Penne Arrabbiata – Eine kleine Mafia-Geschichte

von Holger Obenaus

Die 80iger und frühen 90iger waren von drei Dingen geprägt. Schnelle Autos, gute Schüsse (wie man in Köln sagte) und Mafia-Filme. Die Kreise, in denen ich mich zu dieser Zeit rumtrieb, durchlebten Schneestürme im Hochsommer und Cold Turkey im Winter. Die besten Filmzitate passten auf jede Lebenslage und Joe Pesci war mein persönlicher Held! Unser Leben war am Limit, der Alkohol floß und die Drogen hatten ihre Unschuld noch nicht verloren. Man fühlte sich schlicht und einfach unbesiegbar!

Wahnsinnige Leidenschaft oder leidenschaftlicher Wahnsinn?!?
Irgendwie war’s uns scheissegal, eins von beiden traf immer zu!

Unser Sänger wohnte in einer Penthouse Wohnung im 41. Stock des Uni-Centers. Traumhafter Rundumblick über Köln, die Eifel und das Bergische Land.

Der Aufzug war privat und es gab nur zwei Appartements wenn man ausstieg. Der Nachbar war eine zwielichtige Kreatur. Seine Schlägervisage zeugte von seiner Lehrzeit auf der Straße, die Maßanzüge vom Aufstieg in die Chefetage. Eine Figur, die Scorsese nicht besser hätte beschreiben können, irgendwo zwischen Tony Montana und Henry Hill mit dem Überlebensinstinkt einer Ratte.
Man munkelte, dass er zum jugoslawischen Mob gehörte.

Nie werde ich den Tag vergessen, an dem wir nach einer Probe, im fünften Tiefgeschoss der Unicenter Parkgarage von diesem Herrn feinste italienische Lederschuhe aus dem Kofferraum seines Jaguars angepaßt bekamen. Wo die Schuhe herkamen war uns ziemlich egal. Geschenk des Hauses. Man gehörte zur Familie.

Es war ein sonniger Tag im Juli 1991. Unser Bassist und ich standen im Foyer des Unicenters und warteten auf den Schlagzeuger. Er steckte im Aufzug auf dem Weg aus dem 42. Stock nach unten. Sein Gesicht war leichenblass und er zitterte am ganzen Körper. Offensichtlich wurde er ungewollt Zeuge einer bizarren Szenerie. Literweise Blut, Glassplitter, zerschlagene Möbelstücke, eine Axt und eine aufgebrochene Tür.

Unser Sänger war nirgendwo aufzufinden. Wir waren uns relativ sicher, irgendjemand hatte den Dicken geschlachtet. Dies setzte sofort eine enorme Kreativität in Gange. Der zweite Gitarrist war zwischenzeitlich eingetrudelt, wie immer ein wenig spät und völlig ignorant ob der dramatischen Ereignisse. Unser Drummer schlug lakonisch vor, daraus einen neuen Song zu machen. Der Marketinginstinkt unseres Bassisten erfaßte in Sekundenschnelle die unglaubliche Werbewirksamkeit der Situation. Mir fiel unweigerlich der grandiose Film Themroc des französischen Regisseurs Claude Faraldo ein.

Jetzt blieb nur die Frage, ob ein gut abgehangenes Schwein eher komplett auf den Spieß gehörte, oder besser in Teile zerlegt in Wurst verwandelt werden sollte. Wir sahen die Goldenen Schallplatten schon greifbar vor uns und verschwanden motiviert im Keller zur Probe.

Dreißig Minuten später betrat die Plaat den Proberaum, leicht amüsiert und in bester Gesundheit. Unsere Träume vom schnellen Erfolg platzten wie das Kondom bei meiner Bekannten Uschi. Jürgen brachte einen riesigen Seesack, mit der Bitte, diesen im Drumcase für ein paar Wochen zu verstecken, bis sich die Wogen geglättet hätten und erklärte, in zwei Stunden sei das Essen fertig. Einladungen unseres Sängers hatten es in sich, der Seesack auch. Ein Sammelsurium an unterschiedlichsten Handfeuerwaffen, mehrere Uzis, Handgranaten, eine Panzerfaust und Munition für Monate. John Wick ist Kindergeburtstag. Mir grummelte der Magen. Alle hatten Hunger.

