Rezeptvorstellung von Holger Obenaus
Die Große Freiheit war damals in den späten 80igern immer eine meiner absoluten Lieblings Auftrittsorte in Hamburg. Es war DAS Highlight, wenn wir mit dem „Dicken“, wie wir Onkel Jürgen liebevoll nannten, auf Tour durch die bundesdeutsche Republik waren.
Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Die Große Freiheit ist der Ort, wo die Beatles berühmt wurden. Es ist das Synonym für Rotlicht, schnellen Sex und Abenteuer. Wobei mir besonders die Endsilben „-teuer“ vom „Abend“ im Kopf geblieben sind.

Der wahre Grund aber, warum ich Hamburg bis heute liebe, ist ein ganz anderer. Es waren die Fans unserer Zeltinger Band. In keiner Stadt Deutschlands hatten wir eine so einzigartige und subversive Mischung an Charakteren im Publikum. Es war einfach großartig. Boxweltmeister und Kleinstadt-Rambos, Luden und ihre Luder, Puffmuttis, Lolitas und Bordsteinschwalben. Die Prominenz tummelte sich mit den Möchtegerns, Hell’s Angels und Politiker – selbst die Schmier (Kölsch für Polizei) stand Schlange, denn sie wusste, die halbe Unterwelt war da. Der Rest saß im Knast.
Es war legendär und – unglaublich anstrengend…
7 Uhr Abfahrt Unicenter Köln
Die vierstündige Busfahrt von Köln nach Hamburg dauerte mindestens doppelt so lang. Grund für die Verzögerung war nicht der obligatorische Stau auf der A1, sondern mehr menschlicher Natur. Die Band brauchte gefühlt zehn bis zwanzig Zwischenstopps. Persönliche Befindlichkeiten wie das Aufstocken der alkoholischen Getränke, das Beschaffen und Konsumieren von illegalen Substanzen, die dazugehörigen Fressattacken und die daraus resultierenden natürlichen Bedürfnisse forderten ihren Tribut. Im Schlepptau ein Sammelsurium verkrachter Nachkriegs Existenzen. Heiratsschwindler, Trickbetrüger, Stricher – es war alles dabei!
15 Uhr Ankunft Hamburg
Bei der Ankunft in Hamburg fühlten sich die Band, die Road Crew, der Tour Manager und unsere Entourage wie Weltmeister. Extrem enthusiastisch und hacke-dicht.

