Wiener Küche: Wirtshausgulasch & Topfenpalatschinken – Klassiker und neue Inspirationen

„Wir Deutschen haben nahezu alles mit Österreich gemeinsam, außer natürlich die Sprache und das Essen.“ Oscar Wilde hätte es wohl so nach der Lektüre dieses Kochbuches formuliert, sofern er kein Brite gewesen wäre und nicht schon längst seinen goldenen Löffel abgegeben hätte. In Susanne Zimmels „Wiener Küche“ stolperte ich über bis dato unbekannte Vokabeln und Rezepte, was mein Interesse an der Küchenkultur dieser Hauptstadt von Kaiser- und Königreichen entfachte.

 Bereits seit November 2011 beglückt Susanne Zimmel unter ihrem nom de guerre Frau Ziii, ihre seitdem wachsende Leserschaft mit ihrem Weblog „Ziiikocht…“.  Spielerisch schafft sie es, ihre Leser an „den Leidenschaften, die mein Leben prägen“ teilhaben zu lassen: alltagstaugliche Rezepte der Wiener Küche, dazwischen Geschichten rund um das Thema Essen mit ihrer Familie in Wien, alles garniert mit schönen Fotografien.

Die Erzählerin

Die Geschichten sind sehr unterhaltsam, insbesondere wenn ihre pubertierenden Tochter, genannt Fräulein Ziii, die Hauptrolle spielt. So amüsieren sich die Leser des Blogs darüber, wie sie von ihrer Mutter das Geld für eine ultra angesagte High Waisted Jeans erpresst, da sie ansonsten leider „total Opfer“ wäre. Geradezu loriothafte Züge weist die Anekdote auf, wie Fräulein Ziii nach dem Etikette-Essen der Tanzschule „blunznfet“ nach Hause wankte, da sie das korrekte Zuprosten zu oft geübt hatte. Sehr schön auch die Erzählung vom tränenreichen Kartoffelauflauf. Nicht nur für Eltern geeignet, die an den kulinarischen Marotten ihrer Sprösslinge verzweifeln.

Nachdem Frau Ziii, die das Kochen als VWL-Studentin in der Gastronomie gelernt hatte, bereits 2012 mit dem AMA Food Blog Award ausgezeichnet wurde, entstand die Idee zu diesem Kochbuch. Da dieses Medium seiner Natur gemäß andere Anforderungen stellt, weist es nicht den gleichen Charakter wie ihr Blog auf. Mit seinen Jugendstilelementen in Titelbild und Überschriften sowie den Fotos aus Wien steht nicht der vergängliche Familienalltag, sondern die Esskultur der Weltstadt im Fokus. Nicht nur die nostalgischen Grafik-Elemente und Fotos historischer Orte erinnern an das Bonmot: „Die Österreicher sind ein Volk, das voll Zuversicht auf seine glorreiche Vergangenheit blickt“, denn viele Gerichte haben ihren Ursprung in der untergegangenen Habsburgermonarchie, als Einflüsse aus allen Teilen des Reiches nach Wien kamen. Siena und Florenz gehörten zeitweise ebenso zum Reich, wie nahezu das gesamte Südost-Europa.

habsburger-reich

Eine bunte Völkermischung brachte aus allen Regionen des großen Reiches seinerzeit exotische Nahrungsmittel, Rezepte und Wörter nach Wien. In den Küchen der Residenzstadt vermischten sich ihre Lieblingsspeisen mit denen des deutschen Kulturraumes,  lange bevor das hässliche denglische Wort „Crossover-Küche“ erfunden wurde. Glücklicherweise befindet sich auf den hinteren Seiten ein Glossar, welches deutsche Leser als Einleitung lesen sollten. Woher sollte man sonst wissen, dass „Fisolen“ Bohnen sind, mit „Kukurz“ Mais und mit „Karfiol“ Blumenkohl gemeint ist? Für mich hat diese Sprache etwas märchenhaftes, gerade so als ob sie den Büchern der Gebrüder Grimm entsprungen sei. „Und nach all der Fretterei kam beim Leitgeb das mit Letscho gefüllte Fackale in die Backröhre und es ward ein Ende mit dem Jammatian!“ Klingt doch toll, oder?