Die Küche im 41. Stock des Uni-Centers – klein aber fein. Hier stießen zwei Welten aufeinander. An der Wand eine Filmszene von Martin Scorcese, zweifelsohne einer der Höhepunkte seines kreativen Schaffens, am Herd Hans Maria Jürgen, zweifelsfrei auf dem Höhepunkt seines kulinarischen Schaffens. Man konnte ihm vieles nachsagen, schwul, pervers und arbeitsscheu – aber Kochen konnte er. Sein Sauerbraten war über die Stadtgrenzen berühmt und Einladungen zu einem seiner Gelage waren begehrter als ein Ticket für den roten Teppich.

Die Nacht hatte sich mittlerweile über die Stadt Köln gelegt und das Panorama vom 42.Stock war umwerfend. Die Gerüche aus der Küche waren nicht weniger spektakulär. Ein Duft von aufgelösten Sardellen in bestem Oliven Öl erfüllte die Luft. Unser Sänger war der faulste Mensch, den ich je in meinem Leben kennengelernt hatte, aber wenn es ums Essen ging war er obsessiv! In bester Godfather (Der Pate) Tradition filetierte er haufenweise Knoblauch mit einer Rasierklinge in hauchdünne Scheibchen. Er sautierte voller Leidenschaft Schalotten mit einer unerhörten Portion Peperoncini und karamellisierte das Ganze mit Tomatenmark. Es musste dreifach-konzentriert sein und von der sizilianischen Sonne verwöhnt! An dieser Stelle, wie auch an so manch anderer, gab es keine Kompromisse. Geschmack, Charakter…

Die von Hand zerdrückten Tomaten kamen aus Neapel. Das rote Massaker auf dem Schneideblock erinnerte ansatzweise an den Ausgang einer Camorra Fehde in Sizilien.

Die Sauce köchelte langsam zur Perfektion. Frischer Basilikum und Oregano erweckten die Lebensgeister, während Marlon Brando mich von dem Filmplakat an der Wand seit Minuten beobachtete. Die Penne hatten noch stramme 8 Minuten Folter in kochendem Wasser zu überleben, bevor sie ihre Absolution in der dicken, süßlich herzhaften Tomaten Sauce erfuhren.

Am Ende des Tages waren wir alle eine große Familie. In bester Mafia Tradition. Jürgen liebte diese Vergleich und zitierte sie oft. Arrabbiata ist ein Wohlfühl-Gericht, aber auch eine Lebensphilosophie.

Arrabbiata ist einfach und ehrlich, wie das Leben. Es hat die dunkle, komplexe Tiefe der Liebe, die Sonne Siziliens und die Süße der Frauen, die unser Leben begleiten. Genieße Dein Leben. Du hast nur eins. Und am besten mit einem gutem Glas Amarone. Das Wichtigste aber ist, Du hast gute Geschichten!

EPILOG

Der kleine Zwischenfall am Nachmittag stellte sich als das Ende eines 72stündigen exzessiven  Schneesturms mit mehreren Damen Mitte Juli in dem Apartment des sympathischen Nachbarn heraus. Offensichtlich geriet die Situation ein klein wenig außer Kontrolle. Am Ende versuchte der Protagonist die Dämonen in seinem Kopf mit einer Axt ein und für alle Mal zu besiegen. Der Kampf war episch, die Axt brutal und das Blut stammte vom Protagonisten selber. Nachbarn im Stockwerk darunter riefen die Polizei. Die Waffensammlung musste irgendwie verschwinden und fand ein perfektes Versteck in unserem Proberaum vor dem nahenden Einsatzkommando der Kölner Schmier. Der Hauptakteur entkam durch eine halsbrecherische Flucht über seinen Balkon. Er kletterte ohne weitere Sicherung vom 41. Stock in den öffentlichen Bereich des 40. Stocks. Respekt! Wir haben ihn nie wieder gesehen.

