„Wer Glück hat, findet eine Ersatzleber“

Marin Majica im Gespräch mit Pilzberater Ewald Gerhardt

Bald beginnt sie wieder, die Zeit von Ewald Gerhardt. Der drahtige 55-jährige hat einen ruhigen Blick unter seinen dunklen Augenbrauen, und den braucht er auch. Wenn die Berliner von Anfang Mai bis Ende Oktober in Wald und Wiesen unterwegs sind und mit gefüllten Körbchen von ihren Spaziergängen zurückkehren, dann hindert er sie daran, das Unheil in ihre Küchen zu tragen: Ewald Gerhardt leitet die Pilzberatung am Botanischen Museum im Berliner Bezirk Dahlehm.

Abb.: Violetter Schleierling (Cortinarius violaceus); Bildquelle: https://pixabay.com/de/photos/pilze-violette-webkappe-waldboden-468751/

Stellen wir uns vor, ich hätte mir gestern am späten Abend noch ein leckeres Ragout mit selbst gesammelten Pilzen zubereitet und dabei wäre mir ein Grüner Knollenblätterpilz untergekommen. Mit welchen Symptomen säße ich jetzt hier?

Ewald Gerhardt: Es kann sein dass man Übelkeit verspürt, dass man starken Durchfall hat und eine Baukolik, eventuell man sich auch übergeben. Die Symptome tauchen frühestens nach vier Stunden auf, in der Regel nach sechs bis zwölf Stunden. Wenn im Essen nur ein Fruchtkörper war und man auch nicht nur alleine davon gegessen hat, dann ist es besonders gefährlich, weil die Symptome sehr spät auftauchen. Da ist es meistens schon zu spät. Aber in dem Fall sitzen Sie auch nicht mehr bei mir, sondern liegen im Krankenhaus. Hier soll man kommen, bevor man in den Wald geht, wenn man keine Ahnung hat.

Sind diese Symptome ein deutliches Zeichen für einen giftigen Pilz, oder kann ich bei der Zubereitung etwas falsch gemacht haben?

Ewald Gerhardt: Wenn die Symptome eine Viertel- oder halbe Stunde nach der Mahlzeit auftreten, dann ist es unkritischer. In dem Fall liegt nur eine Magen-Darm-Verstimmung vor. Die Pilze wirken dabei nicht tödlich. Je schneller die Reaktion, desto ungefährlicher.

Um auf ein Gerücht zu sprechen zu kommen: Können solche Reaktionen auch daher rühren, dass ich ein Pilzgericht aufgewärmt habe?

Ewald Gerhardt: Nein, Pilzgerichte darf man aufwärmen. Das ist ein altes Märchen, das wohl aus Zeiten stammt, als man keine Kühlschränke hatte. Wenn ein solches Gericht über Nacht bei Raumtemperatur stehen bleibt, bilden sich Bakterien, das geht fix. Aber im Zeitalter des Kühlschranks ist das keine Problem. Und wenn man es richtig schön erhitzt, werden die Bakterien abgetötet.

Wie steht es mit dem Trick, zur Neutralisierung von Giftpilzen eine Zwiebel mitzukochen?

Ewald Gerhardt: Das ist natürlich Unsinn. Das hilft überhaupt nicht weiter und hat auch früher nicht gestimmt.

Und das Silberlöffel-Hausmannsrezept?

Ewald Gerhardt: Der gleiche Unsinn Da sollte das Eiweiß des Giftpilzes den Löffel schwärzen, das kann aber auch bei Speisepilzen passieren, alles Unsinn. Das steht aber auch heute in jedem Pilzbuch drin.

Ist es denn fahrlässig, in Berlin und Umgebung ohne Pilzbuch in den Wald zu gehen?

Ewald Gerhardt: Wenn man keine Kenntnisse hat, ist es ohne Pilzbuch schon sehr gefährlich. Wir haben alle wichtigen Giftpilze hier in der Region. Besonders in den Berliner Parkanlagen gibt es mehr Knollenblätterpilze als man denkt, weil wir viele Eichen haben. Unter denen wächst der tödliche Grüne Knollenblätterpilz. Auch heute ist eine Knollenblätterpilz-Vergiftung nicht immer therapierbar. Wer bei einer starken Knollenblätterpilz-Vergiftung Glück hat, findet eine Ersatzleber. Bei weniger starken Vergiftungen überleben die Patienten auch ohne, aber sie erleiden immer bleibende Schäden.

Sträuben sich Ihnen denn manchmal die Haare bei dem, was die Sammler Ihnen mitbringen?

