Die Letzten ihrer Art: Eine Reise zu den aussterbenden Tieren unserer Erde

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Buchvorstellung von Sybille Lengauer

Wir schreiben das Jahr 1992. In Europa trocknet gerade die Tinte unter dem Vertrag von Maastricht, da jagen die erschütternden Bilder des Bosnienkrieges um die Welt. Deutschland wird regiert von Helmut Kohl, der sich mit stoischer Gelassenheit seinen Ruf als „Ewiger Kanzler“ erarbeitet, während Dr. Alban die heimischen Hitparaden anführt. Das Rotkehlchen ist Vogel, und „Ethnische Säuberung“ Unwort des Jahres. Bei Heyne erscheint die erste deutschsprachige Auflage von Die Letzten Ihrer Art :Eine Reise zu den aussterbenden Tieren unserer Erde. Das Buch ist ein sofortiger Verkaufsschlager, noch im selben Jahr wird eine zweite Auflage gedruckt. Grund dafür ist allerdings nicht der brisante Inhalt des Buches, sondern der Co-Autor, Douglas Adams, der durch seine SciFi-Reihe Per Anhalter durch die Galaxis weltbekannt ist. Ihm ist es zu verdanken, dass sich der Fokus der Welt für einen kurzen Augenblick auf diejenigen richtet, die normalerweise allzu gerne übersehen werden.

1985 lernen sich Adams und der Zoologe Mark Carwardine bei der Suche nach dem sagenumwobenen Aye-Aye kennen. Das nachtaktive Fingertier gilt als stark gefährdet und Carwardine versucht es im Namen des WWF in den Wäldern Madagaskars aufzustöbern. Adams soll für das Magazin Observer von diesem Abenteuer berichten, auch wenn er von Artenschutz im Allgemeinen und Lemuren im Speziellen keine Ahnung hat und sich augenzwinkernd fragt, wie er zu dieser besonderen Ehre gekommen ist. Doch die Chemie zwischen den Männern stimmt und zu ihrem Glück verläuft die Expedition erfolgreich. Zufrieden mit der Sichtung des seltenen Aye-Aye gibt sich Adams am Ende der Reise weltversöhnlichen Gedanken hin.
»Folglich muß man wohl fairerweise einräumen, daß die Zunahme unserer Intelligenz uns nicht nur größere Macht, sondern auch ein größeres Verständnis für die Auswirkungen dieser Macht verliehen hat. Dadurch haben wir die Fähigkeit erworben, unsere Umgebung zu beherrschen und darüber hinaus auch uns selbst.«, resümiert er mit Behagen. Doch Mark Carwardine setzt dieser rührigen Betrachtung der Menschheit ein rasches Ende, in einer Brandrede klärt er Adams darüber auf, wie schlecht es um viele Tierarten weltweit bestellt ist.
»„Warst du mal auf dem afrikanischen Festland? Eine Art nach der anderen verabschiedet sich. Und zwar von den Hauptarten. Es gibt nur noch zwanzig weiße Nashörner, und um die ist ein erbitterter Kampf mit den Wilderern ausgebrochen… Oder nimm die Berggorillas – obwohl sie zu den engsten lebenden Verwandten des Menschen gehören, haben wir sie in diesem Jahrhundert fast vollständig ausgerottet. Das passiert überall, auf der ganzen Welt. Hast du schon mal was vom Kakapo gehört? … Kennst du den Yangtse-Delphin? Die Drachenechse von Komodo? Den Rodrigues Flederhund?“«
Carwardine ist nicht zu bremsen, aus dem Stegreif rattert er zahllose Arten herunter, von denen Adams noch nie gehört hat und die akut vom Aussterben bedroht sind. Es ist dieses Gespräch das den Grundstein legt für den Plan, jene bedrohten Tiere zu besuchen und ihnen die Aufmerksamkeit zu verschaffen, die für ihren erfolgreichen Schutz erforderlich ist.

