von Thomas Thelen
Wasserkaninchen auf schlüpfrigem Parkett
Wie führt man im Wartezimmer eines Tierarztes eine politisch korrekte Konversation mit einer älteren Dame samt erkrankter Katze, wenn man selbst dort mit zwei frisch erlegten Nutrias im Müllsack sitzt, um eine Trichinenbeschau durchführen zu lassen? Spielt man lässig mit den zwei stacheligen Schwänzen, die ein wenig aus dem Sack und der haltenden Hand herauslugen? Oder gilt das als anzüglich? Was antwortet man auf die Frage, „Was fehlt Ihren denn?“ Hält man die Tiere die ganze Zeit in der Hand, oder legt man sie auf einen freien Stuhl? Wie verhält man sich, wenn Kinder anwesend sind? Und muss man für die Behandlung beim Tierarzt nicht auch einen Namen angeben, also: einen Tiernamen?
Diese und weitere Fragen nach dem sicheren Auftritt auf schlüpfrigem gesellschaftlichem Parkett plagten mich, als ich vor einiger Zeit mit zwei leblosen Nutrias im Wagen direkt vor der schmucklosen Praxis eines Tierarztes im Gewerbegebiet des Nachbardorfs geparkt hatte, nachdem mich mein Jägerfreund erfreut über sein Jagdglück informiert und uns die beiden Brummer zur finalen Verwertung überlassen hatte. Nur eben die Trichinenfrage müsse ich in dem Fall selbst klären. Gesagt – getan.
Meine vorauseilend ungehorsamen Bedenken erwiesen sich beim Eintritt in die Praxisräume als völlig unbegründet, denn wohlweislich hatte man mich, uns außerhalb der Sprechstunde einbestellt. Sofort wurde ich in einen Behandlungsraum gebeten und, noch während ich die zwei properen Kerlchen auf dem Edelstahltisch arrangierte, kam die gesamte Mann-, nein: Frauschaft rein, denn sowohl die Ärztin als auch alle Helferinnen wollten sehen, was da auf dem Tisch lag. Handys wurden gezückt, Fotos gemacht, Kurzvideos gedreht, ob der Beschriftung der entstehenden Dokumente nach der Gattungsbezeichnung gefragt – wie schreibt man das? N-U-T-R-I-A? – und ein wohlig-schauerliches Oooohhhh / Iiiiiihhhh ging durch den Raum, als meine Antwort auf die Frage nach dem Verwendungszweck erschallte: „Essen!“.
Ein anderer Jägerfreund, nicht der erfolgreiche Waidmann, hatte mir bereits im Vorfeld den deutlichen Hinweis mit auf den Weg gegeben, die beiden Stücke kräftig zu beizen, weil Nutria doch ziemlich streng („muffig, nach Schlamm!“) schmecken würden. Leider habe ich mich davon beeinflussen lassen und bin dem Rat gefolgt – sicher ist sicher. Also eine klassische Beize a la Hasenpfeffer mit Rotwein, Essig und Gewürzen angesetzt und die Kameraden darin gebadet, bis die Freigabe des Tierarztes vorlag. Damit war auch der weitere Zubereitungsweg vorgezeichnet – aus der Beize entnehmen, trocken tupfen, anbraten, Schmorgemüse ebenfalls anbraten, Bratensatz mit der Beize mehrfach ablöschen, alles zusammen dann im Bräter ab ins Rohr und schön schmoren lassen. Dazu eine feine Nudel.
Was soll ich sagen? – Perfekt! Feines Fleisch, feiner Wildgeschmack, zart, lecker – Klasse! Ein Festmahl! Warum aber „leider“ in Bezug auf die Beize? – Nun, die nächsten Nutrias (leider hapert es aktuell am Nachschub…) werden frisch und nicht so stark gewürzt zubereitet, denn zumindest die zwei Exemplare hätten die Intensivbehandlung sicher nicht nötig gehabt…
Fun Fact: In unserem nord-westlichen Nachbarland, den Niederlanden, stehen Nutria auf einigen Speisekarten und sind ab und an sogar im Supermarkt zu finden: Man schaue nach „Waterkonijn“, („Wasserkaninchen“)… à https://www.stern.de/genuss/essen/bisamratte-und-co—in-diesem-restaurant-schmoren-leckere-schaedlinge-7349720.html
*
Spezialist für die delikate Verwertung zumeist verschmähter Wildtiere nach Nose-to-Tail-Manie ist das Wild Kitchen Team. Jana Rogge, der kreative Kopf beim Entwickeln der Rezepte und der Gestaltung der Kochbücher, war so freundlich, mir kommentiert zwei Nutria-Rezepte zur Verfügung zu stellen. Das hier veröffentlichte Gegrillte Nutria ist aus dem ersten Buch Wild Kitchen Project (es gibt auch einen Folgeband).
Das zweite Rezept, Nuss-Nutria-Nuggets, erscheint in Ausgabe 2/21 des Magazins Wilde Hunde (siehe: https://wildehunde.de/). Die erscheint im April, wenn ich nicht irre. Hier nur das Vorschaubild zum Mund wässerig machen. Für das Rezept bitte zum Magazin Wilde Hunde greifen.

