Heilende Pilze: Lärchenschwamm (Laricifomes officinalis)

von Jürgen Guthmann

 

LARICIFOMES OFFICINALIS
Lärchenschwamm, Apotheker-, Purgierschwamm

 

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Abb.: Lärchenschwamm (Laricifomes officinalis); Bildquelle: Wikipedia

 

Synonyme: Fomitopsis officinalis, Fomes officinalis
Japanischer Name: Tsugasarunokosikake
Chinesischer Name: Ku bai ti
Englischer Name: Quinine Conk
Französischer Name: Polypore officinal

 

EINFÜHRUNG

Der Lärchenporling ist einer der ältesten als Heilmittel verwendeten Pilze weltweit. Jahrhundertelang war er aufgrund der ihm nachgesagten Heilwirkung der begehrteste und berühmteste Pilz überhaupt. Er genoss in unseren Breiten dieselbe Wertschätzung, wie die Ginsengwurzel in Asien. Entsprechend kostbar war er und wurde teuer bezahlt. Selbst in Arabien und Indien wurde er unter dem Namen „Garikun bzw. Gharikun“ hochgeschätzt. Berühmte Arzte wie Galen (130 bis 199 n. Chr.), Dioskurides (1. Jh. n. Chr.) und Plinius der Ältere (23 bis 79 n. Chr.), sahen in ihm ein Allheilmittel. Auch in der Volksmedizin genoss er hohes Ansehen.

 

KURZBESCHREIBUNG DER MEDIZINISCHEN WIRKUNG

blutstillend und entzündungshemmend
abführend
hemmt die Schweißbildung
antiviral (Variola – Pockenviren)
zur begleitenden Behandlung der Tuberkulose

 