Drei Jahre später reisen Adams und Carwardine quer durch die halbe Welt, um in einem kleinen Boot vier Hühner über das Meer zur Insel Komodo zu transportieren.
»Eine der verwirrendsten Begleiterscheinungen des Reisens in abgelegenen Gegenden ist die Notwendigkeit, seine Nahrung in unverderblicher Form mit sich zu führen. Für einen Mitteleuropäer, der seine Hühner gewöhnlich in Zellophan verpackt aus dem Supermarkt bezieht, ist es eine unangenehme Erfahrung, während einer langen Bootsreise von vier lebenden Hühnern mit tiefem, grauenvollem Argwohn angestarrt zu werden, ohne diesen irgendwie zerstreuen zu können.«
Adams fühlt sich unwohl, er bedauert das Schicksal der Vögel, die für den Kochtopf bestimmt sind. Seine vagen Schuldgefühle wandeln sich in blankes Entsetzen, als eines der Hühner nach seiner Ankunft auf Komodo von einem gewaltigen Drachen verschleppt und gefressen wird. Adams ergeht sich in grausigen Details, er beschreibt das Geschehen in allen blutigen Einzelheiten und stolpert dabei über sein menschliches Moralempfinden.
»Alle drei waren wir so aschfahl, als wären wir gerade Zeugen eines gemeinen, heimtückischen Mordes geworden. Aber hätten wir einen Mord beobachtet, hätte uns der Mörder wenigstens nicht so ungerührt ins Auge gesehen wie diese Echse. Vielleicht war es der Eindruck kühler, unerschütterlicher Arroganz, der uns derart aus der Fassung brachte. Nur wußten wir bei all den bösartigen Gedanken, die wir der Echse anzudichten versuchten, daß es überhaupt keine Echsengefühle waren, sondern unsere eigenen. Diese Echse tat nicht mehr, als ihren Echsen-Beschäftigungen auf einfache, unkomplizierte, echsige Art nachzugehen. Sie wußte nichts von dem Entsetzen, der Schuld, der Schändlichkeit und Widerwärtigkeit, die wir, beispiellos schuldige und schändliche Tiere, ihr aufs Auge zu drücken versuchten. Also prallten all diese Empfindungen, gespiegelt in jenem einen unbeweglichen, desinteressierten Auge, auf uns zurück. Überwältigt von der Vorstellung, daß wir uns vor unserem eigenen Spiegelbild dermaßen erschrocken hatten, saßen wir stumm da und warteten auf das Mittagessen.«
Adams bleibt hungrig, denn auch der zweite Teil seines Ausfluges auf die Insel Komodo erweist sich als blutig-grässlich. Zusammen mit einer Gruppe amerikanischer Touristen nehmen er und Carwardine an einer Show-Fütterung teil, die einer  jungen Ziege das Leben und Adams den Appetit kostet.

Nach diesem schaurigen Auftakt führt ihre Reise weiter nach Zaire/Afrika, wo es 1988 neben den letzten weißen Nashörnern eine Menge seelenlos lächelnder Missionare* und ein unfassbar verkorkstes Regierungssystem zu bestaunen gibt. Doch die Suche nach den seltenen Dickhäutern gerät fast zur Nebensache, wenn man in die kaltherzigen Fänge der Bürokratie gerät. Ganz ähnliche Erfahrungen sammeln die Männer auch während ihrer Expedition zu den Berggorillas der Virunga-Vulkane, es gleicht einem Spießrutenlauf die jeweiligen Landesgrenzen zu überqueren.
»Wir standen herum und diskutierten, während unsere Maschine draußen auf der Piste wartete, nach Nairobi starten zu können, aber der Beamte saß einfach da und hielt unsere Pässe zurück. Wir wußten, daß es Blödsinn war. Er wußte, daß wir wußten, daß es Blödsinn war. Ohne dieses Wissen hätte es nicht halb so viel Spaß gemacht. Er lächelte uns wieder an, bedachte uns mit einem träge zufriedenen Achselzucken und bürstete sich beiläufig einen kleinen Fussel vom Arm des schmucken blauen Anzuges, an dessen Kosten wir uns ganz offensichtlich nicht unerheblich beteiligen sollten.«

Doch ihre Mühe wird belohnt, Adams und Carwardine gelingt es tatsächlich die seltenen weißen Nashörner aufzustöbern.
»Wir krochen dichter heran. Als wir uns schließlich bis auf fünfundzwanzig Meter Entfernung genähert hatten, gab Charles uns ein Zeichen anzuhalten. Wir waren nah genug dran. Wirklich nah genug. Wir waren sogar atemberaubend nah dran. Das Tier war an den Schultern ungefähr einen Meter achtzig hoch, und bis zum Hinterteil und den muskelbepackten Hinterbeinen nahm seine Höhe gleichmäßig ab. Schon die bloße Größe jedes einzelnen seiner Körperteile übte eine erschreckende Anziehungskraft auf den Verstand aus. Als das Nashorn ein Bein leicht bewegte, rollten die mächtigen Muskeln unter seiner dicken Haut so mühelos wie einparkende Volkswagen.«