Eingeteilt ist das Buch in „Frühstück und Jause“, „Suppen“, „Hauptspeisen“, „Beilagen, Salate und Eingemachtes“, sowie „Mehlspeisen und Süße“, wobei jedes Kapitel mit wunderbar bebilderten Beiträgen wie „Die Wiener Kaffeehäuser“, „Rund um den Karlsplatz“ oder den „Prater“ aufgelockert wird.

wiener-kuche-susanne-zimmel-zwetschkenDie Köchin

Persönlich gefärbte Einleitungen stellen die einzelnen Rezepte vor und die ansprechenden Bilder verlocken dazu, sich selbst gleich an den Herd zu stellen. Das Layout ist nicht nur elegant, sondern auch übersichtlich. Die Zubereitungszeiten fehlen nicht, Zutatenauflistungen und Arbeitsschritte sind fehlerlos. Da Frau Ziii als berufstätige Mutter und Bloggerin zum Kochen nicht immer Zeit und Muße hat, strebt sie in der Küche „ein möglichst optimales Verhältnis von Aufwand und Nutzen an“ und ist vor allem Praktikerin (Bei mir ist es genau anders herum, was meine Frau in den Wahnsinn treibt). Frau Ziiis Rezepte sind daher zwar traditionell herzhaft wienerisch, aber zugleich auch dem Geschmack und Tempo der heutigen Zeit angepasst und wochentagstauglich. Sie verwendet vorzugsweise regionale und saisonale Produkte – viel aus dem eigenen Garten, in dem es wächst „wia net g’scheit“.

Bewegt sich die Autorin außerhalb ihres gewohnten Stils, ergibt sich dies gleich aus dem Namen wie „Leberknödel für Fortgeschrittene“, oder „Altmodische Paradeisersuppe“. „Paradeiser? Wadde hadde dudde da?“, wundert sich schon wieder der deutsche Leser und blättert erneut ins Glossar. Dort lernt er dann gleich die Übersetzungen von „Aschanti“ (nicht zu verwechseln mit „Askari“!), „Baumpferl“ oder „Faschiertes“. Aussagen wie „In der Zwischenzeit geht sich locker eine Dusche aus“ bleiben leider für immer so mysteriöses „Palawatsch“, wie die Knotenschrift der Inka. Eine der größten Herausforderungen war es dann, in meiner ostwestfälischen Heimat typisch wienerische Zutaten wie „passierter Topfen“ zu besorgen. Libanesische oder thailändische Zutaten erhält man hier leichter.

Eine spannende Exkursion mit ganz persönlicher Note durch die Wiener Küche. Die liebevolle Gestaltung mit ihrem originellen Mix aus modernen und nostalgischen Stilelementen sowie die großartigen Fotos und die hochwertige Verarbeitung machen das Kochbuch zu einem Erlebnisbuch. Die als aufwändig und antiquiert geltende Wiener Küche wurde von Frau Ziii entstaubt und modern aufbereitet, ohne sie ihrer Wurzeln zu berauben. So sind die Rezepte auch für Anfänger problemlos nachkochbar. Eingestreute Insiderinformationen wie die, dass das Fräulein Ziii Badeschaum mit Topfennocken-Aroma goutieren würde, mochte ich besonders.

Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER existiert eine Gruppe bei Facebook.

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Ich danke dem Dorling Kindersley Verlag für die Erteilung der Veröffentlichungsrechte auf KRAUTJUNKER.

susanne-zimmel-wiener-kuche

Titel: Wiener Küche: Wirtshausgulasch & Topfenpalatschinken – Klassiker und neue Inspirationen

Autorin: Susanne Zimmel

Verlag: © Dorling Kindersley Verlag

ISBN: 978-3-8310-2781-1

Der Link zu dem, mit dem AMA Food Blog Award ausgezeichneten, Weblog:http://www.ziiikocht.at/

Ein Filmbeitrag über Frau Ziii: https://www.youtube.com/watch?v=pCVab1RyNq8

Das Kochbuch wurde 2016 auf der Frankfurter Buchmesse ausgezeichnet: http://www.dorlingkindersley.de/newsdetail-0-0/preisregen-219/

Diese Rezension ist die überarbeitete Version eines meiner Texte, die zuerst hier erschienen:  http://valentinas-kochbuch.de/   

Die historische Karte Österreich-Ungarns ist copyrightfei und von Wikipedia.

 

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