REZEPT

Zutaten:
500g bronze-cut* Penne Rigate
1 Schalotte fein gewürfelt
6 Knoblauchzehen
2 hochwertige Sardellen
3 Peperoncini
1 Dose San Marzano Tomaten (oder frische Tomaten)
3fach konzentriertes Tomatenmark aus Italien
EVO Olivenöl
frischer Basilikum
Oregano
trockener Weißwein
hochwertiges Meersalz
Schwarzer Pfeffer, leicht getoastet und zerstoßen

* Gibt es den Terminus „Bronze-cut“ in Deutschland (bei Pasta)? https://homecookworld.com/what-is-bronze-cut-pasta/
Hochwertige Pasta wird in Maschinen hergestellt, den Formen oder Austrittsöffnungen aus Bronze bestehen. Das führt zu einer rauheren Textur. Die Pasta kann mehr Sauce aufnehmen. Weiß jetzt nicht, wie oder ob das in Deutschland „vermarktet“ wird.
Hier eine wissenschaftliche Abhandlung in wie weit das Oberflächenmaterial einen Einfluss auf die Pasta hat. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2211601X1100085X
Hier eine deutsche Erklärung: Die Oberfläche von Pasta ist entweder glatt (Pasta liscia), z.B. bei normalen Penne, oder mit erhabenen Linien geriffelt (Pasta rigata), wie bei den Penne rigate. Unter dem Aspekt der Oberflächenbeschaffenheit ist zweitens die produktionsbedingte Feinstruktur zu nennen. Die oftmals stark in der Werbung hervorgehobene Herstellung mit Bronze-Formen bedeutet, dass der Teig bei der Herstellung durch eine solche Bronze- und nicht durch eine Kunststoffdüse (Matrize) gepresst wurde. Der Unterschied ist zwar nur mit gutem Auge erkennbar, doch insofern entscheidend, als die mit Bronze-Formen produzierte Nudel eine rauhere Oberfläche besitzt, auf der die Sauce besser haftet. Kleine Hersteller, die Qualitäts-Pasta herstellen wollen, nehmen deshalb in der Regel Bronze-Matrizen, während die Industrie bei der Großproduktion von Nudeln Teflon-Matrizen benutzt. https://authentisch-italienisch-kochen.de/pasta-sorten/

Zubereitung:
So einfach das Rezept erscheint, hier ein paar Tipps, die es aus der Masse der gemeinen „scharfen Tomatensaucen“ heraushebt.

Mein Arrabbiata lebt von der Tiefe der Aromen, vom unglaublichen Umami, welches wir besonders durch das karamellisieren von Tomatenmark und dem Auflösen der Sardellen in dem Olivenöl erzeugen.

Die Qualität aller Zutaten in diesem Rezept ist von äußerster Wichtigkeit. Gute Tomaten – wenn es keine hervorragenden frischen Tomaten gibt, kommen nur San Marzanos in das Gericht. Die natürliche Süße und Fruchtigkeit kann man durch nichts anderes ersetzen. Je hochwertiger das Olivenöl ist, desto besser. Man wird es schmecken. Das Öl für alle Kochvorgänge nur auf „Medium“ erhitzen. Wir wollen die Aromen verbinden, nicht verbrennen. Es gibt solche und solche Sardellen. Da wir nur zwei davon verwenden und diese quasi im Öl auflösen, sollten sie von guter Qualität sein. Wenn es keine Peperoncini gibt, nehme ich Thai Chilis. Man kann auch Red Pepperflakes verwenden. Ich persönlich finde aber frische Zutaten besser. Der Knoblauch sollte wirklich hauchdünn geschnitten werden. Patience – grasshopper! Geduld zahlt sich aus. Für mich macht der Geschmack des Salzes einen großen Unterschied. Ich mag die leichte Süße des Maldon Meersalzes aus England. Pfefferkörner entfalten ihr Aroma viel besser, wenn sie in einer gusseisernen Pfanne leicht getoastet und dann in einem Mörser zerstoßen werden.

Die Summe aller Details wird dieses Gericht legendär machen!

Sardellen-Filets mit Gabel im erhitzen Olivenöl zerdrücken und langsam verflüssigen. Bitte nicht frittieren, also Obacht!

