen Zeitungs-Kolumne entstand, kam daher auch nur an die Trinker-Kolumne, da ein Mann abwinkte. Wie sie am Anfang ihres Buches in dem Kapitel Frau im Rausch. Eine Einleitung beschrieb (siehe Anmerkungen), war sie für die Chefredaktion wohl eine Notlösung. Die meisten Kapitel des Buches sind als Kolumnen auf der Website der Zeitung zu finden und da ich bei meinen Lesern grundsätzlich einen eigenen Geschmack begrüße, möchte ich nur ausdrücklich auf ihr Buch Die trinkende Frau hinweisen und veröffentliche hier drei willkürlich ausgewählte Links und lade zum Probelesen ein. Wem der Stil gefällt, wird an einem Buch noch mehr Freude haben, als an dem Lesen auf einem Monitor. Davon abgesehen ist der Titel auch hübsch illustriert.

http://www.zeit.de/2011/47/Trinkende-Frau

http://www.zeit.de/2011/43/Trinkende-Frau

http://www.zeit.de/2011/21/Alkohol-Freundinnen

KRAUTJUNKER-Anmerkung: Dieser Beitrag enthält Spuren von Ironie und Wahnsinn, ist daher nicht in jeder Zeile bierernst zu nehmen. Zurückzuführen ist dies auf den irren Einfluss des Dionysos, auch wenn alles stocknüchtern geschrieben wurde.

KRAUTJUNKER

Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER existiert eine Gruppe bei Facebook.

 

raether-die-trinkende-frau

Verlag: Piper Verlag GmbH

Titel: Die trinkende Frau

Autorin: Elisabeth Raether

Illustrationen: Jean Jullien

ISBN: 978-3-492-05721-9

Verlagslink: https://www.piper.de/buecher/die-trinkende-frau-isbn-978-3-492-05721-9

Texte der Autorin in der ZEIT: http://www.zeit.de/autoren/R/Elisabeth_Raether

Leseprobe auf KRAUTJUNKER: https://krautjunker.com/2016/10/24/frau-im-rausch-eine-einleitung/

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