MEDIZINISCHE VERWENDUNG

Seit alters her wird der Lärchenporling als drastisches Abführmittel eingesetzt, deshalb sein Name „Purgierschwamm“, außerdem als Mittel gegen jede Art von Vergiftung. Letzteres vermutlich weil die Einnahme größerer Mengen (im Grammbereich) rasch Erbrechen hervorruft (Schroff 1873). Die allgemeine Wertschätzung, die man dem Pilz entgegenbrachte, spiegelt sich in der Bezeichnung „Apothekenschwamm“ wider. Die Apotheken kauften die Schwämme auf, handelten damit oder verarbeiteten sie in zahlreichen Medikamenten.
Äußerlich verwendete man den Pilz ähnlich wie den Zunderschwamm als blutstillendes Mittel bei Hämorrhoiden, Nasenbluten, für entzündungshemmende Umschläge bei Rheuma, Muskel- Gelenkschmerzen und infizierten Wunden, außerdem zur Behandlung von Schwellungen.
Die berühmten mittelalterlichen Kräuterbücher von Hieronymus Bock (1498 bis 1554), Pietro Andrea Mattioli (1501 bis 1577), Adam Lonitzer (1528 bis 1586) und Peter Melius (1532 bis 1572) beschreiben seinen erfolgreichen Einsatz bei chronischen Katarrhen, Brust- und Lungenleiden (Asthma), gegen Nachtschweiß bei Tuberkulose, gegen Rheuma, Gicht, Gelb- und Wassersucht sowie gegen Eingeweidewürmer und Epilepsie. Außerdem wurde er bei Erkrankungen von Magen, Leber, Milz und Niere eingesetzt und galt als harntreibend.
Der Orginaltext aus Adam Lonitzers „Kreutterbuch von 1679“ lautet:
„Der weisse leichte / lüke und mürbe Holzschwamm / Agaricus, wird allein gelobt, und zu der Arßnen erwehlet / Ist einer warmen zusammenziehender Qualitet / treibt in Leib genommen / alle zähe Schleim und Feuchtigkeiten auß. Ist den nahe zu allen innerlichen Gliedern / so mit böser Feuchtigkeit beladen / nüzlich und heilsam / einen jeden nach seiner Stärk / Alter und Vermögen / wenig oder viel gereicht / in Wein / Honigwasser / oder sonst nach dem der Gebrechen ist / und der Mensch erleiden kann. Dioscorides gibt gemeiniglich ein Quintlein (*entspricht etwa 3,65 g) auf einmal. Paulus Aegineta / zwei Quintlein mit Claret (*mittelalterlicher Gewürzwein) vermischt. Mesue stöst diesen Schwamm zu Pulver / ertränkt ihn dann in gutem Wein / thut zu einem jeden Loth (*entspricht etwa 14 bis 16 g) ein Quintlein gestossen Ingber / temperirts wol durcheinander und lästs truken werden. Pilulen (* „Pille/Tablette“ – Arzneiform) von Agarico / fuhren im Stulgang die Ursach / von der die faulen Febres aufkommen auß. Dienen wol dem Haupt / der Leber / Lungen und Milzsüchtigen / den Wasser- und Geelsüchtigen (Gelbsucht/Lebererkrankung) / auch dem Darmgrimmen / und schwerlich harnen. Item den bleichfärbigen Weibern und denen ihre Blum verstanden ist. Auch allen Podagrischen (Gicht). Zu allen Würmen / und was der Mensch für Unrath gessen / oder getrunken hat / darzu ist dieses Gewächs Agaricum nüzlich und gut.“ *Anmerkungen des Autors
In Polen wurde der Pilz traditionell zur Behandlung von Husten, Asthma, rheumatischer Arthritis, Blutungen und infizierten Wunden verwendet. Außerdem galt er über Jahrhunderte als Elixier der Langlebigkeit und war Bestandteil entsprechender Kräutermischungen (Grzywnowicz 2001).
Viele eingeborene Indianerstämme (Haida, Tlingit) im Nordwesten der USA bzw. Kanadas nutzten den Pilz als Tee bei fieberhaften Erkrankungen.
Auf der Suche nach neuen Wirkstoffen zur Behandlung gefährlicher Viruserkrankungen arbeitete der Pilzkenner Paul Stamets mit dem amerikanischen Verteidigungsministerium zusammen. Dabei zeigte sich das Potenzial verschiedener Pilzstämme des Lärchenschwamms gegen Pockenviren (Variola) (Stamets 2005). Es gibt derzeit keine wirkungsvolle Therapie gegen das Virus, lediglich die vorbeugende Impfung hilft. Stamets wurde 2005 ein Patent (11/029,861 „Antiviral Activity from Medicinal Mushrooms“) erteilt, in dem er die antivirale Wirkung verschiedener Pilze darlegt. In diesem widmet er sein besonderes Interesse dem Lärchenschwamm, dem Birkenporling (Piptoporus betulinus) und dem Harzigen Lackporling (Ganoderma resinaceum). Vermutlich besitzt der Lärchenschwamm auch durchaus das Potenzial gegen weitere Viruserkrankungen.
Am Institut für Tuberkuloseforschung der Universität von Illinois (Chicago) promovierte Hwang (2003) mit einer Arbeit, die sich mit dem Potenzial natürlicher Pflanzen- und Pilzwirkstoffe zur Behandlung der Tuberkulose befasste. Dabei wurde auch der Lärchenschwamm untersucht. Der Autor entdeckte vier neue Cumarinverbindungen in dem Pilz und untersuchte deren Wirkung auf den Erreger der Tuberkulose (Mycobacterium tuberculosis). Weitere Untersuchungen zeigten, dass die Verbindungen gegen verschiedene antibiotikaresistente Erregerstämme wirksam sind (Hwang 2013).

 

Guthmann, Heilende Pilze

Abb.: Lärchenschwamm (Laricifomes officinalis); © Quelle & Meyer Verlag GmbH & Co, Foto von Jürgen Guthmann

 