Unser Sänger, 300 Pfund Kampfgewicht, Stiernacken, Glatze, hatte unterwegs bei einer der unzähligen Zwischenstops eine Gruppe nicht mehr ganz taufrischer, aber dennoch nicht unansehnlicher Damen charmant genötigt mitzureisen, um sich das Konzert anzusehen. Die Band entschloss sich, in Anbetracht der weiblicher Verstärkung, es jetzt richtig krachen zu lassen. Das Hotel wurde komplett in Beschlag genommen. Irritierte Gäste standen vor der Wahl, in ein anderes Etablissement umzuziehen oder einfach mitzumachen. Glücklicherweise hatte unser Tour Manager noch genügend Weitsicht, die Road Crew wieder auf Spur zu bringen.
17 Uhr Soundcheck
Es stellte sich heraus, wir mussten improvisieren. Unser Sänger war im Kampfgetümmel in der Ritze, einer berühmt-berüchtigten Bar mit Fight Club, verloren gegangen. Der zweite Gitarrist war nach der vierten Flasche Wodka auf Suche nach seiner heiß geliebten Gibson Les Paul ins Koma gefallen, und unser Schlagzeuger hatte sich im Hotelzimmer mit vier der mitgebrachten Damen zu einer „Drum Session“ verbarrikadiert.
Der Soundcheck klappte hervorragend. Glücklicherweise kannte der Barkeeper der Großen Freiheit den Text, der Drum Roadie saß am Schlagzeug und ein zufälliger Beobachter der Szenerie war im Stande einen G-Dur Akkord zu spielen. Alles k.o.
Sechs weitere Stunden bis zum Auftritt. Stagetime: Mitternacht!
18 Uhr Animation
Um die Zeit totzuschlagen entschlossen sich unser Bassist und ich, das Kulturprogramm der Stadt Hamburg zu eruieren. Das Salambo war die nächstbeste Alternative zur Elb-Philharmonie, die natürlich zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht existierte. Unterhaltung auf höchstem Niveau!
Der Eintritt war überaus erschwinglich und betrug fünf Deutsche Mark. Das erforderliche „Gedeck“, ein billiger Schnaps und eine kleine Cola schlugen zusätzlich mit 80 DM zu Buche.
Die gebotene Unterhaltung war eklektisch und überaus vom Feinsten. Sie war jeden Pfennig wert.
Ein philippinischer Akteur, gefühlte 1,48 m groß, mit einem weißen Weihnachtsmann-Bart und einem Gandalf-Zauberer-Hut, sang playback Winds of Change von den Scorpions, während er, ansonsten splitternackt und ansehnlich bestückt, eine brünette Dame sexuell beglückte. Wir waren begeistert!
21:30 Uhr Kontrollierte Bruchlandung
Zwischenzeitlich hatte unser Tour Manager aufgegeben und war im Puff verschwunden. Unser Sänger war aus dem Nichts wieder aufgetaucht. Im Schlepptau Lauterbach (zum Glück Heiner, nicht Karl!), der Boxer Prinz von Homburg (Norbert Grupe) und einigen subversiven Gestalten der Bonner Politprominenz. Die Gruppe der mitgebrachten, nicht mehr ganz taufrischen Damen hatte die private Schlagzeugstunde im Hotel offensichtlich in vollen Zügen genossen und erschien um Jahre verjüngt und in bester Stimmung in der Großen Freiheit. Unser zweiter Gitarrist hatte im Suff seine Les Paul hinter einem weiteren Karton mit Wodka Flaschen wiedergefunden und diese zwecks Qualitätskontrolle auch noch geleert. Das „Level“, wie die Plaat es nannte, musste stimmen, sonst war das Konzert Scheiße. Man sieht, wir waren Profis. Eine perfekte kontrollierte Bruchlandung in letzter Minute!
22:30 Uhr – Zeit fürs Catering
Wie jede Band, so hatten auch wir unser Ritual. Currywurst an der U-Bahn Station Mönckebergstrasse. Fraglos zu dieser Zeit die beste Currywurst der Stadt, wenn nicht sogar Deutschlands. Während die Road Crew das Catering der Großen Freiheit plünderte, quetschten wir uns in ein Taxi und fuhren durch Hamburg.
Die Mahlzeit passte zur Tageszeit, der Stadt und der Band: Geschmack, Charakter, Zeltingerband!
Fettig, scharf, mit unglaublich leckerer Sauce. Die perfekte Kompensation für die Exzesse der vorangegangenen Stunden. Zweifelsohne die professionellste Weise sich für das kommende Konzert wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. Wir verdrückten doppelte und dreifache Portionen, genau richtig, um gegen Mitternacht in einer Halle voller randalierender Fans zu spielen. Das Konzert war legendär. Eines der Besten, das wir je gespielt haben. Und es war der Anfang einer sehr langen Nacht, die wilder endete, als der Tag begann.
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Rezept Wurst
Fleisch:
1 kg Schweinebauch halbgefroren, in Stücken die in den Wolf passen
1 kg Schweinenacken halbgefroren, in Stücken die in den Wolf passen
Gewürze:
30 g Salz
1 ½ EL Zucker
8 g schwarzer Pfeffer (getoastet, gemörsert)
5 g Senfkörner (gelb)
5 g Kümmel (kein Pulver) – optional
1 ½ EL Majoran (am besten frisch)
1 EL Macis
1 EL blackened Knoblauch
4 EL Zwiebelpulver
Sonstiges:
2 Eier
200 ml sehr kalte Vollmilch
Schweinedarm Kaliber 26 oder 28
Anleitung Wurst
Schweinedarm für 30 Minuten wässern
Fleisch in passende Stücke schneiden, leicht anfrieren

Pfefferkörner und Knoblauchzehen (in ihrer Schale) in Gußeisenpfanne ohne Fett anrösten bis Pfefferkörner anfangen zu duften und Knoblauchschalen außen etwas schwarz werden (blackened)
Senfkörner und Kümmel separat in Gußeisenpfanne etwas toasten
Alle Gewürze im Mörser zerstoßen und vermengen (außer Senfkörner, Majoran und Kümmel – die bleiben ganz)
Knoblauch ohne Schalen zerdrücken
Fleisch mit Gewürzmischung (ohne Senfkörner, Majoran und Kümmel) vermengen und mittelfein bis fein wolfen

Fleischmasse mit Senfkörnern, Majoran und Kümmel, Eiern und Milch verkneten (Milch in kleinen Mengen zufügen, damit Teig nicht zu naß wird)
Das Brät muss eine Bindung eingehen und leicht klebrig Fäden ziehen
Fleischbrät in Därme füllen und abdrehen

Rezept Curry Sauce
Zutaten:
1 große Zwiebel fein gewürfelt
Olivenöl zum sautieren
2 EL Curry Pulver
1 EL scharfen Paprika
1 Dose San Marzano Tomaten
1/2 cup Rohrzucker (8 EL)
1/4 cup Rotwein Essig (etwa 60ml)
Gutes Meersalz
Pfeffer aus der Mühle
1 guter Spritzer Worcestershire Sauce (bevorzugt nach meinem persönlichen Rezept hausgemacht)
2 EL dreifach konzentriertes Tomatenmark
Trockener Weißwein – zum Ablöschen und Trinken!