Kaum ist dieses Abenteuer überstanden, geht es auch schon wieder weiter, diesmal nach Neuseeland, um einen Kakapo aufzuspüren. Berauscht von der dramatisch schönen Landschaft und  geschlagen mit einem kapitalen Jetlag, verschläft Adams die ersten Stunden nach seiner Ankunft am steinigen Strand von Little Barrier Island. Über den Kakapo weiß er, nach einer guten Tasse Tee  und ein paar aufmunternden Worten seiner freundlichen Gastgeber, folgendes zu berichten:
»Von allen Lebewesen, nach denen wir in diesem Jahr suchten, war der Kakapo vermutlich das eigenartigste, das faszinierendste und außerdem eines der seltensten und am schwersten aufzutreibenden. Früher, bevor Neuseeland von Menschen besiedelt wurde, gab es Hunderttausende von Kakapos. Dann gab es Tausende, dann Hunderte. Dann gab es nur noch vierzig…und es ging abwärts. Hier im Fjordland, das jahrtausendelang die Hochburg des Vogels gewesen ist, scheint es heutzutage keinen einzigen mehr zu geben.« Zum Glück ist es Adams und Carwardine nach langwieriger und anstrengender Suche vergönnt einen Kakapo aufzustöbern, der flugunfähige Vogel zeigt sich jedoch wenig beeindruckt von all der Aufmerksamkeit.
»Der Vogel war sehr ruhig und sehr reglos. Er schien nicht beunruhigt zu sein, schien aber genausowenig zu wissen, was vor sich ging. Der Blick aus seinen großen, schwarzen, ausdruckslosen Augen verlor sich irgendwo in der Ferne. In seinem Schnabel hielt er, zart, aber bestimmt, Arabs rechten Zeigefinger, von dem Blut heruntertröpfelte, und das schien eine sehr beruhigende Wirkung auf den Vogel zu haben. Arab versuchte behutsam, ihn wegzuziehen, aber dem Kakapo gefiel der Finger, und Arab ließ ihn schließlich, wo er war. An Arabs Hand tröpfelte noch ein bißchen mehr Blut herab und vermischte sich mit dem Regenwasser, von dem sowieso alles durchtränkt war. Mark murmelte zu meiner Rechten, welche Ehre es sei, von einem Kakapo gebissen zu werden, was ein für mich kaum nachzuvollziehender Standpunkt war, aber ich hielt den Mund.«

Und weiter geht die wilde Fahrt! Diesmal nach China. Für einen Leser des Jahres 2020 ist Adams Beschreibung eines China im Jahre 1988 absolut faszinierend. Adams fesselt mit seinem durchwegs humoristisch gehaltenen Blick auf die Gebräuche und Menschen eines Landes, das ihm gänzlich unvertraut und etwas unheimlich ist.
»Was man in China sehr schnell herausfindet, ist, daß wir alle irgendwie im Zoo sind. Wenn man sich auch nur eine Minute lang nicht bewegt, versammeln sich die Leute um einen herum und starren einen an. Das Entnervende dran ist, daß sie nicht gespannt oder wißbegierig starren, sondern bloß, oft genau vor einem, dastehen und einen so ausdruckslos ansehen wie einen Werbespot für Hundefutter.«, schreibt er wenig schmeichelhaft, an anderer Stelle widmet er sich mit großem Interesse den kulinarischen Spezialitäten des Landes:
»…auch und vor allem die Tausendjährigen Eier. Die Bezeichnung ist natürlich nicht wörtlich zu verstehen, sondern bloß als eine Art Hinweis darauf, wie erschreckend sie sind. Die Eier werden in grünem Tee angekocht und dann drei Monate lang in einer Packung aus Schlamm und Stroh begraben. In dieser Zeit wird das Eiweiß hellgrün und matschig. Erschreckend ist daran, daß man sie anschließend als Delikatesse vorgesetzt bekommt, während man, wenn man so was zu Hause in der Speisekammer fände, erst mal ein paar Fachleute zu Rate ziehen würde.«

China ist Heimat des Baiji, ein Flussdelfin der ausschließlich im Jangtsekiang beheimatet ist und um den sich viele Mythen und Legenden ranken. Die Suche nach diesem außergewöhnlich raren Säugetier gestaltet sich nicht nur aufgrund der Sprachbarriere als ausgesprochen schwierig. Stichwort Kulturschock. Wie es sich anfühlt im China des Jahres 1988 Kondome zu kaufen, um damit eine Unterwasseraufnahme des seltensten Delfins der Erde zu erhaschen, soll jeder selbst nachlesen.