Das im Pilz enthaltene Agaricin wirkt bei innerlicher Einnahme infolge seiner anticholinergen Wirkung deutlich schweißsekretionshemmend. Es wurde wohl durchaus erfolgreich bei übermäßigem Schwitzen, wie es bei schweren fieberhaften Erkrankungen der Lunge, wie Tuberkulose und bei Lungenentzündung, auftritt eingesetzt.
Keinen Einfluss hat die Substanz hingegen auf die Speichel- und Tränendrüsen. Bei den Lungenkranken führt die Medikation mit Agaricin nach Young (1883) außerdem zu einem gesunden Schlaf, mildert die Hustenanfälle, führt zur Fiebersenkung und vermindert die Pulsfrequenz. Um Durchfall und Erbrechen zu verhindern, wurde oft zusätzlich eine geringe Menge Opium verabreicht.
Der Pilz wirkt allgemein entgiftend und stärkend. Wegen seines stark bitteren Geschmacks war der Lärchenschwamm früher ein aromatischer Bestandteil von Bitterlikören wie „Heiligenbitter“, „Alter Schwede“ oder auch der „Warburg‘schen Fiebertinktur“. Letztere war bis ins 20. Jh. hinein ein verbreitetes Mittel zur Behandlung von Tuberkulose und Malaria.
Friedrich Losch 1914 beschreibt in seinem Kräuterbuch die Verwendung des Lärchenschwamms und weist darauf hin, dass man ihn immer zusammen mit Wein und anderen Kräutern wie Nelken, Lavendel und Ingwer anwenden solle. Neben den bereits erwähnten Anwendungen schreibt er ihm auch menstruationsfördernde („treibt die Monatszeit“) Wirkung zu. Auch die mittelalterlichen Quellen erwähnen die Einnahme des Pilzpulvers vermutlich wegen des bitteren Geschmackes häufig in Wein oder Honigwasser. Daneben wird aber auch oft die Zubereitung als Tee beschrieben.
Der pulverisierte Lärchenschwamm verursacht in der Nase einen starken Niesreiz. Er besitzt einen typischen Mehlgeruch und schmeckt eingenommen zunächst süßlich, wenig später widerlich und anhaltend bitter. Die traditionelle chinesische Medizin kennt den Lärchenschwamm ebenfalls und setzt ihn bei Husten, Asthma und Nierenerkrankungen ein. Nach neueren wissenschaftlichen Untersuchungen chinesischer Wissenschaftler besitzen Extrakte aus dem Lärchenporling krebshemmende Wirkung. Homöopathisch ist der Pilz als „Boletus laricis“ noch heute bei Leber-, Gallenleiden, Nachtschweiß und Wechselfieber im Einsatz. Für Zubereitungen nach dem homöopathischen Arzneibuch (Larifikehl-Lösung) wird das Myzel mittlerweile auch gezüchtet.
Obwohl bereits die Beschreibungen aus den mittelalterlichen Büchern (s. o.) auf seine Verwendung bei Lungenerkrankungen wie der Tuberkulose hinweisen, wird behauptet, die schweißhemmende Wirkung des Pilzes wäre erst im 18. Jh. entdeckt worden. Zurückgehen soll sie auf De Haen (1768), der sie von einer Frau aus dem Volke erfuhr. Vermutlich liegt dies auch daran, dass die bereits in der Steinzeit bekannte Erkrankung wegen der dünnen Besiedlung lange Zeit nur eine untergeordnete Rolle spielte. Erst als die großen Infektionswellen im 17. Jh. begannen, besann man sich auf die besondere Wirkung des Pilzes.
Nach Blaschek et al. 1998 (Hagers Handbuch) liegt die max. Einzeldosis von Agaricin, das als Hauptwirkstoff des Lärchenporlings angesehen wird, bei 0,5 g, mittlere Dosierungen zwischen 0,02 und 0,05 g. Nach Merck (1919) ist die einschleichende Behandlung mit niedrigen Dosen vorteilhaft und vermindert unangenehme Nebenwirkungen, wie Übelkeit, Erbrechen und Kopfschmerzen. Geringe Dosierungen wirken eher schweißhemmend, wohingegen höhere Dosen (stark) abführend wirken. Der schweißhemmende Effekt tritt erst etwa 5 bis 6 Stunden nach Einnahme auf. Die tägliche Einnahme von 0,03 g bis hin zu 0,1 g zeigte auch bei lang anhaltender Anwendung keine offensichtlichen Nebenwirkungen. Der Reinstoff Agaricin verfügt offenbar nicht über eine direkt abführende Wirkung. Früher wurde nicht nur mit der reinen Substanz, sondern auch mit verschiedenen daraus hergestellten Verbindungen (Salzen) experimentiert. Bei Kaninchen führt die intravenöse Verabreichung von 0,1 g Agaricin pro kg zu Krämpfen und zur Verlangsamung der Atemtätigkeit. Schließlich tritt der Tod durch starken Blutdruckabfall und Atemstillstand ein. Durch die stark reizende Wirkung der Agaricinsäure auf den Magen und Darmtrakt, die zu Erbrechen und Durchfall führt, sind akut tödliche Vergiftungen bei oraler Einnahme nur schwer möglich. Die abführende Wirkung des Pilzes tritt verzögert auf.