Ewald Gerhardt: Ja, aber nicht, weil so viele Giftpilze in den Körben sind. Oftmals habe ich Beanstandungen, wie das Material gesammelt wurde. Zu alt, zu matschig oder schon angefault, das passiert. Tödliche Pilze sind selten, weniger giftige Arten sind aber schon mal dabei. Manche Leute haben keine Ahnung, kommen hierher und haben alles Mögliche gesammelt, auch Knollenblätterpilze. Die lernen mit meiner Hilfe den Pilz kennen, das hilft ihnen fürs ganze Leben. Der Grüne Knollenblätterpilz ist ja relativ einfach zu erkennen.

Haben Sie denn die Königskobra unter den deutschen Pilzen auch hier in ihrer Vitrine?

Ewald Gerhardt: Als Anschauungsmaterial ist einer da, ja. Wir machen mal Licht an. Hier, dieser. Der ist jetzt nicht mehr so grün, aber die Farben verblassen auch in der Natur. Die Merkmale sind aber noch voll da: die behäutete Knolle unten, der Ring am Stiel und weiße Lamellen, die immer weiß bleiben und nicht am Stiel festgewachsen sind.

Der sieht aber ziemlich harmlos aus, den würde ich mitnehmen. Im Gegensatz zu der Speisemorchel da oben, die sieht deutlich unappetitlicher aus. Schmeckt die?

Ewald Gerhardt: Das ist ein sehr guter Speisepilz. Man sollte sich nicht vom ersten Eindruck leiten lassen Und man darf immer nur die essen, die man kennt.

Wachsen in unserer Region eigentlich auch psychoaktive Pilze?

Ewald Gerhardt: Das sind Pilze, die Psilocybin enthalten, die gibt es hier auch in einigen Arten.

Wenn jemand mit einem solchen Pilz kommt, nehmen Sie ihm den aus dem Korb?

Ewald Gerhardt: Ich nehme den Leuten eigentlich gar nichts aus dem Korb. Nur wenn ich den Eindruck habe, dass sie überhaupt nicht klar kommen. In der Regel lasse ich die Giftpilze bewusst im Korb – die werden natürlich extra gelegt -, damit sich die Leute diese Pilze zu Hause nochmal in Ruhe ansehen können. Mit Drogenpilzen ist es das Gleiche. Ich würde natürlich sagen, dass die Pilze psychoaktiv sind. Die zu verzehren verstößt zwar gegen das Betäubungsmittelgesetz, aber ich spiele mich nicht als Polizist auf. Normale Sammler bringen diese Pilze selten mit, weil sie bei uns auf eher unappetitlichen Standorten wie Misthaufen wachsen.

Hatten Sie schon mal einen Kunden, bei dem Sie zumindest kurz darüber nachgedacht haben, einen giftigen Pilz im Korb zu übersehen?

Ewald Gerhardt: (Lacht) Nein, nein. Das kann ich mir nicht erlauben. Ich mache das seit zehn Jahren, und in dieser Zeit hat sich noch niemand vergiftet, der hier war. Wer zu mir kommt, ist mir in der Regel auch nicht unsympathisch. Da gibt es Schwankungen, gut. Aber den Job nehme ich schon ernst, dass ich von meinem Wissen keinen Gebrauch mache.

Lassen Sie sich gern zu selbst gesammelten Pilzen einladen?

Ewald Gerhardt: Nein. Ich rate allen, dass sie nur gute Freunde zu Pilzgerichten einladen. Das ist immer ein undankbares Geschäft. Da kommen vielleicht Gäste mit einer individuellen Unverträglichkeit gegen Pilze, was man nicht wissen kann, dann gibt es Ärger. Andere kriegen schon vor lauter Angst Bauchschmerzen, dann ist man auch der Dumme Meine Frau und ich verzehren selten Wildpilze mit anderen. Meistens kauft man dann doch Champignons. Ich beschäftige mich den ganzen Tag mit Pilzen, rieche an ihnen und koste zur Bestimmung auch davon – da rückt das Essen in den Hintergrund.

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Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER gibt es eine Facebook-Gruppe sowie Becher aus Porzellan und Emaille. Kontaktmail für Anfragen siehe Impressum.

Titel: Häuptling Eigener Herd, Heft 14

Herausgeber: Wiglaf Droste und Vincent Klink

Verlag: © 2003 Edition Vincent Klink

ISBN: 3-927350-12-5

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Die Veröffentlichung erfolgte mit freundlicher Genehmigung von Vincent Klink, Küchengott im Restaurant Wielandshöhe in Stuttgart. Ich empfehle den Besuch seines Gourmet-Tempels.

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