Die letzte Station der Reise zu den letzten ihrer Art führt Adams und Carwardine nach Mauritius, ein Inselstaat auf dem eigentlich alles selten und bedroht ist, egal ob Taube, Flughund oder Pflanze. So erfährt Adams zum Beispiel die Geschichte eines vermeintlich ausgestorbenen Kaffeebäumchens, das 1981 durch Zufall wiederentdeckt wurde und erzählt von dem verzweifelten Versuch dieses erfolgreich zu kultivieren.
»Da der Baum offensichtlich etwas besonderes war, wollte jeder ein Stück davon haben, und plötzlich wurden ihm ganz erstaunliche Fähigkeiten angedichtet – zum Beispiel die, Kater und Gonorrhöe zu kurieren. Da Rodrigues außer der Unterhaltung in den eigenen vier Wänden nicht viel zu bieten hat, wurde die Pflanze innerhalb kürzester Zeit sehr begehrt und zügig durch das Abschneiden von Teilen umgebracht. Der erste Zaun erwies sich bald als nutzlos und mußte von einem Stacheldrahtzaun eingezäunt werden. Dann mußte der erste Stacheldrahtzaun von einem zweiten Stacheldrahtzaun eingezäunt werden und dann der zweite von einem dritten, bis das ganze Gehege sich über knappe zweitausend Quadratmeter erstreckte. Schließlich wurde auch noch ein Wächter eingestellt, um die Pflanze zu beschützen.«

Eine deprimierend genaue Beschreibung jener Ambivalenz, die uns gleichzeitig zur größten Bedrohung und zur einzigen Hoffnung vieler vom Aussterben bedrohter Spezies macht und so ist es vielleicht nicht verwunderlich, dass auch Adams etwas schwermütig klingt, als er am Ende des Buches schreibt:
»In der Abenddämmerung jenes Tages standen wir am Rand einer anderen Straße und sahen zu, wie die seltensten Flederhunde der Welt ihre Schlafplätze im Wald verließen und über den dunkler werdenden Himmel flatterten, um ihren nächtlichen Überfall auf die Obstbäume zu starten. Die Flederhunde kommen ganz gut zurecht. Es gibt Hunderte von ihnen. Ich habe das häßliche Gefühl, daß wir diejenigen sind, die in Schwierigkeiten stecken.«

Anm.: 2009 wurde von der BBC eine gleichnamige TV-Serie gestartet, in der sich Stephen Fry und Mark Carwardine erneut auf die Suche nach den bedrohten Tieren machen um zu erfahren, wie es ihnen in der Zwischenzeit ergangen ist. Ihre erstaunliche Begegnung mit dem Kakapo ist bis heute legendär und kann als Ausschnitt mit dem Titel Shagged by a rare parrot auf Youtube bewundert werden.

*KRAUTJUNKER-Kommentar: Wie sein Freund Stephen Fry war Douglas Adams ein überzeugter und sendungsbewußter Atheist.

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KRAUTJUNKER-Rezensentin Sybille Lengauer

Sybille Lengauer, Jhg. 1980, ist Autorin für Gedichte und Kurzgeschichten. Ihr neues Buch Mottengedanken wird im November 2020 im Verlag RUP (Rodneys Underground Press) erscheinen. Wer schnuppern möchte, findet einige ihrer Texte auch hier: https://hirnwichsen.wordpress.com

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Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER gibt es nicht nur eine Facebook-Gruppe, sondern jetzt auch Outdoor-Becher aus Emaille. Kontaktmail für Anfragen siehe Impressum.

Titel: Die Letzten ihrer Art: Eine Reise zu den aussterbenden Tieren unserer Erde

Autor: Douglas Adams u. Mark Cawardine

Verlag: Heyne Verlag; Auflage: 32. Aufl., (1. November 1992)

Verlagslink: https://www.randomhouse.de/Taschenbuch/Die-Letzten-ihrer-Art/Douglas-Adams/Heyne/e163422.rhd

ISBN: 978-3-453-06115-6

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