Anleitung:
Olivenöl erhitzen und Zwiebeln golden anbraten
Sobald Zwiebeln glasig werden etwas Meersalz hinzufügen
Mit einem Spritzer trockenem Weißwein ablöschen
Tomatenmark, Curry Pulver, Paprika mit Zwiebeln vermengen und leicht karamellisieren
Tomaten, Rotwein Essig, Rohrzucker hinzufügen und 30 Minuten leicht köcheln
Mit Salz, Pfeffer und einem Spritzer Worcestershire Sauce abschmecken
Pürieren und durch ein feines Sieb passieren
Zwischenzeitlich Bratwürste braten
Würste in Scheiben schneiden, mit Currysauce übergießen und mit ein wenig Curry Pulver bestäuben
Je nach Geschmack kann man fein gewürfelte Zwiebel darüber streuen mit ein wenig Majonaise (Currywurst Spezial)

Tipps:
Das Toasten der Gewürze und das Karamellisieren des Tomatenmarks wirkt wie ein Turbo für den Geschmack. Wichtig ist hier bei beiden Prozessen, dass es nicht anbrennt, dann wird es bitter.
Kümmel ist nicht jedermanns Sache, kann man weglassen.
Meine hausgemachte Worcestershire Sauce ist legendär und wirkt kleine Geschmackswunder. Normale Worcestershire Sauce geht natürlich auch. Man kann auch eine Spritzer Soja Sauce (vorsicht, das macht salzig) oder noch besser Ketjap Manis hinzufügen.
Ich bin immer etwas konservativ mit der Menge des Rohrzuckers. persönlich mag ich es nicht, wenn die Currysauce zu süß wird. Auch hier lieber weniger und nach dem Abschmecken hinzufügen.
Amerikanische Mengenangaben machen mich wahnsinnig:
1 Cup sind etwa 250ml oder 16 EL (Esslöffel) bzw. tbsp (tablespoons)

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Die Geschichte der Currywurst
Die Currywurst ist zweifelsohne eines der beliebtesten Fast Foods in Deutschland. Sie entstand in den Ruinen der Stadt Berlin nach dem zweiten Weltkrieg. Herta Heuer, die 1949 einen Imbissstand an der Ecke Kant-/Kaiser-Friedrich-Straße im Berliner Ortsteil Charlottenburg betrieb, hat für sich beansprucht, dass es ihre Idee war, eine Bratwurst mit einer scharfen Tomatensauce zu kombinieren. Die Sauce wurde Schritt für Schritt mit Hilfe ihres Geschäftspartner Franz Friedrich, welcher der Schlachter Familie Maximilian entstammte, passend zum Geschmack der Wurst optimiert. Heuwer bestand darauf, dass nie Ketchup oder Gewürzmischungen für ihre Sauce verwendet wurden. Das Originalrezept wurde nie preisgegeben.
KRAUTJUNKER-Kommentar: Eine andere Theorie verortet die Entstehung der Currywurst in Hamburg. Der hochkarätige Literat Uwe Timm hat über diese Geschichte einen sehr lesenswerten Roman verfasst.

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Holger Obenaus

Holger Obenaus (* 1964) ist ein amerikanischer Fotograf, Musiker und Autor deutscher Herkunft. Das späte Ende der 70iger und die frühen 80iger Jahre verbrachte Holger als junger Punkgitarrist und späterer Musikproduzent in der Kölner und Düsseldorfer Musikszene. Im brodelnden und fruchtbaren Umfeld der Düsseldorfer Kunstakademie und der Kölner Werkschule hatten Elektronische Musik, German Punk & Pop und die Neue Deutsche Welle ihren Ursprung. Musiker und Künstler trafen sich in einschlägigen Etablissements in Köln und Düsseldorf zu einem kreativen Austausch von Ideen und Konzepten. Die Grenzen zwischen Kunst und Musik waren fließend.
Dieses Umfeld und die kreativen Einflüsse von Produzenten Ikone Conny Plank und Künstlern wie Jürgen Klauke, Gerhard Richter und dem Fotografen Boris Becker haben Holger bis heute stark geprägt. In den späten 90iger und frühen 2000er Jahre gehörte er zu den erfolgreichsten Musikautoren Deutschlands und wurde mit etlichen Mehrfach-Gold und Platin Awards der deutschen Musikindustrie ausgezeichnet.
Nach Aufenthalten in Kalifornien und Florida zog er Mitte der 2000er Jahre vollends in die USA.
Er verschob das Spektrum seiner künstlerischen Tätigkeit von der Musik zur Fotografie.
Holger’s kommerzielles fotografisches Werk, seine distanzierte objektivierende photographische Sichtweise ist streng an die Sachlichkeit und die saubere Linienführung der Arbeiten von Schülern der Becherklasse und der Düsseldorfer Schule angelehnt.
Holger pendelt heute beruflich zwischen Charleston, Dallas und Miami und verbringt seine Freizeit entweder passioniert auf der Jagd oder noch passionierter in der Küche.
Er ist überzeugter Vertreter von Farm-to-Table und Living off the Land, zwei kulinarischen Movements die die Esskultur der Vereinigten Staaten komplett verändern. Seit 2021 dokumentiert er kulinarischen Erlebnisse und Homesteading Erfahrungen unter dem Pseudonym Holger Holgerson in seinem Blog KRAUTANDREDNECK.COM
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Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER gibt es eine Facebook-Gruppe sowie Becher aus Emaille und Porzellan. Kontaktmail für Anfragen siehe Impressum.
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Bildnachweis: Sofern nicht gesondert gekennzeichnet, stammen alle Fotos von Holger Obenaus