Knoblauch im Öl sautierten bis leicht golden. Er wird sich nicht wirklich verflüssigen, aber wir wollen keine knusprigen Chips. Ich entferne ihn bevor er zu stark anbrät und füge ihn später in die Sauce wieder hinzu.

Schalotten und Peperoncini andünsten, sobald die Schalotten etwas Farbe bekommen, leicht salzen und mit einem Spritzer Weißwein ablöschen.

Tomatenmark hinzufügen und karamellisieren, zwischendurch die Röststoffe dieses Vorgangs mit einem Spritzer Weißwein ablösen. Ich mache das etwa 2-3mal! Auch hier, Geduld, und nicht das Tomatenmark verbrennen. Das gibt der Sauce eine extreme Tiefe.

Tomaten (zerdrückt), Oregano und Knoblauch hinzufügen.

Etwa 30 Minuten ganz leicht köcheln, damit sich alle Aromen verbinden.

Mit Salz und zerstoßenem Pfeffer abschmecken.

In der Zwischenzeit Penne Rigate in leicht gesalzenem Wasser al dente kochen – bitte KEIN Öl ins Nudelwasser.

Einen kleinen Kochlöffel vom Pasta Wasser zur Sauce hinzufügen um eine feine Bindung durch die Pasta Stärke zu bekommen.

Penne in der Sauce wenden und jeden Teller mit in Streifen geschnittenen Basilikumblättern dekorieren.

Nach Geschmack Parmiggano Reggiano über die Pasta geben.

*

Holger Obenaus

Holger Obenaus (* 1964) ist ein amerikanischer Fotograf, Musiker und Autor deutscher Herkunft. Das späte Ende der 70iger und die frühen 80iger Jahre verbrachte Holger als junger Punkgitarrist und späterer Musikproduzent in der Kölner und Düsseldorfer Musikszene. Im brodelnden und fruchtbaren Umfeld der Düsseldorfer Kunstakademie und der Kölner Werkschule hatten Elektronische Musik, German Punk & Pop und die Neue Deutsche Welle ihren Ursprung. Musiker und Künstler trafen sich in einschlägigen Etablissements in Köln und Düsseldorf zu einem kreativen Austausch von Ideen und Konzepten. Die Grenzen zwischen Kunst und Musik waren fließend.
Dieses Umfeld und die kreativen Einflüsse von Produzenten Ikone Conny Plank und Künstlern wie Jürgen Klauke, Gerhard Richter und dem Fotografen Boris Becker haben Holger bis heute stark geprägt. In den späten 90iger und frühen 2000er Jahre gehörte er zu den erfolgreichsten Musikautoren Deutschlands und wurde mit etlichen Mehrfach-Gold und Platin Awards der deutschen Musikindustrie ausgezeichnet.
Nach Aufenthalten in Kalifornien und Florida zog er Mitte der 2000er Jahre vollends in die USA.

Er verschob das Spektrum seiner künstlerischen Tätigkeit von der Musik zur Fotografie.
Holger’s kommerzielles fotografisches Werk, seine distanzierte objektivierende photographische Sichtweise ist streng an die Sachlichkeit und die saubere Linienführung der Arbeiten von Schülern der Becherklasse  und der Düsseldorfer Schule angelehnt.
Holger pendelt heute beruflich zwischen Charleston, Dallas und Miami und verbringt seine Freizeit entweder passioniert auf der Jagd oder noch passionierter in der Küche.

Er ist überzeugter Vertreter von Farm-to-Table und Living off the Land, zwei kulinarischen Movements die die Esskultur der Vereinigten Staaten komplett verändern. Seit 2021 dokumentiert er kulinarischen Erlebnisse und Homesteading Erfahrungen unter dem Pseudonym Holger Holgerson in seinem Blog KRAUTANDREDNECK.COM

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Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER gibt es eine Facebook-Gruppe sowie Becher aus Emaille und Porzellan. Kontaktmail für Anfragen siehe Impressum.

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Bildnachweis: Die Film-Scene ist von Wikipedia. Der Rest der Fotos stammt von Holger Obenaus oder iStock (bezahlt und lizensiert).

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