 

Guthmann, Heilende Pilze

Abb.: Lärchenschwamm (Laricifomes officinalis); © Quelle & Meyer Verlag GmbH & Co, Foto von Erminio Ferrari

 

Die Dosierungen für die Einnahme des getrockneten pulverisierten Fruchtkörpers liegen zwischen 0,2 und 2 g. In „Schwedenbitter“-mischungen sind etwa 2 g des Pilzes je Liter enthalten. Dies entspricht theoretisch etwa 400 mg Agaricinsäure pro Liter. Durch die schlechte Löslichkeit resultiert ein tatsächlicher Gehalt von 15 mg/l. In sauren und niedrig prozentigen alkoholischen Lösungen (<20 % z. B. Wein) ist die Löslichkeit der Agaricinsäure gering (Taddei et al. 1975).
Die Angaben in den Kräuterbüchern des Mittelalters empfehlen ein bis zwei „Quentlein“ (ca. 3,65 g). Dioskurides empfiehlt im Durchschnitt etwa „3 Obolus“ (1 Obolus entspricht etwa 0,57 g) zur Einnahme. Solche Mengen muten angesichts des Vorgesagten ziemlich hoch an.
Bei Bereitung eines Tees verwendete man bis zu 10 g, was vermutlich der schlechten Wasserlöslichkeit des Agaricins Rechnung trägt. Bei Merck (1919) wird die medizinische Anwendung des Pilzes und des Inhaltsstoffes Agaricin sowie diverser Salze sehr ausführlich besprochen.
Myzelmaterial des seltenen Pilzes wird mittlerweile in den USA kommerziell gezüchtet (Mushroom Harvest – Ohio; Fungi Perfecti (Paul Stamets) – Washington). Der jahrhundertelang hochgeschätzte Pilz, der lange Zeit Teil des Arzneischatzes vieler Länder war, ruht derzeit in einem wissenschaftlichen Dornröschenschlaf.

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KRAUTJUNKER-Kommentar: Dieses Buchkapitel aus „Heilende Pilze“ wurde von mir um folgende Unterkapitel gekürzt: INHALTSSTOFFE, WISSENSWERTES, GESCHICHTE, STANDORT, BESCHREIBUNG und VERWECHSLUNGSMÖGLICHKEITEN. Wer mehr als nur oberflächlich interessiert ist, möge zum unten bezeichneten, sehr empfehlenswerten Buch greifen.
Da der Pilz nur in alten naturbelassenen Baumbeständen mit etwa 100-jährigen Lärchen vorkommt, steht er in Europa vor dem Aussterben. Besser diese Pilze nicht sammeln, sondern bestellen.
Mushroom Harvest – Ohio: https://www.mushroomharvest.com/
Fungi Perfecti (Paul Stamets) – Washington): http://www.fungi.com/

 

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Anmerkungen

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Guthmann, Heilende Pilze

Titel: Heilende Pilze: Die wichtigsten Arten der Welt im Porträt

Autor: Jürgen Guthmann

Verlag: Quelle & Meyer Verlag GmbH & Co

Verlagslink: http://www.quelle-meyer.de/shop/heilende-pilze/

ISBN: 978-3-494-01669-6

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Bereits veröffentlichte Leseprobe: https://krautjunker.com/2018/04/13/heilende-pilze-fliegenpilz-amanita-muscaria/