Jana schrieb mir: „Beide Rezepte sind Spieße mit kleinen Fleischstücken. Die Größe einer Nutria erlaubt es halt leider nicht, ein ordentliches Bratenstück daraus zu schneiden. Also bleibt nur die Verwertung im Ganzen (komplett als Braten oder Ragout), als Hack oder eben wie hier in Form von Spießen. Letztere kann man schön grillen, deshalb die Wahl. Der Rest des Tieres ist dann übrigens auch zu Hack geworden. ;-)“
von Bonsai, Wild Kitchen Project
Gegrillte Nutria
Zutaten:
600 g Nutriarücken oder -keule
6 Knoblauchzehen
2 Bio-Orangen
2 TL Paprika, rosenscharf
Olivenöl
Kürbiskernöl
50 g Kürbiskerne
1 Bund Petersilie

Bonsai: Zuerst wird das Nutriafleisch in spießgerechte Stücke geschnitten. Im Gegensatz zu Waschbär- oder Hirschfleisch muss das Fett nicht entfernt werden, denn es schmeckt ganz gut.
Aus der Hälfte des fein gehackten Knoblauchs, einem Löffel geriebener Orangenschale und 3 EL Olivenöl rühre ich eine Marinade an, mit der die Nutriastücke eingepinselt werden. Mindestens 4 Stunden, besser über Nacht, zugedeckt im Kühlschrank ziehen lassen.
In der Zwischenzeit wird das Pesto gemacht: Damit die Kürbiskerne mehr Aroma abgeben, röste ich sie in einer Pfanne trocken an, bis sie sich aufblähen. Nach dem Abkühlen werden sie fein gehackt, ebenso die Petersilie (ohne Stiele). Mit Oliven- und Kürbiskernöl verrührt und mit Salz und Pfeffer abgeschmeckt ist das Pesto fertig, muss allerdings bei Zimmertemperatur noch etwas ziehen.
Jetzt die Spieße aus der Marinade nehmen, abtropfen lassen und etwas salzen. Auf dem Mangal-Spieß etwa 6–7 Minuten rundherum grillen. Die Spieße mit dem Pesto servieren.

***

Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER gibt es nicht nur eine Facebook-Gruppe, sondern jetzt auch Outdoor-Becher aus Emaille. Kontaktmail für Anfragen siehe Impressum.

Titel: Wild Kitchen Project: Rezepte und Erfahrungen für Liebhaber von Wild, BBQ und Outdoorküche
Herausgeber: Jana Rogge, Stephan Berghaus
Fotografin: Jana Rogge © Wild Kitchen Project
Verlag: Eckhaus Verlag Weimar
ISBN: 978-3945294130
Verlagslink: https://eckhaus-verlag.de/produkt/wild-kitchen-project/
*
Mehr vom Wild Kitchen Project auf KRAUTJUNKER: https://krautjunker.com/?s=Wild+Kitchen+Project
Wild Kitchen Projekt: https://wild-kitchen-project.de/
*
KRAUTJUNKER-Feder Thomas Thelen

Thomas Thelen ist Deutsch-Drahthaar-Bändiger, Leihhund-Bespaßer, Fliegenfischer, Holzwerker und Genießer – und eher nebenher Unternehmensberater und Autor.
Zuhause in den südbadischen Weinbergen, hält er nicht nur nach Schwarz- und Rehwild Ausschau, sondern auch nach empfehlenswerter Lektüre und leckeren Rezepten. Wenn sie seinen Geschmackstest bestehen, werden sie hier umgehend weiterempfohlen – oder kritisch betrachtet.